Freud und die Diskretion
Freud als Pionier der Diskretion bzw. Schweigepflicht
Daß ich Freud einen Platz auf meiner Webseite einräume hat nicht nur mit meiner Profession als (freudianisch interessierter und teils auch geprägter) Psychoanalytiker zu tun. Tatsächlich war Freud für die Schweigepflicht, das, was man einen Pionier bezeichnen kann. Er räumte dem Thema einen wichtigen Platz ein und bemühte sich um einen Kompromiss zwischen der Diskretion über die ihm anvertrauten Geheimnisse und der Veröffentlichung von Fallgeschichten zu wissenschaftlichen Forschungszwecken. Bereits 1905 setzte er sich in seinem Vorwort zu den "Bruchstücke[n] einer Hysterie-Analyse" intensiv mit dieser Frage auseinander. Ganz offensichtlich bewegte ihn die Frage, welche Konsequenzen die Veröffentlichung intimer sexueller Details aus der Krankengeschichte der von ihm analysierten 18-jährigen Patientin haben könnte und ahnte bei vielen ärztlichen KollegInnen eine ihm ganz offensichtlich zuwidere Tendenz, die Krankengeschichte als Schlüsselroman zu lesen:
"Wenn ich nach längerer Pause daran gehe, meine in den Jahren 1895 und 1896 aufgestellten Behauptungen über die Pathogenese hysterischer Symptome und die psychischen Vorgänge bei der Hysterie durch ausführliche Mitteilung einer Kranken- und Behandlungsgeschichte zu erhärten, so kann ich mir dieses Vorwort nicht ersparen, welches mein Tun einerseits nach verschiedenen Richtungen rechtfertigen, anderseits die Erwartungen, die es empfangen werden, auf ein billiges Maß zurückführen soll.
Es war sicherlich mißlich, daß ich Forschungsergebnisse, und zwar solche von überraschender und wenig einschmeichelnder Art, veröffentlichen mußte, denen die Nachprüfung von seiten der Fachgenossen notwendigerweise versagt blieb. Es ist aber kaum weniger mißlich, wenn ich jetzt beginne, etwas von dem Material dem allgemeinen Urteil zugänglich zu machen, aus dem ich jene Ergebnisse gewonnen hatte. Ich werde dem Vorwurfe nicht entgehen. Hatte er damals gelautet, daß ich nichts von meinen Kranken mitgeteilt, so wird er nun lauten, daß ich von meinen Kranken mitgeteilt, was man nicht mitteilen soll. Ich hoffe, es werden die nämlichen Personen sein, welche in solcher Art den Vorwand für ihren Vorwurf wechseln werden, und gebe es von vornherein auf, diesen Kritikern jemals ihren Vorwurf zu entreißen.
Die Veröffentlichung meiner Krankengeschichten bleibt für mich eine schwer zu lösende Aufgabe, auch wenn ich mich um jene einsichtslosen Übelwollenden weiter nicht bekümmere. Die Schwierigkeiten sind zum Teil technischer Natur, zum andern Teil gehen sie aus dem Wesen der Verhältnisse selbst hervor. Wenn es richtig ist, daß die Verursachung der hysterischen Erkrankungen in den Intimitäten des psycho-sexuellen Lebens der Kranken gefunden wird, und daß die hysterischen Symptome der Ausdruck ihrer geheimsten verdrängten Wünsche sind, so kann die Klarlegung eines Falles von Hysterie nicht anders, als diese Intimitäten aufdecken und diese Geheimnisse verraten. Es ist gewiß, daß die Kranken nie gesprochen hätten, wenn ihnen die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Verwertung ihrer Geständnisse in den Sinn gekommen wäre, und ebenso gewiß, daß es ganz vergeblich bliebe, wollte man die Erlaubnis zur Veröffentlichung von ihnen selbst erbitten. Zartfühlende, wohl auch zaghafte Personen würden unter diesen Umständen die Pflicht der ärztlichen Diskretion in den Vordergrund stellen und bedauern, der Wissenschaft hierin keine Aufklärungsdienste leisten zu können. Allein ich meine, der Arzt hat nicht nur Pflichten gegen den einzelnen Kranken, sondern auch gegen die Wissenschaft auf sich genommen. Gegen die Wissenschaft, das heißt im Grunde nichts anderes als gegen die vielen anderen Kranken, die an dem Gleichen leiden oder noch leiden werden. Die öffentliche Mitteilung dessen, was man über die Verursachung und das Gefüge der Hysterie zu wissen glaubt, wird zur Pflicht, die Unterlassung zur schimpflichen Feigheit, wenn man nur die direkte persönliche Schädigung des einen Kranken vermeiden kann. Ich glaube, ich habe alles getan, um eine solche Schädigung für meine Patientin auszuschließen. Ich habe eine Person ausgesucht, deren Schicksale nicht in Wien, sondern in einer fernab gelegenen Kleinstadt spielten, deren persönliche Verhältnisse in Wien also so gut wie unbekannt sein müssen; ich habe das Geheimnis der Behandlung so sorgfältig von Anfang an gehütet, daß nur ein einziger vollkommen vertrauenswürdiger Kollege darum wissen kann, das Mädchen sei meine Patientin gewesen; ich habe nach Abschluß der Behandlung noch vier Jahre lang mit der Publikation gewartet, bis ich von einer Änderung in dem Leben der Patientin hörte, die mich annehmen ließ, ihr eigenes Interesse an den hier erzählten Begebenheiten und seelischen Vorgängen könnte nun verblaßt sein. Es ist selbstverständlich, daß kein Name stehen geblieben ist, der einen Leser aus Laienkreisen auf die Spur führen könnte; die Publikation in einem streng wissenschaftlichen Fachjournal sollte übrigens ein Schutz gegen solche unbefugte Leser sein. Ich kann es natürlich nicht verhindern, daß die Patientin selbst eine peinliche Empfindung verspüre, wenn ihr die eigene Krankengeschichte durch einen Zufall in die Hände gespielt wird. Sie erfährt aber nichts aus ihr, was sie nicht schon weiß, und mag sich die Frage vorlegen, wer anders daraus erfahren kann, daß es sich um ihre Person handelt.
Ich weiß, daß es — in dieser Stadt wenigstens — viele Ärzte gibt, die — ekelhaft genug — eine solche Krankengeschichte nicht als einen Beitrag zur Psychopathologie der Neurose, sondern als einen zu ihrer Belustigung bestimmten Schlüsselroman lesen wollen. Dieser Gattung von Lesern gebe ich die Versicherung, daß alle meine etwa später mitzuteilenden Krankengeschichten durch ähnliche Garantien des Geheimnisses vor ihrem Scharfsinn behütet sein werden, obwohl meine Verfügung über mein Material durch diesen Vorsatz eine ganz außerordentliche Einschränkung erfahren muß ." (Freud 1905e, 163 ff)
Wiederholt äußerte sich Freud später in seinen Schriften (wenn auch deutlich knapper) zur Frage der Schweigepflicht bzw. Diskretion:
"Ehe ich meinen Bericht fortsetze, will ich bekennen, daß ich das Milieu der zu untersuchenden Begebenheit zur Unkenntlichkeit verändert habe, aber auch nichts anderes als dies. Ich halte es sonst für einen Mißbrauch, aus irgend welchen, wenn auch aus den besten Motiven, Züge einer Krankengeschichte in der Mitteilung zu entstellen, da man unmöglich wissen kann, welche Seite des Falles ein selbständig urteilender Leser herausgreifen wird, und somit Gefahr läuft, diesen letzteren in die Irre zu führen." (Freud 1915f, 234f)
"Wenn die Darstellung nur die allgemeinsten Umrisse der Geschehnisse und die aus dem Falle gewonnenen Einsichten bringt und alle charakteristischen Einzelheiten unterschlägt, auf denen die Deutung ruht, so ist diese Einschränkung durch die von einem frischen Fall geforderte ärztliche Diskretion leicht erklärlich." (Freud 1920a, 271)
Verletzungen der Schweigepflicht durch Freud
Tatsächlich kam es bei Freud aber auch zu Verletzungen der Schweigepflicht. So erwähnt Cremerius neben anderen Abstinenzverletzungen Beispiele von Indiskretionen gegenüber seinen Patienten Blum, Blanton und Dorsey, denen er Informationen aus seinen Behandlungen (anderer Patienten) oder aus vertraulichen Unterlagen offenbarte (Cremerius 1984, 331)
In seiner Biographie über Freud erwähnt Gay die Behandlung einer Frau durch Freud (ab 1912), die die Geliebte von Ernest Jones war. Freud berichtete Jones über die Fortschritte der Behandlung seiner Geliebten. In einer Fußnote zitiert Gay Jones:
"Eine der wenigen kritischen Bemerkungen, die Jones veröffentlichte, war die, daß Freud bemerkenswert indiskret habe sein können: »Andererseits war Freud merkwürdigerweise gar nicht jemand, der leicht Geheimnisse anderer Menschen bewahren konnte ... Mehrmals erzählte er mir Dinge aus dem Privatleben von Kollegen, die er nicht hätte erwähnen sollen« (Jones, II, S. 479). In einem Brief an Max Schur, den er nach dem Erscheinen des zweiten Bandes seiner Freud-Biographie schrieb, führte er ein Beispiel an für das an, was er meinte. Freud, schrieb er, habe ihm »von der Natur der sexuellen Perversion Stekels berichtet, was er nicht hätte tun sollen und was ich nie jemandem wiederholt habe« (Jones an Schur, 6. Oktober 1955)." (Gay 1989, 214).
Ob sich Jones' Kritik auch auf die ihm zugetragenen Informationen Freuds über seine Geliebte bezogen - oder er die Indiskretionen in diesem Fall sogar befürwortete (bzw. initiierte) ist nicht bekannt.
Die Indiskretion gegenüber Stekel standen im Zusammenhang der sich seit 1908 wandelnden Beziehung mit Freud zu liegen – in Briefen bezeichnete Freud ihn als ein "unerziehbares Individuum, ein mauvais sujet" (Freud an Ferenczi, 13.02.1910), bezichtigte ihn des schamlosen Lügens: "that he is lying in a desperate shameless way" (Freud an Jones, 15.11.1912), nannte ihn ein "Schwein" (Freud an Ferenczi, 17.10.1912) und schrieb in einem Brief an Jones von ihm als "That pig, Stekel" (Freud an Jones, 21.02.1914). In einem Resümee bezeichnete er ihn als den "zu Anfang so sehr verdienstvollen, später völlig verwahrlosten W. Stekel" (Freud 1914d, 58) [vgl. Gay 1989, 245] und notierte bei der Freud-Biographie von Wittels, der meinte, Stekel verdiene ein Denkmal, am Rand: "Zuviel Stekel"; Gay 1989, 199). Doch worum ging es?
Freud war in höchstem Maße enttäuscht von Stekel. Er war einer der ersten Anhänger Freuds und Initiator der Psychologischen Mittwoch-Gesellschaft gewesen (später erwähnte Freud nicht einmal mehr seinen Namen im Zusammenhang der Gründung der Gruppe), hatte sich aber später von Freud abgewandt und auf die Seite Adlers geschlagen. Freud: "Ich ärgere mich unausgesetzt über die beiden" (Freud an Ferenczi, 06.04.1911; vgl. Gay 1989, 244). Die heftigen aggressiven Impulse aus dieser Kränkung (Stekel hatte das frühe Verhältnis zwischen Freud und ihm überschwenglich als jenes eines Apostels zu seinem Christus [Freud] bezeichnet; vgl. Gay 1989, 199) mündete offenbar in aggressive Äußerungen über Stekel und, infolge einer unbewältigten Gegenübertragung, in die Verletzung der Schweigepflicht (Offenbarung intimer Patientendaten aus Analysestunden - Stekel wurde ab 1901 von Freud wegen Potenzschwierigkeiten analysiert; vgl. Krutzenbichler & Essers 2010, 52). Offenbar schlug die idealisierte Beziehung in die Entwertung um. Interessanterweise hatte Freud, der die Vertraulichkeit als wesentliches Prinzip der Psychoanalyse hochhielt, Stekel früher wegen seiner These der Bedeutsamkeit von Familiennamen, die dieser mit Patientennamen untermauerte, wegen der Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht heftig kritisierte (Gay 1989, 244).
Dabei erscheint der Empfänger der Nachricht (Jones) keineswegs zufällig gewählt: Jones hielt nach seiner Meinung zuviel von Stekel: "You are overrating that pig, Stekel" (Brief an Jones, 21.02.1914) . Vermutlich spielte bei der Indiskretion nicht alleine die Enttäuschungswut über Stekel eine Rolle, sondern auch die latente Hoffnung, Jones 'die Augen zu öffnen' und seine Beziehung zu ihm (Freud) vor dem Einfluß eines abtrünnigen Dritten zu schützen: Ein ödipal-triangulärer Konflikt.
In der englischsprachigen Literatur nimmt das Thema Vertraulichkeit (confidentiality) einen deutlich breiteren Raum ein, als dies in Deutschland der Fall ist. Bezogen auf Freud haben vor allem Lynn & Vaillant (1998) eine höchst interessante Arbeit vorgelegt, die eine Reihe von Verletzungen der Schweigepflicht bei Freud dokumentiert. Ein herausragendes Buch zu verschiedensten Aspekten des Themas Vertraulichkeit & Psychoanalyse wurde 2003 veröffentlicht (Levin & Furlong & O'Neil 2003). Und Bollas hat mit dem Rechtsanwalt Sundelson bereits 1995 eine Arbeit über die "neuen Informanten" vorgelegt und spricht in diesem Zusammenhang von einem Verrat der Vertraulichkeit in Psychoanalyse und Psychotherapie.
Kürzlich (9/2015) wurde ich auf den Bruch zwischen Freud und Fließ aufmerksam, der sich ebenfalls um eine (vermeintliche?) Indiskretion dreht: Die von Fließ stammende Idee der Bisexualität wurde von einer Person veröffentlicht, die mit einem ehemaligen Patient Freuds (Svoboda) im Kontakt stand und Freud hatte mit ihm auch darüber, das Thema Bisexualität, gesprochen. Er bestritt allerdings Einzelheiten des ihm von Fließ Mitgeteilten weitergegeben zu haben (Freud, S.: Briefe an Wilhelm Fließ 1887-1904 (Hrsg. v. J. M. Masson, dt. Fassung v. M. Schröter). Frankfurt/M.: Fischer (ungekürzte Ausgabe) 1986: 508ff (Bf. 284 Fließ v. 20.07.1904).
Literatur:
Bollas C. & Sundelson, D. (1995): The New Informants. The Betrayal of Confidentiality in Psychoanalysis and Psychotherapy. Northvale/N.J: Jason Aronson
Cremerius J. (1984): Vom Handwerk des Psychoanalytikers: Das Werkzeug der psychoanalytischen Technik. Band 2. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog
Freud, S. (1905e): Bruchstück einer Hysterie-Analyse. GW V, 161-286
Freud, S. (1914d): Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung, GW X, 43-113
Freud, S. (1915f): Mitteilung eines der psychoanalytischen Theorie widersprechenden Falles von Paranoia. GW X, 234-246
Freud, S. (1920a): Über die Psychogenese eines Falles von weiblicher Homosexualität. GW XII, 271-302
Gay, P. (1989): Freud. Eine Biographie für unsere Zeit. Fischer: Frankfurt/M.
Krutzenbichler, H. S. & Essers H. (2010): Übertragungsliebe. Psychoanalytische Erkundungen zu einem brisanten Phänomen. Gießen: Psychosozial-Verlag
Levin, C. & Furlong, A. & O'Neil, M. K. [Eds.] (2003): Confidentiality. Ethical Perspectives and Clinical Dilemmas. Hillsdale/NJ: The Analytic Press
Lynn, D. & Vaillant, G. (1998): Anonymity, Neutrality and Confidentiality in the Actual Methods of Sigmund Freud: A Review of 43 cases, 1907-1939. American Journal Psychiatry 155: 163-171
Thorwart, J. (2015): Diskretion, Schweigepflicht und Psychoanalyse. Über Schwierigkeiten des Umgangs mit anvertrauten Geheimnissen. Psyche (Heft 4) 69: 295-327
Quellenarchiv
Die eingehenden Recherchen haben zu einer Fülle von Fundstellen im Zusammenhang mit dem Thema Diskretion und Freuds diesbezüglicher geführt. Hinweis: Die untenstehenden Textstellen und Fundorte sind allerdings noch nicht vollständig, die rote Schriftfarbe markiert Zitate, die noch nicht überprüft sind!
Quellen:
Freud-Studienausgabe: Stichwortverzeichnis der Einzelbände
Freud-GW: Stichwortverzeichnis der Einzelbände und Gesamtregister (GW XVIII)
Wortkonkordanz (Suchbegriffe: Diskretion: 1193; siehe unten)
Briefe
Sekundärliteratur
Autor |
Wörtliches Zitat |
Quelle |
Anmerkung |
Zitate von Freud zur Diskretion & Indiskretion (PatientInnen) |
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Freud & Breuer (1895) |
Wir schließen nun hieran eine Reihe von Krankenbeobachtungen, bei deren Auswahl wir uns leider nicht bloß von wissenschaftlichen Rücksichten bestimmen lassen durften. Unsere Erfahrungen entstammen der Privatpraxis in einer gebildeten und lesenden Gesellschaftsklasse und ihr Inhalt berührt vielfach das intimste Leben und Geschick unserer Kranken. Es wäre ein schwerer Vertrauensmißbrauch, solche Mitteilungen zu veröffentlichen, auf die Gefahr hin, daß die Kranken erkannt und Tatsachen in ihrem Kreise verbreitet werden, welche nur dem Arzte anvertraut wurden. Wir haben darum auf instruktivste und beweiskräftigste Beobachtungen verzichten müssen. Dieses betrifft naturgemäß vor allem jene Fälle, in denen die sexualen und ehelichen Verhältnisse ätiologische Bedeutung haben. Daher kommt es, daß wir nur sehr unvollständig den Beweis für unsere Anschauung erbringen können: die Sexualität spiele als Quelle psychischer Traumen und als Motiv der „Abwehr“, der Verdrängung von Vorstellungen aus dem Bewußtsein, eine Hauptrolle in der Pathogenese der Hysterie. Wir mußten eben die stark sexualen Beobachtungen von der Veröffentlichung ausschließen. |
1895d: Studien über Hysterie (Vorwort zur ersten Auflage) GW I: 77 |
Wortgleich in GW Nachtragsband: 217 |
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¹) [Zusatz 1924:] Nach so vielen Jahren getraue ich mich die damals beobachtete Diskretion aufzuheben und anzugeben, daß Katharina nicht die Nichte, sondern die Tochter der Wirtin war, das Mädchen war also unter den sexuellen Versuchungen erkrankt, die vom eigenen Vater ausgingen. Eine Entstellung wie die an diesem Falle von mir vorgenommen sollte in einer Krankengeschichte durchaus vermieden werden. Sie ist natürlich nicht so belanglos für das Verständnis wie etwa die Verlegung des Schauplatzes von einem Berge auf einen anderen. |
1895d: Studien über Hysterie GW I: 195 - Fußnote 1 |
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Freud (1900) |
Der Hof, in dem das Blech ausgebreitet liegt, ist nicht in erster Linie symbolisch zu fassen, sondern stammt aus dem Geschäftslokal des Vaters. Aus Gründen der Diskretion habe ich das „Blech“ für das andere Material, mit dem der Vater handelt, eingesetzt, ohne sonst etwas am Wortlaut des Traumes zu ändern. Wortgleich: 1916-17a: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse: XII. Analysen von Traumbeispielen GW XI: 198f 1911a: Nachträge zur Traumdeutung GW IXX: 609 |
1900a: Die Traumdeutung GW II/III: 369 |
Textzusammenhang: Freud analysiert den Traum eines durch seinen Vaterkomplex gehemmten jungen Mannes. |
Freud (1901) |
Solche im Traum selbst nicht vertretene Vorstellungen sind in unserem Beispiel die Gegensätze von eigennützig — uneigennützig, die Elemente schuldig sein und umsonst tun. Ich könnte in dem Gewebe, welches sich der Analyse enthüllt, die Fäden fester anziehen und würde dann zeigen können, daß sie zu einem einzigen Knoten zusammenlaufen, aber Rücksichten nicht wissenschaftlicher, sondern privater Natur hindern mich, diese Arbeit öffentlich zu tun. Ich müßte zu vielerlei verraten, was besser mein Geheimnis bleibt, nachdem ich auf dem Wege zu dieser Lösung mir allerlei klar gemacht, was ich mir selbst ungern eingestehe. Warum ich aber nicht lieber einen anderen Traum wählte, dessen Analyse sich zur Mitteilung besser eignet, so daß ich eine bessere Überzeugung für den Sinn und Zusammenhang des durch Analyse aufgefundenen Materials erwecken kann? Die Antwort lautet, weil jeder Traum, mit dem ich mich beschäftigen will, zu denselben schwer mitteilbaren Dingen führen und mich in die gleiche Nötigung zur Diskretion versetzen wird. Ebensowenig würde ich diese Schwierigkeit vermeiden, wenn ich den Traum eines anderen zur Analyse brächte, es sei denn, daß die Verhältnisse gestatteten, ohne Schaden für den mir Vertrauenden alle Verschleierungen fallen zu lassen. |
1901a: Über den Traum GW II/III: 653 |
Freud beschäftigt sich zunächst mit seinem eigenen Wunsch nach Diskretion (hier bezogen auf die nähere Deutung seiner Träume) kommt dann auf die Diskretionsbedürfnisse Dritter (Patient*innen zu sprechen) |
Freud (1901) |
Wir müssen bedauern, daß die Diskretion des Arztes uns keinen Einblick in die Bedeutung dieser Reihe von Einfällen gegönnt hat. |
1901b: Zur Psychopathologie des Alltagslebens GW IV: 273 |
Textzusammenhang: Freud bezieht sich auf den "Zahleneinfall" eines "Gewährsmannes", welchen der Wiener Arzt, Dr. Alfred Adler (Wien) in einer Wochenschrift veröffentlicht hatte. |
Freud |
Es war sicherlich mißlich, daß ich Forschungsergebnisse, und zwar solche von überraschender und wenig einschmeichelnder Art, veröffentlichen mußte, denen die Nachprüfung von seiten der Fachgenossen notwendigerweise versagt blieb. Es ist aber kaum weniger mißlich, wenn ich jetzt beginne, etwas von dem Material dem allgemeinen Urteil zugänglich zu machen, aus dem ich jene Ergebnisse gewonnen hatte. Ich werde dem Vorwurfe nicht entgehen. Hatte er damals gelautet, daß ich nichts von meinen Kranken mitgeteilt, so wird er nun lauten, daß ich von meinen Kranken mitgeteilt, was man nicht mitteilen soll. Ich hoffe, es werden die nämlichen Personen sein, welche in solcher Art den Vorwand für ihren Vorwurf wechseln werden, und gebe es von vornherein auf, diesen Kritikern jemals ihren Vorwurf zu entreißen. Die Veröffentlichung meiner Krankengeschichten bleibt für mich eine schwer zu lösende Aufgabe, auch wenn ich mich um jene einsichtslosen Übelwollenden weiter nicht bekümmere. Die Schwierigkeiten sind zum Teil technischer Natur, zum anderen Teil gehen sie aus dem Wesen der Verhältnisse selbst hervor. Wenn es richtig ist, daß die Verursachung der hysterischen Erkrankungen in den Intimitäten des psycho-sexuellen Lebens der Kranken gefunden wird, und die hysterischen Symptome der Ausdruck ihrer geheimsten verdrängten Wünsche sind, so kann die Klarlegung eines Falles von Hysterie nicht anders, als diese Intimitäten aufdecken und diese Geheimnisse verraten. Es ist gewiß, daß die Kranken nie gesprochen hätten, wenn ihnen die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Verwertung ihrer Geständnisse in den Sinn gekommen wäre, und ebenso gewiß, daß es ganz vergeblich bliebe, wollte man die Erlaubnis zur Veröffentlichung von ihnen selbst erbitten. Zartfühlende, wohl auch zaghafte Personen würden unter diesen Umständen die Pflicht der ärztlichen Diskretion in den Vordergrund stellen und bedauern, der Wissenschaft hierin keine Aufklärungsdienste leisten zu können. Allein ich meine, der Arzt hat nicht nur Pflichten gegen den einzelnen Kranken, sondern auch gegen die Wissenschaft auf sich genommen. Gegen die Wissenschaft, das heißt im Grunde nichts anderes als gegen die vielen anderen Kranken, die an dem Gleichen leiden oder noch leiden werden. Die öffentliche Mitteilung dessen, was man über die Verursachung und das Gefüge der Hysterie zu wissen glaubt, wird zur Pflicht, die Unterlassung zur schimpflichen Feigheit, wenn man nur die direkte persönliche Schädigung des einen Kranken vermeiden kann. Ich glaube, ich habe alles getan, um eine solche Schädigung für meine Patientin auszuschließen. Ich habe eine Person ausgesucht, deren Schicksale nicht in Wien, sondern in einer fernab gelegenen Kleinstadt spielten, deren persönliche Verhältnisse in Wien also so gut wie unbekannt sein müssen; ich habe das Geheimnis der Behandlung so sorgfältig von Anfang an gehütet, daß nur ein einziger vollkommen vertrauenswürdiger Kollege darum wissen kann, das Mädchen sei meine Patientin gewesen; ich habe nach Abschluß der Behandlung noch vier Jahre lang mit der Publikation gewartet, bis ich von einer Änderung in dem Leben der Patientin hörte, die mich annehmen ließ, ihr eigenes Interesse an den hier erzählten Begebenheiten und seelischen Vorgängen könnte nun verblaßt sein. Es ist selbstverständlich, daß keine Name stehen geblieben ist, der einen Leser aus Laienkreisen auf die Spur führen könnte; die Publikation in einem streng wissenschaftlichen Fachjournal sollte übrigens ein Schutz gegen solche unbefugte Leser sein. Ich kann es natürlich nicht verhindern, daß die Patientin selbst eine peinliche Empfindung verspüre, wenn ihr die eigene Krankengeschichte durch einen Zufall in die Hände gespielt wird. Sie erfährt aber nichts aus ihr, was sie nicht schon weiß, und mag sich die Frage vorlegen, wer anders daraus erfahren kann, daß es sich um ihre Person handelt. Ich weiß, daß es – in dieser Stadt wenigstens – viele Ärzte gibt, die – ekelhaft genug – eine solche Krankengeschichte nicht als einen Beitrag zur Psychopathologie der Neurose, sondern als einen zu ihrer Belustigung bestimmten Schlüsselroman lesen wollen. Dieser Gattung von Lesern gebe ich die Versicherung, daß alle meine etwa später mitzuteilenden Krankengeschichten durch ähnliche Garantien des Geheimnisses vor ihrem Scharfsinn behütet sein werden, obwohl meine Verfügung über mein Material durch diesen Vorsatz eine ganz außerordentliche Einschränkung erfahren muß. In dieser einen Krankengeschichte, die ich bisher den Einschränkungen der ärztlichen Diskretion und der Ungunst der Verhältnisse abringen konnte, werden nun sexuelle Beziehungen mit aller Freimütigkeit erörtert, die Organe und Funktionen des Geschlechtslebens bei ihren richtigen Namen genannt, und der keusche Leser kann sich aus meiner Darstellung die Überzeugung holen, daß ich mich nicht gescheut habe, mit einer jugendlichen weiblichen Person über solche Themata in solcher Sprache zu verhandeln. ¹) [Zusatz 1923:] Die hier mitgeteilte Behandlung wurde am 31. Dezember 1899 unterbrochen, der Bericht über sie in den nächstfolgenden zwei Wochen niedergeschrieben, aber erst 1905 publiziert. Es ist nicht zu erwarten, daß mehr als zwei Dezennien fortgesetzter Arbeit nichts an der Auffassung und Darstellung eines solchen Krankheitsfalles geändert haben sollten, aber es wäre offenbar unsinnig, diese Krankengeschichte durch Korrekturen und Erweiterungen „up to date” zu bringen, sie dem heutigen Stande unseres Wissens anzupassen. Ich habe sie also im Wesentlichen unberührt gelassen und in ihrem Text nur Flüchtigkeiten und Ungenauigkeiten verbessert, auf die meine ausgezeichneten englischen Übersetzer, Mr. und Mrs. James Strachey, meine Aufmerksamkeit gelenkt hatten. Was mir an kritischen Zusätzen zulässig schien, habe ich in diesen Zusätzen zur Krankengeschichte untergebracht, so daß der Leser zur Annahme berechtigt ist, ich hielte noch heute an den im Text vertretenen Meinungen fest, wenn er in den Zusätzen keinen Widerspruch dagegen findet. Das Problem der ärztlichen Diskretion, das mich in dieser Vorrede beschäftigt, fällt für die anderen Krankengeschichten dieses Bandes außer Betracht, denn drei derselben sind mit ausdrücklicher Zustimmung der Behandelten, beim kleinen Hans mit der des Vaters, veröffentlicht worden und in einem Falle (Schreber) ist das Objekt der Analyse nicht eigentlich eine Person, sondern ein von ihr ausgehendes Buch. Im Falle Dora ist das Geheimnis bis zu diesem Jahr gehütet worden. Ich habe kürzlich gehört, daß die mir längst entschwundene, jetzt neuerlich über andere Anlässe erkrankte Frau ihrem Arzt eröffnet hat, sie sei als Mädchen Objekt meiner Analyse gewesen und diese Mitteilung machte es dem kundigen Kollegen leicht, in ihr die Dora aus dem Jahre 1899 zu erkennen. Daß die drei Monate der damaligen Behandlung nicht mehr leisteten als die Erledigung des damaligen Konflikts, daß sie nicht auch einen Schutz gegen spätere Erkrankungen hinterlassen konnten, wird kein billig Denkender der analytischen Therapie zum Vorwurf machen. [* Anm. d. Herausg.: Die hier erwähnten Krankengeschichten finden sich in dieser Ausgabe in den Bänden VII, VIII, XII.] |
1905e: Bruchstück einer Hysterie-Analyse: Vorwort GW V: 163-166 und 171 - Fußnote 1 [Zusatz 1923] |
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Freud (1908) |
Die Arbeit (2) schreitet sehr langsam vor; ich bin eben von 8-8 h im Joch. Würden Sie dieselbe in den zweiten Halbband aufnehmen, wenn mein anderer Beitrag – über den Zwangsmann mit den Ratten – an meinem inneren Widerstand gegen die Indiskretion scheitert? (Dem Manne geht es ganz ausgezeichnet.) |
Freud, S. & Jung, C. G.: Briefwechsel 1906-1923 (Hrsg. v. W. McGuire & W. Sauerländer). Frankfurt/M.: Fischer 1974: 197 (Bf. 114F v. 12.11.1908) |
Freud hatte Bedenken, den 'Rattenmann' zu veröffentlichen und bot Jung daher eine andere Arbeit (Allgemeine Methodik der Psychoanalyse; siehe auch Brief 112F) zur Veröffentlichung im Jahrbuch an. |
Freud (1909) |
Die Dessous des Zustandes bei J. sind seiner Mutter nicht bekannt, G. hat sie ohne Vorwissen des Pat. erst kürzlich von mir erfahren müssen. Pat. soll von diesem Bruch der Diskretion nichts wissen. |
Freud, S. & Bindwanger, L.: Briefwechsel 1908-1938 (Hrsg. v. G. Fichtner). Frankfurt/M.: Fischer 1992: 7 (Bf. 4 F v. 28.01.1909) |
Bei G. handelt es sich um den Bruder von J. |
Freud (1909) |
Eine derartige Inhaltsangabe scheint mir selbst einer Rechtfertigung bedürftig, damit man nicht etwa glaube, ich hielte diese Art und Weise der Mitteilung für untadelhaft und nachahmenswert, während ich in Wirklichkeit nur Hemmungen äußerlicher und inhaltlicher Natur Rechnung trage und gerne mehr gegeben hätte, wenn ich nur dürfte und könnte. Die vollständige Behandlungsgeschichte kann ich nämlich nicht mitteilen, weil sie ein Eingehen auf die Lebensverhältnisse meines Patienten im einzelnen erfordern würde. Die belästigende Aufmerksamkeit einer Großstadt, die sich auf meine ärztliche Tätigkeit ganz besonders richtet, verbietet mir eine wahrheitsgetreue Darstellung; Entstellungen aber, mit denen man sich sonst zu behelfen pflegt, finde ich immer mehr unzweckmäßig und verwerflich. Sind sie geringfügig, so erfüllen sie den Zweck nicht, den Patienten vor indiskreter Neugierde zu schützen, und gehen sie weiter, so kosten sie zu große Opfer, indem sie das Verständnis der gerade an die kleinen Realien des Lebens geknüpften Zusammenhänge zerstören. Aus diesem letzteren Umstand ergibt sich dann der paradoxe Sachverhalt, daß man weit eher die intimsten Geheimnisse eines Patienten der Öffentlichkeit preisgeben darf, bei denen er doch unerkannt bleibt, als die harmlosesten und banalsten Bestimmungen seiner Person, mit denen er allen bekannt ist, und die ihn für alle kenntlich machen würden. |
1909d: Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose [Der »Rattenmann«] GW VII: 381f |
Es handelt sich um einleitende Überlegungen Freuds zur nachfolgenden Krankengeschichte des Rattenmannes und weiterer (früher analysierter) Fälle zur Genese und zum Mechanismus seelischer Zwangsvorgänge. |
Freud (1910) |
Ich meine also, die Analyse leidet an dem Erbübel der - Tugend; sie ist das Werk eines zu anständigen Menschen, der sich also auch zur Diskretion verpflichtet glaubt. Nun sind diese psychoanalytischen Dinge erst in einer gewissen Vollständigkeit und Ausführlichkeit begreiflich, sowie die Analyse selbst erst geht, wenn der Patient von den ersetzenden Abstraktionen zu den kleinen Details herabsteigt. Die Diskretion ist also mit einer guten Darstellung einer Psychoanalyse unvereinbar; man muß ein schlechter Kerl werden, sich hinaussetzen, preisgeben, verraten, sich benehmen wie ein Künstler, der für das Haushaltsgeld der Frau Farben kauft oder mit den Möbeln für das Modell einheizt. Ohne ein solches Stück Verbrechertum gibt es keine richtige Leistung. Natürlich reicht das, was Sie mitteilen, vollkommen aus, um Ihre Schlüsse zu rechtfertigen - diese überhaupt in Ehren - aber der Leser bekommt keinen Eindruck, kann sich mit seinem Unbewußten nicht einfühlen und darum eigentlich nicht ordentlich kritisieren. |
Freud, S. & Pfister, O.: Briefe 1909-1939 (Hrsg. v. E. L. Freud & H. Meng). Frankfurt/M.: Fischer 1963: 197 (Bf. 19 v. 5.06.1910) |
Eine der aufschlußreichsten Bemerkungen Freuds zu seinem Verständnis von Diskretion. Vermutlich legen hier auch die Wurzeln vieler Verletzungen der Diskretion. Anders als Freud meine ich, daß Verbrechertum nicht Voraussetzung einer guten Darstellung einer Psychoanalyse ist. Jedenfalls dann, wenn die bewußte und unbewußte Interaktion im Vordergrund der Darstellung steht und die biographischen Details mehr in den Hintergrund treten - ohne bedeutungslos zu werden. |
Freud (1914) |
Ich kenne die Bedenken, welche der Verwertung einer Patientenaussage im Wege stehen, und will darum ausdrücklich versichern, daß mein Gewährsmann eine ebenso vertrauenswürdige wie urteilsfähige Persönlichkeit ist. Er hat mich informiert, ohne daß ich ihn dazu aufgefordert, und ich bediene mich seiner Mitteilung, ohne seine Zustimmung einzuholen, weil ich nicht zugeben kann, daß eine psychoanalytische Technik den Schutz der Diskretion beanspruchen sollte. |
1914d: Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung GW X: 110 Fußnote 1 |
Freud schildert die Behandlung eines Patienten der Züricher Schule (aus dessen Sicht), die er über einen Dritten, den Gewährsmann erfahren hat und belegt seine Ansicht, daß die Theorie Jungs keinen Anspruch darauf hat, noch als Psychoanalyse bezeichnet zu werden. |
Freud (1915) [1914] |
Jeder Anfänger in der Psychoanalyse bangt wohl zuerst vor den Schwierigkeiten, welche ihm die Deutung der Einfälle des Patienten und die Aufgabe der Reproduktion des Verdrängten bereiten werden. Es steht ihm aber bevor, diese Schwierigkeiten bald gering einzuschätzen und dafür die Überzeugung einzutauschen, daß die einzigen wirklich ernsthaften Schwierigkeiten bei der Handhabung der Übertragung anzutreffen sind. Von den Situationen, die sich hier ergeben, will ich eine einzige, scharf umschriebene, herausgreifen, sowohl wegen ihrer Häufigkeit und realen Bedeutsamkeit als auch wegen ihres theoretischen Interesses. Ich meine den Fall, daß eine weibliche Patientin durch unzweideutige Andeutungen erraten läßt oder es direkt ausspricht, daß sie sich wie ein anderes sterbliches Weib in den sie analysierenden Arzt verliebt hat. Diese Situation hat ihre peinlichen und komischen Seiten wie ihre ernsthaften; sie ist auch so verwickelt und vielseitig bedingt, so unvermeidlich und so schwer lösbar, daß ihre Diskussion längst ein vitales Bedürfnis der analytischen Technik erfüllt hätte. Aber da wir selbst nicht immer frei sind, die wir über die Fehler der anderen spotten, haben wir uns zur Erfüllung dieser Aufgabe bisher nicht eben gedrängt. Immer wieder stoßen wir hier mit der Pflicht der ärztlichen Diskretion zusammen, die im Leben nicht zu entbehren, in unserer Wissenschaft aber nicht zu brauchen ist. Insoferne die Literatur der Psychoanalytik auch dem realen Leben angehört, ergibt sich hier ein unlösbarer Widerspruch. Ich habe mich kürzlich an einer Stelle über die Diskretion hinausgesetzt und angedeutet, daß die nämliche Übertragungssituation die Entwicklung der psychoanalytischen Therapie um ihr erstes Jahrzehnt verzögert hat. ¹) ¹) Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung (1914). |
1915a: Bemerkungen über die Übertragungsliebe GW X: 306f |
Wie Krutzenbichler & Essers ausführen, bezieht sich Freud auf die gescheiterte Behandlung von Anna O. (Bertha Pappenheim) durch Breuer: "Er hält Breuer indirekt vor, die Übertragungsliebe Berthas und seine eigene Übertragungsliebe nicht erkannt und damit die Entwicklung der Psychoanalyse behindert zu haben." (Krutzenbichler, H. S. & Essers H. (2010): Übertragungsliebe. Psychoanalytische Erkundungen zu einem brisanten Phänomen. Gießen: Psychosozial-Verlag, 20) Freud schrieb seiner Verlobten Martha, die sich um ähnliche Vorkommnisse in seinen Therapien sorgte: "Um Schicksale zu haben wie Frau Mathilde, muß man die Frau eines Breuer sein". (Brief v. 4.11.1883; zit. nach Jones, E. (1984): Sigmund Freud. Leben und Werk. Band 1: 1856-1900. München: DTV: 268). Und Jones berichtet auch, daß der von Freud 10 Jahre später zu einer hysterischen Patientin hinzugezogene Breuer aus dem Haus flüchtete, als Freud ihm die Einschätzung der Symptome als typisch für eine Schwangerschaftsphantasie schilderte (269). |
Freud (1915) |
Ehe ich meinen Bericht fortsetze, will ich bekennen, daß ich das Milieu der zu untersuchenden Begebenheit zur Unkenntlichkeit verändert habe, aber auch nichts anderes als dies. Ich halte es sonst für einen Mißbrauch, aus irgend welchen, wenn auch aus den besten Motiven, Züge einer Krankengeschichte in der Mitteilung zu entstellen, da man unmöglich wissen kann, welche Seite des Falles ein selbständig urteilender Leser herausgreifen wird, und somit Gefahr läuft, diesen letzteren in die Irre zu führen. |
1915f: Mitteilung eines der psychoanalytischen Theorie widersprechenden Falles von Paranoia GW X: 234f |
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Freud (1916-17)[1915-1917] |
Das Gespräch, in dem die psychoanalytische Behandlung besteht, verträgt keinen Zuhörer; es läßt sich nicht demonstrieren. Man kann natürlich auch einen Neurastheniker oder Hysteriker in einer psychiatrischen Vorlesung den Lernenden vorstellen. Er erzählt dann von seinen Klagen und Symptomen, aber auch von nichts anderem. Die Mitteilungen, deren die Analyse bedarf, macht er nur unter der Bedingung einer besonderen Gefühlsbindung an den Arzt; er würde verstummen, sobald er einen einzigen, ihm indifferenten Zeugen bemerkte. Denn diese Mitteilungen betreffen das Intimste seines Seelenlebens, alles was er als sozial selbständige Person vor anderen verbergen muß, und im weiteren alles, was er als einheitliche Persönlichkeit sich selbst nicht eingestehen will. |
1916-17a: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse: I. Einleitung GW XI: |
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Freud (1916-17)[1915-1917] |
Wir erklären wirklich nichts im Traum für zufällig oder gleichgültig und erwarten uns Aufschluß gerade von der Aufklärung so geringfügiger unmotivierter Details. Sie werden sich vielleicht noch darüber verwundern, daß die Traumarbeit den Gedanken „bei uns geht es ebenso zu wie bei denen“ gerade durch die Auswahl des Tisches zum Ausdruck bringt. Aber auch das erklärt sich, wenn Sie hören, daß die betreffende Familie den Namen: Tischler trägt. Indem der Träumer seine Angehörigen an diesem Tisch Platz nehmen läßt, sagt er, sie seien auch Tischler. Bemerken Sie übrigens, wie man notgedrungen bei der Mitteilung solcher Traumdeutungen indiskret werden muß. Sie haben damit eine der Ihnen angedeuteten Schwierigkeiten in der Auswahl von Beispielen erraten. Ich hätte dieses Beispiel leicht durch ein anderes ersetzen können, aber wahrscheinlich hätte ich diese Indiskretion nur um den Preis vermieden, daß ich an ihrer Statt eine andere begehe. |
1916-17a: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse: VII. Manifester Trauminhalt und latente Traumgedanken GW XI: 118 |
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Freud (1916-17)[1915-1917] |
Wir erklären wirklich nichts im Traum für zufällig oder gleichgültig und erwarten uns Aufschluß gerade von der Aufklärung so geringfügiger unmotivierter Details. Sie werden sich vielleicht noch darüber verwundern, daß die Traumarbeit den Gedanken „bei uns geht es ebenso zu wie bei denen“ gerade durch die Auswahl des Tisches zum Ausdruck bringt. Aber auch das erklärt sich, wenn Sie hören, daß die betreffende Familie den Namen: Tischler trägt. Indem der Träumer seine Angehörigen an diesem Tisch Platz nehmen läßt, sagt er, sie seien auch Tischler. Bemerken Sie übrigens, wie man notgedrungen bei der Mitteilung solcher Traumdeutungen indiskret werden muß. Sie haben damit eine der Ihnen angedeuteten Schwierigkeiten in der Auswahl von Beispielen erraten. Ich hätte dieses Beispiel leicht durch ein anderes ersetzen können, aber wahrscheinlich hätte ich diese Indiskretion nur um den Preis vermieden, daß ich an ihrer Statt eine andere begehe. |
1916-17a: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse: VII. Manifester Trauminhalt und latente Traumgedanken GW XI: 118 |
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Freud (1916-17)[1915-1917] |
Durch die stürmischen Anforderungen des Mädchens stutzig gemacht, verstand die Mutter plötzlich, was die Angst ihrer Tochter bedeutete. Sie ließ sich krank werden, um die Mutter zur Gefangenen zu machen und ihr die für den Verkehr mit dem Geliebten notwendige Bewegungsfreiheit zu rauben. Rasch entschlossen machte die Mutter der schädlichen Behandlung ein Ende. Das Mädchen wurde in eine Nervenheilanstalt gebracht und durch lange Jahre als „armes Opfer der Psychoanalyse“ demonstriert. Ebensolange ging mir die üble Nachrede wegen des schlechten Ausganges dieser Behandlung nach. Ich bewahrte das Schweigen, weil ich mich durch die Pflicht der ärztlichen Diskretion gebunden glaubte. |
1916-17a: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse: XXVIII. Die analytische Therapie GW XI: 479 |
Anmerkung: Nach der heutigen Rechtsauffassung könnte einer Verleumdung (zumindest soweit sie eine gewisse öffentliche Wirkung und Konsequenz hat) auch durch den Bruch der Schweigepflicht begegnet werden (§§ 203 i.V.m. 34 StGB) . |
Freud (1916-17)[1915-1917] |
Bemerken Sie übrigens, wie man notgedrungen bei der Mitteilung solcher Traumdeutungen indiskret werden muß. Sie haben damit eine der Ihnen angedeuteten Schwierigkeiten in der Auswahl von Beispielen erraten. Ich hätte dieses Beispiel leicht durch ein anderes ersetzen können, aber wahrscheinlich hätte ich diese Indiskretion nur um den Preis vermieden, daß ich an ihrer Statt eine andere begehe. |
1916-17a: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse: VII. Manifester Trauminhalt und latente Traumgedanken GW XI: 118 |
Traum & Diskretion |
Freud (1919) [1918] |
Ich glaube nicht, daß ich den Umfang der erwünschten Aktivität des Arztes mit dem Satze: In der Kur sei die Entbehrung aufrecht zu halten, erschöpft habe. Eine andere Richtung der analytischen Aktivität ist, wie Sie sich erinnern werden, bereits einmal ein Streitpunkt zwischen uns und der Schweizer Schule gewesen. Wir haben es entschieden abgelehnt, den Patienten, der sich Hilfe suchend in unsere Hand begibt, zu unserem Leibgut zu machen, sein Schicksal für ihn zu formen, ihm unsere Ideale aufzudrängen und ihn im Hochmut des Schöpfers zu unserem Ebenbild, an dem wir Wohlgefallen haben sollen, zu gestalten. Ich halte an dieser Ablehnung auch heute noch fest und meine, daß hier die Stelle für die ärztliche Diskretion ist, über die wir uns in anderen Beziehungen hinwegsetzen müssen, habe auch erfahren, daß eine so weit gehende Aktivität gegen den Patienten für die therapeutische Absicht gar nicht erforderlich ist. Denn ich habe Leuten helfen können, mit denen mich keinerlei Gemeinsamkeit der Rasse, Erziehung, sozialen Stellung und Weltanschauung verband, ohne sie in ihrer Eigenart zu stören. |
1919a: Wege der psychoanalytischen Therapie GW XII: 189f |
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Freud (1920) |
Wenn die Darstellung nur die allgemeinsten Umrisse der Geschehnisse und die aus dem Falle gewonnenen Einsichten bringt und alle charakteristischen Einzelheiten unterschlägt, auf denen die Deutung ruht, so ist diese Einschränkung durch die von einem frischen Fall geforderte ärztliche Diskretion leicht erklärlich. |
1920a: Über die Psychogenese eines Falles von weiblicher Homosexualität GW XII: 271 |
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Freud (1924) |
Eines Tages, wenn ich nicht mehr da bin - mit mir geht auch meine Diskretion zu Grabe - wird auch manifest werden, daß die Stekelsche Behauptung von der Unschädlichkeit der ungehemmten Masturbation auf einer Lüge beruht. |
Freud, S.: Briefe 1873-1939. (Hrsg. v. E. & L. Freud). Frankfurt/M.: Fischer 1980: 370 (Bf. an F. Wittels v. 15.08.1924) |
Textzusammenhang: Freud schreibt gekränkt an Wittels, daß dessen Biographie (über Freud) bezüglich Stekels nicht wahrhaftig sei. Nitzschke sieht in dieser Bemerkung "eher eine Indiskretion" denn eine "Richtigstellung in Hinsicht auf eine wissenschaftliche Streitfrage". Nitzschke 1992: www.werkblatt.at Anmerkung: Ich sehe das anders - und führe das Zitat deshalb auch nicht (wie die anderen Wittels Biographie über Freud betreffend) in der Kategorie "Zitate von Freud zur Diskretion seine eigene Person betreffend" auf. Mir scheint es darum zu gehen, daß er etwas über Stekel weiß ('Lehr'analyse). Siehe dazu auch meinen Einführungstext. |
Freud (1925) |
Ihre Nachricht, daß Beate R. bei Ihnen Analyse nehmen wird (Diskretion selbstverständlich!), hat mich sehr interessiert, auch gefreut. Dann werden sie ja alles von ihr erfahren und auch mein Benehmen gegen ihn verstehen. |
Freud, S. & Ferenczi, S.: Briefwechsel. Band III/2 1925-1933 (Hrsg. v. E. Falzeder & E. Brabant). Wien: Böhlau 2005: 27 (Brief 1001 F v. 9.02.1925) |
Von den
Herausgebern wird der Name ausgeschrieben: Anmerkung: Das Zitat hinterläßt einen unguten Beigeschmack - es funktionalisiert eine Analyse (Ferenczi mit B. Rank) zu einer von Freud gewünschten Sichtweise von Ferenczi auf seine Beziehung mit O. Rank. |
Freud (1925) |
Es war im Jahre 1880, daß im der Zufall eine besondere Patientin zuführte, ein ungewöhnlich intelligentes Mädchen, das während der Pflege seines kranken Vaters in schwere Hysterie verfallen war. Was er an diesem berühmten „ersten Fall“ getan, mit welch unsäglicher Mühe und Geduld er die einmal gefundene Technik durchgeführt, bis die Kranke von all ihren unbegreiflichen Leidenssymptomen befreit war, was für Verständnis für die seelischen Mechanismen der Neurose er dabei gewonnen, das erfuhr die Welt erst etwa vierzehn Jahre später aus unserer gemeinsamen Publikation „Studien über Hysterie“ (1895), leider auch dann nur in stark verkürzter und durch die Rücksicht auf ärztliche Diskretion zensurierter Form. |
1925g: Josef Breuer † GW XIV: 562 |
Nachruf auf den am 20. Juni 1925 in Wien gestorbenen Josef Breuer. |
Freud (1926) |
Der Analytiker muß also vor allem diese Psychologie, die Tiefenpsychologie oder Psychologie des Unbewußten, gelernt haben, wenigstens soviel als heute davon bekannt ist. Wir werden für unsere späteren Folgerungen brauchen. Aber jetzt, was meinen Sie mit der Anspielung auf die Reinlichkeit? „Nun, es wird allgemein erzählt, daß in den Analysen die intimsten – und garstigsten Angelegenheiten des Geschlechtslebens mit allen Details zur Sprache kommen. Wenn das so ist, – aus Ihren psychologischen Auseinandersetzungen habe ich nicht nehmen können, daß es so sein muß, – so wäre es ein starkes Argument dafür, solche Behandlungen nur Ärzten zu gestatten. Wie kann man daran denken, anderen Personen, deren Diskretion man nicht sicher ist, für deren Charakter man keine Bürgschaft hat, so gefährliche Freiheiten einzuräumen?” Es ist wahr, die Ärzte genießen auf sexuellem Gebiet gewisse Vorrechte; sie dürfen ja auch die Genitalien inspizieren. Obwohl sie es im Orient nicht durften; auch manche Idealreformer – Sie wissen, wen ich meine – haben diese Vorrechte bekämpft. Aber Sie wollen zunächst wissen, ob es in der Analyse so ist und warum es so sein muß? – Ja, es ist so. Es muß aber so sein, erstens weil die Analyse überhaupt auf volle Aufrichtigkeit gebaut ist. Man behandelt in ihr z. B. Vermögensverhältnisse mit eben solcher Ausführlichkeit und Offenheit, sagt Dinge, die man jedem Mitbürger vorenthält, auch wenn er nicht Konkurrent oder Steuerbeamter ist. Daß diese Verpflichtung zur Aufrichtigkeit auch den Analytiker unter schwere moralische Verantwortlichkeit setzt, werde ich nicht bestreiten, sondern selbst energisch betonen. |
1926e: Die Frage der Laienanalyse GW XIV: 234f |
Die weiteren Ausführungen beziehen sich auf die Bedeutung der Sexualität in der psychoanalytischen Behandlung - nicht jedoch die Frage der Diskretion von 'Laienanalytiker*innen'. |
Freud (1927) |
Die Einzelheiten dieser Fälle entziehen sich aus naheliegenden Gründen der Veröffentlichung. Ich kann darum auch nicht zeigen, in welcher Weise zufällige Umstände zur Auswahl des Fetisch beigetragen haben. |
1927e: Fetischismus GW XIV: 311 |
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Freud & Bullit (1966) [1930] |
Einige Bemerkungen zur Aufklärung und Rechtfertigung mögen hier noch Raum finden. Vielleicht beanstanden die Leser, daß unsere Schrift ihnen als eine »psychologische Studie« vorgestellt wird, während sie doch psychoanalytische Gesichtspunkte auf ihren Gegenstand anwendet und zu diesem Zweck psychoanalytische Voraussetzungen und Kunstworte ohne Einschränkung gebraucht. Das ist aber keine Falschmeldung, die man etwa aus Rücksicht auf die feindseligen Vorurteile der großen Öffentlichkeit ableiten könnte. Im Gegenteil, diese Namengebung soll in unverkennbarer Weise die Überzeugung vertreten, daß die Psychoanalyse nichts anders ist als Psychologie, eben nur ein Teilstück von ihr, und daß man in einer psychologischen Untersuchung analytische Methoden ohne Entschuldigung gebrauchen darf, wo es auf die Erkennung tieferer seelischer Tatbestände ankommt. Es ist ganz gewiß unstatthaft, die Ergebnisse einer solchen tiefenpsychologischen Untersuchung der Öffentlichkeit bekanntzumachen, sie der allgemeinen Neugierde preiszugeben, solange die betreffende Person noch lebt; daß es mit deren Zustimmung geschähe, wäre ein allzu unwahrscheinlicher Fall. Die therapeutischen Analysen vollziehen sich zwischen Arzt und Krankem, schließen die Gegenwart einer dritten Person aus und stehen unter der Bürgschaft der Schweigepflicht. Wenn aber jemand, dessen Wesen und Wirken für Mit- und Nachwelt bedeutungsvoll ist, den Kreis der Lebenden verlassen hat, dann fällt er nach allgemeiner Übereinkunft der Biographik anheim, und man kann die frühere Einschränkung nicht mehr aufrechterhalten. Dann käme noch die Frage einer »Schutzfrist« für seine Individualität in Betracht, aber die ist kaum je aufgeworfen worden ; es würde auch nicht leicht sein, darüber eine Einigung zu erzielen und ihre Einhaltung zu sichern. |
1966b: Einleitung zu: Freud, S. & Bullitt, W. C.: Thomas Woodrow Wilson GW Nachtragsband: 689f |
In welchem Umfang William Christian Bullitt Mitautor des Textes war, bleibt unklar, weil es dazu keine entsprechenden Unterlagen existieren (vgl. 683 FN 1). Die Einleitung scheint allerdings überwiegend von Freud selbst geschrieben zu sein, wie ein Brief an S. Zweig andeutet. Anmerkung: Interessanterweise wird hier zum einzigen Mal in den GW der Begriff "Schweigepflicht" verwendet. Freud ist hier seiner Zeit weit voraus und deutet bereits an, was wir heute als 'informed consent' bezeichnen (behandlungstechnisch bleiben solche Einwilligungen m. E. aber dennoch fragwürdig). Auch seine Überlegungen, einer Schutzfrist nach dem Tod der jeweiligen Person einschließlich, der schwierigen Frage, wie lange diese dauern soll, reicht bis in die Gegenwart. |
Freud (1933) [1932] |
Ich bin mehrerer solcher Fälle habhaft geworden, konnte sie analytisch studieren und werde Ihnen gleich das merkwürdigste dieser Beispiele erzählen. Leider wird die Beweiskraft dieser Mittelungen durch die zahlreichen Verschweigungen beeinträchtigt, zu denen mich die Pflicht der ärztlichen Diskretion nötigt. Entstellungen habe ich aber mit strengem Vorsatz vermieden. |
1933a: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse GW XV: 42 |
Hier zeigt sich die Bemühung der Balance zwischen Diskretion und Lehre bzw. Forschung und Entwicklung der Psychoanalyse |
Freud (1933) [1932] |
Die Wichtigkeit des Gegenstandes würde es rechtfertigen, daß ich Ihnen alle meine Fälle vorführe, aber das kann ich nicht, wegen der Weitläufigkeit der dazu nötigen Darstellung und der dabei unvermeidlichen Verletzung der schuldigen Diskretion. Ich versuche es, mein Gewissen möglichst zu beschwichtigen, wenn ich Ihnen noch einige Beispiele gebe. |
1933a: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse GW XV: 45 |
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Freud (1936) |
(...) aber ich darf Sie doch an die Situation mahnen und Sie bitten, mit den Intimitäten unserer Freundschaft vor diesen Fremden zurückzuhalten. Wir haben einander durch ein Vierteljahrhundert die Treue gehalten wie selbstverständlich und wenig Aufhebens davon gemacht. |
Freud, S. & Bindwanger, L.: Briefwechsel 1908-1938 (Hrsg. v. G. Fichtner). Frankfurt/M.: Fischer 1992: 233 ( Bf. 181 F v. 4.4.1936) |
Es geht um die Sorge Freuds anläßlich einer Rede Binswangers im Verein für Medizinische Psychologie in Wien zu Freuds 80. Geburtstag. |
Freud (1940) [1938] |
Auf diese Einsichten gründen wir unserer Heilungsplan. Das Ich ist durch den inneren Konflikt geschwächt, wir müssen ihm zur Hilfe kommen. Es ist wie in einem Bürgerkrieg, der durch den Beistand eines Bundesgenossen von aussen entschieden werden soll. Der analytische Arzt und das geschwächte Ich des Kranken sollen, an die reale Aussenwelt angelehnt, eine Partei bilden gegen die Feinde, die Triebansprüche des Es und die Gewissensansprüche des Überichs. Wir schließen einen Vertrag miteinander. Das kranke Ich verspricht uns vollste Aufrichtigkeit, d. h. die Verfügung über allen Stoff, den ihm seine Selbstwahrnehmung liefert, wir sichern ihm strengste Diskretion zu und stellen unsere Erfahrung in der Deutung des vom Unbewussten beeinflussten Materials in seinen Dienst. Unser Wissen soll seit Unwissen gutmachen, soll seinem Ich die Herrschaft über verlorene Bezirke des Seelenlebens wiedergeben. In diesem Vertrag besteht die analytische Situation. [98] Mit den Neurotikern schliessen wir also den Vertrag: volle Aufrichtigkeit gegen strenge Diskretion. Das macht den Eindruck, als strebten wir nur die Stellung eines weltlichen Beichtvaters an. Aber der Unterschied ist gross, denn wir wollen von ihm nicht nur hören, was er weiss und vor anderen verbirgt, sondern er soll uns auch erzählen, was er nicht weiss. In dieser Absicht geben wir ihm eine nähere Bestimmung dessen, was wir unter Aufrichtigkeit verstehen. Wir verpflichten ihn auf die analytische Grundregel, die künftighin sein Verhalten gegen uns beherrschen soll. Er soll uns nicht nur mitteilen, was er absichtlich und gern sagt, was ihm wie in einer Beichte Erleichterung bringt, sondern auch alles andere, was ihm seine Selbstbeobachtung liefert, alles was ihm in den Sinn kommt, auch wenn es ihm unangenehm zu sagen ist, auch wenn es ihm unwichtig oder sogar unsinnig erscheint. Gelingt es ihm, nach dieser Anweisung seine Selbstkritik auszuschalten, so liefert er uns eine Fülle von Material, Gedanken, Einfällen, Erinnerungen, die bereits unter dem Einfluss des Unbewussten stehen, oft direkte Abkömmlinge desselben sind und die uns also in den Stand setzen, das bei ihm verdrängte Unbewusste zu erraten und durch unsere Mitteilung die Kenntnis seines Ichs von seinem Unbewussten zu erweitern. [99] |
1940a: Abriß der Psychoanalyse: 6. Kapitel - Die psychoanalytische Technik GW XVII: 98 und 99 |
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Zitate von Freud zur Diskretion/Verschwiegenheit/ Umgang mit Geheimnisse von Seiten der PatientInnen |
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Freud (1895) |
Von den Motiven für solches Verschweigen konnte ich mir zwei vorstellen, entweder Elisabeth übte an ihrem Einfall eine Kritik, zu der sie nicht berechtigt war, sie fand ihn nicht wertvoll genug, nicht passend als Antwort auf die gestellte Frage, oder sie scheute sich ihn anzugeben, weil – ihr solche Mitteilung zu unangenehm war. |
1895d: Studien über Hysterie. GW I: 218 |
Eine höchst aufschlußreiche Darstellung der Entwicklung der Behandlungstechnik in vivo. Freud beschäftigt sich mit dem Widerstand von Fräulein Elisabeth von R. (gegen die freie Assoziation) und versucht es mit Druck. |
Freud (1905) [1901] |
Die Unfähigkeit der Kranken zur geordneten Darstellung ihrer Lebensgeschichte, soweit sie mit der Krankheitsgeschichte zusammenfällt, ist nicht nur charakteristisch für die Neurose, sie entbehrt auch nicht einer großen theoretischen Bedeutsamkeit. Dieser Mangel hat nämlich folgende Begründungen: Erstens hält die Kranke einen Teil dessen, was ihr wohlbekannt ist und was sie erzählen sollte, bewußt und absichtlich aus den noch nicht überwundenen Motiven der Scheu und Scham (Diskretion, wenn andere Personen in Betracht kommen) zurück; dies wäre der Anteil der bewußten Unaufrichtigkeit. Zweitens bleibt ein Teil ihres anamnestischen Wissens, über welchen die Kranke sonst verfügt, während dieser Erzählung aus, ohne daß die Kranke einen Vorsatz auf dies Zurückhaltung verwendet: Anteil der unbewußten Unaufrichtigkeit. Drittens fehlt es nie an wirklichen Amnesien, Gedächtnislücken, in welche nicht nur alte, sondern selbst ganz rezente Erinnerungen hineingeraten sind, und an Erinnerungstäuschungen, welche sekundär zur Ausfüllung dieser Lücken gebildet wurden. Wo die Begebenheiten selbst dem Gedächtnis erhalten geblieben, da wird die den Amnesien zugrunde liegende Absicht ebenso sicher durch Aufhebung eines Zusammenhanges erreicht, und der Zusammenhang wird am sichersten zerrissen, wenn die Zeitfolge der Begebenheiten verändert wird. Letztere erweist sich auch stets als der vulnerabelste, der Verdrängung am ehesten unterliegende Bestandteil des Erinnerungsschatzes. Manche Erinnerungen trifft man sozusagen in einem ersten Stadium der Verdrängung, sie zeigen sich mit Zweifel behaftet. Eine gewisse Zeit später wäre dieser Zweifel durch Vergessen oder Fehlerinnern ersetzt. [174f] Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, überzeugt sich, daß die Sterblichen kein Geheimnis verbergen können. Wessen Lippen schweigen, der schwätzt mit den Fingerspitzen; aus allen Poren dringt ihm der Verrat. Und darum ist die Aufgabe, das verborgenste Seelische bewußt zu machen, sehr wohl lösbar. [240] |
1905e: Bruchstück einer Hysterie-Analyse. GW V: 174f und 240 |
Freud zu den verschiedenen Gründen Geheimnisse in der Behandlung zu 'verheimlichen'. Freud zu (sexuellen) Geheimnissen seiner Patientin 'Dora' |
Freud (1913) |
Man muß sich aus seiner Selbstanalyse daran erinnern, wie unwiderstehlich die Versuchung auftritt, jenen kritischen Vorwänden zur Abweisung von Einfällen nachzugeben. Von der geringen Wirksamkeit solcher Verträge, wie man sie durch die Aufstellung der ψα Grundregel mit dem Patienten schließt, kann man sich regelmäßig überzeugen, wenn sich zum erstenmal etwas Intimes über dritte Personen zur Mitteilung einstellt. Der Patient weiß, daß er alles sagen soll, aber er macht aus der Diskretion gegen andere eine neue Abhaltung „Soll ich wirklich alles sagen? Ich habe geglaubt, das gilt nur für Dinge, die mich selbst betreffen.“ Es ist natürlich unmöglich, eine analytische Behandlung durchzuführen, bei der die Beziehungen eines Patienten zu anderen Personen und seine Gedanken über sie von der Mitteilung ausgenommen sind. Pour faire une omlette il faut casser des oeufs. |
1913c: Zur Einleitung der Behandlung GW VIII: 468f FN 1 [269] |
Freud zur Grundregel der freien Assoziation Anmerkung: Auch wenn Freud hier zutreffend an Widerstände denkt, ist noch ein ganz (reales) anderes Problem angesprochen: Kennt die/der Psychoanalytiker*in die Personen, über die die/der Patient*in spricht, kann das zu schwierigen Konstellationen führen. Etwa wenn Patient*innen intime Geheimnisse von Kolleg*innen ihrer/s Psychoanalytiker*in kennen. Das ist insbesondere bei Lehranalyse der Fall (Lehrpersonal des Instituts, andere Lehranalysand*innen etc.). Daß Freud sich dazu keine Gedanken macht mag auch daran liegen, daß er die Problematik der Behandlung nahestehender Personen (Anna) nicht erkannte oder erkennen wollte. |
Freud (1913) |
Mag der Kranke noch so aufrichtig an seine löbliche Absicht glauben, der Widerstand wird seinen Anteil an der absichtlichen Vorbereitungsart fordern und es durchsetzen, daß das wertvolle Material der Mitteilung entschlüpft. Man wird bald merken, daß der Patient noch andere Methoden erfindet, um der Behandlung das Verlangte zu entziehen. Er wird sich etwa täglich mit einem intimen Freunde über die Kur besprechen und in dieser Unterhaltung alle die Gedanken unterbringen, die sich ihm im Beisein des Arztes aufdrängen sollten. Die Kur hat dann ein Leck, durch das gerade das Beste verrinnt. Es wird dann bald an der Zeit sein, dem Patienten anzuraten, daß er seine analytische Kur als eine Angelegenheit zwischen seinem Arzte und ihm selbst behandle und aller anderen Personen, mögen sie noch so nahestehend oder noch so neugierig sein, von der Mitwisserschaft ausschließe. In späteren Stadien der Behandlung ist der Patient in der Regel solchen Versuchungen nicht unterworfen. Kranken, die ihre Behandlung geheim halten wollen, oft darum, weil sie auch ihre Neurose geheim gehalten haben, lege ich keine Schwierigkeiten in den Weg. Es kommt natürlich nicht in Betracht, wenn infolge dieser Reservation einige der schönsten Heilerfolge ihre Wirkung auf die Mitwelt verfehlen. Die Entscheidung der Patienten für das Geheimnis bringt selbstverständlich bereits einen Zug ihrer Geheimgeschichte ans Licht. Wenn man den Kranken einschärft, zu Beginn ihrer Behandlung möglichst wenig Personen zu Mitwissern zu machen, so schützt man sie dadurch auch einigermaßen vor den vielen feindseligen Einflüssen, die es versuchen werden, sie der Analyse abspenstig zu machen. Solche Beeinflussungen können zu Anfang der Kur verderblich werden. Späterhin sind sie meist gleichgültig oder selbst nützlich, um Widerstände, die sich verbergen wollen, zum Vorscheine zu bringen. |
1913c: Zur Einleitung der Behandlung GW VIII: 470f |
Freud zur Diskretion seiner Patient*innen gegenüber außenstehenden Personen: Mitteilungen als Ausdruck des Widerstands |
Zitate von Freud zur Diskretion seine eigene Person betreffend |
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Freud (1885) |
Ein Vorhaben habe ich allerdings fast ausgeführt, welches eine Reihe von noch nicht geborenen, aber zum Unglück geborenen Leuten schwer empfinden wird. Da Du doch nicht erraten wirst, was für Leute ich meine, so verrate ich Dir's gleich: es sind meine Biographen. Ich habe alle meine Aufzeichnungen seit vierzehn Jahren und Briefe, wissenschaftliche Exzerpte und Manuskripte meiner Arbeit vernichtet. Von Briefen sind nur die Familienbriefe verschont geblieben, Deine, Liebchen, waren nie in Gefahr. Alle alten Freundschaften und Beziehungen haben sich dabei mir nochmals präsentiert und stumm den Todesstreich empfangen (meine Phantasie lebt noch in der russischen Geschichte); alle meine Gedanken und Gefühle über die Welt im allgemeinen und soweit sie mich betraf im besonderen, sind für unwert erklärt worden, fortzubestehen. Sie müssen jetzt nochmals gedacht werden, und ich hatte viel zusammengeschrieben. Aber das Zeug legt sich um einen herum wie der Flugsand um die Sphinx, bald wären nur mehr meine Nasenlöcher herausgeragt; ich kann nicht reifen und nicht sterben ohne die Sorge, wer mir in die alten Papiere kommt. Überdies alles, was hinter dem großen Einschnitt in meinem Leben zu liegen fällt, hinter unserer Liebe und meiner Berufswahl, ist lang tot und soll ihm ein ehrliches Begräbnis nicht vorenthalten sein. Die Biographen aber sollen sich plagen, wir wollen's ihnen nicht zu leicht machen. Jeder soll mit seinen Ansichten über die ›Entwicklung des Helden‹ recht behalten, ich freue mich schon, wie die sich irren werden. |
Freud, S.: Brautbriefe. Briefe an Martha Bernays aus den Jahren 1882-1886 (Hrsg. v. E. L. Freud). Frankfurt/M.: Fischer 1968: 84 (Wien, 28. April 1885) |
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Freud (1897) |
Seitdem ich das Unbewußte studiere, bin ich mir selbst so interessant geworden. Schade, daß man sich fürs Intimste immer den Mund verschließt. »Das Beste, was Du weißt, Darfst Du den Buben doch nicht sagen.«5 5 (Bearbeiter: Kriz/Schröter): Goethe, Faust I, V. 1840f. Bei Goethe heißt es »... was Du nicht wissen kannst«. (...) |
Freud, S.: Briefe an Wilhelm Fließ 1887-1904 (Hrsg. v. J. M. Masson, dt. Fassung v. M. Schröter). Frankfurt/M.: Fischer (ungekürzte Ausgabe) 1986: 310 (Bf. 149, v. 3.12.1897) |
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Freud (1898) |
Du weißt ja, ein schöner Traum und keine Indiskretion - das trifft nicht zusammen. Schreib mir wenigstens, an welchem Thema Du den Anstoß genommen hast und wo Du den Angriff von dem boshaften Kritiker fürchtest. Anmerkung 1 (J. T.): Ich habe gezögert, aus den Briefen Freuds an seinen Freund Fließ zu zitieren. Freud selbst hat - so seine Aussage gegenüber der Witwe von Fließ um 1929 - die Briefe von Fließ vernichtet. Seine eigenen Briefe an Fließ gelangten über viele Umwege an die Psychoanalytikerin Marie Bonaparte. Als Freud davon erfuhr meinte er: "Unsere Korrespondenz war die Intimste, die Sie sich denken können. (...) Ich möchte nichts davon zur Kenntnis der sogenannten Nachwelt kommen lassen". Daß weder Bonaparte noch die späteren Herausgeber der Briefe sich daran hielten halte ich - ungeachtet der zweifellos großen wissenschaftlichen Bedeutung des Materials - für einen Anschlag auf die persönliche Integrität Freuds - eben eine Indiskretion; Quelle der Zitate dieser Anmerkung: Klappentext der Freud-Briefe an Fließ, ungekürzte Ausgabe 1986 (Masson/Schröter) Anmerkung 2 (J. T.): Die (Erst-)Herausgeber der Briefe an Fließ schreiben dazu im Vorwort: "Nichts von dem im vorliegenden Band enthaltenen Material wäre vom Verfasser selbst zur Veröffentlichung zugelassen worden. Es war Freuds Gewohnheit, Vorarbeiten, Proben und Entwürfe zu vernichten, sobald sie ihren Zweck erfüllt hatten, der Öffentlichkeit nichts sachlich Unfertiges vorzulegen und Persönliches nur dann, wenn es ihm als unentbehrliches Material zum Aufzeigen unbewußter Zusammenhänge diente. Trotz der Bedenken, die sich aus dem Respekt vor dieser Einstellung des Autors ableiten, scheint es den Herausgebern berechtigt, diese durch einen Zufall erhaltenen Briefe dem Druck zu übergeben. Sie bringen, wie kein anderes verfügbares Material, Ergänzungen zur Vor- und Frühgeschichte der Psychoanalyse, geben Einblick in bestimmte Phasen des Arbeitsvorgangs, von den ersten klinischen Eindrücken bis zur Formulierung der Theorie, zeigen Umwege und Abwege in der Hypothesenbildung und machen das Bild des Schreibers in diesen schwierigen Jahren des Interessenwechsels von Physiologie und Neurologie zur Psychologie und Psychopathologie vor dem Leser lebendig." Quelle: Freud, S. (1950): Aus den Anfängen der Psychoanalyse. Briefe an Wilhelm Fließ, Abhandlungen und Notizen aus den Jahren 1887-1902 (hrsg. v. M. Bonaparte & A. Freud & E. Kriz). London: Imago Publishing: 2 Anmerkung 3 (J. T.): Zur Haltung Freuds hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnissen und dem Umgang der Öffentlichkeit mit seiner Person siehe bei Freud zum Umgang der Öffentlichkeit mit seiner Person. Anmerkung 4 (J. T.): Eine ganz andere - nicht weniger interessante - Interpretation zu dieser Frage kommt von Dirkopf. Demnach ging es Freud weniger um die Diskretion bzw. die Verhinderung der Publikation, "sondern vielmehr um die Etablierung einer bestimmten Form der Tradierung der Fließ-Briefe" (Dirkopf, F. [2008]: Post, Publikation, Politik. Anstatt einer Einleitung. In: Dirkopf et al.: Aktualität der Anfänge. Freuds Brief an Fließ vom 6.12.1896. Bielefeld: transcript: 29) In eine ähnliche Richtung argumentiert Schneider. (Schneider, P. (2001): Erhinken und erfliegen: psychoanalytische Zweifel an der Vernunft. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht: 10 |
Freud, S.: Briefe an Wilhelm Fließ 1887-1904 (Hrsg. v. J. M. Masson, dt. Fassung v. M. Schröter). Frankfurt/M.: Fischer (ungekürzte Ausgabe) 1986: 344f (Bf. 169 v. 9.6.1898) |
Traum & Indiskretion: Freud reagiert hier auf eine kritische Rückmeldung von Fließ zu einem offenbar sehr persönlichen Traum von Freud, den dieser zu veröffentlichen trachtete (Die Traumdeutung 1900a, GW II/III). Selbstkritisch vermutet er, "das dem Autor nötige Schamgefühl verloren" zu haben und folgert: "Der Traum ist also verdammt". Das anschließende Zitat (siehe links) wirkt mit den nachfolgenden Gedanken wie ein Versuch, die (durch Fließ) erlittene Kränkung nicht allzu sehr in den Vordergrund treten zu lassen, vermutlich um den andernfalls vermuteten Verlust des (väterlichen Freundes nicht zu . |
Freud (1899) |
Wenn das Traumbuch fertig daliegt, wird er [Breuer - Anm. des Autors] sich über das Gegenteil, über die Fülle von Indiskretionen, entsetzen können. Erst wenn der (allerdings unwahrscheinliche) Zufall mir einen Titel geschenkt haben sollte, wird er auf dem allerhöchsten Bauch liegen. |
Freud, S.: Briefe an Wilhelm Fließ 1887-1904 (Hrsg. v. J. M. Masson, dt. Fassung v. M. Schröter). Frankfurt/M.: Fischer (ungekürzte Ausgabe) 1986: 399f (Bf. 208 v. 1.08.1899) |
Freud scheint sich hier über seinen alten Weggefährten lustig zu machen. Er hatte von Breuer gehört, daß dieser sich über die letzte Arbeit Freuds (Vergessen) kritisch geäußert hatte: Er wundere sich nicht, "daß niemand etwas auf meine Sachen gibt, wenn ich solche Lücken lasse. Er meinte, daß ich nicht ausgeführt, worin die Verbindung von Tod und Sexualität in meinen Gedanken besteht" (Freud im selben Brief - unmittelbar vor dem Zitat: 399) |
Freud (1900) |
Nach meinem Urteil liegen die Verhältnisse bei der Selbstbeobachtung eher günstiger als bei der Beobachtung anderer; jedenfalls darf man versuchen, wie weit man in der Traumdeutung mit der Selbstanalyse reicht. Andere Schwierigkeiten habe ich in meinem eigenen Innern zu überwinden. Man hat eine begreifliche Scheu, soviel Intimes aus seinem Seelenleben preiszugeben, weiß sich dabei auch nicht gesichert vor der Mißdeutung der Fremden. Aber darüber muß man sich hinaussetzen können. „Tout psychologiste, schreibt Delboeuf, est obligé de faire l'aveu même de ses faiblesses s'il croît par la jeter du jour sur quelques problème obscur.“ Und auch beim Leser, darf ich annehmen, wird das anfängliche Interesse an den Indiskretionen, die ich begehen muß, sehr bald der ausschließlichen Vertiefung in die hierdurch beleuchteten psychologischen Probleme Platz machen. ¹ ¹) Immerhin will ich es nicht unterlassen, in Einschränkung des oben Gesagten anzugeben, daß ich fast niemals die mir zugängliche vollständige Deutung eines eigenen Traumes mitgeteilt habe. Ich hatte wahrscheinlich Recht, der Diskretion der Leser nicht zuviel zuzutrauen. |
1900a: Die Traumdeutung GW II/III: 109f |
Textzusammenhang: Freud erläutert sein Traumdeutungsverfahren und begründet, weshalb er dabei auf eigene Träume angewiesen ist. |
Freud (1900) |
Ich denke an die Überwindung, die es mich kostet, auch nur die Arbeit über den Traum, in der ich soviel vom eigenen intimen Wesen preisgeben muß, in die Öffentlichkeit zu schicken. »Das Beste, was Du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen.« Anmerkung (J. T.): Hier zitiert Freud aus Goethes Faust I (siehe oben in diesem Abschnitt) |
1900a: Die Traumdeutung GW II/III: 456 |
Textzusammenhang: Freud analysiert einen eigenen Traum, indem er seinen Assoziationen folgt. |
Freud (1900) |
An der Traumveranlassung war aber noch etwas anderes, was auf mich eine ganz entgegengesetzte Wirkung hatte. Bei den ungünstigen Nachrichten aus den ersten Tagen der Operation erhielt ich auch die Mahnung, von der ganzen Angelegenheit mit niemandem zu sprechen, die mich beleidigte, weil sie ein überflüssiges Mißtrauen in meine Verschwiegenheit zur Voraussetzung hatte. Ich wußte zwar, daß dieser Auftrag nicht von meinem Freunde ausging, sondern einer Ungeschicklichkeit oder Überängstlichkeit des vermittelnden Boten entsprach, aber ich wurde von dem versteckten Vorwurf sehr peinlich berührt, weil er ̶ nicht ganz unberechtigt war. Andere Vorwürfe als solche, an denen „etwas dran ist“, haften bekanntlich nicht, haben keine aufregende Kraft. Zwar nicht in der Sache meines Freundes, aber früher einmal in viel jüngeren Jahren hatte ich zwischen zwei Freunden, die beide auch mich zu meiner Ehrung so nennen wollten, überflüssigerweise etwas ausgeplaudert, was der eine über den anderen gesagt hatte. Auch die Vorwürfe, die ich damals zu hören bekam, habe ich nicht vergessen. |
1900a: Die Traumdeutung GW II/III: 485f |
Textzusammenhang: Freud analysiert einen eigenen Traum, der in Zusammenhang mit der Operation eines Freundes stand |
Freud (1901) |
Ich bin bei der Analyse der dort mitgeteilten Träume durch die bloße Natur der Themata, auf welche sich die Traumgedanken beziehen, genötigt gewesen, einerseits die Analyse irgendwo vor ihrer Abrundung abzubrechen, anderseits einer indiskreten Einzelheit durch leise Entstellung die Schärfe zu benehmen. Ich konnte nicht anders und hatte auch keine andere Wahl, wenn ich überhaupt Beispiele und Belege vorbringen wollte; meine Zwangslage leitete sich mit Notwendigkeit aus der Eigenschaft der Träume ab, Verdrängtem, d. h. Bewußtseinsunfähigem Ausdruck zu geben. Es dürfte trotzdem genug übrig geblieben sein, woran empfindlichere Seelen Anstoß genommen haben. Die Entstellung oder Verschweigung der mir selbst noch bekannten fortsetzenden Gedanken hat sich nun nicht spurlos durchführen lassen. Was ich unterdrücken wollte, hat sich oftmals wider meinen Willen den Zugang in das von mir Aufgenommene erkämpft und ist darin als von mir unbemerkter Irrtum zum Vorschein gekommen. [246] Auch hier wieder ein unbemerkter Irrtum als Ersatz für eine absichtliche Verschweigung oder Verdrängung. |
1901b: Zur Psychopathologie des Alltagslebens GW IV: 244 und 246 |
Freud pendelt hier zwischen der Diskretion im Sinne eines Selbstschutzes nach Außen (Dritte/Öffentlichkeit) und Innen (Verdrängung). |
Freud (1924) |
Ich hätte natürlich ein solches Buch nie gewünscht und gefordert. Es scheint mir, daß die Öffentlichkeit kein Anrecht an meine Person hat und auch nicht an mir lernen kann, so lange mein Fall - aus mannigfachen Gründen - nicht voll durchsichtig gemacht werden kann. Sie denken anders darüber und haben so dieses Buch schreiben können. |
Freud, S.: Briefe 1873-1939 (Hrsg. v. E. & L. Freud). Frankfurt/M.: Fischer 1980: 363 (Brief an F. Wittels v. 19,18.12.1923) |
Brief an Fritz Wittels: Es geht um die von Wittels über ihn geschriebene Biographie und Freud sieht sich insbesondere hinsichtlich des Bruches mit Stekel verzerrt dargestellt. In einem weiteren Brief (15.08.1924) verschärft er seinen Ton und spricht von seinem (Wittels) "Zuwenigwissen" zu dem dann noch ein "Zuvielwissen" in Betracht komme und führt das am Beispiel der "Fließepisode" aus (368f). |
Freud (1935) |
Hier darf ich mir gestatten, meine autobiographischen Mitteilungen abzuschließen. Was sonst meine persönlichen Verhältnisse, meine Kämpfe, Enttäuschungen und Erfolge betrifft, so hat die Öffentlichkeit kein Recht, mehr davon zu erfahren. Ich bin ohnedies in einigen meiner Schriften — Traumdeutung, Alltagsleben — offenherziger und aufrichtiger gewesen, als Personen zu sein pflegen, die ihr Leben für die Mit- oder Nachwelt beschreiben. Man hat mir wenig Dank dafür gewußt; ich kann nach meinen Erfahrungen niemand raten, es mir gleichzutun. |
1935a: Nachschrift 1935 [zur 'Selbstdarstellung' 1925d] GW XVI: 33 |
Siehe die Anmerkungen zu Freud (1898) im Kapitel "Zitate von Freud zur Diskretion seine eigene Person betreffend" |
Zitate Freuds zur Diskretion - Geheimes Komitee |
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Freud (1925) |
Ich würde mich heute entschließen, diesen Aufsatz in die Welt zu schicken und würde das Spektakel nicht scheuen, den er unfehlbar hervorrufen würde. Aber als unübersteigliches Hindernis erhebt sich die Schranke der ärztlichen Diskretion, welche durch diese Veröffentlichung aus der Lebensgeschichte zweier Analysierten schwer verletzt würde. Gerade das Aufsehen dieser Publikation macht die Zurückhaltung derselben zur Pflicht, Entstellungen sind unstatthaft, Milderungen würden nichts helfen. Sollte das Schicksal die beiden Empfänger der nicht eingetroffenen Prophezeiungen vor mir sterben lassen, so fiele das Hindernis weg. |
Die Rundbriefe des "Geheimen Komitees" Band 4: 1923-1927(Hrsg. v. G. Wittenberger & C. Tögel). Tübingen: edition diskord 2006: 236 |
Rundbrief Nr. 3 vom "ca." 15.02.1925/W (Durchschlag); Verfasser: S. Freud. Der Aufsatz erschien posthum (Freud 1941d: Schriften aus dem Nachlaß. GW XVII: 25ff). Freud behielt mit seiner Einschätzung Recht: Eine der ursprünglich zwei Patienten) wurde namentlich bekannt (236 FN 13 mit weiteren Verweisen). |
Freud (1925) |
Ich würde mich schon heute entschließen, die Arbeit in die Welt zu schicken und vor dem Skandal, den sie unvermeidlich hervorriefe, nicht zurückschrecken. Aber die ärztliche Schweigepflicht, gegen welche die Veröffentlichung von Daten aus der Lebensgeschichte zweier meiner Patienten ernstlich verstoßen würde, bildet eine unüberwindliche Schranke. Eben gerade das Aufsehen, das diese Veröffentlichung erregen würde, verpflichtet zur Zurückhaltung; Verstellungen sind nicht möglich, auch irgendwelche Abschwächungen würden nicht helfen. Wenn die beiden Leute, deren Prophezeiungen sich nicht erfüllten, vor meinem eigenen Tod vom Schicksal ereilt würden, fiele das Hindernis dahin. Jones zitiert hier Freud inhaltlich zutreffend, aber offenbar wörtlich falsch (er gibt auch die Quelle recht unklar an: " Wien, 15. Februar 1925"; 457 FN 57). Der "maschinenschriftliche" Rundbrief vom "ca. 15.02.1925/W" hat einen anderen Wortlaut (siehe oben). |
Wien, 15. Februar 1925 |
Zit. nach Jones, E. (1984): Sigmund Freud. Leben und Werk. Band 3: 1919-1939. München: DTV: 457 Textzusammenhang: Es geht um ein Manuskript einer privaten Abhandlung Freuds zum Thema der Telepathie. |
Zitate Dritter zu Freuds Haltung zur Diskretion (Mittwochs-Gesellschaft) |
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Unbekannt |
Es scheint wünschenswert, daß der Gast sich an der Diskussion beteilige, selbstverständlich, daß er, besonders der Presse gegenüber, zur strengsten Diskretion zu verpflichten ist. |
Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Band III 1910-1911 (Hrsg. v. H. Nunberg & E. Federn). Frankfurt/M.: Fischer 1979: 201 |
Protokoll der 'Mittwochs-Gesellschaft' vom 29.03.1911; es handelt sich um ein dem Protokoll beigelegtes maschinengeschriebenes Blatt "Vorschläge zur Regelung des Gästewesens, erstattet vom Obmannstellvertreter und Schriftführer" |
Stipsits (2006) |
Bereits Sigmund Freud verpflichtete seine Mitglieder des "Inneren Kreises" auf die Einhaltung der "reinen Lehre" der Psychoanalyse und die Einhaltung des Schweigegelübdes. Prompt kommt es in der Folge zu Konflikten und Abspaltungen, nachdem sich einige Mitglieder nicht nur nicht an dieses Schweigegelübde gehalten hatten, sondern sich gegenseitig öffentlich anschwärzten. Ausschluss, Aberkennung von Lehranalysen und gegenseitige Abwertung sind die Folgen. "I am no longer trying to prove that Freud was wrong and I am right." Otto Rank zitiert nach Robert Kramer 1996, S.XV. |
Stipsits, R. (2006): Beredtes Schweigen? Zum Ethos des Schweigens. In: A. Dörpinghaus & K. Helmer (Hrsg.): Ethos. Bildung. Argumentation. Würzburg: Königshausen & Neumann: 209 (Fußnote 14) |
Das Zitat Ranks scheint mir nicht recht zu belegen, was der Autor behauptet. Klar ist, daß es hier nicht um Indiskretionen hinsichtlich besprochenen Fälle geht, sondern um Geheimnisse der Mitglieder. |
Zitate Dritter zu Freuds Haltung zur Diskretion (PatientInnen & LehranalysandInnen) |
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Kardiner (1977/1979) |
Ein ziemlich großer Teil der Zeit wurde während der Analyse von belanglosen Gesprächen über meine Kollegen in Anspruch genommen; gelegentlich steuerte auch Freud ein wenig Klatsch bei, so z . B., daß er eindeutig etwas gegen Oberndorf hatte, weil sich zeigte, daß dieser skeptisch war und Deutungen nur widerstrebend annahm. Andererseits sprach er auch über Alfred Adler, Stekel und andere. Freud machte selber die Bemerkung über Adler, er sei zu stolz, um im Schatten dieses Giganten leben zu können (womit Freud sich selber meinte). Das war der Versuch Freuds, den Umstand zu bagatellisieren, daß Adler die Begriffe des männlichen Protests, des Minderwertigkeitsgefühls und des Identitätsgefühls in die psychoanalytische Theorie eingeführt hatte. (...). Der einzige, über den er nicht sprach, war Jung. Er weigerte sich mit der Begründung, es sei ihm sowohl persönlich als auch wissenschaftlich zu schmerzlich. * Oder die Selbsteinschätzung Freuds. Er zitiert Freud so: "Ich bin froh, daß Sie mich fragen, denn offengestanden interessiere ich mich nicht sehr für therapeutische Probleme. Ich bin heute viel zu ungeduldig. Ich habe mehrere Nachteile, die mich zum großen Analytiker ungeeignet machen. Einer davon ist, daß ich zu sehr der Vater bin. Zweitens bin ich die ganze Zeit viel zu sehr mit theoretischen Problemen beschäftigt, so daß ich bei jeder Gelegenheit an meinen eigenen theoretischen Problemen arbeite, anstatt auf die therapeutischen Probleme zu achten. Drittens habe ich nicht die Geduld, Leute lange zu behalten. Ich werde ihrer müde, und ich möchte meinen Einfluß ausbreiten" (81). |
KArdiner, A. (1979): Meine Abnalyse bei Freud. München: Kindler: 83f |
Abram Kardiner war von 1921-22 bei Freud in (Lehr-) Analyse und berichtet unterhaltsame und interessante Details über Freud aus seiner Sicht. So über die Entwicklung der wortkargen 'englischen Schule': Während Freud mit ihm viel gesprochen habe (siehe das Zitat links), habe er mit Strachey und Rickman (die zur gleichen Zeit von Freud analysiert wurden) so gut wie kein Wort gesprochen (93). Die Stundenfrequenz wurde (auf Vorschlag seiner Tochter Anna) von Freud ganz pragmatisch von 6 auf 5 reduziert - weil er nicht mit so vielen Analysand*innen gerechnet hatte (18f). * |
Jones (1984) |
Andererseits war Freud merkwürdigerweise gar nicht jemand, der leicht Geheimnisse anderer Menschen bewahren konnte. Er hatte in der Tat den Ruf, ausgesprochen indiskret zu sein. (…) Ich habe selbst viele Beispiele dieses bei Freud unerwarteten Zugs erlebt. Mehrmals erzählte er mir Dinge aus dem Privatleben von Kollegen, die er nicht hätte erwähnen sollen. |
Jones, E. (1984): Sigmund Freud. Leben und Werk. Band 2: 1901-1919. München: DTV: 479 |
Jones, der Freud sehr wohlwollend gegenüberstand, äußerte sich in seiner umfangreichen Biographie über Freuds recht kritisch zu dessen Umgang mit Geheimnissen: Bei Freud sei hinter seiner liebenswürdigen und zugänglichen Art eine "unsichtbare Reserviertheit" zu spüren gewesen und er habe verschiedentlich nicht nur zu einer nachvollziehbaren "Zurückhaltung", sondern einer schwer verständliche "Geheimhaltung" geneigt. Es bestand ein auffallender Gegensatz zwischen dem "recht unschmeichelhaften Bild, das er der Welt , besonders in der Analyse seiner Träume, von seinem Innenlebenenthüllt hatte, und der vollständigen Zurückhaltung in Bezug auf sein Liebesleben". Jones vermutet die Existenz "starke(r) Beweggründe (…), eine wichtige Phase seiner Entwicklung zu verbergen – vielleicht vor ihm selbst" (ebd.). |
Cremeriuis (1984) |
[330] Sowenig Freud die Aktionen seiner Analysanden in die Bearbeitung der Übertragung und des Widerstandes hineinnahm, sowenig tat er es auch mit seinen eigenen Aktionen: Marie Bonaparte war während ihrer Analyse gelegentlich im Hause Freud Gast bei Tisch (Bertin, 1982). Er nimmt zu Beginn der Analyse von Oberndorf Zigarren als Geschenk an, ohne diese Aktion zu analysieren (Oberndorf, 1953, S. 141). So gibt er seine Meinung über Kollegen ungeniert wieder, lobt Abraham als seinen besten Schüler, erzählt von den Schwierigkeiten mit Adler, Brill, Jung und äußert Enttäuschung und Bitterkeit über sie. Über Dr. Horney äußert er: „Sie ist fähig, aber böswillig – gemein” (Blanton, 1971, S. 59, S. 39, Kardiner, 1977, S. 70, Oberndorf, 1953, S. 148, Grinker, 1940, S. 183). Grinker gegenüber hat er sich besonders eingehend über die drei Dissidenten geäußert: Über Adler, erfahren wir, sagte er kein gutes Wort; über Rank sprach er sehr lobend, aber „er sei ein ungezogener Junge” gewesen; über Jung hat er sein Herz am häufigsten ausgeschüttet – immer voller Bitterkeit. Dabei geht er bis in intime Einzelheiten. So berichtet Grinker, er habe ihm von einem Traum berichtet, den Jung ein halbes Jahr vor dem Bruch geträumt und Freud erzählt habe. Freud sagt dazu mit Bedauern: „Ich hätte daraus erkennen müssen, was bevorstand.” – Ein anderes Mal, bei einer Auslassung über die Notwendigkeit der Lehranalyse, bemerkt Freud, daß seltene, sehr normale Individuen wie Abraham ohne sie erfolgreich psychoanalytisch arbeiten könnten (1940, S. 183). Dabei scheint es auch zu Indiskretionen gekommen zu sein. Als Blum ihm berichtet, daß er eine frühere Patientin Freuds bei einer Abendgesellschaft getroffen habe, erzählt ihm Freud von den Anfängen der Psychoanalyse, in denen diese Dame seine Patientin gewesen sei (1956, S. 141). Blanton gegenüber antwortet er auf dessen Frage nach Ferenczis Theorie, man könne sie nicht verstehen, ohne seine Lebensgeschichte zu kennen. Dann erzählt er ihm, was er aus Ferenczis Analyse zum Verständnis dieses Problems gelernt hatte (1971, S. 61). Dorsey zeigt er einen Brief des Präsidenten eines psychoanalytischen Instituts in Amerika, in dem dieser anfragt, ob der Kandidat zugelassen werden könne oder nicht (1976, S. 31). [332] Wir sehen, daß sein Umgang mit der Anonymität und der Abstinenz völlig unbekümmert war. |
Cremerius, J. (1984): Vom Handwerk des Psychoanalytikers: Das Werkzeug der psychoanalytischen Technik. Band 2. Stuttgart-Bad Cannstatt: F. Frommann Verlag G. Holzboog: 330 f und 332 |
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Wortis (1984/1994) |
Als Wortis in einer Stunde über einen analytischen Kollegen sprach meinte Freud, er kenne ihn gut – er unterrichte zwar gut, sei aber wissenschaftlich dumm. Als Wortis anschließend äußerte er (eben jener Kollege) erscheine ihm homosexuell, antwortete Freud: "Er scheint nicht nur (…) er ist es, und er macht kein Geheimnis daraus. Und er ist nicht nur homosexuell, sondern auch auf andere Weise pervertiert. Ich habe von einem meiner Patienten erfahren, wie er sich auf höchst pervertierte Art befriedigt" (Wortis 1994: 40). Wortis merkt an dieser Stelle noch an, er habe nicht gewußt, wie das mit Freuds "Ansicht über die Diskretion des Analytikers übereinstimmte" (ebd.). |
Wortis, J. (1994): Meine Analyse bei Freud. Innsbruck: Verlag Integrative Psychiatrie: 40. Originalausgabe: Fragments of an Analysis with Freud. New York: Jason Aronson 1984 |
Wortis begab sich bei Freud in (Lehr-) Analyse (1934-35). |
Gay (1989) |
Von 1912 an analysierte Freud Jones' attraktive Geliebte, L. K. [Name vom Autor gekürzt], eine Morphiumsüchtige, die jeder, einschließlich Freud, als Jones' Frau bezeichnete. Er ließ die geheiligte Geheimhaltungsregel beiseite und beichtete Jones über ihren Fortschritt auf der Couch und die immer geringeren Morphiumdosen, mit denen sie zu leben lernte In einem Brief an Max Schur, den er nach dem Erscheinen des zweiten Bandes seiner Freud-Biographie schrieb, führte er ein Beispiel an für das an, was er meinte. Freud, schrieb er, habe ihm »von der Natur der sexuellen Perversion Stekels berichtet, was er nicht hätte tun sollen und was ich nie jemandem wiederholt habe« (Jones an Schur, 6. Oktober 1955) |
Gay, P. (1989): Freud. Eine Biographie für unsere Zeit. Frankfurt/M.: Fischer: 214 |
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Appignanesi (1994) |
In dieser Frühzeit der Psychoanalyse war es keineswegs so ungewöhnlich wie heute, Familienmitglieder oder Freunde zu analysieren, und Anna Freuds Analyse durch ihren Vater war damals noch nicht das streng gehütete Geheimnis, zu dem es später wurde. Dennoch waren sich beide der besonderen Probleme der Übertragung - und Gegenübertragung - zwischen Tochter und Vater bewußt. Nach drei Jahren waren die Fortschritte immer noch unbefriedigend, und Freud holte sich zur Unterstützung von Lou Andreas-Salome. |
Appignanesi, L. & Forrester, J. (1992): Freud's Women. London: Weidenfeld & Nicholson. Deutsch: Die Frauen Sigmund Freuds. München: Paul List Verlag 1994: 382 (vgl. auch 380) |
Was auf den ersten Blick kaum aufregend erscheint, verändert sich, wenn man bedenkt, daß L. A.-Salome Anna F. bestens kannte und während der beiden Analysen bei ihrem Vater zu ihrer Freundin/Mentorin wurde. Freud sprach also mit einer intimen Bekannten seiner Tochter über die Analyse mit ihr! (Weiteres Material: Gay 1989: 486ff) |
Fichtner (1994) |
Offensichtlich war aber Freud auch der Meinung, daß er sich auf die Diskretion seiner Angehörigen in Beziehung auf Patienten verlassen könne. In einem Maße, das heute undenkbar wäre, bezog Freud gerade in der frühen Zeit Patienten in den Umgang mit seiner Familie ein: Die Patientin P. Z. geht mit der Schwägerin Minna ins Theater (Brief vom 22.11.1896 an W. Fließ, Freud, 1985, S. 215), die Patientin L. G. wird »regelmäßig eingeladen« (Brief vom 23.3.1900 an W. Fließ, ebd., S. 446), der Patient E. beschließt »mit einer Abendeinladung« im Hause Freud »seine Laufbahn als Patient« (Brief vom 16.4.1900 an W. Fließ, ebd., S. 448), und der Sohn Martin wird wegen einer Masernerkrankung von Oliver zu Frau Dr. Ch., »einer sehr lieben Freundin und Patientin«, ausquartiert (Brief vom 3.3.1901 an W. Fließ, ebd., S. 481). Die Familie Freuds muß also nicht nur die Identität vieler Patienten, sondern auch mancherlei Lebensumstände von ihnen gekannt haben. Vor allem aber hat Freud in seinen Briefen an befreundete Kollegen ausführlich Erfahrungen über seine und deren Patienten ausgetauscht. Das haben alle bisher veröffentlichten Briefwechsel dieser Art gezeigt, das bestätigt aufs Neue der Briefwechsel mit Sandor Ferenczi. Gerade deshalb sind diese Briefwechsel so aufschlußreich für die Entwicklung der Psychoanalyse und ihrer Theorien. Häufig ist der Austausch über Patienten durch deren Überweisung veranlaßt, aber nicht immer. Daß im letzteren Fall nicht die Mitteilung über Patienten, wohl aber die Preisgabe ihrer Identität auch auf dieser Ebene ein Problem darstellt, scheint Freud nicht bewußt gewesen zu sein. Sehr klar aber hat er erkannt, daß es höchst problematisch, ja eigentlich unzulässig ist, Angehörige von Patienten über Details aus deren Krankengeschichte ohne ihre Einwilligung zu unterrichten: »Die Dessous des Zustandes bei J. sind seiner Mutter nicht bekannt, (sein Bruder, G. F.) G. hat sie ohne Vorwissen des Pat. erst kürzlich von mir erfahren müssen. Pat. soll von diesem Bruch der Diskretion nichts wissen« (Brief vom 28.1.1909 an L. Binswanger; Freud und Binswanger, 1992, S. 7; Hervorhebung G. F.). |
Fichtner, G. (1995): Die ärztliche Schweigepflicht, der Analytiker und der Historiker. Eine notwendige Stellungnahme zur Edition des Freud/Ferenczi-Briefwechsels. Psyche 48: 741 |
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Lynn & Vaillant (1998) |
[163 - Abstract] Deviations from Freud's recommendations were found to the following extent: for anonymity, 43 cases (100%); for neutrality, 37 cases (86%); for confidentiality, 23 cases (53%). In addition, there were significant extra-analytic relations between Freud and 31 of these analysands (72%). Conclusions: These results show a substantial disparity between Freud's recommendations and his actual methods. Freud's prescribed method, as defined by his recommendations, was not tested or used in his practice. Freud's actual method was never explicitly described in his writings and cannot be replicated. [166] We tabulated deviations from expected confidentiality only in cases where we found clear evidence. This is the most unambiguously documented finding in our study; most of these breaches of confidentiality can be read in Freud's own handwriting. A listing of these 23 cases with the respective recipients of information is contained in table 1. These communications occurred in cases throughout the years 1907–1939. An interesting additional finding is that no fewer than 20 (47%) of the 43 analysands in our series received information from Freud about other analysands. [170] Concerning confidentiality, Freud's communications to others about his analysands do raise both ethical and technical issues. Crucial to consideration of the ethical issues is the question of the consent of the analysand. For most of these cases, this is unknown. Analysands such as Abram Kardiner (49, 59), Mark Brunswick (8), and Elma Palos (3, 4) clearly did not consent to these communications in advance. Of course, it is possible that in each of the other cases Freud had obtained the analysand's consent. It is also possible that analysands knew of Freud's pattern of indiscretion and therefore had given implied consent simply by entering analysis with him. Jones's observation that Freud "had indeed the reputation of being distinctly indiscrete" (6) suggests this possibility, as does our finding that 20 analysands in our series (47%) received information from Freud about other analysands. Der Artikel ist im Volltext herunterladbar! (Der Link erfolgt über die offizielle Seite des Journals und ist öffentlich) Am J Psychiatry 1998;155:163-171 |
Lynn, D. J. & Vaillant, G. E. (1998): Ananymity, Neutrality, and Confidentiality in the Actual Methods of Sigmund Freud: A Review of 43 Cases, 107-1939. American Journal of Psychiatry 155: 163-171 |
Daß Freud sich an seine von ihm in den GW dargelegte Behandlungstechnik (z. B. Anonymität, Neutralität) nicht immer, (vielleicht sogar selten) hielt, ist schon lange bekannt. Eine Untersuchung, die auf 43 Analysen (klinischer, didaktischer und Klinisch-didaktischer Ausrichtung) beruht und sich dabei auch mit der Frage der Diskretion bzw. Schweigepflicht beschäftigt ist jedoch ist m. W. einzigartig. Obwohl Freud erkannte, wie behandlungstechnisch bedeutsam Vertraulichkeit und Diskretion für psychoanalytische Behandlung waren (freie Assoziation ist überhaupt nur auf dieser Grundlage denkbar) hielt er sich - jedenfalls in einzelnen, belegten Fällen nicht daran. Nicht nur daß er Dritten in 53% der (43 untersuchten) Fälle Mitteilung über die AnalysandInnen machte, auch erfuhren die AnalysandInnen in 47 % der Fälle etwas über andere AnalysadInnen. Ein besonders trauriges Bispiel ist hier die von Freud analysierte und von Ferenczi begehrte Elma Palos und der entsprechende Briefverkehr zwischen Freneczi und Freud. |
Krutzenbichler & Essers (2010) |
Freud sieht sich aus gesellschaftlicher Rücksichtnahme außerstande, ihre [Pseudonym: Cäcilie M.] Fallgeschichte zu publizieren: Sie stammt aus einer Industriellen- und Bankiersfamilie und ist eine der prominentesten Frauen Wiens. |
Krutzenbichler, H. S. & Essers H. (2010): Übertragungsliebe. Psychoanalytische Erkundungen zu einem brisanten Phänomen. Gießen: Psychosozial-Verlag: 22 |
Ob es dabei tatsächlich und ausschließlich um das Thema der Diskretion ging, ist fraglich - angesichts der doch weitreichenden emotionalen und gesellschaftlichen Verwicklung mit seiner Patientin (siehe Appignanesi, L. & Forrester, J. (1994): Die Frauen Sigmund Freuds. München: Paul List Verlag Freunds:123-129 |
Zitate Dritter zu Freuds Haltung zur Diskretion (seine eigene Person betreffend) |
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Marcuse (1956/1972) |
Der furchtlose Freud fürchtete nichts mehr als das Erkanntwerden. Der Schöpfer der indiskretesten Wissenschaft war, was sein eigenes Leben angeht, von einer geradezu aggressiven Diskretion. [27] Er war über alle Maßen scheu,. Er vertrug nicht, daß man ihn anstarrte; auch deshalb saß er hinter dem Kopfende des Patienten. Er wollte eher noch einen ungünstigen Eindruck machen als etwas preisgeben von seinem persönlichsten Leben. [28] Der Mann, der die Preisgabe des Verschwiegensten zum Fundament der Therapie machte, war selbst nicht bereit, sich preiszugeben. [29] Die Analyse ist eine Zumutung - das war es, was er vor allem fand, als er daran ging, sich selbst dieser Tortour zu unterziehen. Was preßt sie nicht aus dem Opfer heraus! Seine ›Mitteilungen‹ betreffen das Intimste seines Seelenlebens, alles, was er als sozial selbständige Person verbergen muß, und in weiterem alles, was er als einheitliche Person sich selbst nicht eingestehen will‹. Dieser doppelte Widerstand war in Freud so unermeßlich stark, daß er ihn dem Grad und der Verbreitung nach für universal hielt. Er fragte nie: ist die Stärke des Widerstands nicht bestimmt von der sozialen Situation und der individuellen Art? Können manche Schichten sich's nicht eher leisten, sind manche Typen nicht eher geneigt, Verborgenes herauszulassen? [36] Freud gab in seiner Theorie vom ›Widerstand‹ ein vollendetes Selbstporträt. Man müßte für ihn ein neues Wort prägen: ein Wort-Pendant zum Exhibitionismus - der ihm so fremd war, dem er so wenig Beachtung schenkte. Dieser Widerstand war um so grotesker, als er selbst höchst indiskret war und Geheimnisse ausplauderte. Außerdem hatte er einen furor biographicus - wie einer seiner Schüler die Leidenschaft nannte, in das Allerheiligste einzudringen. Im Interesse von Theorie und Heilung forderte Freud die äußerste Indiskretion - sobald es sich nicht um Freud handelte. Als Arzt und als Forscher war er angewiesen auf die intimsten Mitteilungen. ›Schade, daß man sich für's Intimste immer den Mund verschließt‹: er war keineswegs einverstanden mit der Diskretion - der anderen. [37] Diese Verschwiegenheit des Meisters und seiner Schüler über den personalen Ursprung der Psycho-Analyse - Kern der wesentlichsten Differenzen innerhalb der Bewegung - ist nicht in Einklang zu bringen mit einer Lehre, welche prinzipiell die konventionelle Scheidung zwischen Person und Werk zerstörte (zum Beispiel in Freuds Darstellung Leonardos, Goethes, Dostojewskis) - mehr als irgendeine Theorie vorher. [38] Es wäre Freud gewesen, der, dank seiner Leidenschaft des Eindringens, in rücksichtsloser Selbstdarstellung mehr hätte hineinleuchten können in sein Dasein, in die Grundlagen der Psychoanalyse, in das Motiv-Geflecht hinter wissenschaftlichem Denken und Philosophieren als irgendeiner - hätte nicht sein ›Widerstand‹ ein solches Ausmaß angenommen, daß er sich den größten Fall seines Lebens, der ihm zur öffentlichen Belehrung geschenkt worden war: den Fall Freud ... hätte entgehen lassen. [38f] |
Marcuse, L. (1956) Sigmund Freud. Sein Bild vom Menschen. Zürich: Diogenes 1972: 27-39 |
Kommentar (J. T.): Ich sehe auch, daß sich Freud verhüllt hat - und so im Hinblick auf seine Falldarstellung (einschließlich der daraus hervorgehende Theoriebildung) wesentliche Aspekte der Übertragungs-/Gegenübertragungsszene bzw. der Interaktion ausgelassen - vielleicht auch verdrängt/verleugnet - hat. Doch hat er sich andererseits auch in einer Weise öffentlich gezeigt, wie es wenige vor und nach ihm getan haben. Marcuse scheint hier aus der Idealisierung in die Entwertung zu kippen und Freud nicht mehr als den zu erkennen, der er realistischerweise war - ein genialer Denker und ein Mensch mit Widersprüchen, Ecken und Kanten - eben ein Mensch. Haben nicht auch Psychoanalytiker*innen ein Recht auf Diskretion und Privatsphäre? Insbesondere dann, wenn es nicht um den geschützten Raum der analytischen Selbstreflexion. Denn nur hier - in diesem durch Diskretion geschützten Raum - ist echte Indiskretion möglich. Vielleicht lohnt sich auch ein Blick auf die Falldarstellungen, wie sie heutzutage bei kasuistisch-technischen Seminaren, Super-/Intervision, Vorträgen, Veröffentlichungen etc. erfolgt. Bis heute besteht die Tendenz, der (reaktiven) Gegenübertragung, insbesondere aber dem Beitrag der/s Psychoanalytikerin/s, weniger Aufmerksamkeit zu widmen, als den (vorgestellten) Patient*innen mit ihrer Psychodynamik, Biographie/Anamnese etc. Vielleicht ist auch das ein Erbe Freuds, das uns mahnt, die Grenzen (wissenschaftlicher und persönlicher Art) zu erkennen, sich aber auch nicht davon abhalten zu lassen, sie zu reflektieren und damit umzugehen. |
Blanton, M. G. (1971) |
Zu jener Zeit nahm Freud nur noch diejenigen Patienten an, deren Ziel es war, selbst Psychoanalytiker zu werden. Daher bestand von Anfang an der Zweck des Tagebuches nicht darin, einen detaillierten Bericht über eine klinische Fallgeschichte niederzuschreiben. Ganz im Gegenteil, die Eintragungen bestanden aus ausgewählten Höhepunkten und bemerkenswerten Ereignissen der Analysestunde und sollten als Grundlage für eine Monographie über Freuds Methode dienen. Freud wußte von diesen Eintragungen und hatte keinerlei Einsprüche gegen sie erhoben, gleich welchen Gebrauch mein Gatte in der Zukunft von ihnen machen würde. Was diese Dinge anbelangte, war Freud der Ansicht, daß es jedem einzelnen freistünde, über seine eigenen, persönlichen Erfahrungen, die Analyse eingeschlossen, zu schreiben. |
Blanton, S. (1971/1975): Tagebuch meiner Analyse bei Sigmund Freud. Frankfurt/M.: Ullstein 1975. Vorwort von M. G. Blanton: 5 |
Margaret Gray Blanton hat die Tagebücher ihres Mannes Smiley (1929-1930, 1935, 1937 und 1938) über seine Analyse bei Freud veröffentlich. Hier zeigt sich eine andere Facette Freuds, denn die Aufzeichnungen enthüllen eine Menge über die Eigenarten Freuds, die auch mit Teilen seiner Behandlungstechnik konfligieren. Offenbar stand er diesen Veröffentlichungen über sich gelassen gegenüber. |
Haynal (1995) |
Was Freud betrifft, so wissen wir, daß er überhaupt nie eingewilligt hätte, daß seine Briefe veröffentlicht werden. Seine panische Reaktion gegenüber Marie Bonnaparte, als diese die Fließ-Briefe gekauft hatte, ist ja bekannt. |
Haynal, G. (1995): Entgegnung auf Gerhard Fichtners »notwendige Stellungnahme« und Anmerkungen zu Michael Schröters Buchbesprechung. Psyche 49: 175-181 |
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Sonstige Zitate Freuds zur Diskretion |
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Freud (1900) |
Dann gab es aber einmal einen anderen häuslichen Anstand, als ich sieben oder acht Jahre alt war, an den ich mich sehr wohl erinnere. Ich setzte mich abends vor dem Schlafengehen über das Gebot der Diskretion hinweg, Bedürfnisse nicht im Schlafzimmer der Eltern in deren Anwesenheit zu verrichten, und der Vater ließ in seiner Strafrede darüber die Bemerkung fallen: Aus dem Buben wird nichts werden. |
1900a: Die Traumdeutung GW II/III: 221 |
Freud analysiert einen eigenen Kindheitstraum, der wohl - wie Freud andeutet - in Zusammenhag mit seinem Ehrgeiz steht. Immerhin wurde er der 'Vater' und 'Schöpfer' der Psychoanalyse. |
Freud (1909) |
Und nun ist mir etwas schwer aufs Herz gefallen. Daß Sie nicht vertreten sein sollen in einem Band, der nicht so bald so trefflich und ehrenvoll für uns sich wird wiederholen lassen. Dann sagte ich mir, daß es meine Schuld sei, weil ich aus irregeleiteter Diskretion, oder Gott weiß warum, Ihre schöne Arbeit über die Übertragung vom zweiten Halbband abgelenkt habe |
Freud, S. & Ferenczi, S.: Briefwechsel. Band I/1 1908-1911 (Hrsg. v. E. Falzeder & E. Brabant). Wien: Böhlau1993: 94 (Brief 34 F v. 18.01.1909) Ebenfalls in: Freud, S.: Briefe 1873-1939. (Hrsg. v. E. & L. Freud). Frankfurt/M.: Fischer 1980: 292 (Brief an S. Ferenczi v. 18.01.1909) |
Es bleibt leider unklar, worauf sich die "irregeleitete" Diskretion inhaltlich bezieht. |
Freud (1909) |
Für Ich will im vorhinein bemerken, daß alles, was Sie mir als diskret mitteilen, auch diskret behandelt wird, insbesondere: Personalia |
Freud, S. & Abraham, K.: Briefe 1907-1926. (Hrsg. v. H. C. Abraham & E. L. Freud). Zürich: Buchclub Ex Libris 1980: 85 (Brief v. 27.04.1909) |
Freud bezieht sich hier offenbar auf den Austausch über Kollegen. Abraham hatte im Brief zuvor (7.04.1009) über seine Eindrücke der verschiedenen Beiträge (Maeder, Jung, Binswanger) im aktuell erschienenen Jahrbuch der Psychoanalyse (1909) geschrieben. Und er hatte eine eigene "Symptomhandlung" sowie eine intime Beobachtung bei seiner viermonatigen Tochter beschrieben (83f). |
Freud (1910) |
Wenn ein biographischer Versuch wirklich zum Verständnis des Seelenlebens seines Helden durchdringen will, darf er nicht, wie dies in den meisten Biographien aus Diskretion oder aus Prüderie geschieht, die sexuelle Betätigung, die geschlechtliche Eigenart des Untersuchten mit Stillschweigen übergehen. |
1910c: Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci GW VIII: 135 |
Ein auch in Hinblick auf die Bedeutung der Sexualität in der rezenten Psychoanalyse interessantes Zitat |
Freud (1910) |
Frau G. (oder wie sie sich schreibt) war sechs Wochen lang meine Patientin. (...) Der Mann hatte die Kühnheit, mir in der Anamnese zu verheimlichen, daß sie kurz (etwa 1 ½ Jahre) vorher beim Verlassen einer Nervenheilanstalt sich eine Kugel in den Schädel gejagt, die jetzt noch irgendwo steckt. Sie selbst hat das Geständnis nicht herausgebracht, daß sie vor dieser Ehe etwas Böses angestellt, was mit einem früheren Verhältnis zusammenhängt. Ich weiß es nur vom Hausarzt (Diskretion). |
Freud, S. & Binswanger, L.: Briefwechsel 1908-1938. (Hrsg. v. G. Fichtner). Frankfurt/M.: Fischer 1992: 57f (Brief 41 F v. 2.10.1910) |
Freud kritisiert (?) einen ärztlichen Kollegen, der seine Diskretion nicht wahrte, ihm aber wichtiges Material präsentierte. Anmerkung: Ein Schulbeispiel für den Austausch unter Ärzt*innen, der bis heute (trotz berufs-, zivil- und strafrechtlicher Sanktionen) vorkommt. Für Psychoanalytiker*innen sollte sich aber neben juristischen Erwägungen die Frage stellen, was diese Art der Kommunikation zwischen Kolleg*innen unter Ausschluß der Patient*innen für die Übertragungs- und Gegenübertragungsszene bedeutet und wie mit der 'geheimen' Information behandlungstechnisch umgegangen wird. |
Freud (1912) |
Ich bin mit Jung - und da bitte ich um Ihre Diskretion - nicht mehr so zufrieden, wie ich früher hoffte. |
Freud, S. & Binswanger, L.: Briefwechsel 1908-1938. (Hrsg. v. G. Fichtner). Frankfurt/M.: Fischer 1992: 96 (Brief 65 F v. 14.04.1912) |
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Freud (1913) |
Das in München hergestellte Einvernehmen wird kaum von langer Dauer sein. Jungs Benehmen schließt es aus. Ich will auf jede Art persönlicher Beziehung zu ihm gerne verzichten und nur die Vereinsgemeinschaft aufrechterhalten. Ich wußte übrigens nicht, was an meinem Besuch in Kreuzlingen ihn so aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Dort sagte er's direkt, er habe angenommen, ich konspiriere gegen ihn mit seinen Feinden, Ihnen und Häberlin! Ich bitte Sie durch strenge Diskretion in allem, was mich und ihn betrifft, die Entwicklung des Prozesses zu verzögern. |
Freud, S. & Binswanger, L.: Briefwechsel 1908-1938. (Hrsg. v. G. Fichtner). Frankfurt/M.: Fischer 1992: 124 (Brief 8 F v. 1.01.1913) |
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Freud (1914) |
Man erinnert sich, daß Breuer von seiner berühmten ersten Patientin ausgesagt hatte, das sexuale Element sei bei ihr erstaunlich unentwickelt gewesen und habe niemals einen Beitrag zu ihrem reichen Krankheitsbilde geliefert. Ich habe mich immer verwundert, daß Kritiker diese Versicherung Breuers meiner Behauptung von der sexuellen Ätiologie der Neurosen nicht öfter entgegengestellt haben, und weiß noch heute nicht, ob ich in dieser Unterlassung einen Beweis für ihre Diskretion oder für ihre Unachtsamkeit sehen soll. |
1914d: Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung GW X: 49 |
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Freud (1916-17) [1915-1917] |
Für gewöhnlich erfahren wir ja, dank ihrer eigenen Diskretion und der Verlogenheit ihrer Biographen von unseren vorbildlich großen Männern wenig Intimes (...). |
1916-17a: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse: XVII: Der Sinn der Symptome GW XI: 268 |
Freud spricht darüber, daß Patient*innen mit einer Zwangsneurose (vor allem in der Psychiatrie) vorschnell als 'degeneriert' verurteilt werden, sich aber keineswegs so sehr von anderen "Nervösen" (z. B. Hysteriker, Psychotiker) unterscheiden - zumal solche Symptome auch bei ausgezeichneten Menschen von hoher und für die Allgemeinheit bedeutsamer Leistungsfähigkeit vorkommen" und führt als Beispiel Emil Zola an. |
Freud (1926) |
Beiliegend sende ich Ihnen den soeben erhaltenen Brief von Wittels, womit ich möglicherweise die ihm schuldige Diskretion verletze. Ich kann aber nicht antworten, ohne Ihre Ansicht über den von ihm erwähnten Verein, über die Zweckdienlichkeit meines Erscheinens in jenem Kreise, über die eventuelle Möglichkeit, diese Feier hintanzuhalten - erfahren zu haben. |
Freud, S. & Ferenczi, S.: Briefwechsel. Band III/2 1925-1933 (Hrsg. v. E. Falzeder & E. Brabant). Wien: Böhlau 2005: 83 (Brief 1053 Fer v. 3.01.1926) |
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Freud (1928) [1927] |
Biographik und Nerurosenforschung können dieser Diskretion nicht zu Dank verpflichtet sein. |
1928b: Dostojewski und die Vatertötung GW XIV: 405 FN 1 [von 404] |
Freud ist hier offenbar verärgert, daß ein Autor, der sich mit der Biographie Dostojewskis beschäftigt hat (Miller), eine wichtige Information über dessen Krankheit andeutet, diese aber, da sie auf einem Gerücht basiert, nicht veröffentlicht. |
Freud (1933) |
Im Jänner 1926 mußte ich unserem unvergeßlichen Freund Karl Abraham den Nachruf schreiben. Wenige Jahre vorher, 1923, konnte ich Sándor Ferenczi zur Vollendung des fünfzigsten Lebensjahres begrüßen. Heute, ein kurzes Jahrzehnt später, schmerzt es mich, daß ich auch ihn überlebt habe. In jenem Aufsatz zu seinem Geburtstag durfte ich seine Vielseitigkeit und Originalität, den Reichtum seiner Begabungen öffentlich rühmen; von seiner liebenswerten, menschenfreundlichen, allem Bedeutenden aufgetanen Persönlichkeit zu sprechen, verbot die dem Freund geziemende Diskretion. |
1933c: Sándor Ferenczi † GW XVI: 267 |
Freud zum Tod von Sándor Ferenczi am 22. Mai 1933 kurz vor Vollendung seines 60. Lebensjahres. |
Freud (1936) |
Wer Biograph wird, verpflichtet sich zur Lüge, zur Verheimlichung, Heuchelei, Schönfärberei und selbst zur Verhehlung seines Unverständnisses, denn die biographische Wahrheit ist nicht zu haben, und wenn man sie hätte, wäre sie nicht zu brauchen. |
Freud, S. & Zweig, A.: Briefwechsel (Hrsg. v. E. L. Freud). Frankfurt/M.: Fischer 1968: 137 ( Bf. v. 31.5.1936) |
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Freud (1937) |
Sie war von ungewöhnlicher Bescheidenheit und Diskretion. |
1937a: Lou Andreas-Salomé † GW XVI: 270 |
Freud zum Tod von Lou Andreas-Salomé am 5. Februar 1937 kurz vor Vollendung ihres 76. Lebensjahres. |
Guttman, S. A. & Parrish, S. M. & Ruffing, J. & Smith, P. H. (1995): Konkordanz zu den Gesammelten Werken von Sigmund Freud: (6 Bände). Waterloo/Ontario, Canada: North Waterloo Academic Press, 1193 (leicht überarbeitet durch den Autor)
DISKRETION (31) |
GW |
Seite |
Titel (kurz) |
Jahr/ |
die dem Freund geziemende Diskretion. |
XVI |
267 |
Sándor Ferenczi † |
1933c |
die damals beobachtete Diskretion aufzuheben und |
I |
195 |
Studien zur Hysterie |
1895d |
Technik den Schutz der Diskretion beanspruchen sollte. |
X |
110 |
Psychoanalytische Bewegung |
1914d |
Aufrichtigkeit gegen strenge Diskretion. Das macht den |
XVII |
98 |
Abriß der Psychoanalyse |
1940a [1938] |
Das Problem der ärztlichen Diskretion, das mich in dieser |
V |
171 |
Hysterie-Analyse |
1905e [1901] |
wahrscheinlich Recht, der Diskretion der Leser nicht |
II/III |
110 |
Traumdeutung |
1900a |
müssen bedauern, daß die Diskretion des Arztes uns |
IV |
273 |
Psychopathologie Alltagsleben |
1901b |
die Pflicht der ärztlichen Diskretion gebunden glaubte. |
XI |
479 |
Vorlesungen zur Einführung |
1916-17 [1915-17] |
soll, aber er macht aus der Diskretion gegen andere eine |
VIII |
469 |
Einleitung Behandlung |
1913c |
Vaters. Aus Gründen der Diskretion habe ich das "Blech" |
II/III |
369 |
Traumdeutung |
1900a |
Vaters. Aus Gründen der Diskretion habe ich das "Blech" |
XI |
198f |
Vorlesungen zur Einführung |
1916-17 [1915-17] |
Vaters. Aus Gründen der Diskretion habe ich das «Blech |
Nachtrags-band |
609 |
Nachträge Traumdeutung |
1911a |
an einer Stelle über die Diskretion hinausgesetzt und |
X |
307 |
Bemerkungen Übertragungsliebe |
1915a |
über das Gebot der Diskretion hinweg, Bedürfnisse |
II |
221 |
Traumdeutung |
1900a |
Verletzung der schuldigen Diskretion. Ich versuche es, |
XV |
45 |
Neue Vorlesungen Einführung |
1933a |
die Pflicht der ärztlichen Diskretion in den Vordergrund |
V |
164 |
Hysterie-Analyse |
1905e [1901] |
die Stelle für die ärztliche Diskretion ist, über die wir uns |
XII |
190 |
Wege psychoanal. Therapie |
1919a [1918] |
Fall geforderte ärztliche Diskretion leicht erklärlich. |
XII |
271 |
Fall weiblicher Homosexualität |
1920a |
anderen Personen, deren Diskretion man nicht sicher ist, |
XIV |
234 |
Frage der Laienanalyse |
1926e |
können dieser Diskretion nicht zu Dank |
XIV |
405 |
Dostojewski |
1928b [1927] |
die Pflicht der ärztlichen Diskretion nötigt. Entstellungen |
XV |
42 |
Neue Vorlesungen Einführung |
1933a |
meisten Biographien aus Diskretion oder aus Prüderie |
VIII |
135 |
Kindheitserinnerung Leonardo |
1910c |
einen Beweis für ihre Diskretion oder für ihre |
X |
49 |
Psychoanalytische Bewegung |
1914d |
der ärztlichen Diskretion und der Ungunst der |
V |
165 |
Hysterie-Analyse |
1905e [1901] |
wir ja, dank ihrer eigenen Diskretion und der Verlogenheit |
XI |
268 |
Vorlesungen zur Einführung |
1916-17 [1915-17] |
in die gleiche Nötigung zur Diskretion versetzen wird. |
II/III |
653 |
Über den Traum |
1901a |
Bescheidenheit und Diskretion. Von ihren eigenen |
XVI |
270 |
Andreas-Sallome † |
1937a |
der Scheu und Scham (Diskretion, wenn andere |
V |
174 |
Hysterie-Analyse |
1905e [1901] |
die Rücksicht auf ärztliche Diskretion zensurierter Form. |
XIV |
562 |
Josef Breuer † |
1925g |
wir sichern ihm strengste Diskretion zu und stellen |
XVII |
98 |
Abriß der Psychoanalyse |
1940a [1938] |
mit der Pflicht der ärztlichen Diskretion zusammen, die im |
X |
307 |
Bemerkungen Übertragungsliebe |
1915a [1914 |
Anna Freud hat sich mit dem Thema Diskretion wenig beschäftigt. Doch finden sich einzelne Textstellen, die durchaus von Bedeutung für das Thema sind:
Autor |
Wörtliches Zitat |
Quelle |
Anmerkung |
Anna Freud: Zitate zur Diskretion (Patient*innen) |
|||
Freud A. (1965) |
Im allgemeinen schwankt die tatsächliche Beteiligung der Eltern am analytischen Vorgang je nach dem Alter des Kindes, nach dem Typus seiner Störung, nach Persönlichkeit und Pathologie der Eltern und nach den technischen Überzeugungen des Analytikers. Wir finden alle Möglichkeiten verwirklicht. An einem Ende steht das beabsichtigte Fernhalten der Eltern, soweit die äußeren Umstände es erlauben, und ein strenges Einhalten der analytischen Diskretion ihnen gegenüber. Von hier geht es zur häufigen Information durch den Kinderanalytiker selbst; zur gleichen Beratung der Mutter, um ihr zu ermöglichen, mit den Fortgang der Analyse Schritt zu halten; zu gleichzeitigen Psychotherapie von Vater oder Mutter; zur Anwesenheit der Mutter in der analytischen Stunde von Kleinkindern; zur Anleitung der Mutter zur selbständigen Behandlung von Kleinkindern; zum gleichzeitigen Eintritt eines Elternteils in eine Erwachsenenanalyse etc. Am anderen Ende der Linie findet sich sogar die extreme Ansicht mancher Analytiker, daß die Analyse eines Elternteils, oder beider Eltern, das wirksamste Mittel ist, um die Neurose eines Kindes zu heilen, auch ohne direkte Anwendung der Therapie auf das Kind selbst. |
Freud, A. (1965): Wege und Irrwege in der Kinderentwicklung: Die Schriften der Anna Freud: Band VII. München: Kindler 1980: 2169f |
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Weitere Autor*innen bzw. Psychoanalytiker*innen zur Frage der Diskretion:
Autor |
Wörtliches Zitat |
Quelle |
Anmerkung |
Groddeck, Georg |
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Jung (1911) |
So etwa ließe sich der Sinn kurz ausdrücken. Der Traum enthält alles, nur die Analyse unseres Autors hat diskreterweise zu früh aufgehört. Er möge mir verzeihen, daß ich indiskreterweise die taktvoll verschlossen gehaltene Tür aufbreche, damit man klar sehe, was unter der Decke der konventionellen Diskretion und der ärztlichen Sexualblindheit für — Wunscherfüllungen stecken, die man nicht sehen kann. |
C. G. Jung (1911): Morton Prince M. D.: The Mechanism and Interpretation of Dreams. Eine kritische Besprechung. In: Jahrbuch der Psychoanalyse. III. Band, I. Hälfte 1911: 309-328 (Zitat: 315) |
Jung beschäftigt
sich kritisch mit dem von Prince im Journal of Abnormal Psychology
(1910) veröffentlichten Träumen und deren Deutung und bescheinigt dem
Autor: "Seine analytischen |
Groddeck (1916/17) |
Ich hatte das vorige Mal versprochen, an einem Fall klarzumachen, wie sich im allgemeinen das abspielt, daß jemand krank wird, und wie es möglich ist, daß nach meiner Behauptung sämtliche Erkrankungen mit dem Kindesleben zusammenhängen. Das macht einigermaßen Schwierigkeiten und geht gewissermaßen gegen die Diskretion, aber es handelt sich um jemand, der nicht mehr am Leben ist. Es bleiben noch einige Sachen übrig, die ich nicht zeigen kann, die aber weniger Interesse haben; deshalb wird das Bild vielleicht etwas unvollständig. Ich bin nicht in der Lage, alles zu wissen; das ist auch nicht nötig. Wenn ein einzelnes Faktum vergessen ist, hat das weiter keine große Bedeutung; es handelt sich mehr darum herauszubekommen, wie es weiter wirkt. Nach diesen Vorbemerkungen möchte ich auf die Sache selbst eingehen. |
Groddeck, G. (1916/17): Vorträge Band I. 1916-17 (Hrsg. v. F. Kern & B. Schuh). In: Groddeck: Werke Vorträge I: 164 |
Zweiundzwanzigster Vortrag: Alle Krankheiten sind Rettungsmittel / Ein Krankheitsfall. 17. Januar 1917 |
Glover (1942) |
Jeder hier weiß, daß das Maß an beruflicher und wissenschaftlicher Diskretion in psychologischen Gesellschaften niedriger ist als in naturwissenschaftlichen oder gewöhnlichen medizinischen Gesellschaften. Ich habe unseren Präsidenten über den Mangel an berufsethischen Normen oft bitter klagen hören, doch ich muß zugeben, daß er dabei hauptsächlich das Verhalten einiger Laienanalytiker im Sinn hatte. Sie können sich vielleicht an seine scharfe öffentliche Kritik zu diesem Thema und an den auch von mir unterschriebenen Rundbrief erinnern, den er an sämtliche praktizierende Laienanalytiker sandte. |
King, P. (2000): Die Entwicklung der Kontroversen in der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft. In P. King & R. Steiner (Hrsg.): Die Freud/Klein-Kontroversen 1941-1945. Erster Band. Stuttgart: Klett-Cotta: 214 |
Es handelt sich um einen langen (schriftlich vorliegenden und hier vorgetragenen) Redebeitrag von Dr. Glover (Sitzungsprotokoll der Geschäftssitzung vom Mittwoch, den 13. Mai 1942, 8.15 Uhr abends; vierte außerordentliche Geschäftssitzung) |
Schweigepflicht, Datenschutz und Diskretion I Dr. Jürgen Thorwart |