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Bundesgesundheitsminister
Spahn plant im
Rahmen des (umfangreichen)
Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung
bei einer
epidemischen Lage von nationaler Tragweite
(vom Bundeskabinett am 29.04.2020 beschlossen) einen Ausweis einzuführen, der
die Immunität gegenüber dem
COVID-19 Virus dokumentiert (Immunitätsdokumentation
soll künftig analog der
Impfdokumentation - auch in einem Dokument).
Abgesehen davon, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig unklar ist, ob
nach der Infizierung eine Immunität besteht und ggf. wie lange diese anhält und
ob mit der Immunität kein Infektionsrisiko für Dritte mehr besteht, stellen sich
auch hier grundsätzliche datenschutzrechtliche Fragen. So etwa, ob es sein kann,
daß Gesundheitsdaten offenbart werden müssen, um bestimmte Vorteile
(Betretungsrecht bestimmter Orte) in Anspruch zu nehmen.
Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung
bei einer
epidemischen Lage von nationaler Tragweite (Bundeskabinett
29.04.2020)
Netzpolitik.org (1.05.2020):
Gesetzentwurf. Spahn schlägt Immunitätsausweis vor
Nach heftigen
öffentlichen Diskussionen (u.
a.
D64 – Zentrum
für digitalen Fortschritt e.V.,
LOAD
e.V. - Verein für liberale Netzpolitik,
Forum
InformatikerInnen
für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e. V., Gesellschaft für
Informatik (GI) e.V.,
Chaos Computer Club e. V. (CCC),
Stiftung Datenschutz)hat
Bundesgesundheitsminister
Spahn
eingelenkt - die über die
Corona-Warn-
bzw.
tracing-App
gesammelten Daten werden nicht zentral auf einem Server gespeichert werden.
Der
Bundesdatenschutzbeauftragte, Ulrich Kelber, wurde erst spät vom
Robert-Koch-Institut (RKI)
in Prozeß
einbezogen - er kritisiert,
daß
das
RKI
nach bisherigem Stand Zugriff auf Klarnamen auf den Servern der
Fitness-App-Bereitsteller
hat und diese erst auf dem
RKI-Server
pseudonymisiert
würden. Aus seiner Sicht ist eine
Pseudonymisierung
hier erforderlich, eine Anonymisierung sei hingegen nicht realisierbar, da
andernfalls die regelmäßig fließenden Datensätze nicht zugeordnet werden
könnten, um festzustellen, was sich bei einer bestimmten Person verändert. Im
Hinblick auf Sicherheitslücken in der
Bluetooth-Implementation
mahnt der
Bundesdatenschutzbeauftragte
Updates des Betriebssystems (bei den Smartfonnutzer*innen) an, um zusätzlichen
Angriffsrisiken durch die Öffnung der
Bluetooth-Schnittstelle
zu
vermeiden.
Zur Frage, ob die Daten
zentral auf einem Server oder dezentral nur auf den Mobilgeräten der Nutzer
gespeichert werden sollten sagte Kelber:
Gegenüber der Bundesregierung und in einer Stellungnahme
der europäischen Datenschutzbehörden haben wir gesagt, beide Architekturen – die
zentrale und die dezentrale Speicherung – können datenschutzkonform
implementiert werden. Aber wir haben auch klar gemacht, dass die dezentrale
Variante die datenschutzfreundlichere ist, weil sie weniger potenziellen
Angriffen ausgesetzt ist und dem Prinzip der Datenminimierung entspricht, weil
die Daten auf dem eigenen Gerät verbleiben und dort auch gelöscht werden, wenn
man sich nicht infiziert. Daher sind wir mit der Entscheidung der Regierung für
die dezentrale Variante sehr zufrieden.
Interview mit Ulrich Kelber:
Was der Datenschutzbeauftragte über die
Corona-App denkt (U. Thiede)
Bundeskabinett am 1.04.2020 den Entwurf eines
Patientendatenschutzgesetzes (PDSG)
an den Bundestag weitergeleitet.
In Zeiten von Corona gibt es auch noch andere Themen – vielleicht
nicht ganz umsonst (honi
soit qui mal y pense) hat das Bundeskabinett am 1.04.2020 den Entwurf eines
Patientendatenschutzgesetzes (PDSG) an den Bundestag weitergeleitet.
Hierzu der
Bericht aus der Ärztezeitung vom 1.04.2020 (Auszug):
Patientendaten-Gesetz
Kabinett beschließt Regeln für die Patientenakte.
E-Rezept, digitale Überweisung, Zugriffsberechtigungen auf Inhalte der
elektronischen Patientenakte: Die Bundesregierung macht Tempo bei der
Digitalisierung des Gesundheitswesens. Jetzt hat der Bundestag das Wort.
Von
Anno Fricke
Veröffentlicht: 01.04.2020, 11:25 Uhr
Kabinett beschließt Regeln für die Patientenakte
Die
Regierung geht davon aus, dass im ersten Jahr nach Einführung rund 20 Prozent
der etwa 72 Millionen GKV-Versicherten die elektronische Patientenakte nutzen
werden.
Berlin. Das Bundeskabinett hat am Mittwochvormittag den Entwurf eines
Patientendatenschutzgesetzes (PDSG) an den Bundestag weitergereicht.
Mit
dem Gesetz soll der Einsatz digitaler medizinischer Anwendungen vorangetrieben
werden. Ziel der Regierung ist laut Entwurf eine weitestgehende Zusammenarbeit
und Vernetzung der Gesundheitsberufe. Mit dem Gesetz sollen die Weichen dafür
gestellt werden, die Vorsorge- und
Rehakliniken,
die Bundeswehrmedizin und die Pflege an die
Telematikinfrastruktur
anzuschließen. Zugriffsmöglichkeiten sollen auch Hebammen und Physiotherapeuten
erhalten. Das Gesetz muss nicht vom Bundesrat abgesegnet werden.
(…)
Elektronische Patientenakte:
Mit dem 1. Januar 2021 startet die elektronische Patientenakte. Das Gesetz ist
daher von Gesundheitsminister Jens
Spahn
als „besonders eilbedürftig“ eingestuft worden. Die gesetzlich Versicherten
sollen mit dem aktuellen Gesetzentwurf des
PDSG
klar geregelte Ansprüche gegenüber Vertragsärzten, Krankenhäusern und weiteren
Leistungserbringern erhalten, dass alle für ihre Versorgung relevanten Daten in
die Akte übertragen werden. Die Nutzung der Akte soll aber freiwillig bleiben.
In
einer ersten Umsetzungsstufe werden die zugriffsberechtigten Leistungserbringer
alle Daten des Patienten einsehen können, es sei denn er löscht sie. Ab Januar
2022 sollen die Akten ein "feingranulares
Berechtigungsmanagement" ermöglichen. Das bedeutet, dass der Versicherte dann
die in der Akte enthaltenen Dokumente jeweils für einzelne Ärzte und weitere
Leistungserbringer
freischalten
kann. Die Versicherten sollen zudem die Möglichkeit erhalten, ihre Daten oder
Auszüge daraus der Forschung zur Verfügung zu stellen.
Um
Menschen ohne
Smartphone
zu ermöglichen, ihre Akten zu führen, sollen die Krankenkassen verpflichtet
werden, in ihren Geschäftsstellen Terminals für den Zugang zu den elektronischen
Patientenakten aufzustellen. Auf freiwilliger Basis sollen das auch Arztpraxen,
Krankenhäuser und Apotheken tun dürfen.
Die
Regierung geht davon aus, dass im ersten Jahr rund 20 Prozent der rund 72
Millionen gesetzlich Versicherten die elektronische Patientenakte tatsächlich
nutzen werden, die Quote dann aber auf mehr als 50 Prozent steigen wird. Nach
fünf Jahren Laufzeit sollen in einer Evaluation sowohl die Zahl der Nutzer als
auch der möglicherweise erreichte Mehrwert abgefragt werden.
Bei
den Ärzten herrscht Skepsis. „Wir halten es nicht für sinnvoll, dass Versicherte
Teile ihrer Akten komplett löschen können“, sagte der Vorsitzende des
Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen,
Professor Ferdinand Gerlach, Ende Februar im Interview mit der "Ärzte Zeitung".
Ärzte könnten dann nicht erkennen, dass in der Akte etwas gestanden habe, was
unter Umständen lebenswichtige Informationen enthielt.
Anmerkung:
Nicht nur daß der Bundesgesundheitsminister an der
übereilten Einführung der
ePA
festhält (die Regelung der Zugriffsrechte ist nach wie vor technisch noch nicht
möglich) – und der Widerstand gegen die flächendeckende Digitalisierung in
Zeiten von Corona abnimmt: Die Ansicht von Professor Ferdinand Gerlach bedeutet
aus meiner Sicht eine fatale Rückkehr zu alten
paternalistischen Zöpfen – Ärzt*innen, die darüber entscheiden wollen, über
welche (eigenen!) Daten Patient*innen frei verfügen können und über welche
nicht!
Ärztezeitung.de
(1.04.2020):
Kabinett
beschließt Regeln für die Patientenakte. E-Rezept, digitale Überweisung,
Zugriffsberechtigungen auf Inhalte der elektronischen Patientenakte: Die
Bundesregierung macht Tempo bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Jetzt
hat der Bundestag das Wort.
Es ist schon erstaunlich,
welche Aktivitäten
Bundesgesundheitsminister Spahn entfaltet. Bei der Flut von Gesetzen drängt sich der
Eindruck des Aktionismus auf mit dem wichtige Fragen des Gesundheitswesens zwar
aufgegriffen werden - dabei jedoch weder grundlegend überdacht erscheinen, noch
der Brisanz der zu regelnden bzw. geregelten Tatbestände gerecht werden. Insbesondere bei der Digitalisierung scheint der Minister kein Gespür zu
haben (oder haben zu wollen), daß es hier um einen äußerst sensiblen Bereich
geht, der von zentraler Bedeutung für ein funktionierendes Gesundheitswesen hat.
Denn Vertrauen zwischen Patient*innen und Behandler*innen ist das Agens jedweder
ärztlichen und/oder psychotherapeutischen Maßnahme.
Erstaunlich ist aber auch der
Widerstand von Teilen der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft
gegen die
Telematik und die
ePA
- ich meine hier nicht die kritische Haltung gegenüber den Bestrebungen des
Gesetzgebers, die ich teile und immer geteilt habe, sondern die Art, wie
hier diskutiert wird. Zum Teil werden völlig wirre Argumente vorgebracht - wie
etwa jenes, mit dem am 7.11.2019 verabschiedeten Digitale-Versorgung-Gesetz (I)
werde die (berufliche) Schweigepflicht verletzt oder gar abgeschafft. Aber auch beunruhigende,
hämische und aggressive Töne gegen die (in Anführungszeichen gesetzten)
"Volksvertreter*innen" und Vertreter*innen der Berufsgruppen, Kammern und
Berufsverbände - und die (angeblich) willfährigen, respektive naiven oder
wegschauenden, Kolleg*innen, die sich an die Telematik
angeschlossen haben - werden verbreitet. Nicht zu übersehen ist, daß es auch
entwertende Äußerungen gegenüber den die Telematik ablehnenden Kolleg*innen
gibt.
Auffällig ist gerade im
Hinblick auf die Diskussion über die Telematik-Infrastruktur,
daß es in den letzten Jahren m. W. überhaupt keinen Widerstand der Ärzte- oder
Psychotherapeutenschaft
gegen die Übermittlung von Patientendaten (neben den administrative Stammdaten
auch Diagnosen und Leistungsdaten) auf die zentralen Server der KVen
gegeben hat - vielleicht weil es hierum eigene finanzielle Interessen geht? Und
ebenso wenig auch gegen die Regelung im SGB, nach der die Gesetzlichen
Krankenkassen die Daten ihrer Versicherten an das Bundesversicherungsamt
übermitteln, das die Daten dann seinerseits pseudonymisiert
dem DIMDI übermittelt - so jedenfalls beschreibt es das DIMDI in einer Übersicht
über das Verfahren nach
§§ 303 a-e SGB V und die Datentransparenzverordnung/DaTraV
(https://www.dimdi.de/static/.downloads/deutsch/basisinfo-versorgungsdaten.pdf).
Die Krankenkassen haben sich dem (wie ich aus gut unterrichteten Kreisen
erfahren habe) widersetzt - wohl auch deshalb ist es nun unter Bundesgesundheitsminister
Spahn zu einer neuen, datenschutzrechtlich ebenso
problematischen, Regelung gekommen.
Daher möchte ich
stellvertretend für andere Verbände und Institutionen die Resolution des GK II (Zusammenschluß
von 35 psychotherapeutischen Fach- und Berufsverbänden) wiedergeben, der bereits
im Oktober letzten Jahres alle Problembereiche aufgreift:
Resolution
von 35 psychotherapeutischen Fach- und Berufsverbänden zum Datenschutz
Die
zweite diesjährige Sitzung des
Gesprächskreises II (GK II),
eines Zusammenschlusses von 35 Fach- und Berufsverbänden, fand am 26.10.19 in
Berlin statt. Die Sitzung wurde dieses Mal von der
DGVT
organisiert und ausgerichtet. Bis zur nächsten Sitzung im Frühjahr 2020 hat die
DGVT
auch die Geschäftsführung inne. Themen waren
u.a.
die Abstimmung verschiedener Resolutionen.
Resolution
zum Datenschutz
GK
II,
Oktober2019,Berlin
Der Gesprächskreis II (GK
II) ist ein Zusammenschluss von 35 psychotherapeutischen Verbänden und vertritt
über 60.000 Mitglieder. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen und die
bevorstehende Anwendung der elektronischen Patientenakte sind für die Mitglieder
bedeutsame Prozesse.
Die Verbände
des GK II befürworten grundsätzlich eine Modernisierung und Weiterentwicklung
von Abläufen und Anwendungen in der Versorgung der GKV-Versicherten. Sie stellen
dabei je doch folgende Forderungen auf:
1.
Rollout
der
elektronischenPatientenakte(ePA)nurmitallenangekündigten
Versichertenrechten:
Patientinnen und Patienten müssen differenzieren können, wer welche Daten (z.B.
Klinikbericht nach stationärer psychosomatischer Behandlung,
Schwangerschaftsabbruch etc.) einsehen darf. Dies sieht auch der
Bundesdatenschutzbeauftragte
Kelber
so.(1) Der GK II
fordert hier: Die
ePA
muss für die Versicherten freiwillig bleiben. Versicherte müssen selektive
Zugriffsrechte für Dokumente in der
ePA
vergeben können. Krankenkassen müssen ihre Versicherten zukünftig gezielt und
verständlich zu ihren Rechten bei der Verwendung der
ePA
informieren.
2. Schutz
der
sensiblenDatenaus
psychotherapeutischenBehandlungen:
Menschen mit psychischen Erkrankungen sind immer noch von Diskriminierung
bedroht. Daten aus psychotherapeutischen Behandlungen sind sehr sensibel und
besonders zu schützen.
Der GK II fordert: Die
Inhalte von Anamnesen, Psychotherapiesitzungen und Berichten an Gutachter
gehören nicht in die
ePA.
3. Keine
Herabsetzung
deshohen
Sicherheitsstandardsder
TelematikInfrastrukturbeiAnwendungen auf
mobilen Endgeräten:
Die aktuell geplanten Identifizierungsverfahren zur mobilen Nutzung der
ePA
sind nach Meinung des Bundesdatenschutzbeauftragten nicht ausreichend sicher.
Der GK II fordert:
Bei der zukünftigen mobilen Nutzung der
ePA
müssen zusätzliche Identifizierungsverfahren mit höchstem Sicherheitsstandard
zur
Anwendung kommen.
4. Einsatz
von
digitalen
Gesundheitsanwendungennurnach
Indikationsstellungdurchapprobierte
Leistungserbringer:
Der vorgesehene Einsatz von
Gesundheitsanwendungen allein aufgrund der Genehmigung der Krankenkasse ist
zurückzuweisen: Zum Schutz von Erkrankten liegt die Verantwortung für den
Gesamtbehandlungsplan allein bei approbierten Leistungserbringern.
Der GK II fordert: Die
digitalen Gesundheitsanwendungen dürfen nicht aufgrund der Genehmigung der
Krankenkasse, sondern erstnach
Indikationsstellung durch Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen undPsychotherapeuten
eingesetzt werden.
5. Digitale
Gesundheitsanwendungen
müssenWirksamkeitundNutzennachgewiesen
haben:"Positive
Versorgungseffekte" alleine genügen nicht, um eine gute Versorgung für
Patient*innen sicherzustellen. Die digitalen Gesundheitsanwendungen müssen
zumindest einen Wirksamkeitsnachweis und einen Nachweis des medizinischen
Nutzens im Hinblick auf die Zweckbestimmung des Produkts erbringen.
Der GK II fordert: Digitale
Gesundheitsanwendungen dürfen nur dann zum Einsatz kommen, wenn sie Wirksamkeit
und Nutzen nachgewiesen haben.
6. Keine
verdeckte
WeitergabevonNutzerdatenbei derVerwendungvon
Gesundheits-Apps:
Die von Stiftung Warentest und weiteren IT-Sicherheitsanalysten bestätigten
erheblichen Sicherheitsmängel bei der Verwendung von
Gesundheits-Apps
sind nicht hinnehmbar. (2)
Der GK II fordert: Es ist
sicherzustellen, dass bei der Nutzung der
Gesundheits
Apps
keinerlei Nutzerdaten über dahinterliegende Infrastrukturen weitergegeben
werden.
7. Keine
Kapitalbeteiligungen
derKrankenkassenanStart-
ups:
Start-ups
handeln der Natur der Sache nach gewinnorientiert, während die Krankenkassen die
Aufgabe haben, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen
oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern und dabei zu wirtschaftlichem
Handeln angehalten sind.
Der GK IIfordert:
Krankenkassen dürfen sich nicht mit Versichertengeldern an Unternehmen
beteiligen, da diese nicht die Gesundheit der Versicherten, sondern primär ihre
wirtschaftlichen Eigeninteressen zum Ziel haben.
8. Aufnahme
der
BPtK
alsVertretungder
Psychotherapeut*innenalsstimmberechtigtes
Mitglied in den
Gesellschafterkreis der
gematik:
Unter
Aufsicht der gematik
wird die Struktur der zukünftigen
ePA
entwickelt. Psychotherapeut*innen sind als einziger Heilberuf nicht in der
Betreibergesellschaft der
Telematik
Infrastruktur (gematik)
stimmberechtigt
vertreten. Obwohl das BMG mittlerweile die Mehrheitsanteile in der
gematik
hält, ist die 'Stimmlosigkeit' unseres Heilberufes nicht hinzunehmen. Die
Verbände des GK II fordern die längst überfällige Aufnahme der BPtK in den
Gesellschafterkreis der
gematik.
Die
Diagnose
App
ADA-Health überträgt z. B. Besuchslänge und Seiteninteraktionen an
Analysedienste. Vgl. Hartmut
Gieselmann: Risiken und
Nebenwirkungen,
c’t –
magazin
für
computertechnik 17/2019
(2) Bei
der Nutzung von
Deprexis wurde die
Identifikationsnummer des
Android-Endgeräts an
den Betreiber des Programms weitergegeben; bei
Get-On wurden die
Identifikationsnummer des Endgeräts und der Mobilfunkanbieter an den
US-Profidatensammler
Flurry übermittelt.
Vgl. test 07/2019 von Stiftung Warentest.
Psychotherapieverbändeim
Gesprächskreis
II:
AVM:
Arbeitsgemeinschaft für Verhaltensmodifikation e.V.
BAG:
Berufsverband der Approbierten Gruppenpsychotherapeuten e.V.
bkj:
Berufsverband der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten e.V.
BPP/DGPT:
Berufsverband der Psychologischen Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker in
der DGPT
BVKP:
Bundesverband der Klinikpsychotherapeuten
bvvp:
Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten
BVKJ:
Bundesvereinigung Verhaltenstherapie im Kindes- und Jugendalter e.V.
DFT:
Deutsche Fachgesellschaft für Tiefenpsychologisch fundierte/Psychodynamische
Psychotherapie
DGAP:
Deutsche Gesellschaft für Analytische Psychologie
D3G:
Deutsche Gesellschaft für Gruppenanalyse und Gruppenpsychotherapie
DGH:
Deutsche Gesellschaft für Hypnose
und
Hypnotherapie
e.V.
DGIP:
Deutsche Gesellschaft für Individualpsychologie
dgkjf:
deutsche
gesellschaft
für kinder- und
jugendlichenpsychotherapie
und familientherapie
e.V.
DGK:
Deutsche Gesellschaft für Körperpsychotherapie e.V.
DGPs/FachgruppeKliPs:
Deutsche Gesellschaft für Psychologie, Fachgruppe Klinische Psychologie und
Psychotherapie
DGPSF:
Deutsche Gesellschaft für psychologische Schmerztherapie und -forschung
DGfS:
Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung e.V.
dgsps:
Deutsche
Gesellschaft für Suchtpsychologie
DGSF:
Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie
DGVT:
Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie e.V.
DPG:
Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft
DPV:
Deutsche Psychoanalytische Vereinigung
DPGG:
Deutsche Psychologische Gesellschaft für Gesprächspsychotherapie
DPtV:
Deutsche
PsychotherapeutenVereinigung
DDGAP:
Deutscher Dachverband Gestalttherapie für approbierte Psychotherapeuten e.V.
DFP:
Deutscher Fachverband für Psychodrama e.V.
DVT:
Deutscher
Fachverband für Verhaltenstherapie
GNP:
Gesellschaft
für Neuropsychologie
GwG:
Gesellschaft für Personzentrierte Psychotherapie und Beratung
M.E.G.:
Milton Erickson
Gesellschaft für Klinische Hypnose
NGfP:
Neue Gesellschaft für Psychologie
SG:
Systemische Gesellschaft - Deutscher Verband für systemische Forschung,
Therapie, Supervision und Beratung e.V.
VIVT:
Verband für Integrative Verhaltenstherapie
VPP/BDP:
Verband Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im
BDP
e.V.
VAKJ
P:
Vereinigung Analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten
Anmerkungen:
Nicht in der Resolution erwähnt
wird die Übermittlung aller Patientendaten der Gesetzlichen Krankenversicherung
über eine Datensammelstelle beim Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die sie
dann
pseudonymisiert
an ein Forschungsdatenzentrum weiterleiten soll. Auch hier hat der
Bundesdatenschutzbeauftragte mittlerweile kritisch Position bezogen.
Zur Problematik der Anonymisierung/Pseudonymisierung:
Da die Abrechnungsdaten so detailliert und einmalig sind können wenige Details
ausreichen Patient*innen identifizierbar zu machen. Zwar könnte man die Daten
durch ein Verfahren, wie das der "Verrauschung", anonymisieren und so die Sicherheit
(deutlich besser) gewährleisten, dann aber wären sie für die Versorgungsforschung
wertlos. Das gilt auch für die Psychotherapieforschung, die ja inzwischen für
alle Therapieverfahren von großer Bedeutung ist. Dieses
Dilemma ist nicht (einfach) zu lösen, es ist in jeden Fall erforderlich, daß
sich hier (Krypto-)
Expert*innen sich mit allen Fragen der Datensicherheit intensiv beschäftigen, um
(ausreichend) sichere Verfahren zu entwickeln.
Zu Ziffer 2 der Resolution
(Schutz
der
sensiblen Daten aus
psychotherapeutischen Behandlungen),
hier heißt es:
"Der GK
II fordert: Die Inhalte von Anamnesen, Psychotherapiesitzungen und Berichten an
Gutachter gehören nicht in die
ePA."
Natürlich
ist es legitim, eine solche Forderung zu erheben, m. E. macht sie aber wenig
Sinn. Denn wenn Patient*innen/Bürger*innen aus freien Stücken entscheiden, daß
solche Dokumente in Ihrer Akte enthalten sein sollen - wäre es auch Ausdruck
einer
paternalistischen
Haltung ihnen dieses Recht vorzuenthalten. Umgekehrt macht es allerdings auch
Sinn, Patient*innen (und Bürger*innen) über Risiken aufgeklärt sind - die sie
dann (wie wir alle) eingehen können oder nicht.
Im Übrigen - noch mal zurück zu Ziffer 2 der Resolution - ist für mich nicht
nachvollziehbar, daß andere (nicht im Rahmen einer Psychotherapie erhobene
Diagnosen - z.B. Erektionsstörungen, Dyspareunie; gynäkologisch/urologische
Untersuchungsergebnisse etc.) weniger schützenswert sein sollten, als Daten aus
psychotherapeutischen Behandlungen.
Auf einer ganz anderen Ebene
scheint es wichtig, den gesellschaftlichen Wandel und Gefahren im Umgang mit
Daten zu reflektieren und auch über damit verbundene unbewußte
Strebungen (Stichworte: Machbarkeitsphantasien, Bedürfnis nach Aufmerksamkeit
und Gesehenwerden, Schau- und Zeigelust, Voyeurismus und Exhibitionismus)
nachzudenken. Das gilt im Übrigen auch für schweigepflichtige Berufsgruppen.
Denn es ist schon erstaunlich, daß Schweigepflichtverletzungen bei Kolleg*innen
(die sich ja genau auf diese berufen) an der Tagesordnung sind. Und eine nicht unerheblicher Zahl von Kolleg*innen verletzt
auch die Schweigepflicht im Umgang mit den neuen - auch von Psychotherapeut*innen genutzten digitalen
Möglichkeiten - da deren Risiken weder kennen, noch adäquat damit umgehen
können. Gerade in den Praxen
niedergelassener Kolleg*innen herrschen vielfach datenschutzrechtlich
katastrophale Zustände - und die Bereitschaft hier Zeit und Geld zu investieren
ist keinesfalls ausgeprägt.
Ich habe mich in der Vergangenheit verschiedentlich mit solchen Fragen
beschäftigt - hier eine Auswahl:
Thorwart,
J.
(2019):
Psychoanalyse und Internet. Anmerkungen zu ethischen
Fragen der Nutzung digitaler Kommunikationsmedien.
Psyche – Z Psychoanal 73-9: 852–878
Thorwart, J.
(2018):
Schweigepflicht, Datenschutz und Diskretion in der
webbasierten Psychotherapie.
PiD
– Psychotherapie im Dialog 19: 46–50
Thorwart, J. (2015):
Diskretion, Schweigepflicht und Psychoanalyse. Über
Schwierigkeiten des Umgangs mit anvertrauten Geheimnissen. Psyche –
Z Psychoanal 69: 295–327
Resolution des GK II und weitere wichtige Resolutionen/Stellungnahmen:
Resolution des 35. Deutschen
Psychotherapeutentags in Berlin (16.11.2019):
Digitale-Versorgung-Gesetz
(DVG):
Keine
Experimente mit psychisch kranken Patientinnen und
Patienten!
Keine
Aushöhlung des Gesundheitsdatenschutzes!
Gesundheitsdaten für Forschung und Produktentwicklung
Wie bereits berichtet (AKTUELL: Nummer
16/2018) will Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Patienten-, Abrechnungs- und
Versorgungsdaten für die Versorgungsforschung und die Produktentwicklung
nutzen. Mit dem jetzt von ihm vorgelegten Gesetzentwurf zum Digitale-Versorgungs-Gesetz
sollen die Gesundheitsdaten der 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherten in
Deutschland künftig für
die Forschung verwendet werden - ohne ihr Einverständnis.
Die Gesetzlichen Krankenkassen
müssten demnach die personenbezogenen Daten einschließlich aller
Behandlungsdaten der Versicherten an den Spitzenverband der Kassen weiterleiten,
der sie dann
pseudonymisiert
und anschließend
zu Forschungszwecken zur Verfügung stellt. Die Verwaltung der Daten wird von
einem beim Bundesgesundheitsministerium angesiedelt Forschungsdatenzentrum
übernommen.
Die Daten sollen laut Gesetzentwurf für "Forschung, insbesondere für
Längsschnittanalysen über längere Zeiträume, Analysen von Behandlungsabläufen
oder Analysen des Versorgungsgeschehens" genutzt werden und können von Behörden,
Forschungseinrichtungen und Universitätskliniken, nicht aber von der
Industrie genutzt werden.
Der Gesetzentwurf soll am Donnerstag im Bundestag
verabschiedet werden und ist bereits auf heftige Kritik gestoßen.
Politiker*innen der Grünen und Patientenschützer*innen
kritisierten den Entwurf und fordern einen strengeren Datenschutz sowie eine
Widerspruchsmöglichkeit für Patient*innen. Auch der Bundesrat hat eine kritische
Stellungnahme zu Spahns Gesetzentwurf abgegeben und eine Überprüfung in Hinblick
auf den Datenschutz gefordert. "Es fehlt an einer klaren Regelung zur Abwägung
des angestrebten Nutzens mit dem Re-Identifikationsrisiko und dem
Persönlichkeitsrecht der Betroffenen", heißt es dazu in einer Stellungnahme der
Länderkammer zu dem nicht-zustimmungspflichtigen Gesetzentwurf.
Offenbar hat sich der Bundesgesundheitsminister vorab mit dem
Bundesdatenschutzbeauftragten, Ulrich Kälber, abgestimmt - aufgrund der
geplanten Anonymisierung der Daten und entsprechender Vorkehrungen beim
Datenschutz scheinen hier keine grundsätzlichen Bedenken zu bestehen. In diesem
Sinne hat sich auch der Medizininformatiker Professor Fabian Prasser geäußert,
der Anfang September von München an die Berliner Uniklinik Charité und das
Berlin Institute of Health (BIH) wechselte. Er besetzt dort die sechste
Professur im Bereich Digital Health und beschäftigt sich insbesondere mit der
Frage, wie Daten der Krankenversorgung für die medizinische Forschung noch
besser nutzbar werden können.
ZEIT online (2.11.19
- 15:18 Uhr):
Bundesgesundheitsminister:
Daten von Krankenversicherten sollen der
Forschung zugänglich sein.
Jens Spahn will die Daten von gesetzlich
Versicherten der Wissenschaft zur Verfügung stellen. Grüne und Patientenschützer
kritisieren fehlende Widerspruchsmöglichkeiten.
Ärztezeitung.de
(12.09.19
- 11:14 Uhr):
Digital Health. Daten nutzen für die Forschung.
Datensicherheit und Digitalisierung seien kein Widerspruch, so
ein Medizininformatiker
Bericht der Datenethikkommission stärkt Datenschutz
In einer Pressemeldung vom
23. Oktober 2019 (Ausgabe
24/2019) meldet der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die
Informationsfreiheit (BfDI),
Ulrich Kälber, der selbst auch Mitglied der Datenethikkommission ist:
Im heute vorgelegten Abschlussbericht betont die
Datenethikkommission (DEK) die
herausragende Rolle des Datenschutzes im digitalen Zeitalter und gibt eine Reihe
zukunftsweisender Handlungsempfehlungen. Der Bundesbeauftragte für den
Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI)
hofft, dass die Bundesregierung die Ergebnisse des Berichts bei ihrer künftigen
Datenpolitik als Leitlinien aufgreift und umsetzt.
Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
- Pressemitteilung v. 23.10.19 (Ausgabe24/2019): Bericht der
Datenethikkommission stärkt Datenschutz
Riesiges Leck bei
Gesundheitsdaten - auch deutsche Patient*innen sind betroffen
Nach
Recherchen des Bayerischen Rundfunks
(BR Recherche/BR Data) und der US-Investigativplattform ProPublica lagen
Millionen hochsensibler medizinischer Daten, darunter auch solche von
Patient*innen aus Deutschland und den USA, jahrelang auf ungesicherten
Internetservern. Die personenbezogen Daten (Geburtsdatum, Vor- und Nachname,
Untersuchungstermin und Informationen über behandelnde Ärzt*innen, die
Behandlung und die dazugehörigen Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen) konnten mit
Hilfe einer kostenlos herunterladbaren Software, die von auch medizinischem
Personal und Ärzt*innen verwenden wird, im Internet
eingesehen und heruntergeladen
werden. Herausgefunden hat das
Dirk Schrader, Experte für
Informationssicherheit der Firma Greenbone Networks.
Die von
einer Kassenärztlichen Vereinigung angeforderten Patientendaten zur
Qualitätsprüfung dürfen von ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen pseudonymisiert
werden (Beschluss des BSG vom 15.5.2019, Az. B 6 KA 27/ 18)
Das Bundessozialgericht
hat mit Beschluss vom 15.5.2019 entschieden, daß ein ÄrztInnen bei der
Anforderung von Patientendaten durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) im
Rahmen der Qualitätsprüfung diese mit Hinweis auf den Datenschutz
pseudonymisieren dürfen - ohne daß sie deshalb in Regress genommen und ihnen
Leistungen gekürzt werden.
Im dem der Entscheidung
zugrundeliegenden Fall forderte die KV von einem zur hausärztlichen Versorgung
zugelassenen und in der suchtmedizinischen Grundversorgung tätigen Arzt eine
Stichprobenprüfung von Substitutionsbehandlungen. Dazu wurden
Behandlungsdokumentationen von mehreren namentlich bezeichneten PatientInnen
(nach dem Zufallsprinzip) angefordert. Der betroffene Arzt wies dieses Ansinnen
unter Hinweis auf den Datenschutz seiner PatientInnen mehrfach zurück. Daraufhin
forderte die KV die Vergütung für die zur Stichprobe ausgewählten PatientInnen
zurück und forderte zugleich den Arzt auf, auch für das folgende Quartal
weitere Behandlungsunterlagen bestimmter Patienten vorzulegen.
Dagegen
klagte der Arzt und argumentierte, daß die der Forderung der KV zugrundeliegende
Richtlinie des G-BA nicht mehr den Vorgaben des neu gefassten § 299 SGB V
zur Pseudonymisierung versichertenbezogener Daten im Rahmen von
Qualitätsprüfungen entspreche.
Das Sozialgericht Berlin wies
hat die Klage zunächst ab. Auf die Berufung des Klägers hat das
Landessozialgericht diese Entscheidung sowie den angefochtenen Bescheid der
Beklagten aufgehoben. Eine Revision zum Bundessozialgericht wurde nicht
zugelassen.
Die KV legte
Nichtzulassungsbeschwerde ein und machte unter anderem geltend, die Sache habe
grundsätzliche Bedeutung.
In seiner Entscheidung
verneinte das Bundessozialgericht jedoch eine grundsätzliche Bedeutung, wies den
Antrag zurück und stützte sich dabei auf die Argumentation des
Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg. Nach der geltende Gesetzeslage (§ 299
Abs.1 S.1 Nr.1 und 2, Abs. 2 SGB V) sind bestehende Richtlinien des Gemeinsamen
Bundesausschusses dahingehend zu ändern, dass patientenbezogene Informationen im
Rahmen von Qualitätsprüfungen pseudonymisiert werden müssen. Dabei muß
hingenommen werden, daß Qualitätsprüfungen dadurch nur unter erschwerten
Bedingungen durchführbar sind.
Bundessozialgericht Beschluß
v.
5.5.2019, Az.
B 6 KA 27/ 18 (Volltext) über www.sozialgerichtsbarkeit.de
Die Bundespsychotherapeutenkammer hat eine sehr
übersichtliche und informative Broschüre "Praxis-Info Datenschutz 2018"
vorgelegt, die auch die für PsychotherapeutInnen wichtigen Regelungen der
Europäischen Datenschutzgrundverordnung beinhaltet:
Gesetzliche Vorschriften
Praxisorganisation
Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten
Praxishomepage
Dokumentation der Maßnahmen zur Datensicherheit
Datenschutz-Folgenabschätzung
Verträge mit Dienstleistern
Auftragsverarbeitung
Reinigungsfirmen und andere Dienstleister
Verhältnis zum Patienten
Grundsätzliche Rechte des Patienten
Datenverarbeitung bei Diagnostik und Behandlung
Weitere Datenverarbeitung
Einwilligung der Patienten in die Datenverarbeitung
Informationspflichten – Patienteninformation der Praxis
Dokumentation und Aufbewahrung
Exkurs: Schweigepflicht
Regeln bei Datenpannen
Sanktionen und Haftung
Bundespsychotherapeutenkammer:
Datenschutz 2018 (1. Aufl., Juli 2018)
Am 6. Februar 2019 hat die Europäische Kommission
Empfehlungen für ein einheitliches europäisches Austauschformat für
elektronische Patientenakten (ePA)
vorgelegt. Über das Ziel :
Die Ermöglichung eines sicheren Zugangs zu Patientenakten und
deren Weitergabe über die Grenzen hinweg innerhalb der Union wird den Bürgern in
einer Reihe grenzübergreifender Situationen das Leben erleichtern, z. B. jenen
Bürgern und deren Familien, die derzeit aus beruflichen Gründen in einem anderen
Mitgliedstaat leben, oder Rentnern, die in einem anderen Land leben, und die
somit Zugang zu Patientenakten aus den Mitgliedstaaten erhalten, in denen
sie ihren Wohnsitz hatten bzw. haben. Dies wird die Versorgungsqualität auch in
Situationen verbessern, in denen auf Reisen innerhalb der Union medizinische
Behandlungen erforderlich werden bzw. in denen sie im Rahmen einer
grenzüberschreitenden Vereinbarung erbracht werden.
(Seite 1: Abschnitt 3)
Mit dieser Empfehlung wird ein Rahmen für die Entwicklung
eines europäischen Austauschformats für elektronische Patientenakten festgelegt,
um einen sicheren, interoperablen, grenzüberschreitenden Zugang zu und Austausch
von elektronischen Gesundheitsdaten in der Union zu erreichen.
(Seite 6: Abschnitt 1)
Denn es bringe Vorteile,
wenn
Bürger und Gesundheitsdienstleister auf elektronische Patientenakten (EPA), d.
h. Sammlungen von longitudinalen Patientenakten oder ähnliche Unterlagen einer
Person in digitaler Form, zugreifen und diese innerhalb der Grenzen und
grenzüberschreitend austauschen können: Verbesserung der Versorgungsqualität für
die Bürger, Senkung der Gesundheitsversorgungskosten für die Haushalte und
Unterstützung der Modernisierung der Gesundheitssysteme in der Union, die sich
aufgrund des demografischen Wandels, der steigenden Erwartungen und der
Behandlungskosten unter Druck befinden. (Seite 1: Abschnitt 2)
Im Abschnitt 13 (Seite 4)
äußert sich die Europäische Kommission zur Frage der Umsetzung des
grenzüberschreitende Datenaustauschs auf dem Hintergrund des Bemühens um eine
Verbesserung des Vertrauens der europäischen BürgerInnen
in elektronische
Patientendatensysteme:
Die
Verwendung von sicheren elektronischen Identifizierungs- und
Authentifizierungsmitteln gemäß der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des
Europäischen Parlaments und des Rates (eIDAS) sollte den Zugang, die Sicherheit
und das Vertrauen in elektronische Patientendatensysteme verbessern.
(Seite 4, Abschnitt 13)
Um die Interoperabilität und Sicherheit der nationalen
Gesundheitssysteme zu verbessern und den sicheren grenzüberschreitenden
Austausch von Gesundheitsdaten zu unterstützen, sollte jeder Mitgliedstaat ein
nationales Netz im Bereich des digitalen Gesundheitswesens mit Vertretern der
zuständigen nationalen Behörden und gegebenenfalls der regionalen Behörden
einrichten, die sich mit Fragen des digitalen Gesundheitswesens und der
Interoperabilität der elektronischen Patientenakten sowie der Sicherheit von
Netzen und Informationssystemen sowie mit dem Schutz personenbezogener Daten
befassen. (Seite 7, Abschnitt 6)
Im Hinblick auf die
Gewährleistung des sicheren Zugangs zu elektronischen Patientendatensystemen
sollen die Mitgliedsstaaten
dafür sorgen, dass die elektronischen
Patientendatensysteme hohen Standards in Bezug auf den Schutz von
Gesundheitsdaten und auf die Sicherheit von Netz- und Informationssystemen, auf
die sich solche elektronischen Patientendatensysteme stützen, genügen, um
Datenschutzverletzungen zu vermeiden und die Risiken von Sicherheitsvorfällen zu
minimieren (Seite 6: Abschnitt 2) und
sicherstellen, dass die Bürger und ihre
Gesundheitsfachkräfte Online-Zugang zu ihren elektronischen Patientenakten haben
und sich dabei sicherer elektronischer Identifizierungsmittel unter
Berücksichtigung des durch die Verordnung (EU) Nr. 910/2014 geschaffenen Rahmens
für Sicherheit und Vertrauen bedienen können.
(Seite 6: Abschnitt 3)
Bei den Grundsätze(n) für
den Zugang zu und den grenzüberschreitenden Austausch von elektronischen
Patientenakten heißt es:
Den Mitgliedstaaten wird
nahegelegt, den Bürgern die Entscheidungsmöglichkeit zu geben, wem sie Zugang zu
ihren elektronischen Gesundheitsdaten gewähren, und auf welche
Einzelinformationen zur Gesundheit gemeinsam zugegriffen werden kann.
(Seite
7: Abschnitt 9)
Fraglich wie ernst gemeint dieser
Grundsatz sein kann, wenn das
Bemühen der Europäischen
Kommission um Interoperabilität als Voraussetzung des grenzüberschreitenden
Austausch von Patientenakten keineswegs nur uneigennützigen Zielen verpflichtet
ist. Neben der Hoffnung der unmittelbaren Senkung von
Gesundheitsversorgungskosten (dann
auch für die nationalen Krankenversicherungssysteme) geht es auch um die
Schaffung der Voraussetzung für Big-Data:
Die Digitalisierung
von Patientenakten und die Ermöglichung ihres Austauschs könnten auch die
Schaffung großer Patientendatenstrukturen unterstützen, die in Kombination mit
der Nutzung neuer Technologien wie der "Big-Data"-Analyse und der künstlichen
Intelligenz die Suche nach neuen wissenschaftlichen Entdeckungen unterstützen
können. (Seite 5:
Abschnitt 18)
Europäische Kommission (6.02.19):
EMPFEHLUNG DER KOMMISSION vom 6.2.2019 über ein europäisches Austauschformat für
elektronische Patientenakten
Ärzteblatt.de (20.02.19):
Empfehlungen für
grenzüberschreitende elektronische
Patientenakte
Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG): Telematik und E-PA
Trotz heftiger Proteste von
Seiten der Ärzteschaft und der PsychotherapeutInnen gegen das geplante TSVG (u.
a. gegen die "gestufte und gesteuerte Versorgung" bei der psychotherapeutischen
Behandlung psychisch Kranker und die Ausweitung der Sprechstunden von 20 auf 25
Wochenstunden) setzt Bundesgesundheitsminister Span seinen konfrontativen Kurs
fort. Das gilt auch für die Telematik-Infrastruktur, die er beschleunigen
weiter will. Seine aktuellen Änderungsanträge zum TSVG sehen einen Umbau der
zuständigen Betreibergesellschaft gematik vor. Bislang waren die Bundesärztekammer (BÄK), die
Bundeszahnärztekammer (BZÄK), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV),
Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), der Deutsche Apothekerverband
(DAV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der GKV-Spitzenverband
Gesellschafter der gematik. Nun kommt das BMG als weiterer Gesellschafter hinzu
- mit 51% der Stimmanteile. Weil gleichzeitig das Prozedere bei Abstimmungen
verändert werden soll - alle Abstimmungen erfolgen dann mit einfacher
Mehrheit - hat das
Bundesgesundheitsministerium immer das
letzte Wort! Der Spitzenverband der Krankenkassen soll 24,5 %, die übrigen
Gesellschaften zusammen ebenfalls 24,5 % der Stimmenanteile erhalten.
In seiner Begründung führt der
Bundesgesundheitsminister u.a. aus:
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen,
insbesondere die Einführung medizinischer Anwendungen der elektronischen
Gesundheitskarte und der Telematikinfrastruktur, soll zügig und konsequent
umgesetzt werden. Hierzu sollen Entscheidungsprozesse in der Gesellschaft für
Telematik effektiver als bisher gestaltet werden. Um dies zu erreichen, soll das
Bundesministerium für Gesundheit den Entscheidungsprozess stärker mitgestalten.
Daher wird der Eintritt der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das
Bundesministerium für Gesundheit, als Mehrheitsgesellschafter in die
Gesellschaft für Telematik festgeschrieben.
Der Bundesbeauftragte für den
Datenschutz und die Informationsfreiheit soll die Möglichkeit erhalten, vor
solchren Beschlussfassungen, die Belange des Datenschutzes berühren, Stellung zu
nehmen.
Auch in Sachen
elektronische Patientenakte
(e-PA) will Span den Druck erhöhen. Der Änderungsantrag sieht vor, daß künftig
alleine die KBV (die dazu finanzielle Mittel der gematik erhält) die inhaltliche
Entwicklung der e-PA steuern und entsprechende Entscheidungen über Inhalt,
Standards und Interoperabilität treffen
soll. Diese waren dann auch in der Regel für die anderen Gesellschafter
verbindlich.
Die Anwendungen müssen in zwei
Jahren (1.01.2021) zugelassen und einsatzbereit sein.
Die Gesetzlichen Kassen werden
verpflichtet, ihre Versicherten zu informieren und eine e-PA zur Verfügung zu
stellen. Kommen sie dem nicht fristgerecht nach, müssen sie mit einer Kürzung
der Zahlungen aus dem
Gesundheitsfonds rechnen (zunächst 2,5 % ).
Ärztenachrichtendienst online (29.01.19):
BMG bestimmt künftig die
Marschrichtung
Ärzte Zeitung online (30.01.19):
Spahn will gematik an die kurze Leine nehmen
Gesundheitsdaten für Forschung und Produktentwicklung
Nach einem Bericht der Ärzte
Zeitung online vom 14.12.18 hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen Vorstoß
zum Zweck der besseren Nutzbarmachung von Patienten-, Abrechnungs- und
Versorgungsdaten für die Versorgungsforschung und die Produktentwicklung
angekündigt: Die Zeitung schreibt dazu:
„Dafür müssen wir
einen Rahmen setzen, der den Datenschutz und die Souveränität des Einzelnen
hochhält, aber gleichzeitig eine gute und schnelle Nutzung möglich macht“, sagte
Spahn bei der Konferenz „Zukunft E-Health“ der Unions-Fraktion am Mittwoch in
Berlin. Zu diesem Rahmen sollen auch die Themen Datenspende und die
Monetarisierung von Daten gehören. Dazu sei er mit dem Forschungsministerium im
Gespräch.
Verhältnisse wie in
China wolle er aber nicht, betonte der Minister. Dort hat der Staat weiten
Zugriff auf alle Daten der Bürger.
Anmerkung: Das
ist doch überaus erfreulich, daß Herr Spahn keine Verhältnisse wie in China
will!
Ärzte Zeitung online (14.12.18):
Spahn will Patientendaten für Forschung und Entwicklung nutzen.
Gesundheitsminister Spahn kündigt an, Gesundheitsdaten für Forschung und
Produktentwicklung zugänglich zu machen. Der gematik steht außerdem eine Reform
ins Haus.
Datenethikkommission
ist für die rasche Einführung der Patientenakte
Wie berichtet (AKTUELL: Nummer
10/2018) haben Bundesjustizministerin Barley und Innenminister Seehofer
im Sommer diesen Jahres eine Datenethikkommission einberufen. Sie besteht aus 16
Mitgliedern (Bereiche Medizin, Recht, Theologie Informatik, Statistik,
Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, Ethik und Journalismus). Sie sollte
binnen eines Jahres "ethische Leitlinien für
Datenpolitik, den Umgang mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz und digitalen
Innovationen vorschlagen und Handlungsempfehlungen geben".
Nun hat die
Datenethikkommission eine
erste Empfehlung zur ePA gegeben (28.
11.18):
Die
Datenethikkommission befürwortet ausdrücklich die Entwicklung einer ePA und
hofft auf eine baldige Realisierung. Die ePA kann dazu beitragen, die
Datensouveränität der Versicherten zu erhöhen und die Qualität der
Gesundheitsversorgung zu verbessern.
Die
Datenethikkommission empfiehlt, bereits bei der Entwicklung der ePA die Vielfalt
ethischer Aspekte als integralen Bestandteil im Rahmen eines "ethics by, in and
for design"-Ansatzes zu berücksichtigen. Der Entwicklungsprozess der ePA ist ein
konkreter Anwendungsfall der Empfehlung der Datenethikkommission vom 9.10.2018
zur Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung.
Die
Datenethikkommission begrüßt den Anspruch der Beteiligten, größtmögliche(n)
Datenschutz, Datenqualität und Datensicherheit sicherzustellen. Ethische Aspekte
umfassen jenseits der Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Implikationen und
der Vorgaben der DS-GVO zudem Aspekte der Datensouveränität, der digitalen
Gesundheitskompetenz, der Gerechtigkeit und Solidarität sowie zu
berücksichtigende Präferenzen der Versicherten. Diese können sich beispielsweise
auf die Festlegung der einzubeziehenden Datenarten und deren jeweilige Zuordnung
zum Standard, Kassen und Versicherten-Bereich sowie möglichen Unterbereichen der
ePA beziehen. Sie betreffen auch den Umfang und den Prozess individueller
Nutzerentscheidungen über unterschiedliche Möglichkeiten der Datennutzung und
Datenportabilität.
Für die
Entwicklung eine ePA sollten daher Patientinnen und Patienten von Beginn an am
Gestaltungsprozess teilnehmen und ihre Bedarfe sowie Präferenzen in einem
partizipativen Prozess einbringen können. In diesem Zusammenhang sollten auch
privat versicherte Patientinnen und Patienten einbezogen werden, da der Nutzen
einer patientenzentrierten ePA nicht von der Art der Versicherung abhängt.
Die Überzeugung
der Kommission, daß rechtliche und ethische Überlegungen, soweit diese "von
Beginn an in den Entwicklungsprozess eingebunden werden, gestalterische und
integrative Kraft entfalten und so auch gebotene und wünschenswerte Anwendungen
unterstützen" wirkt ein wenig naiv. Vor allem, wenn anschließend darauf
verwiesen wird, daß dies insbesondere für den Fall gelten sollte, daß die
"Entwicklung staatlich initiiert und gefördert ist."
Und das in Zeiten, in denen die Datensicherheit von dem Aufwand abhängig ist,
den Hacker oder Staatstrojaner treiben ...
Ob die abschießende Überlegung
wirklich Sinn macht kann bezweifelt werden:
Gelingt
eine die Interessen aller Beteiligter berücksichtigende, rechtlich und ethisch
fundierte Gestaltung der ePA, stellt dies nicht nur sicher, dass diese den
Nutzern und Anwendern zum nachhaltigen Vorteil gereicht. Sie legt auch die
Grundlage für das Vertrauen, das für den Erfolg des Vorhabens unerlässlich ist.
Wenn
Interessen der Beteiligten hinsichtlich der rechtlichen und ethisch Gestaltung
berücksichtigt werden, stellt das noch keineswegs sicher, daß eine ePA PatientInnen "zum nachhaltigen Vorteil" gereicht. Damit könnte jeder Blödsinn
gerechtfertigt werden, etwa der freie Zugang aller Bundesbürger zum Weltall oder
zum Mond - natürlich juristisch und ethisch legitimiert. Eine solch krude
Argumentation stärkt ganz sicher nicht das Vertrauen in die ePA. Und es ist auch
nicht zu erkennen, daß sich die Ethikkommission mit den ethischen Implikationen
der Sammlung hochsensibler Daten auf zentralen Servern auseinandergesetzt hat.
Empfehlung der Datenethikkommission für eine partizipative Entwicklung der
elektronischen Patientenakte (ePA) v. 28.11.2018
Ärzteblatt.de (11.12.18):
Datenethikkommission für rasche Einführung der Patientenakte
Datenschutzgrundverordung - Einwilligung in die Datenverarbeitung bei
Minderjährigen (Art. 8)
Das Rechtsreferat
der Bundespsychotheraputenkammer vertritt die Auffassung, daß Artikel 8 der
Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) keine Auswirkungen auf die Behandlung
minderjähriger Patienten hat. Nach dieser Bestimmung können Minderjährige erst
ab dem Alter von 16 Jahren wirksam in die Verarbeitung von Daten einwilligen.
Bei Minderjährigen unter 16 Jahren ist daher immer eine vorherige Einwilligung
der Eltern notwendig. Art. 8 DSGVO wirkt sich jedoch nicht im Rahmen einer
Psychotherapie aus, da er nur für "Dienste der Informationsgesellschaft" gilt.
Das sind Dienstleistungen, die in der Regel gegen Entgelt, im Fernabsatz, also
ohne gleichzeitige (physische) Anwesenheit, elektronisch erbracht werden.
Gemeint sind insbesondere der Verkauf von Waren über das Internet, der
Online-Abruf von Videos und soziale Netzwerke.
Bei einer
Psychotherapie sind die Regelungen daher nicht relevant. Ausschlaggebend sind
weiterhin die Regelungen zur Einsichtsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen
sowie § 36 SGB I (Antragsrecht ab 15 Jahre).
Wie die
Ärzte Zeitung online berichtet (28.11.2018)
beschäftigen sich sich 13 Wissenschaftler der Helmholtz-Zentren Saarbrücken und
Bonn mit der Frage, wie sich diagnostische und andere Gesundheitsdaten in großem
Stil verarbeiten lassen ohne daß dadurch die Privatsphäre der betroffenen
PatientInnen verletzt wird. Zu diesem Zweck wurde eine eigenes Institut
gegründet, das Helmholtz Medical Security and Privacy Research Center (HMSP).
„Wir entwickeln
effiziente Methoden, mit denen medizinische Daten in einer Vielzahl von
verschiedenen Anwendungsszenarien sicher und vertrauenswürdig verarbeitet werden
können“, kündigt Gründungsdirektor Professor Michael Backes an. Finanziert werde
das neue Institut von den beiden genannten Helmholtz-Zentren, sei aber „für
weitere Partner offen“.
Informationspflicht gegenüber PatientInnen beim Eingang von Berichten mit
bedrohlichen Befunden
Zwar erhalten PsychotherapeutInnen
(ÄrztInnen, PP, KJP) eher selten Arztbriefe oder Klinikberichte direkt von den
jeweiligen Institutionen (Praxen, Krankenhäuser, Rehaeinrichtungen), aber es
kommt durchaus vor. In solchen Fällen sind auch PsychotheapeutInnen
verpflichtet, sicherzustellen, daß die jeweiligen PatientInnen die
entsprechenden Informationen erhalten - in jeden Fall, wenn gravierdende und
behandlungsbedürftige Symptome bzw. Erkrankungen mitgeteilt werden. Das hat der
Bundesgerichtshof (BGH) am 26.06.20128 entschieden (AZ. VI ZR 285/17).
In dem verhandelten Verfahren hatte
ein Patient seine langjährigen Hausärztin auf Schmerzensgeld und Schadenersatz
verklagt, weil diese ihn über einen ihr zugegangenen Klinikbericht nicht
informiert hatte. Zuvor hatte sie den Patienten wegen Schmerzen im linken Bein
und Fuß an einen Facharzt
überwiesen. In einer Klinik wurde später ein bösartiger Tumor entdeckt. Dieses
teilte die Klinik aber ausschließlich der Hausärztin (und nicht dem behandelnden
Facharzt) mit. Erst knapp
eineinhalb Jahre später sprach die Hausärztin ihren Patienten im Zusammenhang
einer Handverletzung auf die frühere Erkrankung an und erst danach wurde der
Mann in einem Universitätsklinikum wegen des Tumors weiterbehandelt.
Im Leitsatz des BHG heißt es
dazu:
Der Arzt
hat sicherzustellen, dass der Patient von Arztbriefen mit bedrohlichen Befunden
- und gegebenenfalls von der angeratenen Behandlung - Kenntnis erhält, auch wenn
diese nach einem etwaigen Ende des Behandlungsvertrags bei ihm eingehen. Der
Arzt, der als einziger eine solche Information bekommt, muss den
Informationsfluss aufrechterhalten, wenn sich aus der Information selbst nicht
eindeutig ergibt, dass der Patient oder der diesen weiterbehandelnde Arzt sie
ebenfalls erhalten hat.
Elektronische
Patientenakte (ePA): KBV, GKV-Spitzenverband und Gematik haben sich mit
dem Bundesgesundheitsministerium auf ein Grundkonzept für die elektronische
Patientenakte verständigt
Nach einem Bericht des
Handelsblatts v. 12.10.18 (Interview mit dem
Vorstandsvorsitzenden des
AOK-Bundesvesbands, Martin Litsch) haben sich die Beteiligten auf eine Patientenakte
geeinigt, die auf dem Berechtigungsprinzip beruht: PatientInnen können den
behandelnden ÄrztInnen erlauben, jeweils relevante Daten herunterzuladen. Auf
diese Weise soll auch verhindert werden, daß sie mit überflüssigen Informationen
überschüttet werden.
Die Daten sollen zentral auf
einen oder mehrere gesicherte Server außerhalb der Praxissoftware übertragen und
gespeichert werden, damit ein Zugriff auf Praxis-Computer ausgeschlossen ist.
Die genauer Standards für die
e-PA sollen im Dezember zwischen den Beteiligten ausgehandelt werden.
Der Ärztenachrichtendienst
berichtet dazu am 15.10.18 weiter, daß Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für
den Fall einer gegenseitigen Blockade von Kassen und ÄrztInnen die Ausgestaltung
der Digitalakte an sich ziehen wolle.
Zu den weiteren Vereinbarungen,
die in einer dreiseitigen Präambel verschriftlicht wurden, schreibt der
Ärztenachrichtendienst:
Am Aufbau der
Patientenakte sollen die KBV, der GKV-Spitzenverband und die Gematik
gleichermaßen beteiligt sein. Letztere soll sich laut Absichtserklärung um die
Architektur der ePA kümmern. Diese solle "einheitlich für alle Anbieter" sein,
soweit dies für Sicherheit, Interoperabilität und Praktikabilität notwendig sei.
"Die gematik definiert daher technische Standards und Schnittstellen für die
Hersteller von Konnektoren und ePAs", heißt es. Auch die Zulassungen für die
Betreiber und Anbieter erfolgen demnach durch die Gesellschaft.
Aufgabe der KBV wird
es sein, Details zur Datenspeicherung "im Benehmen" mit den anderen
„Leistungserbringern“, dem GKV-Spitzenverband und der Gematik festzulegen.
Darüber hinaus soll ein Arbeitskreis der Krankenkassen die Struktur der
Patientenakte entwickeln – unter Federführung des GKV-Spitzenverbandes. Neben
einem Standardbereich für medizinische Informationen aus der Versorgung, etwa
Arztbefunde oder Röntgenbilder, soll es einen Kassenbereich für Quittungen oder
Informationen zu Bonusprogrammen geben. Auch einen "Bereich für die Ablage
jeglicher Daten, die vom Versicherten bereitgestellt werden", soll es laut
Absichtserklärung geben. Dort können die Versicherten zum Beispiel Fitnessdaten
speichern.
Anmerkung: Obwohl das Konzept in der vorliegenden Form zu begrüßen
ist, bleibt die Frage der Datensicherheit nach wie vor ein großes Problem,
insbesondere auch, weil hochsensible Daten auf zentralen Servern gespeichert
werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Hackerangriff erfolgreich sein
wird.
Handelsblatt online (12.10.18):
Digitale Patientenakte
– „Ein Zurück ohne Gesichtsverlust gibt es nicht“. AOK-Chef Martin Litsch
glaubt, dass die Einigung von Kassen und Ärzten auf ein technisches Konzept für
die digitale Patientenakte Bestand haben wird (von
Gregor Waschinski)
Ärztenachrichtendienst (15.10.18):
Einigung auf
Standards bei e-Patientenakte.
KBV, GKV-Spitzenverband und Gematik haben sich mit dem
Bundesgesundheitsministerium auf ein Grundkonzept für die elektronische
Patientenakte (ePA) geeinigt. Vertreter der Krankenkassen und der KBV zeigen
sich zufrieden (sk)
Nach einem Bericht des Ärzteblatts
online v. 6.09.18 ist die neue Datenethikkommission unter Anwesenheit von
Bundesjustizministerin Barley und Innenminister Seehofer an diesem Tag zu ihrer
ersten Sitzung in Berlin zusammengekommen. Die Kommission besteht aus 16
Mitgliedern aus den Bereichen Medizin, Recht, Theologie Informatik, Statistik,
Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, Ethik und Journalismus, die vom
Bundesinnenministerium im Juli berufen wurden (das Ministerium hat deren
Lebensläufe veröffentlicht). Sie soll
binnen eines Jahres "ethische Leitlinien für
Datenpolitik, den Umgang mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz und digitalen
Innovationen vorschlagen und Handlungsempfehlungen geben".
Nach Angaben des
Bundesinnenministeriums birgt "der Einsatz von Algorithmen, Künstlicher
Intelligenz und digitalen Innovationen (...) große Potenziale. Gleichzeitig
stellen sich zahlreiche ethische und rechtliche Fragen. Die Datenethikkommission
der Bundesregierung soll hierauf Antworten geben." (Webseite
Datenethikkommission - siehe Link unten).
Nach der bestürzenden Stellungnahme
des Deutschen Ethikrates zu "Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als
informationelle Freiheitsgestaltung (siehe
AKTUELL: Nummer 15/2017)
wird es interessant sein, wie die Datenethikkommission sich zu solchen Fragen
stellt.
Ärzteblatt.de (6.09.18):
Politik: Experten sollen Regierung Vorschläge für ethischen Umgang mit Daten
machen.
Elektronischen Übertragung
von Krankheitsdaten - Gemeinsame Pressemitteilung von Verbänden, die sich für
den Datenschutz in der Medizin, die Wahrung der Patientenrechte und den Erhalt
der ärztlichen Schweigepflicht einsetzen
In einer
gemeinsame Pressemitteilung von Verbänden, die sich für den Datenschutz in der
Medizin, die Wahrung der Patientenrechte und den Erhalt der ärztlichen
Schweigepflicht einsetzen und über die Freie Ärzteschaft veröffentlicht wurde,
wird der "Spahnsinn“ - gemeint sind die Pläne von Gesundheitsminister
Spahn zur elektronischen Übertragung von Krankheitsdaten kritisiert:
"Das ist Spahnsinn" –
Datenschützer, Patienten und Ärzte kritisieren die Pläne von Gesundheitsminister
Spahn zur elektronischen Übertragung von Krankheitsdaten
Seit wenigen Tagen liegt ein
Referentenentwurf des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vor.
Datenschützer und Patienten sind alarmiert: "Bundesgesundheitsminister Spahn
will eine auf zentralen Servern liegende 'elektronische Patientenakte' mit
Zugriff sowohl über die Gesundheitskarte und ihre Telematikinfrastruktur als
auch über das Internet", erklärt Dr. Silke Lüder vom Bündnis "Stoppt die e-Card".
"Das bedeutet eine gigantische Sammlung sensibler Daten auf einem zentralen
Server – für Datendiebe ein extrem attraktives Ziel mit hohem finanziellen Wert.
Patienten, deren Daten dort gespeichert werden, werden quasi enteignet", ergänzt
Dr. Elke Steven, Geschäftsführerin von "Digitale Gesellschaft".
Außerdem bergen beide
Zugriffswege Risiken: Der Zugang über die Gesundheitskarte erfordert ein
zentrales Register aller vorhandenen elektronischen Akten in der
Telematikinfrastruktur. So kann man leicht nachprüfen, welche Versicherten keine
elektronischen Akten haben. Bei Versicherten mit elektronischer Akte kann man
über dieses Zentralregister mindestens feststellen, wo ihre Akte zu finden ist.
Der nun zusätzlich
vorgesehene Zugang per Smartphone oder Tablet über das Internet bedeutet offene
Schnittstellen in der Telematikinfrastruktur, welche aus Sicherheitsgründen als
geschlossenes Netz geplant war. Damit vervielfältigt sich die Gefahr unbefugter
Zugriffe auf die elektronischen Patientenakten. Die übertragenen Daten auf den
oft unzureichend gesicherten Mobilgeräten sind weiteren Gefahren ausgesetzt:
Zugriffe durch Schadsoftware, Staatstrojaner und persönliche Assistenten (wie z.
B. Cortana oder Siri) der Internetkonzerne.
Auch die
Einwilligungsregelung soll sich ändern: Mit der Übertragung von Daten in die
elektronische Akte durfte bislang erst begonnen werden, wenn der Betroffene
gegenüber einem Arzt, Zahnarzt, Psychotherapeuten oder Apotheker eingewilligt
hatte und die Einwilligung auf der Gesundheitskarte dokumentiert war. Dies
setzte voraus, dass die Patienten auch tatsächlich in der Lage sein mussten,
ihre Entscheidung bewusst und in Kenntnis der Risiken einer Offenlegung ihrer
Daten zu treffen – was bei Kranken und Hilfsbedürftigen nicht ohne Weiteres
vorausgesetzt werden kann. Nach dem Gesetzentwurf soll nicht einmal diese
Möglichkeit mehr gegeben sein. Denn die Patienten sollen ihre Zustimmung auch
pauschal auf anderen Wegen oder nur gegenüber der Krankenkasse erklären können.
Dies macht es schwer nachvollziehbar, ob tatsächlich eine Einwilligung vorliegt
oder ob sie eventuell sogar widerrufen wurde.
Außerdem soll eine
"elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung" (eAU) eingeführt werden. Das
bedeutet, dass alle Angaben, die bisher vom Versicherten auf Papier an die
Krankenkasse geschickt wurden, künftig unter Angabe der Diagnose über eine
Telematikinfrastruktur geleitet werden sollen. Der Versicherte hat so keine
Möglichkeit, sich gegen diese elektronische Übertragung sensibler Daten zu
entscheiden.
"Die
zentrale Speicherung mit Onlinezugang im Browser, ohne ausreichende
Verschlüsselung vereint das Schlechte aus zwei Welten“, fasst Anwalt und
IT-Fachmann Jan Kuhlmann, Vorsitzender des Vereins Patientenrechte und
Datenschutz e. V., zusammen. „Die beabsichtigte Einwilligungsregelung und eine
elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gefährden die informationelle
Selbstbestimmung des Versicherten. Wir bewerten diese Vorschläge als 'Spahnsinn'."
Unterstützende
Organisationen:
Die Aktion "Stoppt die
e-Card" www.stoppt-die-e-card.de ist ein breites Bündnis von mehr als 50
Bürgerrechtsorganisationen, Datenschützern, Patienten und Ärzteverbänden.
Die Bündnispartner sehen in der elektronischen Gesundheitskarte eine Gefahr
für die ärztliche Schweigepflicht, die informationelle Selbstbestimmung der
Bürger und für eine gute medizinische Versorgung. Das Bündnis ist seit 2007
aktiv.
dieDatenschützer Rhein
Main https://ddrm.de/ – eine lokale Gruppe des Arbeitskreis
Vorratsdatenspeicherung und Partner der Aktion: Stoppt die e-Card! Die
aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind u. a. die unzulässige Videoüberwachung
des öffentlichen Raums, die elektronische Gesundheitskarte (eGK) und die
Digitalisierung des Gesundheitswesens, der Sozialdatenschutz, z. B. bei
Job-Centern, und die Überwachung durch Geheimdienste und andere staatliche
Stellen.
Der Digitale
Gesellschaft e. V. hat sich der gerechten und demokratischen Teilhabe aller
Menschen am digitalen und vernetzten Zeitalter verschrieben. Wir setzen uns
gegen einseitige Sicherheits- und Urheberrechtspolitik, für Transparenz und
Fairness, gegen Hinterzimmerlobbyismus und für Nutzerrechte ein. Wir wollen
Grund- und Freiheitsrechte in der digitalen Welt verteidigen und ausbauen.
Die
Freie Ärzteschaft e. V. (FÄ) www.freie-aerzteschaft.de ist ein Verband, der
den Arztberuf als freien Beruf vertritt. Er wurde 2004 gegründet und zählt
mehr als 2.000 Mitglieder: vorwiegend niedergelassene Haus- und Fachärzte
sowie verschiedene Ärztenetze. Vorsitzender des Bundesverbandes ist Wieland
Dietrich, Dermatologe in Essen. Ziel der FÄ ist eine unabhängige Medizin,
bei der Patient und Arzt im Mittelpunkt stehen und die ärztliche
Schweigepflicht gewahrt bleibt.
Die Humanistische Union
e. V. – Landesverband Berlin-Brandenburg http://berlin.humanistische-union.de/
ist eine unabhängige Bürgerrechtsorganisation. Seit unserer Gründung 1961
setzen wir uns für den Erhalt und Ausbau der Grundrechte in Deutschland ein.
Wir sind für die Durchsetzung des Rechts auf selbstbestimmtes Leben und
Sterben.
Komitee für Grundrechte
und Demokratie e. V. http://www.grundrechtekomitee.de Aktiv, streitbar,
couragiert und – wenn menschenrechtlich geboten – zivil ungehorsam engagiert
sich das Komitee für Grundrechte und Demokratie. Im Themenbereich
"Gesundheitssystem/Bioethik" treten wir für Datensouveränität und
Patient*innenrechte ein und haben uns u. a. kritisch mit Big Data im
Gesundheitswesen und der e-Card auseinander gesetzt.
LabourNet Germany:
http://www.labournet.de/ Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job,
basisnah, gesellschaftskritisch
Patientenrechte und
Datenschutz e. V. https://patientenrechte-datenschutz.de/ ist ein
Zusammenschluss von Mitgliedern gesetzlicher Krankenkassen, die die
elektronische Gesundheitskarte und die geplante Vernetzung im
Gesundheitswesen, die sog. "Telematikinfrastruktur", aus Datenschutzgründen
kritisieren.
Thure von
Uexküll-Akademie für Integrierte Medizin https://uexkuell-akademie.de/ Auf
der Suche nach einem passenden Modell, um die Spaltung der Medizin in eine
für seelenlose Körper und eine für körperlose Seelen zu überwinden, haben
sich in der Akademie Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Fachrichtungen
zusammengetan. In Regionalgruppen, Workshops, Modellwerkstätten und Tagungen
werden die Grundgedanken des entstehenden Modells (wissenschaftstheoretische
Ansätze der Semiotik, des Konstruktivismus und der Systemtheorie) vertieft,
diskutiert und in ihrer Brauchbarkeit überprüft. Ziel ist die Entwicklung
einer Theorie der Humanmedizin, die die individuelle Wirklichkeit der
Beteiligten reflektiert.
Derzeit streiten sich die AOK
mit der KBV um die Art der künftigen Datenspeicherung im Zusammenhang der
ePatientenakte - und hier geht es nicht um eine Nebensächlichkeit: Bei dem von der AOK
vorgeschlagenen Modell lägen die Behandlungsdaten auf Servern der KVen,
ÄrztInnen, Ärzte-Netzen oder Krankenhäusern und würden bei einer autorisierten
Abfrage von einem
Suchalgorithmus abgeholt und zusammengeführt werden. Das Modell der KBV hingegen sieht vor, daß
sich PatientInnen ihre Daten bei den behandelnden ÄrztInnen selbst abholen und
sie in ihrer ePA sammeln. Im Bedarfsfall könnten sie dann den BehandlerInnen
Zugang zu ihrer ePA gewähren.
Es dürfte unschwer zu erraten sein,
wo ich hier stehe: Im Sinne der Datensicherheit und der Patientenautonomie kann
der Weg nur der sein, den die KBV vorschlägt!
Derzeit sind drei Modelle im
Gespräch:
AOK-Modell: Ähnliche Lösungen im Einsatz gibt es beispielsweise
in Österreich und Estland
TK-Modell:
TK Safe wurde gemeinsam mit IBM (unter Beteiligung von Generali und Signal
Iduna) entwickelt. Die Daten sollen auf Servern in Deutschland liegen.
Vivy-Modell: Hier geht es um
eine App, die Daten sollen zentral gespeichert werden.. Hauptgesellschafterin
ist die Allianz. Beteiligt sind die DAK sowie 90 weitere Krankenkassen und
private Versicherer.
Ärzte Zeitung online (30.08.2018):
Bewegung im Zwist um die E-Akte. Die Tür bleibt offen: Trotz fundamentaler
Unterschiede beim Aufbau der elektronischen Patientenakte sprechen KBV und
AOK-Verband noch miteinander.
Telematik-Infrastruktur: ePatientenakte (ePA) und Patientenfach
Derzeit
bestimmt die Diskussion um die elektronische Patientenakte die
gesundheitspolitische Diskussion. Die in diesem Zusammenhang eingetretene
Begriffsverwirrung (elektronische
Fallakte, Patientenakte, Gesundheitsakte oder elektronische Patientenfach) hat
auch damit zu tun, daß sich unterschiedlichste Anbieter mit außerordentlich
unterschiedlichen (wirtschaftlichen) Interessen auf dem Markt tummeln: Private
und gesetzliche Krankenversicherungen (z. B. AXA; in Planung: AOK Nordost, TK,
sowie DAK, Innungskrankenkassen und einige PKVen: Vivy) sowie Medienunternehmen
(Apple, Google, Microsoft).
Das erste Projekt von Google
Google Health scheiterte 2008. Den NutzerInnen sollte ursprünglich ermöglicht
werden, Daten verschiedener Anbieter zentral an einem Ort zu sammeln. Da es
zuwenig Nachfrage gab, wurde das Projekt im Januar 2012 eingestellt.
Inzwischen hat Google ein neues Angebot gestartet: Google Fit. Hier geht es nun
allerdings nicht mehr um einen Zentralisierung (aller) Gesundheitsdaten. Apple
will hingegen gezielt in den Medizinmarkt einsteigen, hat bereits eine Reihe von
Komponenten gestartet und strebt eine Zusammenarbeit mit Epic Systems an. Das
Privatunternehmen verwaltet etwa die Hälfte aller Patientendaten in den USA!
Mit dem Gesetz für sichere digitale
Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen (E-Health-Gesetz)
soll sichergestellt werden, daß nur diejenigen Leistungen erhalten können, die
auch tatsächlich gesetzlich versichert sind (online-Stammdatenabgleich durch
niedergelassenen ÄrztInnen und Krankenhäuser). Auf der Gesundheitskarte können künftig
Notfalldaten und ein Medikationsplan gespeichert werden. Weiter ist die
Einführung der elektronischen Patientenakte und eines Patientenfachs geplant.
Auf diese Weise sollen PatientInnenen besser über ihre Diagnosen und Therapien
informiert sein. Sie bekommen zudem erstmals die Möglichkeit, auch selbst
Daten an ÄrztInnen zu übermitteln, denn über die digitale Infrastruktur sollen
alle ÄrztInnen, ZahnärztInnen, Krankenhäuser, Apotheken und Versicherte
angeschlossen sein. Derzeit
plant der Bundesgesundheitsminister, daß Mitglieder
der gesetzlichen Krankenversicherungen spätestens ab 2021 auch per Handy und
Tablet Zugang zu ihren Patientendaten erhalten (siehe Auch Beitrag AKTUELL: Nummer
5/2018).
Weiter besteht eine
Vorgabe von Gesundheitsminister Jens Spahn, daß Kassen ihren Versicherten bis
Anfang 2021 eine Patientenakt zur Verfügung stellen müssen, die auch bei
Kassenwechsel mitgenommen werden kann.
ePatientenakte:
Nach derzeitigem Stand
sollen PatientInnen selbst
darüber bestimmen soll, welche Daten gespeichert werden. Der Zugriff auf
die Daten soll nur durch das gleichzeitige Authentifizierung des elektronischen
Arztausweises und der Versichertenkarte im Lesegerät erfolgen können. Der (noch
nicht vorliegende) zweite Teil des E-Health-Gesetzes wird sich diesem Thema
widmen.
Patientenfach:
"Zur Patientenautonomie
gehört auch, dass der Patient das Recht hat, die medizinischen Daten seiner
Gesundheitskarte einzusehen. Das können Patienten künftig nicht nur in der
Arztpraxis, sondern auch in ihrem digitalen Patientenfach. Durch den Einblick in
ihre Gesundheitsdaten haben Patienten die Möglichkeit, sich umfassend über ihre
Diagnose und Therapie zu informieren und damit besser über ihre Gesundheit
mitzuentscheiden. Zusätzlich können sie eigene Daten ins Patientenfach
einpflegen, wie z. B. Blutzuckerwerte oder Patiententagebücher." (Zitat aus der
Webseite des
Bundesministerium für Gesundheit:
Fragen und Antworten zur elektronischen Gesundheitskarte und zum E-Health-Gesetz)
Gesundheitskarte:
"Der Schutz der sensiblen
Gesundheitsdaten der Versicherten steht an erster Stelle. Die medizinischen
Daten sind nicht einfach auslesbar, da sie verschlüsselt gespeichert werden. Nur
mit der Gesundheitskarte, auf der der individuelle Schlüssel des Versicherten
gespeichert ist, hat der Patient es selber in der Hand, die Daten wieder lesbar
zu machen. Der Zugriff auf die Daten der Gesundheitskarte darf nur zum Zwecke
der medizinischen Versorgung erfolgen. Zugriff hat nur ein enger, gesetzlich
festgelegter Personenkreis. Hierzu gehören insbesondere Ärzte und Zahnärzte.
Um auf die medizinischen Daten
der Gesundheitskarte zugreifen zu können, gilt das sogenannte
Zwei-Schlüssel-Prinzip. Das bedeutet, dass sowohl der elektronische
Heilberufsausweis des Arztes als auch die elektronische Gesundheitskarte des
Versicherten notwendig sind. (Ausnahme: Der Patient greift außerhalb der
Arztpraxis eigenständig auf das Patientenfach zu; hierfür sind besondere
Verfahren vorgesehen.)
Der Versicherte stimmt dem
Zugriff des Arztes zu, indem er seine Gesundheitskarte in das Kartenlesegerät
des Arztes steckt und seine PIN eingibt (Ausnahmen sind das Auslesen der
Notfalldaten und – wenn der Patient dies wünscht – der Medikationsplan). Da
außer dem Patienten selber niemand über den Schlüssel der Gesundheitskarte
verfügt und es keinen "Generalschlüssel" gibt, können unberechtigte Dritte
(Versicherungen, Behörden, Unternehmen) nicht auf die sensiblen medizinischen
Daten des Versicherten zugreifen. Es ist immer klar, wer auf die Daten der
Gesundheitskarte zugegriffen hat, weil die letzten 50 Zugriffe auf der Karte
gespeichert werden." (Zitat aus der Webseite des
Bundesministerium für Gesundheit:
Fragen und Antworten zur elektronischen Gesundheitskarte und zum E-Health-Gesetz)
Ein Argument, daß immer wieder zu
hören ist: Digitale Vernetzung führt zu mehr Effizienz im
Gesundheitswesen! Doch stimmt das? Klare verifizierende Belege für die Hypothese
sind ebenso wenig zu haben, wie eine Falsifikation. Zu befürchten ist, daß die
Flut der Daten (z. B. mit unterschiedlichen Diagnosen mit zudem
unterschiedlichen Erhebungszeiten) keineswegs dazu führt, daß es zu einer
Arbeitserleichterung der sich untereinander austauschenden Leistungserbringer
(Vorbefunde und -behandlungen) kommt.
Den Einsatz von E-Health-Anwendungen
mit der Steigerung der Versorgungsqualität gleichzusetzen ist auch angesichts
der Erfahrungen in anderen Ländern (insbesondere nordische und baltische
Staaten) gewagt und weckt Erwartungen, die vermutlich nicht nur nicht
befriedigt, sondern enttäuscht werden dürften.
Bundesministerium für Gesundheit:
Gesetzliche Rahmenbedingungen
der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und des Aufbaus der
Telematikinfrastruktur
TI in Österreich: Ein Vorgeschmack auf mögliche Entwicklungen
Nach heftiger Kritik hat die Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) Nachbesserungen
bei der Gesetzesnovelle angekündigt, die die Weitergabe von
Patientendaten aus der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) ermöglichen hätte.
Sie sprach sich nun gegen die Weitergabe von ELGA-Daten für Forschungszwecke aus
und kündigte einen entsprechenden
Abänderungsantrag für das Gesetz an.
Die
Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) reagierte mit Erleichterung und begrüßte die Bereitschaft des Österreichischen
Gesundheitsministeriums gemeinsam mit der Ärzteschaft grundsätzliche
Verbesserungen des e-Befundes der Elektronischen Gesundheitsakte ELGA zu
evaluieren. Denn dieses befinde sich nicht auf dem aktuellen technischen Stand, biete keinen guten Ein- und
Überblick über die Krankengeschichte von PatientInnenen und erfordere einen
hohen Zeiteinsatz der ÄrztInnen, die dann nicht zur Behandlung zu
Verfügung stehe.
Ärztenachrichtendienst (12.04.18):
Telematik in Österreich.
Zuständige Ministerin rudert zurück. Nach heftiger Kritik an einer Gesetzesnovelle, die
die Weitergabe von Patientendaten aus der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA)
ermöglichen würde, kündigt die Sozialministerin Beate Hartinger-Klein jetzt
Nachbesserungen an. (Der Zugang zum
Ärztenachrichtendienst ist
beschränkt!)
Bereits seit vielen
Jahren berichte ich regelmäßig über die mit der Telematik zusammenhängende Fragen (E-Health-Gesetz,
eGK etc.), nicht zuletzt auch die Telematik-Infrastruktur. Durch widersprüchliche
Äußerungen des neuen Gesundheitsministers Jens Span (seit März 2018 im Amt)
konnte man in den letzten Monaten den Eindruck haben, als solle das Projekt (TI
und eGK) gestoppt oder zumindest ein Moratorium eingeleitet werden.
Inzwischen aber ist
der Bundesgesundheitsminister auf die alte Linie eingeschwenkt und will das am
1.01 2016 in Kraft getretene E-Health-Gesetz wie geplant umsetzen. Neben dem
Stammdatenabgleich sind eine Reihe von Anwendungen geplant (Medikationsplan,
Telemedizinische Anwendungen, elektronischer Arztbrief, Notfalldaten auf der
eGK, elektronische Patientenakte und Patientenfach). Derzeit plant der
Bundesgesundheitsminister, daß Mitglieder
der gesetzlichen Krankenversicherungen spätestens ab 2021 auch per Handy und
Tablet Zugang zu ihren Patientendaten erhalten.
Die Installation
der Telematik-Infrastruktur stockt, da bislang nur wenige
Konnektor-Zertifizierungen vorliegen. Daher ist sehr fraglich, ob die Zeitpläne
zur flächendeckenden Einführung eingehalten werden können.
Interessanterweise
gibt es inzwischen einen Anbieter, der ein (allerdings mit 2.500 Euro nicht
sonderlich kostengünstiges) Paket zur Selbstinstallation anbietet - unabhängig
von der verwendeten Praxissoftware:
www.koco-shop.de. Die Softwarehäuser (so z. B. Psyprax) weisen allerdings
daraufhin, daß es Probleme mit der Schnittstelle zur Abrechnungssoftware geben
kann und der Support bei fremden Angeboten nicht sichergestellt ist.
Zuletzt hat die KBV mit den Krankenkassen über
eine Anpassung der Erstattungspauschalen verhandelt, damit auch ab dem dritten
Quartal 2018 der Anschluß ohne Eigenbeteiligung (so die gesetzliche Regelung)
sichergestellt ist (www.kbv.de:
Praxisnachrichten 31.05.18).
Die
teils sehr berechtigten Proteste vieler KollegInnen gegen die TI (z. B.
überhöhte Kosten, veraltete Technik, mangelnde Datensicherheit, Gefahr der
Speicherung hochsensibler Daten auf zentralen Servern) lassen zumeist völlig
außer Acht, daß nahezu alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden
KollegInnen, bereits heute über die online-Abrechnung deutlich mehr
personenbezogene Daten auf die Server der KVB überspielen (quartalsweise werden
Stammdaten, Abrechnungsziffern, ICD-Diagnosen übermittelt) als das mit der
Telematik geplant ist (Stammdatenmanagement). Allerdings können mit den
geplanten Anwendungen in Zukunft weitaus mehr Daten übermittelt werden - im
Unterschied zum Standatenabgleich ist hier allerdings die Einwilligung der
PatientInnen erforderlich.
Hinweise und
Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
zur ärztlichen Schweigepflicht, Datenschutz und Datenverarbeitung in der
Arztpraxis (Neuauflage 2018) und
Datenschutz-Check 2018
Die Hinweise und Empfehlungen zur Schweigepflicht,
Datenschutz und Datenverarbeitung
sind aktualisiert worden (Stand 16.02.2018). Neu ist die
"Datenschutz-Check 2018: Was müssen
Arztpraxen angesichts der neuen
Vorschriften zum Datenschutz tun?" Beide Veröffentlichungen sind über die
Webseiten der Bundesärztekammer (BÄK) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
(KBV) abrufbar und wurden im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht.
Nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren tritt am
25.05.2018 die Europäische
Datenschutzgrundverordnung in Kraft. Zudem wurde das Bundesdatenschutz geändert
bzw. angepaßt.
Mit der Datenschutzverordnung werden
Unternehmer (auch ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen) aber auch Vereine verpflichtet,
Datenverarbeitungsprozesse zu systematisieren. Stichworte:
Verzeichnis
von
Verarbeitungstätigkeiten
Datenschutz-Verpflichtung
von Beschäftigten
Informations- und
Auskunftspflichten
Löschen von Daten
Sicherheit
Auftragsdatenverarbeitung
Meldung von
Datenschutzverletzungen
Ein/e Datenschutzbeauftragte/r
muß benannt werden, wenn mehr als ein/e MitarbeiterIn ständig
personenbezogene Daten verarbeitet. Nach Ansicht des zuständigen
Bayerischen Landesamts für
Datenschutzaufsicht gilt das nicht für eine ärztliche Einzelpraxis, da
weniger als 10 Personen im
regelmäßigen Umgang mit personenbezogenen Daten umgehen (Muster
5: Arztpraxis).
Derzeit ist davon auszugehen, daß
auch die staatlich anerkannten Ausbildungsstätten für Psychotherapie (Ausbildung
zum PP und KJP, Weiterbildung in Ärztlicher Psychotherapie) eine/n
Datenschutzbeauftragte/n
benötigen. Eine von mir gestellte Anfrage wurde noch nicht beantwortet. Die
Frist zur Benennung einer/s Datenschutzbeauftragten wurde
vom Bayerischen Landesamts für
Datenschutzaufsicht bis
in den Herbst 2018 verlängert.
In Bayern bestehen zwei Behörden im
Bereich des Datenschutzes:
Der Bayerische
Datenschutzbeauftragte für den Datenschutz (derzeit: Prof. Dr. Thomas
Petri) ist für den öffentlichen Bereich in Bayern zuständig (Behörden und
staatliche Stellen, Körperschaften des öffentlichen Rechts etc.).
Das Bayerische Landesamt für
Datenschutzaufsicht (Thomas Kranig) ist für die
Einhaltung des
Datenschutzrechts im nicht-öffentlichen Bereich in Bayern, zuständig, also für
private Wirtschaftsunternehmen, FreiberuflerInnen, Vereine, Verbände und im
Bereich des Internets.
Das Bayerische Landesamt für
Datenschutzaufsicht hat eine Hotline
für Vereine und ehrenamtlich Tätige in Bayern
eingerichtet:
Tel.: 0981/53-1810 (Servicezeit
von Montag bis Freitag von 08:00 Uhr bis 19:00 Uhr).
Anmerkung:
Die beiden nachfolgenden Links stammen von einem privatwirtschaftlichen
Unternehmen - ich habe sie aufgrund der übersichtlichen Darstellung der Gesetze
ausgewählt:
Text der
Datenschutzgrundverordnung (Anbieter: Intersoft Consulting):
www.dsgvo-gesetz.de
Text des neuen
Bundesdatenschutzgesetzes (Anbieter: Intersoft Consulting):
www.dsgvo-gesetz.de/bdsg
Noch nie gab es in der
Geschichte der Bundesrepublik einen größeren, umfassenderen, weitreichenderen,
heimlicheren und gefährlicheren Grundrechtseingriff: Das Bundeskriminalamt hat
damit begonnen, sogenannte Staatstrojaner auf privaten Computern, Laptops und
Handys zu installieren. Damit können sämtliche Daten ausgeleitet, damit kann das
gesamte Computer-Nutzungsverhalten eines Menschen in Gegenwart und Vergangenheit
überwacht werden.
Vor dem Zugriff ist
nichts und niemand sicher; auf verschlüsselte Informationen - wie bei Whatsapp -
wird schon zugegriffen, bevor sie verschlüsselt werden. Möglich ist auch der
Live-Zugriff, also der heimliche Blick über die Schulter des Betroffenen. Die
Eingriffsintensität sprengt alles bisher im Rechtsstaat Bundesrepublik
Dagewesene.
So schreibt Heribert Prantl im
seinem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung (27./28.01.2018). Ich kann dem nur
zustimmen. Zwar geht die größte Gefahr des Mißbrauchs von personenbezogenen
Daten heute von jenen aus, die Daten abgreifen, welche die Betroffenen selbst
mehr oder weniger wissentlich (in sozialen Medien, Rabattkarten, ebay,
online-Einkäufe, google, beim online-Zeitunglesen etc.) oder unwissentlich
(z. B. Leserbriefe, die ohne entsprechende Hinweise online gestellt werden) ins
Internet eingespeist haben.
Doch hier greift der Staat Daten ab
und dies auf äußerst perfide Art. Zwar geschieht dies nur mit richterlicher
Genehmigung (die allerdings wohl nur selten verweigert werden dürfte, schon weil
RichterInnen kaum Zeit für eine sorgfältige Prüfung haben) und - darauf weist
Prantl hin:
die Voraussetzungen
sind vage und die Fähigkeiten der Trojaner entfalten sich außer Kontrolle
der Richter; die Betroffenen erfahren vom Zugriff irgendwann in ferner. Zukunft,
wenn keine "Zweckgefährdung" mehr zu befürchten ist. Der Staatstrojaner ist der
lebende Beweis dafür, dass in Terrorzeiten das staatliche Sicherheitsbedürfnis
strukturell unstillbar ist. Deshalb ist die furchtbarste Eigenschaft des
Staatstrojaners diese: Er frisst die Grundrechte
auf.
Das wäre an sich ein Grund für eine
Demonstration gegen dieses Gesetz - doch der Aufschrei bleibt aus. Wir haben uns
daran gewöhnt, daß sich das aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit (Art. 2 Grundgesetz) abgeleitete Recht auf informationelle
Selbstbestimmung in Zeiten des Terrors (den es immer gab, wenn auch in anderen
Formen), des Sicherheitsdenkens bis hin zum -wahn und des Internets im Zustand
des Siechtums befindet.
Es ist bezeichnend, wenn das BKA und PolitikerInnen statt von Staatstrojanern
von der "Quellen-Telekommunikations-Überwachung" sprechen. Denn so wird versucht
zu verdecken und zu verharmlosen worum es geht: Das Aushebeln von Grundrechten,
die immer auch Abwehrrechte der Bürger gegen staatliche Eingriffe in ihre
Freiheit und Rechte sind (status negativus). Völlig richtig also, wenn Prantl in
seinem Kommentar "Staatstrojaner:
Die digitale Inquisition hat begonnen" schreibt:
Wie schrieb das Verfassungsgericht einmal: Die freie und geschützte
Kommunikation sei eine "elementare Funktionsbedingung eines auf
Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten
freiheitlichen Staatswesens." Vorbei. Und das "Grundrecht auf Gewährleistung der
Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme", das die vom
Bundesverfassungsgericht 2008 in seinem Urteil zur
Online-Durchsuchung proklamiert hat, ist nicht mehr viel wert.
Süddeutsche Zeitung (Druckausgabe v. 27./28.01.2018: 4):
Heribert Prantl: des Staatstrojaners diese: Er frisst die Grundrechte
auf
Süddeutsche Zeitung (online-Ausgabe
26.01.18): Heribert Prantl: Überwachung: Der Staatstrojaners frisst
die Grundrechte
auf
Süddeutsche Zeitung (online-Ausgabe
27.01.18) Heribert Prantl: Staatstrojaner: Die digitale Inquisition hat
begonnen
Süddeutsche Zeitung (online-Ausgabe
26.01.18) Reiko Pinkert und
Hakan
Tanriverdi:
Überwachung: Polizei
spioniert Handynutzer mit Trojaner aus
Akten
des Zulassungsausschusses: Kein
Anspruch auf Datenlöschung (SG Düsseldorf, LSG
Nordrhein-Westfalen 2017)
In einem Verfahren vor dem
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) wurde die Berufung eines Arztes
gegen das Urteil der Vorinstanz (Sozialgericht Düsseldorf,
Beschluß vom 12.10.2016 Az.: S 33 KA 625/12) abgewiesen (Beschluß vom
28.06.17, Az.: L 11 KA 3/17), da diese nicht fristgerecht erhoben worden war
(die Voraussetzungen für
die Zulassung der Revision lagen nicht vor).
Der Arzt war der Ansicht, die
über ihn gespeicherten Daten (es ging insbesondere um Vorgänge im Zusammenhang
eines mehr als 10 Jahre zurückliegenden Zulassungsentzug) dürften vom Zulassungsausschuß nicht weitergegeben werden.
Die Akten enthielten unter anderem Informationen
aus mehreren Strafverfahren sowie aus Verfahren über die Anordnung des Ruhens
der Approbation und Entscheidungen des Zulassungs- und des Berufungsausschusses.
Darunter befanden sich auch Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Nordrhein, der Kläger habe mehrfach bzw. kontinuierlich seine vertragsärztlichen
Pflichten verletzt.
Der Arzt hatte sich zuletzt
bei verschiedenen KVen vergeblich um die Zulassung als Vertragsarzt beworben.
Aus seiner Sicht handelte es sich bei der Weiterleitung der nicht mehr aktuellen
Sachverhalte um üble Nachrede oder eine falsche Verdächtigung; Akten über Sachverhalte, die
mehr als zehn Jahre zurück lägen, dürften innerhalb der vertragsärztlichen
Institutionen nicht weiter gegeben werden. Auch für ÄrztInnen dürfe die Aktenführung
und Weitergabe von Akten nicht über die in anderen Lebensbereichen üblichen
Bestimmungen hinausgehen.
Der Beschluß des LSG faßt das
Urteil der Vorinstanz zusammen (Zitat aus dem Beschluß
vom 28.06.17):
Mit Urteil vom
12.10.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die vom Kläger in der mündlichen
Verhandlung auf eine isolierte Leistungsklage umgestellte Klage sei unzulässig.
Die Entscheidung über die Löschung von Daten stelle einen Verwaltungsakt im
Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dar, weshalb nicht die
allgemeine Leistungsklage statthaft, sondern eine kombinierte Anfechtungs- und
Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu erheben
sei. Hierfür fehle es an einem abgeschlossenen Verwaltungs- und Vorverfahren als
notwendiger Prozessvoraussetzung. Ob die ursprünglich formulierte
Feststellungsklage zulässig gewesen wäre, könne dahin gestellt bleiben, weil der
Kläger trotz entsprechender Hinweise auf den in der mündlichen Verhandlung
formulierten Antrag bestanden habe. Jedenfalls sei die allgemeine Leistungsklage
unbegründet, da das Begehren des Klägers einer rechtlichen Grundlage entbehre.
Weder die für die Aktenführung des Beklagten in erster Linie maßgebliche
Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) noch das SGB X oder das
Datenschutzgesetz NRW enthielten Regelungen, die nach Ablauf bestimmter Fristen
einen Anspruch auf Löschung von Daten vorsähen. Die Begründung von
Mindestaufbewahrungsfristen in § 43 Ärzte-ZV sei nicht gleichzusetzen mit einer
Verpflichtung zur Löschung von Daten bzw. Vernichtung von Akten nach
Fristablauf. Auch § 84 SGB X sowie § 19 Datenschutzgesetz NRW enthielten keine
Regelung, nach der Daten oder Aktenbestandteile nach Ablauf konkreter Fristen
auf Antrag zu löschen wären. Aus den beiden Vorschriften ergebe sich allein,
dass die speichernde Stelle Daten dann zu löschen habe, wenn sie die Kenntnis
zur Aufgabenerfüllung nicht mehr benötige. Zulassungsgremien müssten jederzeit
in der Lage sein, das Vorliegen bzw. Fortbestehen der Zulassungsvoraussetzungen,
namentlich der Geeignetheit des Vertragsarztes, zu überprüfen. Dabei seien sie
auf die möglichst umfassende Kenntnis aller relevanten Umstände angewiesen. Ein
Rechtssatz, dass einzelne Informationen nach Ablauf bestimmter Fristen für diese
Beurteilung keine Relevanz mehr hätten, existiere nicht. Ob und welche rechtlich
vertretbaren Schlüsse aus länger zurück liegenden Sachverhalten gezogen werden
könnten, sei vielmehr in Abhängigkeit von den konkreten Umständen des
Einzelfalles zu beurteilen und daher Gegenstand des jeweiligen, die Zulassung
betreffenden Verfahrens. Auch § 58a Heilberufsgesetz NRW begründe den geltend
gemachten Anspruch des Klägers nicht. Die Regelung beziehe sich allein auf die
Verfahren zur Ahndung berufsrechtswidrigen Verhaltens von Angehörigen der
Kammern für Heilberufe. Die spezialgesetzliche Regelung beanspruche keine
Allgemeingültigkeit und könne nicht auf andere Rechtsbereiche übertragen werden.
Entsprechendes gelte auch für die weiteren vom Kläger herangezogenen
Vorschriften.
Er beantragte wie schon in der
Vorinstanz vor dem den Zulassungsausschuß zu verpflichten, Daten aus berufsrechtlich relevanten
Verfahren, die nicht unmittelbar mit der Ausübung des ärztlichen Berufs in
Zusammenhang stehen, in Fällen ohne Gerichtsverhandlung nach vier Jahren und in
Fällen mit Gerichtsverhandlung nach zehn Jahren zu löschen.
Das LSG NRW wies die Klage
wegen Fristversäumnis ab, der Beschluß des SG Düsseldorf ist damit
rechtskräftig.
Anmerkung:
Üblicherweise müßen personenbezogene Daten dann gelöscht werden, wenn der Zweck
zu dem sie erhoben und verarbeitet wurden, erfüllt bzw. entfallen ist (vgl.
Landesdatenschutzgesetze und § 20 Abs. 2 Ziff. 2 Bundesdatenschutzgesetz, § 84
SGB X). Zwar ist richtig, daß es hier keine Fristen gibt und im konkreten Fall
ein Interesse der Zulassungsauschüsse bestehen kann, daß für die Zulassung
relevante Daten über lange Zeit gespeichert und auch (an andere
Zulassungsausschüsse) weitergegeben werden können. Tatsächlich stellt sich aber
auch die Frage, ob das 'Recht auf Vergessen' nicht auch hier eine wichtige (und
auch verfassungsrechtliche) Bedeutung hat.
Beschluß Landessozialgericht
Nordrhein-Westfalen vom 28.06.17, Az.:
L 11 KA 3/17
Mit der
seit September 2012 bestehende Datentransparenzverordnung (DaTraV) wurde das
Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI)
beauftragt (auch die Gesetzliche Krankenkassen hatten sich darum beworben). Das
DIMDI hat nach § 2 die Aufgabe der Datenaufbereitung und Vertrauensstelle
(zuständig für die weitere Pseudonymisierung der bereits anonymisierten Daten,
damit keine Rückschlüsse auf Versicherte sind) übernommen, räumlich, organisatorisch und
personell jeweils eigenständig, d. h. getrennt durchgeführt werden müssen.
Hintergrund der Verordnung ist die
Regelung in § 303a ff SGB V (Wahrnehmung der Aufgaben der Datentransparenz); sie
wurde im Rahmen des Versorgungsstrukturgesetzes 2012 eingeführt und löste die
seit 2004 (Gesundheitsmodernisierungsgesetz) geltende Regelung ab
(Arbeitsgemeinschaft für Aufgaben der Datentransparenz: Spitzenverbände der
Krankenkassen, später GKV-Spitzenverband und KBV).
Die Überarbeitung der Verordnung wird
damit begründet, daß die vom Bundesversicherungsamt an das DIMDI gelieferten
Daten zu wenig aktuell sind, das Datenangebot soll zudem für die Öffentlichkeit
transparenter werden und auch in den Räumen des DIMDI einsehbar sein. Es gibt
allerdings grundsätzliche Kritik am Verfahren, das bislang - und möglicherweise
auch weiterhin - nicht in der Lage ist/sein wird interessenneutrales
Versorgungswissen zu generieren.
Bundesministerium der Justiz und den
Verbraucherschutz: Gesetze im Internet -
Verordnung zur Umsetzung der Vorschriften über die
Datentransparenz
Bundesministerium der Justiz und den
Verbraucherschutz: Gesetze im Internet -
§§ 303a ff SGB V
Big Data und der Ethikrat -
eine subtile Aushöhlung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung? Stellungnahme
des Deutschen Ethikrats "Big Data und Gesundheit
– Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung"
vom 30.11.17
In einer
ausführlichen Stellungnahme
"Big Data und Gesundheit
– Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung"
vom 30.11.17
schlägt der Deutsche Ethikrat eine weitreichende Reform im Umgang mit
Gesundheitsdaten vor. Es geht dabei um eine neues, anspruchsvolles und
innovationsoffenes Regelungs- und Gestaltungskonzept, das sich vom geltenden
Datenschutzrecht deutlich, man könnte auch sagen diametral, unterscheidet:
Wo sich tradierte
Instrumente – wie die bislang gängige strikte Orientierung an
Datensparsamkeit
und enger Zweckbindung – als dysfunktional erweisen, müssen deshalb
andere Möglichkeiten, individuelle Freiheit und Privatheit zu wahren und eine
gerechte und solidarische Gesellschaft zu gestalten, in den Vordergrund treten.
(173)
Der Ethikrat sieht die von ihm als
Leitkonzept vertretene Datensouveränität als Möglichkeit, "Chancen, die Big Data
im Gesundheitsbereich eröffnet, zu nutzen und zugleich den Risiken neuer Formen
asymmetrischer Macht und dadurch bedingten Verlusten an individueller
Selbstbestimmung sowie möglicher Benachteiligung und Diskriminierung wirksam
entgegenzutreten" - durch hinreichender und geeigneter Schutzmechanismen und
Gestaltungsstrategien (173).
Fatalerweise nimmt er dafür sogar in Kauf, daß
Eigentumsrechte der Betroffenen an ihren personenbezogenen Daten eingeschränkt
werden! (siehe Abschnitt "B1.3 Rechtsprobleme eines vermeintlichen
Eigentums an Daten klären": 177f).
Noch drastischer wird es, wenn sich
der Ethikrat in seinen Empfehlungen (S. 173 ff) unter der Überschrift
"B. Individuelle Freiheit und
Privatheit sichern" einleitend schreibt:
Die
Bereitschaft, personenbezogene Daten zur Verfügung zu stellen, ist als Teil der
informationellen Freiheitsgestaltung der Datengeber zu verstehen. Deshalb müssen
sie dazu befähigt werden, souverän mit diesen Daten umzugehen und ihre
Privatsphäre zu gestalten. Zudem müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden,
um entsprechend angemessene Handlungsspielräume zu garantieren.
(177)
Hier wird nicht mehr von
Menschen, von BürgerInnen eines Rechtsstaates gesprochen, sondern von
"Datengebern" (ein Begriff mit Potential für das "Unwort des Jahres"). Und diese
'Objekte' müssen befähigt werden, mit ihren Daten und ihrer Privatsphäre
umzugehen - von einem Staat, der die Daten der Datengeber zu gesundheits-,
forschungs- und versorgungspolitischen Zwecken benötigt und verwendet.
Der Absatz erinnert
an eine den gesundheits-
und forschungspolitischen Interessen angepaßte Fassung von Orwells 1984. Aus meiner Sicht ist die
Haltung, die hier zum Ausdruck kommt, eines Gremiums, das sich als "Deutscher Ethikrat"
bezeichnet, nicht würdig.
In einem Sondervotum hat Dr. med.
Christiane Fischer (als eines von 26 Mitgliedern des Ethikrates) die
Stellungnahme kritisiert. Sie schreibt einleitend:
Analog zur
medizinischen Ethik, die den Nutzen für das Individuum in den Mittelpunkt stellt
und nach dem Grundsatz nihil nocere die Schadensabwehr in jedem einzelnen Fall
zur obersten Maxime macht, gilt es auch im Umgang mit den Chancen und Risiken
großer Datenmengen, die unveräußerlichen Rechte des Individuums und seine
Selbstbestimmung als Maßstab für gesellschaftlichen Fortschritt zu nehmen. Diese
Rechte stehen nicht im Widerspruch zum Gemeinwohl, sie sind vielmehr für einen
freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat konstitutiv. Die Bedürfnisse der (Gesundheits-)Wirtschaft
nach immer umfassenderem Einblick in die Lebensäußerungen der Menschen sind dies
nicht. (...)
Big Data
erweist sich erst dann als nutzbringend für die Gesundheitsvorsorge und die
Medizin, wenn der oder die Einzelne als EigentümerIn seiner/ihrer
personenbezogenen Daten zu jedem Zeitpunkt entscheiden kann, wem er oder sie
diese in welchem Umfang auch im Falle der Sekundärnutzung offenlegen will.
(186)
Aus ihrer Sicht bedarf es einer
Bestätigung und Ausweitung der Prinzipien der Datensparsamkeit und Zweckbindung,
da diese einen Ausbau des Persönlichkeitsschutzes und des Datenschutzes und
somit die Implementierung einer bestmöglichen Datensouveränität gewährleisten:
Diese muss einen
höheren Stellenwert auch gegenüber Forschungsinteressen behalten.
Sie spricht sich in diesem
Zusammenhang für eine Datenschutz-Folgenabschätzung sowie eine Datensouveränität
aus, die im Gegensatz zur Empfehlung des Ethikrats (Abschnitt B1.3) "auch das
Eigentum an personenbezogenen Daten und somit eine absolute Ausschlussmacht
gegenüber Dritten bedeutet". Die Datensouveränität ist ein so hohes Gut, daß
diese auch strafrechtlich abzusichern ist.
Nur so kann die der
informierten Einwilligung zugrunde liegende Selbstbestimmung gewährleistet
werden.
Im Hinblick auf die "technische
Realisierung der Auswertung von Datenmassen" gehe es um eine rechtlich Be- bzw.
Einschränkung, damit "Anwendungen möglich sind, jedoch personenbezogener
Missbrauch verhindert wird". Notwendig
seien analog dem Gendiagnostikgesetz "dezidierte Verbote von
diskriminierenden Verwendungen personenbezogener Daten (...). Die Speicherung
und Analyse personenbezogener Daten sollte daher nur im eng definierten Rahmen
erlaubt sein. Missbräuchliche Datenzugriffe auch bei Sekundärnutzung müssen
strafrechtlich sanktioniert werden" (wirksame Abschreckung durch die finanziell
effektive Ahndung von Verstößen).
Erfreulicherweise äußert Frau
Fischer auch Kritik an der bestehenden Rechtslage im Bereich den Umganges mit
Gesundheitsdaten:
Festzustellen ist weiterhin, dass es in diesem Bereich weniger ein Regeldefizit
als ein massives Vollzugsdefizit gibt. (187)
Wer sich wie ich seit mehr als
30 Jahren mit Fragen des Datenschutzes und der Schweigepflicht im psychosozialen
Bereich und im Gesundheitswesen beschäftigt weiß, daß nicht nur administrative,
sondern den Kernbereich der Persönlichkeit berührende Daten - oft auch ohne
jedes Unrechtsbewußtsein - unbefugt an Dritte übermittelt werden! Besonders
erschreckend dabei ist, daß dies auch bei Angehörigen von Berufsgruppen der Fall
ist, bei denen Vertraulichkeit eine, wenn nicht die zentrale Voraussetzung für
ihre berufliche Tätigkeit darstellt: ÄrztInnen, Psychologische
PsychotherapeutInnen, Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen,
PsychologInnen, SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen.
Abschließend formuliert die
Autorin in ihrem Sondervotum Bedingungen, die aus ihrer Sicht entscheidend dafür sind, ob Big
Data im Gesundheitsbereich eher Chancen oder vermehrt Risiken bietet (187ff):
keine zentrale Speicherung
von PatientInnendaten
Zustimmung der Versicherten
hat Priorität vor anderen, auch vor Forschungsinteressen
Bedingungen für eine
Datenspende zur Vermehrung des Gemeinwohls
Eigentum an Daten.
Ich stimme dem Sondervotum und
dem Fazit zu, das Frau Fischer zieht:
Sollte ein
umfassender Datenschutz, die Umsetzung effektiver Anonymisierungs- und
Pseudoanonymisierungsstandards und das Recht auf Vergessen nicht gewährleistet
werden können, wäre ein Verzicht auf die Nutzung von Big Data zu
Forschungszwecken oder anderen Anwendungen die notwendige Folge.
(189)
Anmerkung:
Was ich über die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates hinaus erschreckend
finde ist, daß es kaum Kritik an ihr gibt! Das ist kein gutes Zeichen, denn es
deutet darauf hin, daß sich unsere Gesellschaft (und auch andere Gesellschaften
weltweit) in einem weitreichenden Wandel befindet, der eine Erosion
grundgesetzlich geschützter Werte - insbesondere das allgemeine
Persönlichkeitsrecht und speziell das daraus abgeleitete Recht der
informationellen Selbstbestimmung - beinhaltet.
Deutscher Ethikrat: Big Data und
Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung.
Stellungnahme 30. November 2017
Ärzte Zeitung online v.
30.11.2017:
Ethikrat - Datenschutz-Konzept für Big Data. Statt der informationellen Selbstbestimmung
schlägt der Rat das forschungsfreundliche Konzept der "Datensouveränität" vor.
Von Florian Staeck
Änderung
des § 203 Strafgesetzbuch (StGB) - Verletzung von Privatgeheimnissen:
Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen
(Teil
II)
Im Beitrag
5/2017
habe ich bereits über das Thema ausführlich berichtet. Die Rechtsvorschrift
wurde nun geändert und ist mit Wirkung zum 9.11.17 in Kraft getreten.
Die
Bundespsychotherapeutenkammer hat in ihrer Praxis-Info "Patientenrechte"
zu diesem Thema Stellung genommen:
Schutz von Patientendaten bei Mitwirkung von
Dritten
Verpflichten Sie alle Personen zur Geheimhaltung, die an Ihrer Berufsausübung im
weitesten Sinne mitwirken. Tun Sie das nicht, setzen Sie sich dem Risiko aus,
sich strafbar zu machen (§ 203 Strafgesetzbuch „Verletzung von
Privatgeheimnissen“). Dies hat der Gesetzgeber im "Gesetz zur Neuregelung des
Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung
schweigepflichtiger Personen" neu geregelt.
Bisher gab es Unklarheiten, wie es zu bewerten ist, wenn ein Psychotherapeut
beispielsweise einen EDV-Dienstleister nutzt, der über Administratorrechte auch
Zugriff auf Patientenakten hat. Eigene Angestellte des Psychotherapeuten durften
bisher Zugriff auf Patientendaten haben, ohne dass dies zur Strafbarkeit des
Psychotherapeuten führte. Nicht ausdrücklich geregelt war jedoch, wie sich das
bei externen Dienstleistern darstellt.
Psychotherapeuten dürfen jetzt ausdrücklich "fremde Geheimnisse gegenüber
sonstigen Personen offenbaren, die an ihrer beruflichen oder dienstlichen
Tätigkeit mitwirken, soweit dies für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der
sonstigen mitwirkenden Personen erforderlich ist". Wenn also ein
EDV-Dienstleister Administratorrechte haben muss, um die EDV zu betreuen, dann
macht sich der Psychotherapeut nicht strafbar, wenn er dem EDV-Dienstleister
diese einräumt. Allerdings muss er dann den EDV-Dienstleister verpflichten, alle
Daten geheim zu halten, die er im Rahmen des Auftrags erhält. Erfolgt dies
nicht, so macht sich der Psychotherapeut strafbar, wenn der EDV-Dienstleister
die Daten weitergibt.
(Broschüre Praxis-Info
Patientenrechte 1. Auflage, Stand: November 2017: 19)
Bundesgesetzblatt (BGBL)
2017 Teil I Nr. 71, ausgegeben zu Bonn am 8. November 2017: Gesetz zur
Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der
Berufsausübung schweigepflichtiger Personen (vom
30. Oktober 2017)
Bundesministerium
der Justiz und für den Verbraucherschutz:
Gesetzgebungsverfahren 30. Oktober 2017: Gesetz zur Neuregelung des Schutzes
von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung
schweigepflichtiger Personen
BPtK
gibt Handlungsempfehlungen für den Praxisalltag
Die
Bundespsychotherapeutenkammer informiert in ihrer Praxis-Info "Patientenrechte"
über die zentralen rechtlichen Anforderungen, die sich insbesondere aus dem
Patientenrechtegesetz ergeben.
Die
Broschüre enthält dabei konkrete Handlungsempfehlungen für Psychotherapeuten.
Die behandelten Themen reichen vom Abschluss des Behandlungsvertrages über die
Aufklärung und Information des Patienten sowie die Dokumentation in einer
Patientenakte und deren Einsichtnahme bis hin zur Aufbewahrung nach Abschluss
der Behandlung. Auf die Frage der Einwilligungsfähigkeit minderjähriger
Patienten wird ebenso eingegangen wie auf die neuesten Änderungen im
Strafgesetzbuch zur Schweigepflicht bei der Mitwirkung von Dritten.
In der übersichtlichen
Broschüre werden PsychotherapeutInnen über die wesentlichen Aspekte der
Partientenrechte informiert. Aus dem Inhalt:
Behandlungsvertrag,
(Behandlung und Honorar, grundsätzlich nicht schriftlich, Behandlungskosten,
Privatversicherte,
IGeL-Leistungen und
Selbstzahler)
Information und Aufklärung des
Patienten
(Informationspflichten, Ausnahmen von der Informationspflicht,
Kriseninterventionen, Patient verzichtet, Behandlungsfehler,
Beweisverwertungsverbot)
Einwilligung
Aufklärung
(wesentliche Umstände, Alternativen zur Behandlung, mündlich, rechtzeitig, nicht
zwingend durch den Behandelnden, Ausnahmen)
Einwilligungsunfähige
Patienten
(Einwilligungsfähigkeit bei Minderjährigen, Unterschied zwischen einwilligungs-
und geschäftsfähig, Zustimmung beider Eltern bei gemeinsamem Sorgerecht,
Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil)
Dokumentation
(unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang, Inhalt der Dokumentation)
Einsichtnahme
(gesamte Patientenakte, erhebliche therapeutische Gründe, Stempel von Kliniken
auf Arztbriefen, "Geheimnisse" von Jugendlichen und Eltern, keine
Einschränkung zum Schutz des Psychotherapeuten, Kopien der Patientenakte,
Einsichtnahme nach Tod des Patienten)
Die (verfassungsrechtlichen)
Grenzen des Rechts auf Einsicht in die Behandlungsdokumentation (§ 630g BGB)
Teil III (Archivtitel: Einsichtnahme
Behandlungsunterlagen & Persönlichkeitsrecht der BehandlerInnen)
Im November 2015 beschloß der
74. Bayerische Ärztetag den Entschließungsantrag des Vorstands zur Änderung der
Berufsordnung (BO) für die bayerischen ÄrztInnen. Demnach sollte § 10 Absatz 2
Satz 1 BO künftig lauten:
Der Arzt hat
dem Patienten auf sein Verlangen in die ihn betreffende Dokumentation Einsicht
zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe
odererhebliche Rechte des Arztes oder Dritter entgegenstehen.
Die Rechtsaufsicht
(Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege) hatte bereits im
Vorfeld Bedenken gegen diese Änderung erhoben und regte eine Modifizierung an,
um die Versagung der Genehmigung (gemäß § 20 Bayerisches Heilberufe-Kammergesetz)
zu vermeiden. Das Ministerium schlug die folgende Formulierung vor:
Ausnahmsweise darf der Arzt einzelne Aufzeichnungen von der Einsichtnahme
ausnehmen, wenn und soweit diese Einblicke in seine Persönlichkeit geben und
sein Interesse am Schutz seines Persönlichkeitsrechts das Interesse des
Patienten an der Einsichtnahme überwiegt.
Ungeachtet dessen wurde die
ursprüngliche Fassung vom Ärztetag verabschiedet und die Genehmigung von der
Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) bei der Rechtsaufsicht beantragt. Diese
versagte mit Bescheid vom 12.11.15 die Genehmigung.
Im Dezember 2015 klagte die
BLÄK vor dem Verwaltungsgericht München (BayVG) gegen den Bescheid.
Das BayVG urteilte im
September 2016, daß
die in der Berufsordnung
geplante Beschränkung des Einsichtsrechts unter Berufung auf "erhebliche
Rechte des Arztes" gegen höherrangiges Recht (§ 630g BGB - Einsichtnahme in
die Patientenakte) verstoße, da die Rechte von ÄrztInnen unzulässigerweise
mit Rechten Dritter und der Verweigerung der Einsichtnahme aus
therapeutischen Gründen gleichgesetzt werden.
ÄrztInnen können sich nur
ausnahmsweise und im Einzelfall auf den Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte
berufen.
Das Gericht stellt in seiner
Begründung auf den Gesetzestext des § 630g BGB und die zugehörige
Gesetzesbegründung ab, nach der auch persönliche Eindrücke des Behandelnden
grundsätzlich offen zulegen sind und ein begründetes Interesse an einer
Einsichtsverweigerung im Regelfall nicht besteht. Auch die herangezogene
Kommentarliteratur zu § 630g BGB gehe nach Ansicht des Gerichts davon aus, daß
persönliche Eindrücke und subjektive Wahrnehmungen der ÄrztInnen von
PatientInnen (da Ausnahmen vom Gesetz insoweit nicht vorgesehen sind)
"angesichts des starken Schutzbedürfnisses von dessen grundrechtlich geschützten
Informationsinteresse offenzulegen" sind. "Der Arzt soll sich ausnahmsweise im
Einzelfall auf [den] Schutz seines allgemeinen Persönlichkeitsrecht berufen
können." (MedR 2017, 35: 583).
Interessant ist, daß das
Gericht dem Argument der BLÄK, wortgleiche Regelungen seien in anderen
Bundesländern rechtsaufsichtlich genehmigt worden bzw. würden geduldet, keine
Bedeutung beimißt: der Gleichbehandlungsgrundsatz gelte hier nicht und
"entscheidend sind alleine Vorgaben des BGB" (ebd.).
Auf dem 76. Ärztetag (November 2017)
wurde nunmehr eine Neufassung der Änderung der Berufsordnung (mit Wirkung zum
1.1.2018) beschlossen:
Der Arzt hat
dem Patienten auf sein Verlangen in die ihn betreffende Dokumentation
unverzüglich Einsicht zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche
therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen.
Ausnahmsweise darf der Arzt einzelne Aufzeichnungen von der Einsichtnahme
ausnehmen, wenn sein Interesse am Schutz seines Persönlichkeitsrechts das
Interesse des Patienten an der Einsichtnahme überwiegt.
Damit übernimmt nähert sich die BLÄK
der Formulierung der Berufsordnung der Psychotherapeutenkammer Bayern (und der
Musterberufsordnung der Bundespsychotherapeutenkammer) in § 11 Abs 2, Satz 2 und
3 an:
Nimmt die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut ausnahmsweise einzelne
Aufzeichnungen von der Einsichtnahme aus, weil diese Einblick in ihre oder seine
Persönlichkeit geben und deren Offenlegung ihr oder sein Persönlichkeitsrecht
berührt, stellt dies keinen Verstoß gegen diese Berufsordnung dar, wenn und
soweit in diesem Fall das Interesse der Psychotherapeutin oder des
Psychotherapeuten am Schutz ihres oder seines Persönlichkeitsrechts in der
Abwägung das Interesse der Patientin oder des Patienten an der Einsichtnahme
überwiegt.
Anmerkung:
Ganz im Sinne von Shakespeare: Viel Lärm um Nichts! (Protagonist; ein
verbitterter, eifersüchtiger Don Juan). Das Geld der ÄrztInnen für das Verfahren
hätte man sich sparen können - auch und vor allem angesichts der Tatsache, daß
sich bereits viele Juristen und Psychotherapeutenkammern mit der Angelegenheit
ausführlich beschäftigt haben!
Das VG München stellt in
seinem Beschluß auf die Berufsgruppe der ÄrztInnen ab (Anlaß war ja ein Beschluß
des Bayerischen Ärztetages). Die Entscheidung bezieht sich aber auf alle
Berufsgruppen, die durch den zivilrechtlich geregelten Behandlungsvertrag (§§
630a-f BGB) erfaßt werden, insbesondere auch Psychologische
PsychotherapeutInnen, Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen und
HeilpraktikerInnen (oder HP beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie).
Speziell für PsychotherapeutInnen,
die ein Verfahren anwenden, daß auf der Psychoanalyse (bzw. Tiefenpsychologie)
beruht, in der Gesetzlichen Krankenversicherung sind das die tiefenpsychologisch
fundierte sowie die analytische Psychotherapie, spielt die
Rechtsauffassung des Gerichts (und in der Kommentarliteratur) eine wichtige
Rolle: Geht es bei einer Aufzeichnung um höchstpersönliche Daten der
BehandlerInnen (z. B. Gegenübertragungseinfälle, welche die Gefühle der/s
Behandlerin/s betreffen oder eigene biographische Erlebnisse betreffen;
Gegenübertragungsträume), wird eine Verweigerung der Einsichtnahme in diesen
Teil der Aufzeichnung erwogen werden können.
Allerdings ist zu bedenken, daß es
hier um das Berufsrecht ging und keineswegs sicher ist, daß sich Zivilgerichte
bei entsprechenden Verfahren (Klage auf Schadensersatz/Schmerzensgeld) der
Ansicht des VG München anschließen würden - was aus meiner Sicht sehr
wünschenswert wäre! In diesem Sinne äußert sich auch
J. Rautschka-Rücker (ehemaliger Justitiar der
hessischen Kammer) in seinen Anmerkungen zu dem Urteil in der Zeitschrift
Medizinrecht (35: 583f).
Bayerisches Verwaltungsgericht
München: Urteil vom 27.09.2016 - M 16 K 15.5630; In: Medizinrecht-MedR (2017)
35: 581-584
Die Ausstattung von Praxen,
Krankenhäusern, Rehabilitationszentren und Apotheken mit TI-Konnektoren
und eHealth-Kartenterminals steht kurz
bevor
Trotz erheblicher Bedenken im
Hinblick auf den Datenschutz, die Datensicherheit (zentrale Server) und die
(immensen) Kosten steht die Ausstattung von
Praxen, Krankenhäusern, Kliniken, Rehabilitationszentren und Apotheken mit neuer
Hardware (sogenannten TI-Konnektoren und
stationäre Kartenterminals (eHealth-Kartenterminals) unmittelbar bevor. In einem ersten Schritt müßen
mit der neuen Technologie die Gesundheitskarten der Versicherten online
verifiziert werden (Versichertenstammdatenabgleich). Der Gesetzgeber hat mit dem eHealth-Gesetz die
Anbindung der Praxen und anderen Einrichtungen an die Telematikinfrastruktur
(TI) der gematik vorgeschrieben.
In einem Beitrag in der
Zeitschrift Ossietzky hat sich
Prof. Dr. Rudolph Bauer
(ehemals Uni Bremen) kritisch mit den dem Projekt und insbesondere auch mit den
wirtschaftlichen Verflechtungen beschäftigt: "Pleiten, Pech und Pannen – plus Profite"
(der Autor und der Verlag haben mir freundlicherweise erlaubt, den Beitrag hier
als pdf-Dokument zur Verfügung zu stellen.
Für Kopien der Patientenakte
können Kosten auch vorab in Rechnung gestellt werden (OLG Saarland)
Neben der Einsichtnahme in die
Patientenakte können PatientInnen auch Kopien des (vollständigen) Inhalts
verlangen. Sie haben dann die entsprechenden Kosten (keine Arbeitszeit, sondern
Kopierkosten sowie Portokosten) zu tragen (vgl. § 630g BGB).
Das Oberlandesgericht des
Saarlandes hat mit Urteil vom 16.12.16 (AZ 1U 57/16) nicht nur bekräftigt, daß
die Kosten zu erstatten sind, sondern, daß auch - mit Verweis auf § 811 BGB -
eine Vorleistungspflicht desjenigen besteht, der die Kopien verlangt hat (in der
Regel also die/der PatientIn). Im aktuellen Fall ging es um den nach einer
stationären Behandlung einige Monate später verstorbenen Ehemann und die Frage
der Geltendmachung etwaiger Schmerzensgeld- und Schadensersatzanspruche durch
die Ehefrau; die Klinik stellte Kopierkosten in Höhe von 549,17 € in Rechnung.
Die Höhe der Kosten war nicht Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzung.
Urteil des Oberlandesgericht des
Saarlandes v. 16.12.16 (AZ
1U 57/16)
Die Vorratsdatenspeicherung ist
ausgesetzt! Beschluß des OVG Nordrhein-Westfalen v. 22.06.17 (Az. 13 B 238/17)
Auf dem Hintergrund eines
Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Nordrhein-Westfalen hat die für
die für die technische Umsetzung von Überwachungsmaßnahmen zuständig
Bundesnetzagentur die ab Juli geltende Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung für
Internetprovider und Telefonanbieter – bis zum Urteil im Hauptverfahren –
ausgesetzt.
Das OVG NRW hat am 27.06.17
entschieden, daß ein
Internet-Zugangsanbieter (der Internetprovider SpaceNet aus München) von der
Pflicht zur verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung befreit ist, weil das Gesetz
zur Vorratsspeicherung aus Sicht der Richter "unterschiedslos ohne jede
personelle, zeitliche oder geographische Begrenzung nahezu sämtliche Nutzer"
treffe. Damit greife es unverhältnismäßig tief in europäische Grundrechte ein.
Angesichts der "bereits feststehenden
objektiv-rechtlichen Unrechtswidrigkeit der Speicherpflicht" besteht daher
"schon im Ausgangspunkt keine legitimen öffentlichen Interessen an einem
vorläufigen Vollzug" des Gesetzes.
Zusammenfassung (des Gerichts):
Die im Dezember 2015
gesetzlich eingeführte und ab dem 1. Juli 2017 zu beachtende Pflicht für die
Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste, die bei der Nutzung
von Telefon- und Internetdiensten anfallenden Verkehrs- und Standortdaten ihrer
Nutzer für eine begrenzte Zeit von 10 bzw.
– im Fall von Standortdaten – 4 Wochen auf Vorrat zu speichern, damit sie im
Bedarfsfall den zuständigen Behörden etwa zur Strafverfolgung zur Verfügung
gestellt werden können, ist mit dem Recht der Europäischen Union nicht
vereinbar. (Az.
13 B 238/17)
Urteil
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen v. 22.06.17: Az.
13 B 238/17
AK Vorratsdatenspeicherung:
www.vorratsdatenspeicherung.de
Auseinandersetzung um den digitalen Nachlaß einer 15-jährigen bei Facebook: Die
Eltern haben keinen Anspruch auf Zugriff (Urteil des KG Berlin
v. 31.05. 2017, Az. 21 U 9/16)
Nach dem Tod ihrer 15-jährigen
Tochter wollten die Eltern Einblick in deren Facebook-Konto nehmen. Die junge
Frau starb auf ungeklärte Weise auf den Gleisen der U-Bahn und die Eltern
erhofften sich in den Nachrichten und Posts auf Facebook Hinweise auf die
Umstände ihres Todes. Hinzu kam, daß der betroffene U-Bahn-Fahrer Schmerzensgeld
und Schadensersatz wegen Verdienstausfalls gegen die Eltern geltend gemacht
hatte. Die Eltern verfügten zwar über die Zugangsdaten, konnten jedoch auf das
in den "Gedenkzustand" gesetzte Konto nicht zugreifen und Facebook verweigerte
den Zugriff.
Ende 2015 hatte das Landgericht
Berlin zunächst zugunsten der Eltern (hier Mutter) entschieden und Facebook dazu
verpflichtet, den Eltern als Erben der verstorbenen Tochter und
Facebook-Nutzerin Zugang zu deren Benutzerkonto (einschließlich dessen Inhalte)
zu gewähren.
Die Richter waren der Ansicht,
der Vertrag mit Facebook sei, wie hinterlassene Briefe und Tagebücher, Teil des
Erbes. Das Persönlichkeitsrecht des verstorbenen Kindes stehe dem nicht
entgegen, denn als Sorgeberechtigte hätten die Eltern das Recht zu wissen,
worüber ihr minderjähriges Kind im Internet kommuniziere - zu Lebzeiten und nach
seinem Tod.
Bei einer weiteren Klage von
dem KG Berlin scheiterte eine Einigung der Streitparteien. Facebook befürchtete,
daß durch die Offenlegung von Nachrichten Dritte betroffen wäre, die mit
15-Jährigen in der Annahme gechattet haben, in der Annahme dass die Inhalte
vertraulich bleiben würden. Umgekehrt verweigerten sich die Eltern dem Vorschlag
der Richter, die Chatverläufe mit geschwärzten Namen an die Eltern
herauszugeben. Sie fürchteten aber, dass Facebook nicht nur Namen unkenntlich
machen könnte, sondern darüber hinaus auch wichtige Textpassagen - die nach
Ansicht von facebook Rückschlüsse auf die jeweiligen KommunikationspartnerInnen
zulassen könnten.
Letztinstanzlich hat nun das
Kammergericht (KG) Berlin für Facebook entschieden und die Klage abgewiesen. Aus
der Sicht des Kammergerichts steht der Schutz des Fernmeldegeheimnisses dem
Anspruch der Erben entgegen, Einsicht in die Kommunikation der Tochter mit
Dritten zu erhalten. Die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) wurde zugelassen.
Anmerkung: Beide Entscheidungen sind partiell überaus
problematisch. Nach Ansicht des LG Berlin überwiegt das Sorgerecht das
Persönlichkeitsrecht der 15-Jahrigen. Da in der Regel (Ausnahmen sind durchaus
denkbar, wurde hier aber nicht erörtert) Kinder in diesem Alter in der Lage sind
selbständig über ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht zu entscheiden
(entscheidend ist die Einsichtsfähigkeit) muß für Facebook gelten, was auch für
die Einsicht in etwaige Behandlungsunterlagen (ärztliche, psychotherapeutische
Behandlungen) gilt. Ein Zugriff nach dem Tod ist in der Regel nicht zulässig, es
sei denn, es ginge um vermögensrechtliche Ansprüche der Erben (z. B.
Behandlungsfehler). Das könnte in diesem Fall allerdings gegeben sein (siehe
Anspüche des U-Bahnfahrers gegen die Eltern als Erben).
Das KG Berlin verweigert den
Zugriff - im Grundsatz richtig - aber eben mit der Einschränkung, daß geprüft
hätte werden müssen, ob etwaige vermögensrechtliche Ansprüche der Erben ein -
wie auch immer geartetes - Einsichtsrecht begründen.
Urteil des Kammergerichts
Berlin v. 31.05. 2017:
Az. 21 U 9/16
Rechtsanwalt Thomas Wiedemann: Die Patientenakte und ihr sicherer Umgang
Unter dieser etwas
verwirrenden Überschrift informiert der Rechtsanwalt für Medizinrecht der PVS
holding, Thomas Wiedemann, kurz und für Laien verständlich über das
Einsichtrecht in die Behandlungsdokumentation.
Kritisch anzumerken ist, daß
es bei der Frage, ob Eltern Einsicht in die Behandlungsunterlagen ihrer Kindern
nehmen können, nicht auf deren Geschäfts(un)fähigkeit ankommt, sondern auf ihre
Einsichtsfähigkeit. Kinder können in aller Regel ab dem 14. Lebensjahr
selbständig entscheiden, ob Dritte (auch die sorgeberechtigten Eltern!) Einsicht
nehmen können, da die entsprechende Einsicht ab diesem Alter vorliegt (die
Schweigepflichtigen müssen sich allerdings im Einzelfall davon überzeugen, daß
kein Ausnahmefall vorliegt).
Anmerkung: Die
PVS holding ist ein privater Dienstleister zur Abrechnung
ärztlicher/psychotherapeutischer Leistungen.
Änderung des
§ 294a Sozialgesetzbuch, Buch V (SGB V): Mitteilung von Krankheitsursachen und
drittverursachten Gesundheitsschäden
Am 16.2.2017 hat der Bundestag
die Mitteilungspflicht von ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen (die im Rahmen der
vertragsärztlichen Versorgung tätig werden) gegenüber den Krankenkassen (§ 294a
SGB V) in Fällen gesundheitlicher Folgen von Misshandlung und sexueller Gewalt
bei Erwachsenen (sexuelle Übergriffe, Nötigungen, Vergewaltigungen)
eingeschränkt und von der ausdrücklichen Einwilligung der (volljährigen)
Betroffenen abhängig gemacht. Die Änderung ist am 11.4.2017 in Kraft getreten
(siehe Satz 2):
Satz 1:
Liegen
Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Krankheit eine Berufskrankheit im Sinne der
gesetzlichen Unfallversicherung oder deren Spätfolgen oder die Folge oder
Spätfolge eines Arbeitsunfalls, eines sonstigen Unfalls, einer Körperverletzung,
einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes oder eines Impfschadens
im Sinne des Infektionsschutzgesetzes ist oder liegen Hinweise auf
drittverursachte Gesundheitsschäden vor, sind die an der vertragsärztlichen
Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sowie die Krankenhäuser nach §
108 verpflichtet, die erforderlichen Daten, einschließlich der Angaben über
Ursachen und den möglichen Verursacher, den Krankenkassen mitzuteilen.
Satz 2:
Bei Hinweisen
auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines
sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung,
einer Vergewaltigung oder einer Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen
sein können, besteht keine Mitteilungspflicht nach Satz 1.
Satz 3:
Bei Hinweisen
auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines
sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder
einer Vergewaltigung einer oder eines volljährigen Versicherten sein können,
besteht die Mitteilungspflicht nach Satz 1 nur dann, wenn die oder der
Versicherte in die Mitteilung ausdrücklich eingewilligt hat.
Bei Kindern und Jugendlichen
bestand (Gesundheitsschäden infolge von Mißhandlung, sexueller Gewalt oder
Vernachlässigung) bestand schon bisher keine Meldepflicht.
Geplante Änderung
des § 203 Strafgesetzbuch (StGB) - Verletzung von Privatgeheimnissen:
Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen
(Teil
I)
Von der Fachöffentlichkeit weitgehend
unbemerkt hat der Bundestag hat am 27. April 2017 den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zurNeuregelung
des Schutzes von Geheimnissenbei
der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen
in erster Lesung beraten. Die Vorlage wurde im Anschluß in den
federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zur weiteren Beratung
übermittelt und soll noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden.
Hintergrund der Änderung ist der
zunehmend notwendige Einsatz von Hilfskräften (etwa NotarInnen,
SteuerberaterInnen, WirtschaftsprüferInnen) und auch der Einsatz von
IT-ExpertInnen bei BerufsgeheimnisträgerInnen. Zum
Betrieb,
zur Einrichtung, Wartung
und Anpassung entsprechender informationstechnischer Anlagen, Anwendungen und
Systeme sind die Berufsgehilfen (z. B. Praxispersonal) in aller Regel nicht in
der Lage, so daß die Dienste von Dritten, die nicht der Schweigepflicht
unterliegen, in Anspruch genommen werden müßen.
Daher soll ein neuer Absatz 3 in §
203 StGB eingefügt werden:
Kein
Offenbaren im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn die in den
Absätzen 1 und 2 genannten Personen Geheimnisse den bei ihnen
berufsmäßig tätigen Gehilfen oder den bei ihnen zur Vorbereitung auf den
Beruf tätigen Personen zugänglich machen. Die in den Absätzen 1 und 2
Genannten dürfen fremde Geheimnisse gegenüber sonstigen Personen
offenbaren, die an ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit
mitwirken, soweit dies für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der
sonstigen mitwirkenden Personen erforderlich ist; das Gleiche gilt für
sonstige mitwirkende Personen, wenn diese sich weiterer Personen
bedienen, die an der beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit der in den
Absätzen 1 und 2 Genannten mitwirken.
Damit würde
das Offenbaren von
(geschützten) Geheimnissen gegenüber Personen, die an der beruflichen oder
dienstlichen Tätigkeit des Berufsgeheimnisträgers mitwirken, soweit dies zur
ordnungsgemäßen Durchführung der Tätigkeit der mitwirkenden Personen
erforderlich ist - auch ohne Vorliegen einer Einwilligung der Betroffenen
- keine Straftat darstellen. Dafür ist im Gegenzug vorgesehen, die Mitwirkenden
in die Strafvorschrift mit einzubeziehen. Sie würden bei einem Verstoß gegen §
203 StGB eine Straftatbegehen. Weiter werden strafbewehrte Sorgfaltspflichten
der BerufsgeheimnisträgerInnen bei der Einbeziehung und Kontrolle Dritter
eingeführt.
Zur Begründung des Gesetzentwurfes
heißt es aus dem Bundesjustizministerium:
§ 203 des Strafgesetzbuches (StGB)
stellt den Schutz von Geheimnissen vor unbefugter Offenbarung sicher, die
Angehörigen bestimmter Berufsgruppen (zum Beispiel Ärzte, Rechtsanwälte,
Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit
anvertraut werden. Insbesondere die Digitalisierung hat es in den letzten
Jahrzehnten möglich und erforderlich gemacht, in weiterem Umfang als bisher
anfallende Unterstützungstätigkeiten nicht durch eigenes Personal erledigen zu
lassen, sondern durch darauf spezialisierte Unternehmen oder selbständig tätige
Personen. Hierzu gehören beispielsweise auch die Einrichtung, der Betrieb, die
Wartung und die Anpassung informationstechnischer Anlagen. Die Heranziehung
dritter, außerhalb der eigenen Sphäre stehender Personen zu diesen
unterstützenden Tätigkeiten ist für Berufsgeheimnisträger aber nicht ohne
rechtliches Risiko, sofern diese Personen damit von geschützten Geheimnissen
Kenntnis erlangen können. Der Entwurf sieht daher eine Einschränkung der
Strafbarkeit nach
§ 203
StGB vor. Ausdrücklich nicht der Strafbarkeit unterfallen soll zukünftig
das Offenbaren von geschützten Geheimnissen gegenüber Personen, die an der
beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit des Berufsgeheimnisträgers mitwirken,
soweit dies für die ordnungsgemäße Durchführung der Tätigkeit der mitwirkenden
Personen erforderlich ist. Im Gegenzug sollen diese mitwirkendenden Personen in
die Strafbarkeit nach
§ 203
StGB einbezogen werden. Darüber hinaus werden für Berufsgeheimnisträger
strafbewehrte Sorgfaltspflichten normiert, die bei der Einbeziehung dritter
Personen in die Berufsausübung zu beachten sind.
Begleitend soll mit
dem Entwurf für die Berufsgeheimnisträger im Bereich der rechtsberatenden Berufe
normiert werden, unter welchen Voraussetzungen sie Dienstleistungen auslagern
dürfen, bei deren Erbringung der Dienstleister Kenntnis von Daten erhält, die
der Verschwiegenheit unterliegen. Hierbei soll auch festgelegt werden, welche
Pflichten dabei im Hinblick auf die Wahrung der Verschwiegenheit zu beachten
sind. Hierzu sollen die
Bundesrechtsanwaltsordnung, die
Bundesnotarordnung und die Patentanwaltsordnung angepasst werden.
(siehe Link:
Bundesjustizministerium
15.Februar 2017)
Anmerkung:
Grundsätzlich ist die Initiative der Bundesregierung zu begrüßen, beseitigt sie
doch einen Zustand, der in der Vergangenheit und Gegenwart viele
PsychotherapeutInnen und ÄrztInnen zu StraftäterInnen macht bzw. gemacht hat:
Erfolgt eine Zugang eines Softwarehauses zum Praxiscomputer (vor Ort oder über
Fernwartung, was heute bereits Standard ist) stellt dieses - soweit nicht von
allen betroffenen PatientInnen eine Entbindung von der Schweigepflicht vorliegt
- eine unbefugte Offenbarung und mithin eine Straftat vor.
Noch unklar und diskussionswürdig
sind allerdings die strafbewehrten Sorgfaltspflichten, die in diesem
Zusammenhang zu beachten sind. Denn: Es geht hier um außerordentlich sensible
Informationen, die nur punktuell und wenn dies nicht anders zu bewerkstelligen
ist Dritten zugänglich gemacht werden dürfen. Dabei muß u. a. sichergestellt
sein, daß die Daten nicht einem größeren Personenkreis bekant werden, nicht
gespeichert oder in nicht angemessener Weise verarbeitet werden.
Meine Begeisterung hält sehr
dennoch in Grenzen (frei
nach Queen Elizabeth II: 'I'm not amused'). Der Gesetzgeber neigt dazu,
Offenbarungsbefugnisse und -pflichten zunehmend detaillierter zu regeln
und weicht damit die Schweigepflicht immer weiter auf. Es wird zunehmend
unübersichtlich, wer was von jenen Geheimnissen erfahren kann, darf oder muß,
die ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen in einem geschützten Raum von
PatientInnen anvertraut wurden. Hinzu kommt, daß die Betroffenen durch die
fehlende ausdrückliche Einwilligung auch nicht mehr genau wissen, wer davon
erfährt und was genau diese Personen über sie erfahren.
Deutscher Bundestag, Drucksache
18/11936 (12.04.17): Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines
Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung
Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen
Ebenfalls am 27. April 2017
hat der Bundestag das umstrittene Gesetz zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes (BT-Drs.
18/11163) mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen beschlossen. Mit dem Gesetz wird das
Urteil des
Bundesverfassungsgerichts (Aktenzeichen 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09) und die
EU-Richtlinie zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung
personenbezogener Daten (April 2016) umgesetzt und zugleich auch
die Einführung der
elektronischen Fußfessel für
sogenannte Gefährder geregelt. Das Gesetz muß noch den Bundesrat passieren, die
mehrheitliche Zustimmung der Länder wird erwartet.
Geistliche, Abgeordnete,
Rechtsanwälte und Kammerrechtsbeistände (bisher nur Strafverteidiger) sind von
staatlichen Überwachungsmaßahmen im Rahmen des BKA-Gesetzes absolut ausgenommen.
Trotz umfangreicher Bemühungen auf allen Ebenen (Bundesärztekammer,
Bundespsychotherapeutenkammer, ärztliche und psychotherapeutische Berufs- und
Fachverbände) ist es nicht gelungen, PsychotherapeutInnen und ÄrztInnen
als BerufsgeheimnisträgerInnen in den Kreis einzubeziehen. Auch ich selbst habe
(vergeblich) in einem Berufsverband an den Bemühungen hinter den Kulissen
mitgewirkt.
In der Pressemitteilung der
Bundespsychotherapeutenkammer heißt es dazu wörtlich:
Der Bundestag hat am 27. April 2017 das umstrittene Gesetz
zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes (BT-Drs. 18/11163)
beschlossen. Geistliche, Abgeordnete, Rechtsanwälte und Kammerrechtsbeistände
sind von staatlichen Überwachungsmaßahmen absolut ausgenommen. Der gleiche
Schutz bleibt Psychotherapeuten und Ärzten jedoch weiterhin versagt.
"Grundlage einer erfolgversprechenden Psychotherapie ist
ein uneingeschränktes Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Psychotherapeut"
kritisiert Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer
(BPtK), das Bundeskriminalamtgesetz. "Alle Patienten brauchen die Möglichkeit,
sich jederzeit und insbesondere in Krisensituationen, an einen Psychotherapeuten
zu wenden. Sie müssen sich der absoluten Vertraulichkeit ihrer Gespräche sicher
sein können. Das Gesetz untergräbt die therapeutisch wesentliche Zusicherung der
Psychotherapeuten an ihre Patienten, nach der kein Wort aus den Gesprächen nach
außen dringt".
Die BPtK kann nicht nachvollziehen, weshalb zwar Gespräche
mit Rechtsanwälten oder Geistlichen vor staatlichem Abhören absolut geschützt
sind, nicht jedoch Gespräche mit Psychotherapeuten oder Ärzten. Alle diese
Berufsgruppen sind als Zeugnisverweigerungsberechtigte nach § 53 StPO geschützt.
Dieser Schutzgedanke hätte auch im Bundeskriminalamtgesetz nachvollzogen werden
müssen. Die BPtK hatte sich bei den Gesetzesberatungen für den absoluten Schutz
der Psychotherapeuten eingesetzt.
Diesen Ausführungen ist
uneingeschränkt zuzustimmen!
Anmerkung: Auch die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse,
Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) hat sich intensiv mit
diesem Thema beschäftigt und eine Pressemeldung sowie eine ausführliche
Stellungnahme, an der ich persönlich mitgearbeitet habe (beides siehe unten).
Letztere wurde verschiedenen PolitikerInnen übergeben um die (geringe) Chance
einer dahingehenden Änderung zu nutzen.
Stellungnahme der Bundespsychotherapeutenkammer vom
23.02.2017 (Deutscher Bundestag, Innenausschuss, Ausschussdrucksache
18(4)781)
Pressemitteilung der
Bundespsychotherapeutenkammer v.
28.04.2017: Bundestag verabschiedet Reform des
Bundeskriminalamtgesetzes. Berufsgeheimnisträger bleiben
unzureichend geschützt.
Bericht aus dem Deutschen
Bundestag (27.04.17):
Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes verabschiedet (unter
2./3. Lesung)
Pressemitteilung DGPT (1.03.17):
Presseinformation: Das Berufsgeheimnis von Ärzten und Psychotherapeuten muss
absolut geschützt werden. Die Novelle des BKA Gesetzes erfüllt diese notwendige
Voraussetzung für die Arbeit der Ärzte und Psychotherapeuten nach wie vor nicht!
Weitere
Eilanträge in Sachen "Vorratsdatenspeicherung" blieben erfolglos
Das Bundesverfassungsgericht
hat in einer Pressemitteilung (Nr. 28/2017 vom 13. April 2017) mitgeteilt, daß
weitere Eilanträge zur "Vorratsdatenspeicherung" erfolglos geblieben sind
(Beschlüsse vom 26.03.17 - 1 BvR 3156/15, 1 BvR 141/16).
Die
Antragsteller haben sich mit ihren Anträgen auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung erneut gegen das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer
Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10. Dezember 2015 gewandt. Sie wollten
insbesondere mit Blick auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union
vom 21. Dezember 2016 (Rs. C-203/15 und C-698/15) erreichen, dass die durch
dieses Gesetz eingeführte Vorratsspeicherung von
Telekommunikations-Verkehrsdaten zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit außer
Kraft gesetzt wird. Mit heute veröffentlichten Beschlüssen hat die 3. Kammer des
Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Anträge auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung abgelehnt. Auch nach der Entscheidung des Gerichtshofs
der Europäischen Union stellen sich hinsichtlich der verfassungsrechtlichen
Bewertung der angegriffenen Regelungen Fragen, die nicht zur Klärung im
Eilrechtschutzverfahren geeignet sind.
Pressemitteilung BverfG
Nr.
28/2017 vom 13. April 2017: Weitere Eilanträge in Sachen
"Vorratsdatenspeicherung" erfolglos
Bereits 2015
ist das 3. Opferschutzreformgesetz in Kraft getreten. Einzelne Teile traten erst zu Beginn diesen Jahres
in Kraft - so das im Gesetz neu geschaffene Rechtsinstitut der psychosozialen
Prozessbegleitung (§ 406g StPO)
eingeführt, die bei bestimmten Straftaten auf Antrag des Verletzten eingerichtet
wird (Beiordnung). Kosten entstehen nicht und der/m psychosozialen ProzessbegleiterIn ist es
gestattet, bei Vernehmungen des Verletzten und während der Hauptverhandlung
gemeinsam mit dem Verletzten anwesend zu sein.
Liegt beispielsweise eine Straftat
gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 ff) vor, besteht ein Antragsrecht
des Opfers - jedoch
nur, soweit es zum
Tatzeitpunkt das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte oder seine Interessen
selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann
(§
406g Abs. 3 i.V.m. § 397a Absatz 1 Nummer 4 und 5 StPO).
Bei versuchtem Mord oder
Totschlag (und anderen Straftaten) ist eine Beiordnung auf Antrag vorgesehen,
soweit die besondere
Schutzbedürftigkeit des Verletzten dies erfordert
(§
406g Abs. 3 i.V.m. § 397a Absatz 1 Nummer 1-3 StPO).
Doch nun kommt das
entscheidende Problem: Zwar werden die Rechte der Opfer (nicht nur an dieser
Stelle) gestärkt, aber
die/der psychosoziale ProzessbegleiterIn verfügt nicht über ein
Zeugnisverweigerungsrecht. Das bedeutet: Auch wenn der Verletzte selbst das
nicht möchte, müßte die/der psychosoziale
ProzessbegleiterIn im Verfahren ggf. als Zeuge aussagen.
Die Durchführung psychosoziale Prozessbegleitung
wurde im "Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren
(PsychPbG)" geregelt, es ist Teil des Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im
Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) vom 21. Dezember 2015.
(1)
Psychosoziale Prozessbegleitung ist eine besondere Form der nicht
rechtlichen Begleitung im Strafverfahren für besonders schutzbedürftige
Verletzte vor, während und nach der Hauptverhandlung. Sie umfasst die
Informationsvermittlung sowie die qualifizierte Betreuung und Unterstützung
im gesamten Strafverfahren mit dem Ziel, die individuelle Belastung der
Verletzten zu reduzieren und ihre Sekundärviktimisierung zu vermeiden.
(2)
Psychosoziale Prozessbegleitung ist geprägt von Neutralität gegenüber dem
Strafverfahren und der Trennung von Beratung und Begleitung. Sie umfasst
weder die rechtliche Beratung noch die Aufklärung des Sachverhalts und darf
nicht zu einer Beeinflussung des Zeugen oder einer Beeinträchtigung der
Zeugenaussage führen. Der Verletzte ist darüber sowie über das fehlende
Zeugnisverweigerungsrecht des psychosozialen Prozessbegleiters von diesem zu
Beginn der Prozessbegleitung zu informieren.
Schon die notwendige
Qualifikation der ProzeßbegleiterInnen (Hochschulausbildung/Berufsausbildung
Sozialpädagogik, Soziale
Arbeit, Pädagogik, Psychologie mit anschließender anerkannter Aus- oder
Weiterbildung zur/m psychosozialen ProzessbegleiterIn) zeigt, daß Unklarheiten
vorprogrammiert sind, sind doch gerade diese Berufsgruppen (mit Ausnahme der
PädagogInnen) strafrechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet (§ 203 StGB).
Allerdings verfügen sie (mit ganz wenigen Ausnahmen bei bestimmten Tätigkeiten)
nicht über ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO.
RA
Henriette Lyndian schreibt dazu:
Er [der
Prozeßbegleiter/J.T.] hat zwar in der Ausübung seiner Begleitung eine
Verpflichtung zur Vertraulichkeit, dieses gilt aber nicht in Bezug auf das
Strafverfahren. Dieses ist sehr wichtig, um eine Transparenz der Begleitung
zu schaffen, die es gegebenenfalls dem Gericht und den anderen
Prozessbeteiligten, insbesondere dem Angeklagten und seinen Verteidigern,
ermöglicht, zu überprüfen, ob eine Einflussnahme, sei sie bewusst oder
unbewusst, auf den Zeugen stattgefunden hat.
Man muß sich fragen, ob einen
solche theoretische juristische Konstruktion tatsächlich den Umständen gerecht
wird, in welchen sich die Betroffenen, es handelt sich zum Opfer schwerer
Straftaten, befinden.
Zwar kann eine Aussage der/des psychosozialen
Prozessbegleiterin/s durchaus von Vorteil für das Opfer sein. Aber es kann nicht
selbst darüber entscheiden, ob es zur Aussage kommt oder nicht - und genau dieses
Selbstbestimmungsrecht ist Hintergrund und Sinn des Zeugnisverweigerungsrechts
aus beruflichen Gründen.
Insgesamt kommt mir das Modell
gut gemeint aber wenig durchdacht vor – es ist für Opfer viel zu nahe an der
Justiz. Auch bleibt unklar, warum die Stellung der bestehenden ehrenamtlichen
Organisationen im Bereich der Opferberatung nicht (weiter) gestärkt wird. Das
wäre – auch auf dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips – deutlich sinnvoller
gewesen.
Gesetze im Internet
(Bundesjustizministerium), Abruf: 5.03.17, 20:26 : §
406g StPO
Gesetz über die psychosoziale
Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG):
Artikel 4 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2015 Teil I Nr. 55, ausgegeben zu Bonn am
30. Dezember 2015, Seite 2529-2530
Änderung der Datenübermittlung an die Medizinischen Dienste der gesetzlichen
Krankenkassen
Bislang wurden
ärztliche/psychotherapeutische Unterlagen von den LeistungserbringerInnen in
einem separaten Umschlag mit der Aufschrift "Nur vom Medizinischen Dienst zu
öffnen" an die zuständige Krankenkasse geschickt. Von dort sollte der
ungeöffnete Umschlag an den MDK weiterleitet werden.
Aufgrund der Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten (bei
Kontrollen waren erhebliche Verstöße
der Krankenkassen gegen den Datenschutz ans Tageslicht gekommen) wurde die
maßgebliche Regelung in § 276 Abs. 2 SGB V geändert.
Nunmehr werden
die Unterlagen für
gutachterliche Stellungnahmen einschließlich eines eigens entwickelten
Weiterleitungsbogen der Krankenkassen von den VertragsärzInnen und
-psychotherapeutInnen direkt an den MDK gesandt. Dazu schreibt die KBV
(Praxisnachrichten 22.12.16):
Vorgangsnummer
und Patientendaten
Für die
Übermittlung der Befunde erhalten Vertragsärzte ab Januar von der Krankenkasse
des Versicherten neben dem Schreiben, aus dem der Grund für die Begutachtung
hervorgeht, einen bereits vollständig ausgefüllten Weiterleitungsbogen (Muster
86). Dieser enthält unter anderen die Anschrift des MDK, eine Vorgangsnummer und
die Daten des Patienten.
Kassen stellen
Freiumschlag bereit
Vertragsärzte
fügen dem Weiterleitungsbogen lediglich die angeforderten Unterlagen in Kopie
bei und schicken diese direkt an den MDK – nicht mehr wie bisher in einem
separaten Umschlag an die Krankenkasse. Für den Versand stellen die Krankenkasse
den Ärzten weiterhin einen Freiumschlag zur Verfügung – ab 1. April 2017
verbindlich im Format C5. Das Problem, dass die Umschläge mitunter zu klein
sind, ist damit behoben.
Versand nur mit
Weiterleitungsbogen
Der
Weiterleitungsbogen dient sowohl der korrekten Adressierung an den zuständige
Medizinischen Dienst als auch der automatisierten Zuordnung der übermittelten
Unterlagen zum Versicherten beim MDK, sodass die eingehenden Befunde und
ärztlichen Unterlagen korrekt zugeordnet werden können. Ein Versand der
Unterlagen an den MDK ohne Vorlage dieser Informationen ist vor allem mit Blick
auf den Datenschutz nicht zulässig.
Liegen beim
Arzt weitere für die Beurteilung durch den MDK relevante Informationen oder
Besonderheiten vor, können diese formlos den Unterlagen für den Gutachter
beigefügt werden.
Den genannten Vordruck finden Sie bei
untenstehendem Link (wenn sie die Vordrucksammlung geöffnet haben, ist das
Muster 86 auf der letzten von 103 Seiten).
KVB Praxisnachrichten (22.12.16): Übermittlung von Befunden an
MDK ab 2017 neu geregelt
Hier kommen Sie direkt zur
Vordruckmustersammlung mit Weiterleitungsbogen (Muster 86); Stand:
Psychotherapeutenjournal 4/2016: Lockerung der Schweigepflicht zum Zweck der
Verhinderung von Straftaten
Martin Klett (KJP und
Vizepräsident der PTK Baden-Württemberg) & S. Tessmer (Ass. jur., Leiterin der
Rechtsabteilung der PTK Baden-Württemberg) haben im aktuellen
Psychotherapeutenjournal (4/2016: 380-386) in der Rubrik
Recht: aktuell einen sehr lesenswerten Beitrag zur Frage einer möglichen
(und politisch wiederholt geforderten) Lockerung der Schweigepflicht zum Zweck
der Verhinderung von Straftaten veröffentlicht.
Zusammenfassung [Zitat]:
Die
jüngste politische Diskussion um eine Lockerung der Schweigepflicht stößt bei
Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und
Ärzten auf massiven Widerstand, löst aber auch Verunsicherung bei Patienten und
bei den Angehörigen des Berufsstandes über die Rechtslage aus. Dieser Artikel
wird nach einer Einleitung die bestehenden standesrechtlichen und gesetzlichen
Regelungen zur Schweigepflicht darstellen sowie im Folgenden die wichtigsten
Möglichkeiten der Durchbrechung der Schweigepflicht aufzeigen. Es werden die
aktuellen politischen Forderungen nach einer Lockerung der Schweigepflicht
aufgegriffen und dargestellt, welche Folgen ihre Realisierung haben könnte. Die
Autoren vertreten die Auffassung, dass eine Änderung der bestehenden Rechtslage
nicht erforderlich ist und der politischen Zielsetzung einer Verhinderung von
Straftaten sogar zuwiderlaufen würde.
Ich habe bereits mehr mehrfach auf
den von den AutorInnen dargelegten Umstand hingewiesen (eine
Änderung der bestehenden Rechtslage ist nicht erforderlich ist und könnte der
politischen Zielsetzung einer Verhinderung von Straftaten sogar zuwiderlaufen):
Beitrag
AKTUELL: Nummer
8/2015:
Ein tragischer Flugzeugabsturz in den französischen Alpen und die (deutsche)
Schweigepflicht: Szenen einer Hysterie & Versuch, den Aktionismus bei von
Menschen verursachten Katastrophen zu verstehen (Stand 3.04.15) Teil
I
Psychotherapeutenjournal (4/2016:
380-386): Recht aktuell. Lockerung der Schweigepflicht zum Zweck der
Verhinderung von Straftaten (Martin Klett und Stephanie Tessmer)
Vorratsdatenspeicherung: Der Gerichtshof der Europäischen
Union
(EuGH) hält die voraussetzungslose
Vorratsdatenspeicherung nicht mit Unionsrecht vereinbar -
die vorbeugende und gezielte Vorratsspeicherung von Daten zum alleinigen
Zweck der Bekämpfung schwerer Straftaten ist jedoch zulässig(Urteil vom
21.12.2016, - C-203/15 und C-698/15 - )
Teil XIX
Bereits 2014 hatte der
Europäische Gerichtshof (EuGH) mit dem die Richtlinie über die Vorratsspeicherung
von Daten für ungültig erklärt., weil der Eingriff in die Grundrechte auf
Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten durch die mit dieser
Richtlinie vorgeschriebene allgemeine
Verpflichtung zur
Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten nach seiner Überzeugung nicht
auf das absolut Notwendige beschränkt war.
In zwei weiteren Verfahren
befaßte sich der EuGH nun mit der Frage der Zulässigkeit einer den Betreibern
elektronischer Kommunikationsdienste in Schweden und im Vereinigten Königreich
auferlegten allgemeine Verpflichtung, Daten elektronischer
Kommunikationsvorgänge auf Vorrat zu speichern - diese war noch in der für
ungültig erklärten Richtlinie vorgesehen.
Aus der Pressemitteilung 145/16
(Luxemburg, 21.12.16):
Das Unionsrecht
untersagt eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs-
und Standortdaten. Es steht den Mitgliedstaaten aber frei, vorbeugend eine
gezielte Vorratsspeicherung dieser Daten zum alleinigen Zweck der Bekämpfung
schwerer Straftaten vorzusehen, sofern eine solche Speicherung hinsichtlich der
Kategorien von zu speichernden Daten, der erfassten Kommunikationsmittel, der
betroffenen Personen und der vorgesehenen Dauer der Speicherung auf das absolut
Notwendige beschränkt ist. Der Zugang der nationalen Behörden zu den auf Vorrat
gespeicherten Daten muss von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, zu denen
insbesondere eine vorherige Kontrolle durch eine unabhängige Stelle und die
Vorratsspeicherung der Daten im Gebiet der Union gehören.
Zu den weiteren Ausführungen
(Pressemeldung)
Der
Gerichtshof weist außerdem auf seine ständige Rechtsprechung hin, wonach der
Schutz des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens verlangt, dass sich die
Ausnahmen vom Schutz personenbezogener Daten auf das absolut Notwendige
beschränken. Der Gerichtshof wendet diese Rechtsprechung sowohl auf die
Regeln über die Vorratsdatenspeicherung als auch auf die Regeln über den Zugang
zu den gespeicherten Daten an.
In Bezug
auf die Vorratsspeicherung stellt der
Gerichtshof fest, dass aus der Gesamtheit der gespeicherten Daten sehr genaue
Schlüsse auf das Privatleben der Personen, deren Daten auf Vorrat
gespeichert wurden, gezogen werden können.
Der Grundrechtseingriff, der mit einer
nationalen Regelung einhergeht, die eine Speicherung von Verkehrs- und
Standortdaten vorsieht, ist somit als besonders schwerwiegend anzusehen. Der Umstand, dass die Vorratsspeicherung
der Daten vorgenommen wird, ohne dass die Nutzer elektronischer
Kommunikationsdienste darüber informiert werden, ist geeignet, bei den
Betroffenen das Gefühl zu erzeugen, dass ihr Privatleben Gegenstand einer
ständigen Überwachung ist. Deshalb vermag allein die Bekämpfung schwerer
Straftaten einen solchen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen.
(...)
Der Gerichtshof stellt jedoch klar, dass die Datenschutzrichtlinie einer
nationalen Regelung nicht entgegensteht, die zur Bekämpfung schwerer
Straftaten eine gezielte Vorratsspeicherung von Daten ermöglicht,
sofern diese Vorratsspeicherung hinsichtlich der Kategorien von zu
speichernden Daten, der erfassten Kommunikationsmittel, der betroffenen Personen
und der vorgesehenen Speicherungsdauer auf das absolut Notwendige beschränkt
ist. Dem Gerichtshof zufolge muss jede nationale Regelung, die derartiges
vorsieht, klar und präzise sein und hinreichende Garantien enthalten,
um die Daten vor Missbrauchsrisiken zu schützen. Die betreffende Regelung muss
angeben, unter welchen Umständen und Voraussetzungen eine Maßnahme der
Vorratsspeicherung von Daten vorbeugend getroffen werden darf, um so zu
gewährleisten, dass der Umfang dieser Maßnahme in der Praxis tatsächlich auf das
absolut Notwendige beschränkt ist. Eine solche Regelung muss insbesondere auf
objektive Anknüpfungspunkte gestützt sein, die es ermöglichen diejenigen
Personen zu erfassen, deren Daten geeignet sind, einen Zusammenhang mit schweren
Straftaten aufzuweisen, zur Bekämpfung schwerer Straftaten beizutragen oder eine
schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu verhindern.
Anmerkung:
So positiv das Urteil in seinem Tenor ist - die Möglichkeit der
Vorratsdatenspeicherung zum Zweck der
Bekämpfung schwerer Straftaten
eröffnet eine (weitere) Tür, die den - vermeintlichen - Sicherheitsinteressen
des Staates (der BürgerInnen?) dient und dafür Eingriffe in Grundrechte
hinnimmt. Das Problem ist dabei nicht der Einzelfall, sondern die Erosion des
Vertrauens der BürgerInnen in staatliches Handeln, das sich ja auch den
Einblicken (sogar der das für vorgesehenen Institutionen, wie dem
Parlamentarischen
Kontrollgremium des
Bundestags bzw. der Länderparlamente) entzieht.
Gerichtshof der Europäischen Union:
Pressemitteilung Nr. 145/16 (Luxemburg, den 21. Dezember 2016): Urteil in
den verbundenen Rechtssachen C-203/15, Tele2 Sverige AB / Post- och
telestyrelsen, und C-698/15, Secretary of State for the Home Department / Tom
Watson u. a.
Gesetzliche Unfallversicherung:
Verfahrenserleichterung für Psychotherapeuten
Die Bundespsychotherapeutenkammer
(BPtK) hat eine Änderung im Sozialgesetzbuch VI (Gesetzliche Unfallversicherung)
initiiert: Auf der Webseite stellt die BPtK dazu fest:
23. November 2016
Patientendaten in der gesetzlichen Unfallversicherung
Verfahrenserleichterung für Psychotherapeuten
Psychologische
Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, die an der
Heilbehandlung eines Versicherten der gesetzlichen Unfallversicherung beteiligt
sind, brauchen zukünftig keine schriftliche Einverständniserklärung mehr, um der
Unfallversicherung Auskünfte über die Behandlung zu erteilen. Dazu gehören
personenbezogene Daten über die Heilbehandlung, soweit sie für die Prüfung der
Leistungsvoraussetzungen und die Abrechnung erforderlich sind.
Diese
Verfahrenserleichterung gilt mit dem Inkrafttreten des 6. SGB
IV-Änderungsgesetzes am 17. November 2016 (BT-Drs. 18/8487). Damit ist eine
wichtige Gleichstellung der Psychotherapeuten mit den anderen Heilberufen
vollzogen. Bisher waren die Psychotherapeuten nicht ausdrücklich in § 201 SGB
VII genannt.
Die
Psychotherapeuten sind dazu verpflichtet, ihre Patienten über den Zweck der
Erhebung dieser Daten und über die Pflicht zur Auskunft nach § 201 SGB VII zu
informieren sowie darüber aufzuklären, dass der Patient vom
Unfallversicherungsträger die Unterrichtung über die übermittelten Daten
verlangen kann.
Die
Bundespsychotherapeutenkammer hatte in einem Schreiben an das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales darauf hingewiesen, dass eine entsprechende Änderung in
§ 201 Absatz 1 SGB VII zur Gleichstellung der Psychotherapeuten notwendig ist.
Beschränkung des Einsichtsrechts
in die Behandlungsunterlagen, wenn es dazu dient ein bereits bestehenden
Kontaktverbot (wegen Stalking) zu umgehen; Urteil Landgericht München I v.
13.09.2016
Teil II
Wie im Beitrag
Aktuell: Nummer 12/2015 berichtet,
kam es vor dem Amtsgericht München zu einer ungewöhnlichen Klage eines
Psychotherapiepatienten wegen Herausgabe der Behandlungsunterlagen.
Ein Patient, der bei einer
Psychotherapeutin einige Wochen in Therapie war, hatte diese nach der
Beendigung der Behandlung gestalkt und dabei auch bedroht (persönliche Mitteilung der
betroffenen Kollegin) - die
Psychotherapeutin hatte deswegen auch ein gerichtlich verfügtes Kontaktverbot
(nach dem Gewaltschutzgesetz) erwirkt, gegen das der
Patient allerdings mehrfach verstieß. Er verlangte nun die Herausgabe der
Behandlungsunterlagen nach § 10 Abs. 2 der Berufsordnung
für die Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten
und für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten
Bayerns;
www.ptk-bayern.de).
Die Psychotherapeutin widersetzte sich nicht dem Einsichtsbegehren, wohl aber
einer Einsichtnahme in ihrer Praxis bzw. in ihrer Anwesenheit, sondern übergab
die Unterlagen der Staatsanwaltschaft, nachdem sich die zuständige
Psychotherapeutenkammer geweigert hatte, die Unterlagen aufzubewahren und ggf.
Einsicht zu gewähren.
Das Amtsgericht München hatte die
Klage
am 1.04.2015 zurückgewiesen: In seiner Entscheidung bezog
sich das AG München nicht auf die Berufsordnung, sondern argumentierte, daß grundsätzlich ein Einsichtsrecht nach § 630 g BGB besteht, das im
vorliegenden Fall jedoch eingeschränkt sei, weil nach § 630 Abs. 1 g BGB ein
Einsichtsrecht nicht bestehe, soweit erhebliche therapeutische Gründe
entgegenstehen. Dieser Fall sei hier gegeben, "da aufgrund
der psychopathologischen Einstellung des Klägers nicht auszuschließen sei, dass
bei Kenntnisnahme des Akteninhalts Affektreaktionen entstehen können, die dann
vom Kläger nicht mehr steuerbar seien, was letztlich zu einer negativen
Beeinflussung seines eigenen Gesundheitszustands führen könne". Weiter "sei
nicht auszuschließen, dass der Kläger die Einsichtnahme nur einfordert, um auf
diese Weise das ausgesprochene Kontaktverbot zu umgehen". Die
Psychotherapeutin hatte die Behandlungsunterlagen bereits zuvor an die
Staatsanwaltschaft übergeben, wo der Kläger die Möglichkeit gehabt hätte,
Einsicht zu nehmen. Es sei ihm - so das Gericht - zuzumuten gewesen, dort
"Akteneinsicht zu nehmen und damit vom genauen Inhalt der
Behandlungsunterlagen Kenntnis zu erlangen".
Gegen das Urteil legte der
Patient Berufung ein, die nun mit Endurteil vom 13.09.16 vom Landgericht München
1 (AZ13 S 7636/15; 242 C 20527/14 AG München) als unbegründet zurückgewiesen
wurde. Dabei führt das Berufungsgericht u. a. aus:
In der
Klageerwiderung vor dem Amtsgericht München hat die Beklagte [die
Psychotherapeutin] der Akteneinsicht entgegenstehende
therapeutischen Gründe in ausreichender Weise (s. hierzu BGH Urteil vom
06.12.1988, VI. ZR 76/88) dargelegt. Diese Gründe sind nach Art und Richtung
näher zu kennzeichnen, ohne dabei ins Detail gehen zu müssen. (Seite 5)
Den Vortrag der Klagepartei
[ehemaliger Patient] zur Berufung hielt das Gericht für weder ausreichend noch
widerspruchsfrei. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Damit hat sich das Gericht den
Ausführungen inhaltlich der Vorinstanz angeschlossen. Tatsächlich wurde dem
Patienten das Einsichtsrecht keineswegs grundsätzlich versagt, sondern in Art
und Umständen der Einsicht (hier bei der Staatsanwaltschaft, da die
Psychotherapeutenkammer nicht zur Verfügung stand). Das war hier nicht nur
angemessen, sondern auch notwendig, den die Kollegin wurde Opfer eines auch
objektiv festgestellten Stalkings.
Anmerkung: Der Rekurs des LG München I auf die Rechtsprechung des BGH
scheint deshalb auch wenig hilfreich. Weder wurde das Einsichtsrecht völlig
bestritten, noch steht die frühere Rechtsprechung des BGH in Einklang mit der
Zielrichtung des Patientenrechtegesetzes (wobei nicht feststand, ob das Gesetz
aus zeitlichen Gründen hätte Anwendung finden können), das - wie im Namen
erkennbar - die Rechte der PatientInnen stärken soll und die früher wenig
patientenfreundliche Entscheidungspraxis des BGH zum Einsichtsrecht
konterkariert. Ein vollständiger und zeitlich unbefristeter Ausschluß der
Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen - wie er früher unter Berufung auf
den sogenannten "therapeutischen Vorbehalt" bei psychiatrischen PatientInnen
üblich war (teils auch bei PatientInnen, die sich in psychotherapeutischer
Behandlung befanden) - sollte mit Inkrafttreten des § 630g
(26.02.2013)
obsolet sein!
Urteil
Landgericht München 1 (AZ13
S 7636/15; 242 C 20527/14 AG München) v. 13.09.16
Die
EU-Datenschutzverordnung (EU-DSGVO) ist verabschiedet (April 2016)
(Teil
V)
Wie schon im Beitrag 6/2016
berichtet, wurde seit Jahren an einer neuen EU-Datenschutzverordnung (EU-DSGVO)
gearbeitet, die die bisherige EU-Datenschutzrichtlinie ablösen wird. Das
Europäische Parlament hat sie bereits am 14. April 2016 mit großer Mehrheit
verabschiedet.
Die wichtigsten Änderungen
nach Information des Europäischen Parlaments):
Recht auf Vergessenwerden
Verarbeitung der Daten nur
nach ausdrücklicher Einwilligung der betroffenen Person
Recht auf
Datenübertragbarkeit (an einen anderen Dienstleister)
Recht der Betroffenen, bei
Verletzung des Schutzes der eigenen Daten darüber informiert zu werden
Datenschutzbestimmungen
müssen in klarer und verständlicher Sprache erläutert werden, und
bei Verstößen wird härter
durchgegriffen; im Fall eines Unternehmens werden Strafen von bis zu 4 %
seines gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen
Geschäftsjahrs verhängt.
Weiter enthält das
Datenschutzpaket eine
Richtlinie über die Datenübertragungen zu polizeilichen und gerichtlichen
Zwecken (Datenübertragungen innerhalb der EU mit Mindeststandards für die
Datenverarbeitung) zum Schutz des Einzelnen (Opfer, Kriminelle oder Zeugen).
Festgelegt werden klare Rechte und Einschränkungen in Bezug auf
Datenübertragungen zum Zweck der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder
Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung auch hinsichtlich des
Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit.
Die Mitgliedstaaten haben zwei
Jahre Zeit, die Bestimmungen der Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.
Ausnahmen haben Dänemark und Großbritannien im Bereich Justiz und Inneres
ausgehandelt (eingeschränkte Geltung), Dänemark wurde auch ein Entscheidungsraum
von 6 Monaten zugebilligt um zu entscheiden, ob es die Richtlinie in nationales
Recht umgesetzt wird.
In der Mitgliederzeitschrift
des Berufsverbands für Soziale Arbeit e.V. (DBSH) hat der emeritierte Prof. Dr.
Titus Simon (Hochschule
Magdeburg-Stendal) einen sehr
lesenswerten Beitrag zum Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsgruppe der
SozialpädagogInnen bzw. SozialarbeiterInnen veröffentlicht:
Sozialarbeit benötigt
unverändert ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht. 50 Jahre bislang
vergebliches Bemühen um eine bessere Rechtsstellung.
Neben den geltenden Rechtsnormen gibt
der Beitrag einen Überblick über die Bemühungen die Schweigepflicht (§ 203 StGB)
zu stärken, den Vertrauensschutz in der Jugendhilfe (§ 65 bzw. 67 ff SGB VIII)
zu wahren und das (strafrechtliche) Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 StPO)durch
eine Änderung der Strafprozeßordnung zu etablieren - durch die Hereinnahme der
Sozialarbeit generell oder bestimmte Gruppen (SozialarbeiterInnen in
Fanprojekten) in die dort genannten BerufsgeheimnisträgerInnen.
Anmerkung: Ich kann mich
diesen Ausführungen nur anschließen!
FORUM Sozial 2/2016 (37-40):
Sozialarbeit & Zeugnisverweigerungsrecht als
pdf-Datei (mit freundlicher Zustimmung des Autors und des Verlags)
Donald Trump
und die Goldwater-rule der American Psychiatric Association
(APA)
Anmerkung: Obwohl es hier nicht unmittelbar um Schweigepflicht und
Datenschutz geht scheint mir das Thema insofern berührt, als mit den
Informationen die wir (und natürlich insbesondere Personen des öffentlichen
Lebens - und das kann ja heute, wenigstens für kurze Zeit, jeder sein) in der
Öffentlichkeit bewußt und unbewußt preisgeben umgehen.
Im Zusammenhang der Wahlen zum
Präsidentenamt in Amerika, haben amerikanische PsychiaterInnen und
PsychologInnen - vermutlich aus (durchaus verständlicher) Sorge um die
politische Entwicklung in Amerika - bei dem nominierten republikanischen
Präsidentschaftsbewerber Donald Trump eine Mischung von Persönlichkeitsproblemen
identifiziert, darunter Grandiosität, Empathiemangel und maligner Narzißmus.
Die klinischen Beleidigungen gingen soweit, daß sich die Präsidentin der American
Psychiatric Association (APA), Maria
A. Oquendo, Anfang des Monats dazu veranlaßt sah, einen Blog-Beitrag
einzustellen: "Weshalb es unethisch und unverantwortlich ist, die
'Goldwater-rule' zu brechen". Neben der Gefahr eines Verlustes des Vertrauens
der Öffentlichkeit in die Psychiatrie und der Stigmatisierung der Betroffenen,
gehe es auch um das (bedrohte) Vertrauen der PatientInnen in ihre/n
behandelnde/n Ärztin/Arzt, die/der sich in einer solchen Weise in der
Öffentlichkeit äußerten.
1964 hatten mehr als 1000
PsychiaterInnen den republikanischen Präsidentschaftskandidaten, Senator Barry
Goldwater aufgrund schwerer Persönlichkeitsdefekte (Paranoia, großspuriges
Verhalten und ein gottgleiches Selbstbild eingeschlossen) in einer Umfrage bei
mehr als 12.000 befragten PsychiaterInnen als für das Amt ungeeignet erklärt.
Im Zuge dieses Vorfalls hat
die American Psychiatric
Association (APA) 1973 in den
Principles of Medical Ethics
with Annotations Especially
Applicable to Psychiatry
eine (weitere)
Anmerkung veröffentlicht, die als 'Goldwater-rule' bekannt geworden ist.
Sie steht unter Ziffer
3 der 7. Sektion:
Section 7
A physician
shall recognize a responsibility to participate in activities contributing to
the improvement of the community and the betterment of public health.
3. On occasion psychiatrists are asked for an opinion
about an individual who is in the light of public attention or who has disclosed
information about himself/herself through public media. In such circumstances, a
psychiatrist may share with the public his or her expertise about psychiatric
issues in general. However, it is unethical for a psychiatrist to offer a
professional opinion unless he or she has conducted an examination and has been
granted proper authorization for such a statement.
Übersetzung (J. Thorwart):
Ein Arzt
soll eine Verantwortung anerkennen an Aktivitäten teilzunehmen, die zur
Entwicklung des Gemeinwesens und Verbesserung der öffentlichen Gesundheit
beitragen.
3.
Gelegentlich werden Psychiater nach ihrer Meinung über eine Person des
öffentlichen Lebens oder eine Person, die Informationen über sich mittels
öffentlicher Medien enthüllt hat, gefragt. Unter solchen Umständen kann ein
Psychiater seine/ihre Expertise über allgemeine psychiatrischen Themen mit der
Öffentlichkeit teilen. Jedoch ist es unethisch für einen Psychiater, eine
professionelle Meinung zu vertreten , es sei denn, er oder sie hat eine
Untersuchung durchgeführt und ihm oder ihr wurde die Befugnis für ein solches
statement erteilt.
Auch in Deutschland gibt es
immer wieder PsychotherapeutInnen, die in den Medien zu Personen des
öffentlichen Lebens - meist im Zusammenhang schockierender Straftaten - Stellung
nehmen. Ich wundere mich immer wieder, was da für haarsträubende 'Erkenntnisse'
(alleine auf der Grundlage von Medienberichten) zum besten gegeben werden.
Zuletzt meinte der behandelnde Heilpraktiker für Psychotherapie des Attentäters
von Ansbach (24.07.2016) über seinen Patienten berichten zu müssen. Unabhängig
von der Frage seiner fachlichen Qualifikation auch noch ein Verstoß gegen die
Schweigepflicht (als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag).
Ich habe mich in der
Vergangenheit bereits verschiedentlich sehr kritisch darüber geäußert, daß
beispielsweise auch PsychoanalytikerInnen Personen der Zeitgeschichte (lebende,
noch nicht lange verstorbene oder historische Personen) diagnostizieren und
analysieren. Beispielhaft sei hier auf die Veröffentlichungen und Vorträge von
Paul Matussek hingewiesen, der sich über den 'Kreml-Flieger' und die
"Modellfälle" Grillparzer, Claudel, Gould, Jung, Heidegger und Axel Springer
äußert - und das auf eine m. E. sehr unangenehm
psychopathologisch-diskreditierenden Weise (vgl. z. B. Band 2: 34).
Matussek, P. [Hrsg.] (1992):
Analytische Psychosentherapie. Band 1: Grundlagen [FranzGrillparzer,
Camille Claudel, Glenn Gould - Mitautor: Peter Matussek; Matthias Rust: S. 114].
Berlin: Springer 4. Nachdruck 2001
Matussek, P. [Hrsg.] (1997):
Analytische Psychosentherapie. Band 2: Anwendungen [Carl Gustav Jung, Martin
Heidegger und Axel Springer; Mitautor bei Heidegger: Peter Matussek]. Berlin:
Springer
Anmerkung
1
(5.09.16): In der ZEIT v.
1. September 2016
(Nr. 36/2016, 25. August 2016, Seite
29) hat Benedict Carey einen Beitrag zu diesem Thema
geschrieben:
Ist es fair, Donald Trump aus der Ferne zu analysieren? Psychologen und
Psychiater in den USA sind uneins über die ethischen Grenzen ihrer Disziplin.
Online-Version:
www.zeit.de/2016/36/psychologie-donald-trump-ferndiagnose.
Anmerkung
2 (8.10.16): Ich möchte noch aus einem Vorwort zitieren, daß
Alexander Mitscherlich im Jahr 1954 der Psychopathologie des Alltagslebens
vorangestellt hat und das gerade auch in diesem Zusammenhang noch hochaktuell
ist:
Eine dritte und
letzte Bitte an den Leser muß an dieser Stelle noch ausgesprochen werden, soll
die Methode der Aufklärung nicht Unheil bringen: Wenn Sie über sich und andere
zu einem besseren Verständnis zu kommen trachen, betreiben Sie Ihre Bemühungen
nicht mit der Absicht der Entlarvung, als Spionage.
Freud empfahl
dem, der mit seinen Erkenntnissen in der Praxis arbeitet, eine wohlwollende
Bereitschaft, die Not des Kranken anzunehmen. Hier in dieser Abhandlung geht es
nicht um große schmerzliche Selbstoffenbarungen, sondern um winzige Fragmente,
blitzhaftes Aufleuchten verborgener Innenwelt. Wer über den Splittern im Auge
des Nächsten die Balken im eigenen vergißt, bleibt auch diesmal blind. Und da
die Hellhörigkeit für die Fehlleistungen sich schon recht weit ausgebreitet hat,
kann er sicher sein, daß er in die für den lieben Nachbarn gedachte Grube fallen
wird.
Rationale
Analyse, das Durchschauen eines Prozesses ist in unserer Zivilisation fast
zwanghaft mit machtmehrender Ausbeutung dieses Wissens verknüpft. Wenn jetzt
auch das vermehrte Wissen um Doppelläufigkeit der menschlichen Verhaltensweisen,
um den Spannungszustand zwischen Bewußtem und Unbewußtem in den Strudel der
Machtpolitik gerät, welche die Menschen sich untereinander nicht ersparen
können, dann ist die Psychoanalyse ihrerseits am unbeabsichtigten anderen Ende
ihrer Verwirklichung angelangt. Es wird ertragen werden müssen. Aber man soll
nicht leichtfertig dieser Korruption anheimfallen.
Die
Psychoanalyse ist aus der spezifischen Not des zeitgenössischen Menschen
hervorgegangen. Netze unerhörter neuer Machtansprüche werden über ihn geworfen.
Die Not seiner Selbstverborgenheit wächst mit all seinen Fortschritten der
Bemächtigung. Man kann dem zynisch gegenüberstehen und mit tiefenpsychologischer
Kenntnis auf die Schwächen seiner Mitmenschen zielen. Auch Erkenntnisse haben
ihre großen und kleinen Schicksale. Nicht zu vergessen wäre aber, daß die
Psychoanalyse eine ärztliche Wissenschaft ist. Nil nocere: niemandem zum
Schaden, ist immer das Memento großen Arzttums gewesen. Wer ein Stück teilhat an
ärztlichem Wissen, sollte auf den Eid des »nil nocere« schwören. Viele
Heilmittel sind Gifte: über die Wirkung entscheidet die Kunst des Wissenden.
Wer mit Wohlwollen dem Autor bis
in das zuweilen Absurde seiner Kombinatorik folgt, wird diesmal in der schönsten
Lage sein, ihn noch durch die Absurdität, die ihm selbst gelegentlich
unterläuft, zu übertrumpfen. Wo immer er dem Possenspiel der unbeabsichtigten
Sentenzen, seiner Tücke, die Objekte fehlzuleiten begegnet, mag er fortan Freud
dankbar sein für die Winke, wie man über sich selbst lachend, staunend
Erkenntnis gewinnen kann – statt einen Fluch auszustoßen.
Alexander Mitscherlich
Mitscherlich, A.
(1954): 50 Jahre später. Einige Empfehlungen an den Leser. In: Freud, S.
(1901b): Zur Psychopathologie des Alltagslebens. Über Vergessen, Versprechen,
Vergreifen, Aberglauben und Irrtum. Frankfurt/M.: Fischer (TB 6079): 7-12 (hier
11f)
American Psychiatric Association
(APA): The Principles of Medical Ethics with Annotations Especially Applicable
to Psychiatry (2013
Edition)
Zeugnisverweigerungsrecht der BerufshelferInnen: Auch wenn ÄrztInnen selbst
beschuldigt werden, bleiben sie hinsichtlich der Ausübung des
Zeugnisverweigerungsrechts nach § 53a
StPO ihrer Berufshelferinnen entscheidungsbefugt (Berufsgericht
für Heilberufe Münster v. 2.9.2015 - 16 K 1399/14.T)
Aufgrund der Aussagen zweier
ArzthelferInnen (medizinische
Fachangestellte) hatte von der Ärztekammer Westfalen-Lippe im Juni 2014 die
Eröffnung eines berufsrechtlichen Verfahrens wegen Verletzung der ärztlichen
Berufspflichten gegen einen Gynäkologe (den Chef der Arzthelfernnen) beantragt. Dem Arzt wurde vorgeworfen,
„im
Rahmen des in der Notfalldienstpraxis in M. am 4. Januar 2014 durchgeführten
Notdienstes zwei minderjährige Patientinnen vor der [damals noch erforderlichen]
Verschreibung der „Pille danach“ gynäkologisch äußerlich untersucht, auf die
Durchführung der äußerlichen Untersuchung trotz kritischer Nachfrage der
Patientinnen zur Erforderlichkeit der Untersuchung bestanden und zudem
detaillierte Fragen zum Geschlechtsverkehr gestellt habe.“ (Zitat aus dem
Urteil VG Münster, zitiert wird die Ärztekammer
Westfalen-Lippe
Der Antrag auf Verfahrenseröffnung wurde
vom Verwaltungsgericht Münster (Heilberufsgericht 2. Kammer) am 2.09.2015 gemäß §§ 204 Abs. 1, 203 StPO, § 112 HeilBerG
(NRW) abgelehnt, da der
Beschuldigte aus Sicht des Gerichts nicht hinreichend verdächtig war, "gegen
Berufspflichten verstoßen zu haben. Der Sachverhalt, den die Antragstellerin dem
Beschuldigten vorhält, ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu
beweisen. Taugliche Beweismittel bestehen nicht."
Da die beiden minderjährigen
PatientInnen als ZeugInnen nicht zur Verfügung standen, hätten alleine die
Aussagen der medizinischen Fachangestellten Aufschluß über das Geschehen geben
können. Diese hatten aber eine Einwilligung der PatientInnen zu einer
entsprechenden. und waren auch anderweitig nicht ermächtigt, "über
die dem Beschuldigten vorgeworfenen Handlungen auszusagen.":
Nach § 53 a
Abs. 1 StPO, § 112 HeilBerG stehen dem zeugnisverweigerungsberechtigten Arzt (§
53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO) ihre Gehilfen und damit die als Zeuginnen benannten
medizinischen Fachangestellten gleich. Über die Ausübung des Rechts dieser
Hilfspersonen, das Zeugnis zu verweigern, dürfen jedoch nicht die Zeuginnen
entscheiden. Der Gesetzgeber hat die Entscheidungsberechtigung allein dem
zeugnisverweigerungsberechtigten Arzt übertragen, es sei denn, dass diese
Entscheidung in absehbarer Zeit nicht herbeigeführt werden kann (§ 53a Abs. 1
Satz 2 StPO). Dies entspricht dem Zweck der Vorschrift. § 53a StPO soll eine
Umgehung des § 53 StPO verhindern. Eine solche Zustimmung liegt nicht vor.
Leitsätze (Zitat aus der
Urteilsveröffentlichung: www.nrw.de: Justiz-online.
NRWE-Rechtsprechungsdatenbank der Gerichte in Nordrhein-Westfalen (Link
- siehe auch unten):
Dass der
Beschuldigte der nach § 53a Abs. 1 Satz 2 StPO entscheidungsberechtigte Arzt
ist, begründet nicht die Rechtsfolge, dass die als seine Berufshelferinnen
eingesetzten medizinischen Fachangestellten berechtigt sind, über die Ausübung
des Zeugnisver-weigerungsrechts zu entscheiden. Das Zeugnisverweigerungsrecht
greift auch in einem Verfahren ein, das gegen den zur Zeugnisverweigerung
Berechtigten geführt wird.
Das
Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 StPO)- und die Zeugnisverweigerungspflicht der
Berufshelferinnen (§ 53a StPO) - ist nicht beschränkt auf den Schutz der Daten
zur Identität der Patientinnen. § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO, auf den § 53a
StPO verweist, beschränkt das Zeugnisverweigerungsrecht nicht auf bestimmte
Kenntnisse; der Gesetzeswortlaut streckt das Zeugnisverweigerungsrecht auf
alles, "was" den Berufsangehörigen "anvertraut oder bekannt geworden" ist.
Anmerkung: Auch wenn das Urteil im Ergebnis nicht zufriedenstellend
erscheint - es bestätigt den hohen Wert des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung, das u. a. durch die Schweigepflicht (§ 203 StGB) und das
Zeugnisverweigerungsrecht des Schweigepflichtigen und seiner BerufshelferInnen
(§§ 53 und 53 a StPO) zum Ausdruck kommt.
Urteil des Berufsgerichts für
Heilberufe Münster vom
2.09.2015,
16 K 1399/14.T
Urteil des Berufsgerichts für
Heilberufe Münster vom
2.09.2015, 16 K 1399/14.T (Leitsatz
& Tenor)
Datenschutz im Gesundheitswesen - das E-Health-Gesetz
Das im Zusammenhang der
zunehmenden Digitalisierung im Gesundheitswesen - einschließlich der damit
verbundenen Gefahren im Hinblick auf die Datensicherheit - beschlossene und im
Januar 2016 in Kraft getretene E-Health-Gesetz bringt eine Reihe von Änderungen
für PatientInnen, aber auch für die LeistungserbringerInnen. Auf der Seite des
Bundesgesundheitsministerium werden die wesentlichen Inhalte dargestellt (ich
zitiere daraus, habe den Text allerdings gekürzt und vielfach umformuliert):
Stammdatenmanagement (eGK)
Online-Prüfung und
Aktualisierung von Versichertenstammdaten über das Einlesen der elektronischen
Gesundheitskarte (eGK) in Praxen und Krankenhäusern
Einführung bis
Mitte 2018 (ab 1. Juli 2018 sind pauschale Kürzungen der Vergütung der Ärzte und
Zahnärzte vorgesehen, die nicht an der Online-Prüfung der Versichertenstammdaten
teilnehmen!)
Speicherung
medizinischer Notfalldaten (eGK)
Ab 2018 auf Wunsch
des Versicherten auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK). Bereits ab
Oktober 2016 haben PatientInnen, die 3 oder mehr Arzneimittel einnehmen bzw.
anwenden Anspruch auf einen Medikationsplan (dieser soll ab 2018 auch von der
eGK abrufbar sein).
Ausgabe von
Heilberufsausweisen
ÄrztInnen sollen
damit auf die sensiblen Daten der Gesundheitskarte zugreifen können;
elektronische Arztbriefe werden bereits vor Einführung der
Telematik-Infrastruktur gefördert, wenn hierfür ein elektronischer
Heilberufsausweis mit elektronischer Signatur verwendet wird.
Einstieg in die
elektronische Patientenakte
Bis Ende 2018
sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß Daten der PatientInnen
(z.B. Arztbriefe, Notfalldaten, Daten über die Medikation) in einer
elektronischen Patientenakte bereitgestellt werden können. PatientInnen sind
dann in der Lage, ihre BehandlerInnen über ihre wichtigsten Gesundheitsdaten zu
informieren.
Patientenfach
PatientInnen
entscheiden nicht nur, welche medizinischen Daten mit der Gesundheitskarte
gespeichert werden und wer darauf zugreifen darf. Sie haben außerdem einen
Anspruch darauf, daß ihre mittels Gesundheitskarte gespeicherten Daten in ihr
Patientenfach aufgenommen werden. Dort können auch eigene Daten z.B. ein
Patiententagebuch über Blutzuckermessungen oder Daten von Wearables und
Fitnessarmbändern, abgelegt werden.
Bis Ende 2018
sollen die Voraussetzungen für die Nutzung des Patientenfachs mit der
elektronischen Gesundheitskarte geschaffen werden, damit Patienten ihre Daten
auch außerhalb der Arztpraxis eigenständig einsehen können.
Förderung der
Telemedizin
Die
telekonsiliarische Befundbeurteilung von Röntgenaufnahmen wird ab April 2017,
die Online-Videosprechstunde ab Juli 2017 in die vertragsärztliche Versorgung
aufgenommen.
Nutzung von
Smartphones und andere mobile Endgeräte
Bis Ende 2016 soll
prüfen werden, ob Versicherte solche Geräte etwa zur Wahrnehmung ihrer
Zugriffsrechte und für die Kommunikation im Gesundheitswesen einsetzen können.
Auf die sensiblen Daten der
eGK soll nach dem Zwei-Schlüsselprinzip - mit dem Heilberufeausweis und der
persönlichen PIN der Versicherten - zugegriffen werden können.
Anmerkung: DatenschutzexpertInnen (so beispielsweise Thilo Weichert,
Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein und damit Leiter des Unabhängigen
Landeszentrums für Datenschutz in Kiel) halten den Datenschutz gewährleistet und
"fast vorbildlich".
Bundesministerium für
Gesundheit: Das
E-Health-Gesetz (Abrufdatum: 16.05.16)
Gesetz für sichere digitale
Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sowie zur Änderung weiterer
Gesetze (vom
21. Dezember 2015)
Datenschutz im Gesundheitswesen - ein zunehmend wichtiges Thema - auch in
Europa:
Die
EU-Datenschutzverordnung (EU-DSGVO)
(Teil
IV)
Auf dem Hintergrund der
zunehmenden Erfassung, Übermittlung und Archivierung von patientenbezogenen
Daten in Dateien beschäftigt sich der Gesetzgeber mit entsprechenden Regelungen
zum Schutz der BürgerInnen vor der Einschränkung seiner Privatsphäre und dem
Mißbrauch seiner personenbezogenen Daten. In Deutschland traten das
IT-Sicherheitsgesetz
(im Juli 2015) und das
E-Health-Gesetz (im
Januar 2016) - siehe Beitrag
7/2016
in Kraft. In Europa wird seit
Jahren an einer neuen EU-Datenschutzverordnung (EU-DSGVO) gearbeitet, die die
bisherige EU-Datenschutzrichtlinie ablösen wird. Die neue Verordnung wird, im
Unterschied zur bisherigen Richtlinie, ab ihrem In-Kraft-Treten (voraussichtlich
Mitte 2018) unmittelbare Gültigkeit für alle EU-Mitgliedsstaaten haben. Im
Dezember 2015 haben sich das EU-Parlament, der EU-Rat und die EU-Kommission auf
einen einheitliche Entwurf geeinigt. Derzeit findet die technische Überarbeitung
der Verordnung statt, die 2018 abgeschlossen sein soll.
Viele Regelungen stehen im
Detail noch nicht fest. Klar ist, daß beispielsweise die Einwilligung der
VerbraucherInnen bzw. BürgerInnen dadurch mehr Gewicht erhält, daß sie
beweispflichtig dokumentiert werden muß. Eingeführt werden sollen
Sonderregelungen für Kinder bis zu einer bestimmten Altersgrenze (13 Jahre), die
Internetdienste (z. B. facebook) nur mit Zustimmung der Eltern nutzen können.
Weitere Regelungen der Verordnung:
Verbesserung der
Transparenz (Angabe der Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung, der Dauer
der Speicherung)
leichte Verständlichkeit
und Barrierefreiheit,
Recht auf Vergessen
Auskunftsrechte
Verpflichtung Betroffene
(und Aufsichtsbehörden) bei Datenpannen zu informieren
Verpflichtung von
Krankenhäusern und Praxen zu einem IT-Sicherheitskonzept.
Deutsches Ärzteblatt Heft 6 v.
12.02.16, 113: A218-219:
Datenschutz im
Gesundheitswesen. Viele Neuregelungen stehen bevor (H. E. Krüger-Brand)
BKA-Gesetz vor dem
Bundesverfassungsgericht - Urteil vom 20.04.16: Die Verfassungsbeschwerde hat
teilweise Erfolg!
Teil VII
Ich habe bereits häufiger über
das BKA-Gesetz berichtet (siehe unten: Archiv). Das Bundesverfassungsgericht
hat am 7.07.15 erstmals über Klagen gegen das Bundeskriminalamts-Gesetz
verhandelt. Das 2009 in Kraft
getretene Gesetz ermöglicht Ermittlern Lauschangriffe auf Wohnungen und
Onlinedurchsuchungen zur Terrorabwehr.
Die Verfassungsbeschwerde
hatte nun teilweise Erfolg: Nach Ansicht des
Bundesverfassungsgerichts (BverfG) ist die Ermächtigung des Bundeskriminalamts zum
Einsatz von heimlichen Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr von Gefahren des
internationalen Terrorismus im Grundsatz mit den Grundrechten vereinbar.
Allerdings genügt das Gesetzt in seiner derzeitigen Ausgestaltung von
Befugnissen in verschiedener Hinsicht nicht dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit.
Hinsichtlich der
Voraussetzungen für die Durchführung sind die im Jahr 2009 eingeführten
Vorschriften teilweise zu unbestimmt und zu weit; auch fehlt es zum Teil an
flankierenden rechtsstaatlichen Absicherungen, insbesondere zum Schutz des
Kernbereichs privater Lebensgestaltung oder zur Gewährleistung von Transparenz,
individuellem Rechtsschutz und aufsichtlicher Kontrolle. Die Vorschriften zur
Übermittlung von Daten sind ‑ sowohl hinsichtlich inländischer als auch
hinsichtlich ausländischer Behörden ‑ an etlichen Stellen nicht hinreichend
begrenzt. Da die Gründe für die Verfassungswidrigkeit nicht den Kern der
eingeräumten Befugnisse betreffen, gelten die beanstandeten Vorschriften jedoch
mit Einschränkungen überwiegend bis zum Ablauf des 30. Juni 2018 fort. (Pressemitteilung
Nr.
19/2016 vom 20. April 2016)
Im Hinblick auf
BerufsgeheimnisträgerInnen hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg:
Bei Maßnahmen, die tief in die
Privatsphäre eingreifen, sind - als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
- übergreifenden Anforderungen an ihre Ausgestaltung zu stellen:
Insbesondere
müssen Befugnisse auf den Schutz gewichtiger Rechtsgüter begrenzt bleiben und
sind nur in den Fällen verfassungsmäßig, in denen eine Gefährdung dieser
Rechtsgüter hinreichend konkret absehbar ist. Auf nichtverantwortliche Dritte
aus dem Umfeld der Zielperson dürfen sie sich nur unter eingeschränkten
Bedingungen erstrecken. Für Befugnisse, die typischerweise dazu führen können,
in den strikt geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung einzudringen,
bedarf es besonderer Schutzregelungen. Auch bedarf es eines hinreichenden
Schutzes von Berufsgeheimnisträgern. Überdies unterliegen die Befugnisse
verfassungsrechtlichen Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz
und aufsichtliche Kontrolle. Hierzu gehören Benachrichtigungspflichten an die
Betroffenen nach Durchführung der Maßnahmen, richterliche Kontrollbefugnisse,
eine regelmäßige aufsichtliche Kontrolle sowie Berichtspflichten gegenüber
Parlament und Öffentlichkeit. Schließlich müssen die Befugnisse mit
Löschungspflichten flankiert sein.
(...) Diesen
Anforderungen genügen die angegriffenen Vorschriften in verschiedener Hinsicht
nicht. (Pressemitteilung Nr.
19/2016 vom 20. April 2016)
Das Bundesverfassungsgericht
weist zwar darauf hin, daß der Schutz von Berufsgeheimnisträgern im vorliegenden
Gesetz nicht ausreicht, bezieht sich dabei aber im wesentlichen auf die Gruppen
der Strafverteidiger und anderer Rechtsanwälte:
Verfassungsrechtlich nicht tragfähig ist insoweit allerdings die Ausgestaltung
des Schutzes der Vertrauensverhältnisse von Rechtsanwälten zu ihren Mandanten.
Die vom Gesetzgeber herangezogene Unterscheidung zwischen Strafverteidigern und
den in anderen Mandatsverhältnissen tätigen Rechtsanwälten ist als
Abgrenzungskriterium für einen unterschiedlichen Schutz schon deshalb
ungeeignet, weil die in Frage stehenden Überwachungsmaßnahmen nicht der
Strafverfolgung, sondern der Gefahrenabwehr dienen, die Strafverteidigung also
hier gerade nicht entscheidend ist. (Urteil
BverfG 20.04.16, Abschnitt 257)
c) Darüber hinaus sind
Grundrechtsverletzungen durch § 20u BKAG nicht zu erkennen. Ein Anspruch auf
strikteren Schutz ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG für
Medienvertreter (vgl. BVerfGE 107, 299 <332 f.>). Weitere Grenzen ergeben sich
auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber darf die Zuerkennung eines
strengeren Schutzes vor Überwachungsmaßnahmen als Ausnahme für spezifische
Schutzlagen verstehen, hinsichtlich derer er einen erheblichen
Einschätzungsspielraum hat. Die Anerkennung einer solchen besonderen
Schutzbedürftigkeit von Geistlichen und Abgeordneten gegenüber anderen
Berufsgruppen wurde durch die Entscheidung des Zweiten Senats vom 12. Oktober
2011 als zumindest tragfähig angesehen. Eine Pflicht zur Ausweitung dieses
besonders strikten Schutzes auf weitere Gruppen kann hieraus nicht abgeleitet
werden (vgl. BVerfGE 129, 208 <258 ff., 263 ff.>). Unberührt bleibt, dass in die
für die anderen Berufsgeheimnisträger gebotene Abwägung auch unter
Berücksichtigung des Art. 12 Abs. 1 GG die Vertrauensbedürftigkeit der
jeweiligen Kommunikationsbeziehungen im jeweiligen Einzelfall maßgeblich
einzufließen hat und darüber hinaus eine Überwachung - etwa für
psychotherapeutische Gespräche - auch unter dem Gesichtspunkt des Kernbereichs
privater Lebensgestaltung ausgeschlossen sein kann (siehe oben C IV 3 a).
(Urteil BverfG v. 20.04.16, Abschnitt 258)
Fazit: Enttäuschenderweise sieht das Bundesverfassungsgericht den
Gesetzgeber nicht in der Pflicht, die besondere Schutzbedürftigkeit von
Geistlichen und Abgeordneten aus verfassungsrechtlichen Gründen auf andere
Berufsgruppen auszuweiten. Im Einzelfall muß jedoch auch bei anderen
BerufsgeheimnisträgerInnen eine Abwägung unter Berücksichtigung der
Berufsfreiheit (Artikel 12) und der jeweiligen
Vertrauensbedürftigkeit der Kommunikationsbeziehungen
vorgenommen werden. Darüber hinaus kann eine Überwachung, beispielsweise von
psychotherapeutischen
Gesprächen, auch unter dem Gesichtspunkt des Kernbereichs privater
Lebensgestaltung ausgeschlossen sein. Aus psychotherapeutischer Sicht ist klar,
daß alles, was im Rahmen der Psychotherapie ge- bzw. besprochen wird zum
Kernbereich privater Lebensgestaltung gehört. Allein, aus juristischer Sicht
(und noch mehr aus der Sicht des BKA) wird das anders beurteilt werden. Nach der
Sphärentheorie werden Gesundheitsdaten in verschiedene Gruppen eingeteilt:
administrative, medizinische und intime Daten mit je unterschiedlicher
Schutzintensität. (siehe dazu meine Übersicht zur
Sphärentheorie, 2002-2011).
Die DGPT weist in ihrer
Stellungnahme daraufhin, daß das Gesetz jetzt überarbeitet werden muß; das BVerfG erlaubt den
Behörden die Anwendung der Maßnahmen unter gewissen im Urteil genannten Maßgaben
nur noch bis zum 30. Juni 2018.
Die DGPT plant
unter Mitarbeit von Jürgen Hardt eine eigene Stellungnahme zu erarbeiten, um für
die Überarbeitung des Gesetzes die Aufnahme der Psychotherapie in den
Kernbereich privater Lebensgestaltung und einen Schutz der psychotherapeutischen
Tätigkeit bei Gleichstellung mit den besonders geschützten Berufsgruppen zu
erreichen. Darüber hinaus wird es unseres Erachtens auch nötig sein, zumindest
den Versuch einer erneuten Aufklärungsarbeit hinsichtlich einer entsprechenden
Novellierung des Gesetzes im Sinne der Psychotherapie zu unternehmen; das Wissen
um unsere Belange ist ernüchternd gering.
(Stellungnahme der DGPT v. 4.05.2016)
Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom
20.04.2016 (1
BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09)
Pressemitteilung
Bundesverfassungsgericht
(Nr.
19/2016 vom 20. April 2016):
Verfassungsbeschwerden
gegen die Ermittlungsbefugnisse des BKA zur Terrorismusbekämpfung teilweise
erfolgreich
Stellungnahme der DGPT (4.05.2016):
Die psychotherapeutische
Behandlungsbeziehung muss als Teil des persönlichen Kernbereichs der Patienten
unantastbar bleiben!
Oberlandesgericht Karlsruhe - Zum
Zeugnisverweigerungsrecht des behandelnden Arztes im Zusammenhang einer
Risikolebensversicherung nach dem Tod des Versicherungsnehmers (Patienten)
Nach dem Tod des Versicherungsnehmers machte die
Versicherung Zweifel an den Voraussetzungen der Auszahlung der einige Jahre
zuvor zugunsten der Ehefrau abgeschlossenen
Risikolebenspolice geltend. Sie forderte die Behandlungsunterlagen
des behandelnden Arztes an, die dieser auch der Versicherung übergab.
Der Verstorbene hatte bei Vertragsabschluss zwar
seine Herzerkrankung angegeben, dabei aber nicht erwähnt, daß er eigenmächtig
die vom Arzt verordneten Medikamente abgesetzt hatte.
Die Versicherung verweigerte deshalb die Zahlung wegen des Verdachts einer
arglistigen Täuschung.
Die Ehefrau verklagte den
Versicherung auf Zahlung der Versicherungssumme und bekam diese, einschließlich
der Kosten für die anwaltliche Tätigkeit, zugesprochen.
In seiner Entscheidung verwies
das OLG Karlsruhe darauf, daß der Versicherer zur Anfechtung eines
Risikolebensversicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung auf dem
Hintergrund der unrichtigen Beantwortung von Gesundheitsfragen dann nicht
berechtigt ist, wenn der Versicherungsnehmer diese zwar objektiv nicht richtig
beantwortet hat, jedoch nicht ersichtlich ist, dass er dies aus Gründen der
Beeinflussung der Entscheidung des Versicherers tat. Im hier vorliegenden Fall
wurden Gesundheitsfragen nicht schon deshalb unrichtig beantwortet, weil der
Versicherungsnehmer die Frage nach der Einnahme von Medikamenten verneinte und
nicht angab, daß er ein ärztlich verordnetes Medikament aufgrund eigener
Verantwortung bzw. Entscheidung nicht eingenommen hat. Nach dem Tod des
Versicherungsnehmers ist eine Entbindung des behandelnden Arztes von der
Schweigepflicht nicht mehr möglich. Von einer mutmaßlichen Einwilligung bzw.
Entbindung von der Schweigepflicht kann dann nicht ausgegangen werden, wenn die
Beweislast zur Anfechtung eines Versicherungsvertrages
(Risikolebensversicherung) beim Versicherer liegt. Denn es liegt nicht im
Interesse des Verstorbenen, daß die Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit seiner
Angaben in einer Beweisaufnahme geklärt werden.
Anmerkung: Im vorliegenden Fall ging es primär um die Klage gegen den
die Zahlung verweigernden Versicherer und nur am Rande um die Schweigepflicht -
hier des behandelnden Arztes - gegenüber dem Versicherer. Diese wurde gebrochen,
da eine mutmaßliche Einwilligung bzw. Entbindung von der Schweigepflicht nicht
vorlag!
Apple weigert sich trotz eines Gerichtsbeschlusses, das iPhone eines
mutmaßlichen Attentäters zu entschlüsseln
Die Regierung der Vereinigten
Staaten hatte einen Gerichtsbeschluß erwirkt, nach dem Apple verpflichtet wurde,
das iPhone des mutmaßlichen Attentäters Sayed Farook zu entschlüsseln, der mit Ende
letzten Jahres mit seiner Ehefrau im kalifornischen San
Bernardino 14 Menschen erschossen hatte.
Das FBI hatte untersucht, ob der Attentäter in Verbindung mit dem Islamischen
Staats stand und wollte mittels des Handys etwaige Beweise sichern.
Apple hatte sich aber
geweigert dem Gerichtsbeschluß nachzukommen. Der Chef von Apple, Tim Cook,
begründete das damit, daß so ein Präzedenzfall geschaffen werden könnte. Apple
habe die Pflicht die Daten der KundInnen vor einem Zugriff durch staatliche
Behörden zu schützen.
Nun wurde die
Auseinandersetzung dadurch beendet, daß zunächst das FBI und dann auch das
US-Justizministerium mittelte, die Hilfe von Apple werde nicht länger benötigt
würde. Das FBI bekam laut eigener Aussage Hinweise von Dritten, wie die
Verschlüsselung umgangen werden kann. Die in dem Verfahren zuständige
Bundesstaatsanwältin Eileen Decker erklärte daraufhin, die Ermittlungen gegen
Apple seien abgeschlossen.
Anmerkung 1: Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß ein
Technologiekonzerne in die Situation gerät, die Daten seiner KundInnen vor dem
Zugriff staatlicher Behörden schützen zu wollen. In anderen Situationen (wenn es
um eigenen Interessen geht) ist auch der Apple-Konzern, der viel Wert auf den
Datenschutz legt, deutlich weniger zimperlich
(vgl.
den Beitrag von S. Gaycken v. 14.03.16).
Anmerkung 2 (2.04.16): Inzwischen mehren sich Medienberichte, daß es
einschlägigen ExpertInnen längst gelungen ist die Verschlüsselung zu umgehen und
Apple Sicherheitslücken nicht geschlossen hat. Nun kann man sich fragen: Ging es
bei dem Verfahren gegen Apple um den Versuch, Druck auf
Telekommunikationsanbieter auszuüben mit dem Ziel jederzeit ohne große Mühe an
die entsprechenden Daten zu kommen - oder verfügt das FBI nicht über ExpertInnen
die in der Lage sind, sich die entsprechende Software zur Entschlüsselung zu
beschaffen (oder beides)?
spiegel.de (29.03.16):
Apple: FBI knackt iPhone von San-Bernardino-Attentäter. Das FBI wollte
Apple per Gerichtsbeschluss dazu zwingen, das Handy eines islamistischen
Terroristen zu entschlüsseln. Nun haben die US-Behörden selbst das iPhone
geknackt.
faz.net (14.03.16)
S. Gaycken:
Apples
Doppelmoral. Dass Apple sich im Streit mit dem FBI als Datenschützer gibt,
demonstriert die schlichte Doppelmoral des Konzerns. Denn in China hat die
Regierung längst Zugriff auf die iPhones. Ein Gastbeitrag.
Einschränkung der
Schweigepflicht durch Offenbarungspflicht gegenüber Dritten bzw. dem Arbeitgeber
(Abschlußbericht der
französischen Untersuchungsbehörde zum Absturz der Germanwings-Maschine)
Teil
III
Im
Abschlußbericht der
französischen Untersuchungsbehörde BEA zum Absturz der Germanwings-Maschine
(vorgelegt am 13.03.16) wird die Forderung nach klaren internationalen Regeln im
Falle einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Krankheit eines
Patienten erhobenen. Angesichts international unterschiedlichen Regelungen zur
ärztlichen Schweigepflicht sollten Gesundheitsdienstleister aufgefordert werden,
die jeweiligen Behörden zu informieren (Ärztezeitung
14.03.16).
Der Präsident der
Bundesärztekammer, Montgomery, sieht im Hinblick auf die Untersuchungsergebnisse
Handlungsbedarf in verschiedenen Bereichen, hat sich aber gegen eine generelle
Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht ausgesprochen (Ärztezeitung
14.03.16).
Der Präsident der Deutschen
Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin, Prof. Hans Drexler (Erlangen)
hat die Debatte als "schädlich und wenig qualifiziert" bezeichnet. Vermutlich
hätte der Absturz weder durch eine Mitteilungspflicht verhindert werden können,
noch mache es Sinn, alle Menschen mit depressiven Episoden und Suizidgedanken
als nicht geeignet für Berufe mit potenzieller Drittgefährdung anzusehen - denn
dann wäre eine moderne Gesellschaft nicht mehr arbeitsfähig. Hinzu kommt die
Unsicherheit prognostischer Aussagen. Im Bereich der Arbeitsmedizin sieht er die
die Frage einer Aufhebung der Schweigepflicht als besonders problematisch an.
Würden sich PatientInnen nicht mehr auf die Verschwiegenheit der
ArbeitsmedizinerInnen verlassen können, würden sich PatientInnen nicht mehr mit
entsprechenden Informationen anvertrauen, was zu einer verringerten Sicherheit
Dritter und auch dazu führen würde, daß ÄrztInnen die jeweilige Gefahr durch
Therapien und anderen Hilfsangeboten Gefahren nicht mehr abwenden könnten (Ärztezeitung
16.03.16).
Auch die
Bundespsychotherapeutenkammer hat sich ähnlich zu dieser Frage geäußert. In der
Pressemitteilung v. 16.03.16 heißt es:
Die
Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) warnt davor, die Schweigepflicht für
Psychotherapeuten und Ärzte einzuschränken. „Das größte Risiko wäre, dass sich
psychisch kranke Menschen nicht mehr behandeln lassen, weil sie befürchten, dass
Arbeitgeber oder Behörden von ihrer Erkrankung erfahren“, erklärt Dr. Dietrich
Munz, Präsident der BPtK. „Erst das offene Gespräch mit einem Psychotherapeuten
oder Arzt macht es möglich, eine psychische Krankheit zu behandeln und mögliche
Suizide zu verhindern.“
Die
BPtK-Musterberufsordnung regelt bereits eindeutig, dass Psychotherapeuten bei
Patienten, die sich selbst oder andere gefährden, von der Schweigepflicht
entbunden sind. Psychotherapeuten müssen zwischen dem Schutz der Patienten, dem
Schutz von Dritten sowie dem Allgemeinwohl abwägen und gegebenenfalls tätig
werden. „Diese Abwägung muss sehr sorgfältig getroffen werden“, stellt
BPtK-Präsident Munz fest. Dazu gehöre, dass man sich im Zweifel bei einem
Kollegen fachlich rückversichert. Drohe, dass ein Patient sich selbst oder
andere gefährde, müsse notfalls auch eine Zwangseinweisung in ein
psychiatrisches Krankenhaus erfolgen. Im Fall des schwer depressiven
Germanwings-Copiloten, der vor einem Jahr ein Flugzeug mit 150 Menschen
abstürzen ließ, mussten die behandelnden Ärzte und Psychotherapeuten auf
Grundlage der ihnen bekannten Befunde eine solche Abwägung vornehmen und
begründen. Dies können Gerichte überprüfen.
„Die
Entscheidung, ob ein Patient sich oder andere gefährdet, muss eine Entscheidung
des behandelnden Psychotherapeuten oder Arztes bleiben“, fordert Munz.
„Grundsätzliche gesetzliche Meldepflichten vergrößern dagegen die
Wahrscheinlichkeit, dass sich psychisch kranke Menschen nicht mehr in Behandlung
begeben. Die Behandlung eines psychisch kranken Menschen verringert seine Leiden
und kann eine Verschlimmerung der Erkrankung verhindern. In den seltenen Fällen,
wo psychisch kranke Menschen befürchten, dass sie sich oder andere Menschen
gefährden könnten, ist eine Behandlung auch der beste Schutz für die
Allgemeinheit.“
Nur einem Satz möchte ich
widersprechen: Die BPtK-Musterberufsordnung
regelt bereits eindeutig, dass Psychotherapeuten bei Patienten, die sich selbst
oder andere gefährden, von der Schweigepflicht entbunden sind.
Genau dieser Automatismus ist in der Musterberufsordnung nicht der BPtK
enthalten (§ 8 Abs. 4 M-BO). Die notwendige Abwägung (vgl. auch §
34 StGB i.V.m. 203 StGB) wird dann zutreffend in den folgenden Sätzen der
Presseerklärung erläutert. Dieser eine Satz führt jedoch zu einer Verwirrung,
die dem Thema nicht gerecht wird.
Ärztezeitung (14.03.16):
Germanwings-Absturz.
Ärztliche Schweigepflicht im Fokus
Ärztezeitung (14.03.16):
Abschlussbericht über
Germanwings-Absturz. Montgomery will keine Aufweichung der Schweigepflicht
Ärztezeitung (16.03.16):
Gegen jede Lockerung der
Schweigepflicht. Eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht wird von
Arbeitsmedizinern kategorisch abgelehnt. Für die Sicherheit sei dies eher
schädlich.
BPtK Aktuell (16.03.2016): Schweigepflicht
nicht weiter durchbrechen. Mehr Sicherheit durch eine
grundsätzliche Meldepflicht nicht möglich
Schweigepflicht und Diskretion in der Arztpraxis - ein dunkles Kapitel
Daß
in ärztliche Praxen mit der Schweigepflicht fahrlässig umgegangen wird, davon
können sich PatientInnen problemlos selbst überzeugen. Kaum ein Arztbesuch, bei
dem man nicht etwas über die anderen PatientInnen erfährt, oder umgekehrt. Ich
weise auf diesen Umstand seit Jahren hin - geändert hat sich kaum etwas! Nun hat die
Stiftung Warentest sich des Themas angenommen und kommt zu Ergebnissen, die
eigentlich bei den ärztlichen Berufsverbänden und Ärztekammern Entsetzen
auslösen müßten. Doch ich fürchte auch weiter wird sich wenig verändern.
Ärzte Zeitung, (26.02.16):
Zu offener Umgang mit Patientendaten? Die Stiftung Warentest hat die Diskretion
in Hausarztpraxen getestet. Das Ergebnis: In jeder zweiten geprüften Praxis
waren Patientengeheimnisse nicht sicher aufgehoben. Zeitschrift "test" (3/2016)
EU-Datenschutz-Grundverordnung:
Grundsatz der Zweckbindung bedroht!
(Teil III)
Die Zeit berichtet in der aktuellen
Ausgabe (v. 10.09.15) über den von den Staats- und Regierungschefs vorgelegten
Entwurf zur Datenschutz-Grundverordnung, die die bislang geltende Richtlinie
95/46/EG ablösen soll und eine vollständige Neuordnung des europäischen
Datenschutzes beabsichtigt. Beunruhigend ist der Passus des Entwurfs, der (nicht
näher definierte) Interessen der Unternehmen betrifft. Überwiegen diese die
Interessen der betroffenen Personen, können personenbezogene Daten - ohne
Zustimmung und Wissen der Betroffenen - weitergegeben werden. Eine Reihe von
ExpertInnen haben (nicht nur) das kritisiert und werfen der Bundesregierung vor,
zu sehr die Interessen der Wirtschaft vertreten zu haben. Insbesondere
problematisch erscheint, daß der deutsche Grundsatz der Zweckbindung nicht im
Entwurf steht. Das bedeutet. Stimmt man einer Datenverarbeitung zu so gilt eben
nicht mehr der Grundsatz, daß die Daten nur zu dem Zweck gespeichert,
verarbeitet und weitergegeben werden dürfen zu dem sie offenbart wurden.
Allerdings scheint auch
Justizminister Heiko Maas nicht vom Entwurf überzeugt und will am Grundsatz der
Zweckbindung als zentralem Pfeiler des Datenschutzrechts festhalten; allerdings
liegt die Federführung der Verhandlungen beim Bundesinnenministerium.
Wie die Zeit berichtet, wird ab der
kommenden Woche (14.09.15) in Brüssel im Trialogverfahren zwischen den
verschiedenen Gremien verhandelt (europäisches Parlament, europäischer Rat und
europäische Kommission).
Der Entwurf kann online eingesehen
werden (siehe den Link unten): Es handelt sich um ein sehr umfangreiches
Dokument! Die Frage der Interessensabwägung findet sich in Artikel 6
(Rechtmäßigkeit der Verarbeitung, Absatz 1 Buchstabe f (Seite 50f).
Die Zeit (Nr. 37 v. 10.09.15: Oh. der
hat Herzprobleme! Neue EU-Regeln bedrohen den Datenschutz: Firmen sollen
Kundendaten ohne Zustimmung weitergeben dürfen. Versicherungen bereiten sich vor
(v. R. Rehage): Seite 25
Europäische Kommission:
Vorschlag für
VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zum Schutz natürlicher
Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien
Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung). Brüssel,
25.01.12
Unabhängige Patientenberatung:
Kritik an ÄrztInnen und Krankenkassen
Trägerwechsel bei der Unabhängigen
Patientenberatzung (UPD)
Die Unabhängige Patientenberatung hat
in ihrem Jahresbericht eine kritische Bilanz. In einer nicht unerheblichen Zahl
von Fällen wurden
Behandlungen sowie die Einsicht in Patientenakten verweigert, es kam zu
Behandlungsfehlern und Leistungsversprechen der Kostenträger wurden gebrochenen.
In
3554 Fällen wandten sich PatientInnen an die UPD,
weil ihnen im Krankenhaus oder bei niedergelassenen ÄrztInnen die Einsicht in
die Behandlungsunterlagen verweigert wurde. Nach Ansicht der UPD wissen
ÄrztInnen auch zweieinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Patientenrechtegesetz
oft nichts vom Recht ihrer PatientInnen auf Einsicht in ihre Patientenakte.
Das ist nicht wirklich neu - leider
waren ÄrztInnen noch nie Vorreiter eines vorsichtigen Umgangs mit Patientendaten
und verletzten oftmals ihre Schweigepflicht - ich könnte dazu unzählige
Beispiele nennen, die mir im Laufe meiner über zweieinhalb Jahrzehnte
andauernden Beschäftigung mit dem Thema untergekommen sind. Erstaunlicher ist,
daß die ethische, berufs-, zivil- und strafrechtliche Dimension völlig
ausgeblendet wird. Vermutlich auch, weil Beschwerden und Klagen die Ausnahme
sind.
Nach derzeitigem Stand geht die
Unabhängige Patientenschaft ab 2016 in eine neue Trägerschaft über:
Die 1. Vergabekammer beim
Bundeskartellamt hat am 3.09.15 den Nachprüfungsantrag der aktuellen Träger der
UPD zurückgewiesen. Sie hatten sich gegen die Vergabe (in öffentlicher
Ausschreibung) an den privaten Anbieter von Telefondienstleistungen Sanvartis
gewandt.
Innerhalb von zwei Wochen
besteht für den Sozialverband VdK, die Verbraucherzentrale Bundesverband und den
Verbund unabhängiger Patientenberatung die Möglichkeit die Entscheidung vor dem
Oberlandesgericht anzufechten. Andernfalls wird Sanvartis zum 1.01.2016 den
Zuschlag für sieben Jahre erhalten und 63 Millionen Euro Fördermittel in
Anspruch nehmen können.
Nach einem Bericht der Ärzte
Zeitung online (wird die
Sanvartis GmbH eine gemeinnützige UPD GmbH gründen, die eine inhaltliche
Einflussnahme vollständig ausgeschließen soll: Ein umfangreiches Regelwerk wird
sicherstellen, dass die Sanvartis GmbH keinen Zugriff auf die UPD, deren
Geschäftsführer und Mitarbeiter oder deren Daten und das IT-System haben wird.
Außerdem ist eine umfassende kontinuierliche Überwachung durch eine neutrale
Kontrollinstanz vorgesehen",
Ärzte Zeitung online (3.09.15):
UPD-Bericht. Ärzte und Kassen verletzen Patientenrechte: Verweigerte
Behandlungen, verweigerte Einsicht in Akten: Bei der Einhaltung der
Patientenrechte hapert es. Der Jahresbericht der Unabhängigen
Patientenberatung nimmt Ärzte und Kostenträger ins
Visier
Die Bundespsychotherapeutenkammer
berichtet in einer Mitteilung vom
27. Juli 2015 über eine gemeinsame Initiative der
Bundesärztekammer, Bundeszahnärztekammer, Bundesapothekerkammer und der
Bundespsychotherapeutenkammer gegen die von der Bundesregierung geplante
Vorratsdatenspeicherung. In einem gemeinsamen Schreiben an die Abgeordneten im
Rechts- und Gesundheitsausschuss fordern diese sie auf, dem Gesetz nicht
zuzustimmen.
Anmerkung
(1.08.15): Meinhard Starostik, einer
bevollmächtigten Rechtsanwälte
der
auch in meinem Namen erfolgreich gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt hat
(weiter: Dr. Dr. h. c. Burkhard Hirsch
und Prof. Dr. Jens-Peter
Schneider) - siehe Teil XIV
- hat seine vorläufige
Bewertung des
Referentenentwurfs in einem
Referat vor Bundestagsabgeordneten
und Journalisten (19.05.15) abgegeben:
www.strarostik.de:
Stellungnahme zum
Referentenentwurf eines neuen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung.
Anmerkung
(4.11.15): Den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Vorratsdatenspeicherung (BT-Drucksache 18/5088), der eine Speicherung der
Verkehrsdaten für 10 Wochen vorsieht finden Sie hier:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/050/1805088.pdf. Er wurde vom
Bundestag am 6. Oktober 2015 verabschiedet. Berufsgeheimnisträger (z. B.
ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen) sind nicht in die Ausnahmeregelung
einbezogen, die für Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder
kirchlichen Bereichen, die grundsätzlich anonym bleibenden Anrufern telefonische
Beratung in seelischen oder sozialen Notlagen anbieten, gilt.
Bundespsychotherapeutenkammer
Aktuell:
27. Juli 2015Gemeinsame Initiative der
Heilberufekammern: BPtK kritisiert geplante Vorratsdatenspeicherung
Schreiben der Heilberufekammern
an die Mitglieder des
Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz und des Ausschusses für Gesundheit
vom
10. Juli 2015.
Süddeutsche Zeitung (16.04.15):
Vorratsdatenspeicherung.
O du schöner Datenkranz (von Heribert Prantl); Druckversion: Seite 4
Das Bundesverfassungsgericht
hat am 7.07.15 erstmals über
Klagen gegen das
Bundeskriminalamts-Gesetz (BKA-Gesetz) verhandelt. Das 2009 in Kraft
getretene Gesetz ermöglicht Ermittlern Lauschangriffe auf Wohnungen und
Onlinedurchsuchungen zur Terrorabwehr.
Eine Gruppe von KlägerInnen (unter
anderem der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum, der ehemalige
Kulturstaatsminister Michael Naumann, Jürgen Hardt,
Gründungspräsident der Psychotherapeutenkammer Hessen, Rechtsanwälte, Grünen-Politiker und ein
Arzt) ist der
Ansicht, daß der Schutz von Geistlichen, Abgeordneten und
BerufsgeheimnisträgerInnen nicht ausreichend geschützt ist um das
Vertrauensverhältnis von ÄrztInnen, RechtsanwältInnen und PsychotherapeutInnen
gegenüber ihren PatientInnen und MandantInnen zu wahren bzw. zu sichern.
Außerdem fordert sie
Schranken für das Ausspähen von Computern und für den Lauschangriff in
Wohnungen.
Daß das Gericht dem Gesetz
durchaus kritisch gegenübersteht wurde u. a. auch durch die Frage des Richters
Ferdinand Kirchhof
(Vorsitzender Richter
des Erstes Senats
und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts) "Wie
viel Datenschatz darf der Verfassungsstaat den Ermittlungsbehörden zugestehen
und welchen Datenschutz schuldet er seinen Bürgern?"
In der Verhandlung stellten die
Richter der Bundesregierung eine Reihe von Fragen und listeten einen Katalog
klärungsbedürftiger Punkte auf. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU)
verteidigte wie zu erwarten die Regelungen des BKA-Gesetzes. Das
Bundeskriminalamt arbeite im Rahmen der Gesetze entschlossen, jedoch mit
Augenmaß für die Erhaltung des Rechtsstaats; Deutschland sei, so de
Maizière, kein Überwachungsstaat. Seit 2009 seien auch wegen der Möglichkeiten
BKA-Gesetzes zwölf Terroranschläge misslungen oder vereitelt worden.
Erschreckend ist, daß der Schutz des Kernbereichs
privater Lebensgestaltung aus der Sicht der Bundesregierung nicht in jedem
Fall einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedarf. Das Gesetz stelle
sicher, dass die vor Ort ermittelnden Beamten kernbereichsrelevante
Informationen nicht zur Kenntnis nähmen (siehe
Pressemeldung des
Bundesverfassungsgerichts
Nr. 43/2015 vom 16. Juni 2015:
letzter Absatz). Wer so argumentiert hat wenig von verfassungsmäßigen Rechten
der StaatsbürgerInnen verstanden.
Das
Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts wird im Herbst erwartet.
Anmerkung (13.09.15): Auch das
Psychotherapeutenjournal 3/2015
berichtet über die Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht und die von
Jürgen Hardt (Gründungspräsident der PTK Hessen, PP, Psychoanalytiker) dort
vorgetragene Stellungnahme. Mit seiner Erlaubnis veröffentliche ich den Text
hier:
Stellungnahme von Jürgen Hardt vor dem Bundesverfassungsgericht
Herr
Vorsitzender, hoher Senat!
Ich
möchte mit einer kurzen Bemerkung auf den Zusammenhang zwischen dem
"Kernbereichsschutz" und dem "Schutz von Berufsgeheimnisträgern" aus meiner
fachlichen Sicht eingehen. Meine Bemerkungen mögen Ihnen juristisch naiv
erscheinen, fachlich sind sie zwingend. Sie sollen zeigen, dass der "verschieden
ausgestaltete Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen" bei der Ausübung
von Psychotherapie keine Anwendung finden darf. Ich bin Psychologischer
Psychotherapeut und Psychoanalytiker, das heißt Vertreter eines alten,
juristisch noch jungen Berufes. (Das Psychotherapeutengesetz ist am 1.1.1999 in
Kraft getreten!)
Psychologische Psychotherapeuten unterliegen als Berufsgeheimnisträger ebenso
wie Ärzte der absoluten Verschwiegenheitsverpflichtung, gerade deswegen, weil
sie sich mit ihren Patienten im geschützten Kernbereich des Privaten bewegen.
Die verbindlichen Regelungen der verschiedenen Berufsordnungen schreiben
deswegen Maßnahmen zum Vertrauensschutz vor, die den Zugang von Dritten zu
Aufzeichnungen von Behandlungsinhalten und -verläufen, auch über den Tod hinaus,
verwehren. Auch dürfen Computer mit Internetzugang nicht zur Aufzeichnung von
Inhalten der Behandlungen benutzt werden.
Für
die psychotherapeutische Heilkunde ist der absolute Vertrauensschutz von
essenzieller Bedeutung:
Psychotherapeuten
halten die Patienten zu völliger Aufrichtigkeit an und dulden aus
therapeutischen Gründen keine Geheimnisse. Im Gegenzug sichern sie
absolute Diskretion zu.
Nur so ist es
möglich, ein umfassendes Bild der inneren Situation eines Menschen zu
gewinnen, was notwendig ist, um die seelische Gesundheit der Patienten
zu befördern, das heißt auch Seele, Leib und Leben zu schützen.
Dabei geht es aber
nicht nur um Geheimnisse, die wir vor anderen bewahren! In der
Psychotherapie geht es um das, was wir uns selbst nicht zugestehen
wollen/können, also vor uns selbst geheim halten.
So wird in der
Psychotherapie der permanente innere Dialog der Menschen, wie ihn zum
Beispiel Nietzsche beschrieben hat, zu einem zwischenmenschlichen
Ereignis. Das ist nur in absoluter Diskretion zu verantworten; ebenso
wie im Beichtstuhl.
Hohes
Gericht, ich danke für die Möglichkeit, diese Gedanken vorzubringen!
Jürgen Hardt, Gründungspräsident der Psychotherapeutenkammer Hessen,
Psychologischer Psychotherapeut, Psychoanalytiker; Wetzlar
Bundesverfassungsgericht:
Pressemeldung
Nr. 41/2015 vom 12. Juni 2015: Mündliche Verhandlung in Sachen „BKA-Gesetz“am Dienstag, 7. Juli 2015, 10:00 Uhr (Az.:
1 BvR 1140/09 und 966/09)
Bundesverfassungsgericht:
Pressemeldung
Nr. 43/2015 vom 16. Juni 2015: Ergänzende Informationen und
Verhandlungsgliederung in Sachen „BKA-Gesetz“
Die ZEIT online (7.07.15,
14:12): Prozesse. Karlsruhe
sieht Polizeibefugnisse zur Terrorabwehr kritisch.
Ärzte
Zeitung online (7.07.15):
Trojanergesetz. Sind Patienten
geschützt?
Psychotherapeutenjournal (3/2015):
Verfassungsbeschwerde zum fehlenden Abhörschutz für Psychotherapeutinnen und
-therapeuten (von J. Rautschka-Rücker): 252-253 (mit Abdruck der Stellungnahme
von Jürgen Hardt)
25. Tätigkeitsbericht der
Bundesdatenschutzbeauftragte 2013-2014: Kritik an der "Psychosoziale
Komfortbetreuung" der Krankenkassen ohne Rechtsgrundlage
Die
Bundesdatenschutzbeauftragte hat in ihrem Tätigkeitsbericht 2013-2014 Kritik
daran geübt, daß auch außerhalb des "Krankengeldfallmanagements" (siehe
vorausgehenden Beitrag AKTUELL: Nummer 15/2015)
die Tendenz bei den gesetzlichen Krankenkassen zu beobachten war auch
jenseits der gesetzlichen Kernaufgaben den Versicherten medizinische
Betreuungsangebote zu machen. In einem Fall übermittelte eine Krankenkasse nach
Einwilligung (Datenschutz) der PatientInnen die Daten der Versicherten [Vor- und
Zuname, Anschrift, Geburtsdatum und Versichertennummer, Name, Adresse und ggf.
Telefonnummer der behandelnden Ärzte (optional), Name, Adresse und ggf.
Telefonnummer nahe stehender Personen/Angehöriger (optiona)] an an einen
privaten Dienstleister, der die telefonische Betreuung der Versicherten
durchführte.
Die Betreuung erfolgt über
einen Zeitraum von zwölf Monaten und umfasst u. a. regelmäßige Telefongespräche
die Erstellung eines persönlichen Versorgungsplanes sowie die Unterstützung bei
der Organisation von Therapien. Von den im Rahmen der Betreuungsgespräche von
dem Dienstleister erhobenen Gesundheitsdaten des Versicherten oder
Gesprächsergebnissen erhält die Krankenkasse keine Kenntnis.
In ihrer Bewertung kommt Frau Voßhoff
zu folgendem Ergebnis:
Bei den beschriebenen
Programmen handelt es sich um ein datenschutzrechtlich unzulässiges
Fallmanagement. Eine erforderliche gesetzliche Grundlage für die mit der
Durchführung der Programme einhergehende Datenerhebung, -verarbeitung und
-nutzung ist nicht vorhanden. Insbesondere können diese nicht auf § 11 Absatz 4
SGB V gestützt werden (vgl. Nr. 13.7). Da sich die Krankenkasse selbst auf keine
einschlägige Rechtsgrundlage für die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung
berufen kann, ist auch die Betrauung eines privaten Dritten mit dieser Aufgabe
im Wege der Auftragsdatenverarbeitung nach § 80 SGB X unzulässi
Ärzte Zeitung online (24.06.15):
Tätigkeitsbericht. Der
Datenschutz kommt im Gesundheitswesen zu kurz. Wie weit dürfen Krankenkassen bei
der Erhebung von Daten ihrer Versicherten gehen? Schon seit Jahren gibt es immer
wieder Scharmützel zwischen dem obersten Datenschützer und den Krankenkassen.
Das zeigt auch der aktuelle Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten
(von Hauke Gerlof)
25. Tätigkeitsbericht der
Bundesdatenschutzbeauftragte 2013-2014: Kritik am "Krankengeldfallmanagement" der
Krankenkassen (§ 44 Abs 4. SGB V, geändert durch das
GKV-Versorgungsstärkungsgesetz)
Aus der Sicht der
Bundesdatenschutzbeauftragten ist das mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz
(zum damaligen Zeitpunkt noch) geplante "Krankengeldfallmanagement"
datenschutzrechtlich fragwürdig, da es die sinnvolle bzw. notwendige Trennung
von Aufgaben und Datenerhebung der Krankenkassen und des MDK durchbricht. Zwar
sollen die Krankenkassen die entsprechenden Sozialdaten arbeitsunfähigen
Versicherter, die
Krankengeld beziehen
oder bei denen ein solcher Bezug droht, nur mit Einwilligung der Betroffenen
PatientInnen erheben können, es bleibt aber problematisch, daß Krankenkassen
solche Daten überhaupt erheben.
Der im Versorgungsstärkungsgesetz
zwischen verabschiedete Passus zum Krankengeld (§ 44 abs. 4 SGB V) hat folgende
Fassung erhalten:
(4) Versicherte
haben Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch die
Krankenkasse, welche Leistungen und unterstützende Angebote zur
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit erforderlich sind. Maßnahmen nach Satz 1
und die dazu erforderliche Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener
Daten dürfen nur mit schriftlicher Einwilligung und nach vorheriger
schriftlicher Information des Versicherten erfolgen. Die Einwilligung kann
jederzeit schriftlich widerrufen werden. Die Krankenkassen dürfen ihre Aufgaben
nach Satz 1 an die in § 35 des Ersten Buches genannten Stellen übertragen. Das
Bundesministerium für Gesundheit legt dem Deutschen Bundestag bis zum 31.
Dezember 2018 einen Bericht über die Umsetzung des Anspruchs auf individuelle
Beratung und Hilfestellung durch die Krankenkassen nach diesem Absatz vor.
Damit hat sich Frau Voßhoff wie schon
von ihr vermutet nicht im Gesetzgebungsverfahren mit ihrer Ansicht durchsetzen
können. Hoffnung besteht allenfalls im Zusammenhang des im Gesetz geregelten
Berichts zu dem die Bundesdatenschutzbeauftragte sicherlich auch Stellung nehmen
wird.
Ärzte Zeitung online (24.06.15):
Tätigkeitsbericht. Der
Datenschutz kommt im Gesundheitswesen zu kurz. Wie weit dürfen Krankenkassen bei
der Erhebung von Daten ihrer Versicherten gehen? Schon seit Jahren gibt es immer
wieder Scharmützel zwischen dem obersten Datenschützer und den Krankenkassen.
Das zeigt auch der aktuelle Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten
(von Hauke Gerlof)
25. Tätigkeitsbericht der
Bundesdatenschutzbeauftragte 2013-2014: Kritik an den Krankenkassen hinsichtlich
des Umgangs mit für den MDK bestimmten Unterlagen
Die
Bundesdatenschutzbeauftragte für den Datenschutz Andrea Voßhoff hat im
Zusammenhang mit für den MDK bestimmten Unterlagen heftige Kritik an den
Krankenkassen (und auch am MDK) geübt. In ihrem Tätigkeitsbericht (25.
Tätigkeitsbericht 2013-2014) erläutert sie unter der Überschrift
13.8 „Good Will“ des Datenschutzes führte zu
Fehlentwicklungen beim sog. Umschlagsverfahren, die Krankenkassen hätten
sich Zugang zu Unterlagen verschafft, die dem Medizinischen Dienst vorbehalten
sind. Zudem hätte aber auch der MDK die in einem verschlossenen Umschlag
erhaltene Unterlagen an die Krankenkasse zur dortigen Ablage offen
zurückgegeben, wodurch Krankenkassen Kenntnis vom Inhalt der Unterlagen erhalten
hätten.
Daher hat die
Bundesdatenschutzbeauftragte
nun folgende Regelung erlassen:
Das sog.
Umschlagsverfahren konnte in der Praxis nicht verhindern, dass medizinische
Unterlagen nur vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK)
zur Kenntnis genommen werden. Zukünftig sind die Leistungserbringer
verpflichtet, die erforderlichen Unterlagen direkt dem MDK zu übersenden (25.
Tätigkeitsbericht 2013-2014: 201)
Ergänzend schreibt Frau Voßhoff:
Weiter dürfen
die Unterlagen auch zu einem späteren Zeitpunkt vom MDK nicht den Krankenkassen
zugeleitet bzw. von ihnen zur Kenntnis genommen werden. Die vom MDK erhobenen
und gespeicherten Sozialdaten müssen in seinem Zuständigkeitsbereich verbleiben
und sind nach fünf Jahren zu löschen.
Fazit:
Unterlagen an den MDK sind nicht an die Krankenkassen, sondern an den
Medizinischen Dienst zu übersenden!
Anmerkung 1:
Interessant wäre in diesem Zusammenhang die Frage, ob die
Bundesdatenschutzbeauftragte Kenntnis von Fällen hat in welchen die Unterlagen
an die/den Gutachterin (Richtlinien-Psychotherapie) von den Krankenkassen
geöffnet wurden.
Anmerkung 2:
Angesicht der Zustände in der PKV, wo ein geregeltes Verfahren nicht besteht und
PKV-MitarbeiterInnen intimste Daten, z. B. aus dem Bericht der
PsychotherapeutInnen (Beantragung einer Psychotherapie) lesen und ein
Medizinischer Dienst keineswegs regelmäßig besteht, handelt es sich hier um
'Peanuts' - denen man allerdings zweifellos nachgehen muß. Aber wer kümmert sich
um den Datenschutz/Schweigepflicht in der PKV. Eine Petition meinerseits war
zwar durchaus erfolgreich, hat die Situation aber nicht ändern können (vgl.
AKTUELL: Nummer
13/2012).
Ich wiederhole meine schon oft geäußerte Kritik:
Der
Datenschutz wird im Bereich der PKV nach wie vor mit Füßen getreten (Grundsätze der Zweckbindung und Datensparsamkeit). PatientInnen werden
– zumal in einer Situation größter psychischer Belastung – genötigt, eine
sachlich nicht erforderliche Einwilligung zu erteilen, da andernfalls keine
Kostenübernahme erfolgt.
Anmerkung 3:
Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) hat aufgrund der Ausführungen von
Frau Voßhoff Empfehlungen für die bayerischen Praxen erarbeitet:
Das bisher von einigen Krankenkassen angewandte
sogenannte Umschlagverfahren, bei dem für den Medizinischen Dienst der
Krankenkassen (MDK) bestimmte Unterlagen in einem verschlossenen Umschlag mit
dem Hinweis – nur vom MDK zu öffnen – angefordert und über die Krankenkassen an
den MDK weitergeleitet werden, wurde von der Bundesbeauftragten für den
Datenschutz (BfDI) moniert.
Die bundesunmittelbaren Krankenkassen sind daher
aufgefordert, künftig nur noch einen an den MDK adressierten Umschlag
zuzusenden. Für bayerische Krankenkassen ist das Umschlagverfahren dagegen nach
Auskunft des bayerischen Datenschutzbeauftragten noch möglich.
Ab 01.01.2016 ist eine Neuregelung des § 276 SGB V
geplant, wonach die Vertragsärzte und -psychotherapeuten verpflichtet werden
sollen, für den MDK bestimmte Unterlagen mit versichertenbezogenen Daten
ausschließlich unmittelbar an den MDK zu übermitteln.Bis zu einer
entsprechenden Gesetzesänderung ist es aus unserer Sicht möglich, beide
Verfahren anzuwenden.
Anmerkung 4:
Die Deutsche
Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) e.V. und der DGVT-Berufsverbands
Psychosoziale Berufe (DGVT-BV) e.V. hat am
21.07.2015 eine Stellungnahme zu den Verstößen gegen den Datenschutz durch
Krankenkassen veröffentlicht: Informationsaustausch zwischen Krankenkassen und MDK – DGVT und
DGVT-Berufsverband sehen skandalösen Vertrauensbruch zu Lasten der PatientInnen.
Siehe auch "Rosa
Beilage. Aktuelles aus der psychosozialen Fach- und Berufspolitik" (Hrsg.:
Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) e. V. & Deutsche
Gesellschaft für Verhaltenstherapie - Berufsverband Psychosoziale Berufe
(DGVT-BV) e. V.) findet sich in der Ausgabe
3/2015 (11.08.2015) eine Stellungnahme von DGVT und DGVT-BV: Verstöße gegen
den Datenschutz durch Krankenkassen: Skandalöser Vertrauensbruch zu Lasten der
PatientInnen (Seite 6ff).
Anmerkung 5
(2.09.15):
Im Hinblick auf das
sogenannte "Umschlagverfahren", bei dem gutachterliche Stellungnahmen über die
Krankenkassen an den Medizinischen Dienst der Kassen (MDK) gesendet werden,
ist für Anfang 2016 eine gesetzliche Neuregelung geplant. Nach
Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, ist eine Änderung des§ 276 SGB
V geplant, die vorsieht, daß VertragsärztInnen und
-psychotherapeutInnen verpflichtet werden, die für den MDK bestimmten
Unterlagen direktan den MDK zu übermitteln
(vgl. Ärzte Zeitung
online v.
5.08.15).
Die KBV hat darauf hingewiesen,
daß von der Stellungnahme der Bundesdatenschutzbeauftragten das
Gutachterverfahren nach der Psychotherapie-Richtlinie nicht betroffen ist (vgl.
Ärzte Zeitung online v.
21.07.15). Bislang ist m. W. kein Fall bekannt geworden, bei dem der Bericht
an die/den GutachterIn in der Krankenkasse geöffnet worden wäre.
Ärzte Zeitung online (24.06.15):
Tätigkeitsbericht. Der
Datenschutz kommt im Gesundheitswesen zu kurz. Wie weit dürfen Krankenkassen bei
der Erhebung von Daten ihrer Versicherten gehen? Schon seit Jahren gibt es immer
wieder Scharmützel zwischen dem obersten Datenschützer und den Krankenkassen.
Das zeigt auch der aktuelle Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten
(von Hauke Gerlof)
Ärzte Zeitung online v. (21.07.15):
Ärzte,
aufgepasst: Patientendaten künftig direkt an MDK.
Ärzte Zeitung online v.(5.08.15):
Gesetzesänderung: Besserer Schutz für Daten für den MDK
Gesundheitsminister plant besseren
Schutz für ausgelagerte Patientendaten
Nach einem Bericht der Ärzte
Zeitung (1.06.15) plant Gesundheitsminister Gröhe den Schutz ausgelagerter Daten
(bei IT-Dienstleistern) zu verbessern. Er läßt beim Bundesjustizministerium
prüfen, ob die Schweigepflicht auf IT-Dienstleister ausgeweitet werden muß. Denn
bislang sind digitale Patientendaten gegen gegen den Zugriff von Behörden
(Beschlagnahme) nicht geschützt.
Ärzte Zeitung - online (1.06.15):
Gröhe plant: Besserer Schutz für ausgelagerte Patientendaten. Bisher sind
digitale Patientendaten nur im direkten Umfeld des Arztes gegen den Zugriff von
Behörden geschützt. Das könnte sich bald ändern.
Beschränkung des Einsichtsrechts
in die Behandlungsunterlagen, wenn es dazu dient ein bereits bestehenden
Kontaktverbot (wegen Stalking) zu umgehen
Teil I
Einen ungewöhnlichen Fall der Klage eines Patienten wegen Herausgabe der Behandlungsunterlagen hatte das
Amtsgericht München (1.04.2015; Az: 242 C 20527/14) zu entscheiden. Ein Patient, der bei einer Psychotherapeutin
einige Wochen in Therapie war, hatte diese nach der Beendigung der
Behandlung gestalkt und dabei auch bedroht (persönliche Mitteilung der
betroffenen Kollegin) - die
Psychotherapeutin hatte deswegen auch ein gerichtlich verfügtes Kontaktverbot
(nach dem Gewaltschutzgesetz) erwirkt, gegen das der
Patient allerdings mehrfach verstieß. Er verlangte nun die Herausgabe der
Behandlungsunterlagen nach § 10 Abs. 2 der Berufsordnung für die Psychologischen
Psychotherapeuten (genau handelt es sich um
Berufsordnung für die Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten
und für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten
Bayerns;
www.ptk-bayern.de).
Das Gericht
bezog sich in seiner Entscheidung nicht auf die Berufsordnung. Es argumentierte
vielmehr, daß grundsätzlich ein Einsichtsrecht nach § 630 g BGB besteht, das im
vorliegenden Fall jedoch eingeschränkt sei, weil nach § 630 Abs. 1 g BGB ein
Einsichtsrecht nicht bestehe, soweit erhebliche therapeutische Gründe
entgegenstehen. Dieser Fall sei hier gegeben, "da aufgrund
der psychopathologischen Einstellung des Klägers nicht auszuschließen sei, dass
bei Kenntnisnahme des Akteninhalts Affektreaktionen entstehen können, die dann
vom Kläger nicht mehr steuerbar seien, was letztlich zu einer negativen
Beeinflussung seines eigenen Gesundheitszustands führen könne". Weiter "sei
nicht auszuschließen, dass der Kläger die Einsichtnahme nur einfordert, um auf
diese Weise das ausgesprochene Kontaktverbot zu umgehen". Die
Psychotherapeutin hatte die Behandlungsunterlagen bereits zuvor an die
Staatsanwaltschaft übergeben, wo der Kläger die Möglichkeit gehabt hätte,
Einsicht zu nehmen. Es sei ihm - so das Gericht - zuzumuten gewesen, dort
"Akteneinsicht zu nehmen und damit vom genauen Inhalt der
Behandlungsunterlagen Kenntnis zu erlangen". Das Urteil ist bislang
noch nicht rechtskräftig.
Bereits im Vorfeld
der gerichtlichen Entscheidung hatte die Psychotherapeutin versucht, die
Behandlungsunterlagen an die die zuständige Psychotherapeutenkammer zu übergeben, bei der
sie Mitglied ist, damit der Patient dort gegebenenfalls Einsicht hätten nehmen
können. Die Psychotherapeutenkammer lehnte die Aufbewahrung der
Behandlungsunterlagen jedoch ab.
Anmerkung:
Wenn es auch in der Mehrzahl der Fälle PatientInnen sind, die Übergriffen
seitens ihrer BehandlerInnen ausgesetzt sind, gibt es auch eine nicht
unerhebliche Zahl von Fällen, in welchen PsychotherapeutInnen bzw.
BehandlerInnen Opfer von Übergriffen werden. Interessanterweise wird darüber
kaum gesprochen. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, daß KollegInnen das
Verhalten der PatientInnen schuldhaft mit Schamgefühlen verarbeiten - als
vermeintliche Reaktion der PatientInnen auf eine fehlerhafte, unzureichende
Behandlung. Selbst wenn das im zu prüfenden Einzelfall so wäre, würde das
grenzüberschreitende Verhalten der PatientInnen damit nicht legitimiert. Ähnlich
wie im Fall der Grenzüberschreitungen von TherapeutInnen kommt offenbar es zur
Schuldumkehr: Nicht der Täter ist verantwortlich für die Grenzüberschreitung,
sondern das Opfer hat die Grenzüberschreitung provoziert.
Auch wenn es sich in Relation zu
Grenzüberschreitungen bei PatientInnen um eine kleine Zahl von Fällen handelt,
scheint es mir sinnvoll diesen KollegInnen Hilfe anzubieten - hier sind die
Ärzte- und Psychotherapeutenkammern gefragt. Vermutlich sind in besonderer Weise
Psychotherapeutinnen (Frauen) betroffen, die von Übergriffen ihrer Patienten
(Männer) betroffen sind. Auch darauf wäre Rücksicht zu nehmen (weibliche
Ansprechpartnerinnen).
118. Deutscher Ärztetag: Änderung
der Muster-Berufsordnung zur Einsicht in Behandlungsunterlagen
Teil II
(Archivtitel: Einsichtnahme Behandlungsunterlagen & Persönlichkeitsrecht der
BehandlerInnen)
Der 118. Deutsche Ärztetag hat eine
Änderung der Muster-Berufsordnung in vier Punkten beschlossen. Bei der
Einsicht in die Dokumentation wurde hinsichtlich möglicher Ausnahmen ein Passus
zu
Rechten der ÄrztInnen.
§ 10 Abs. 2 Satz 1 der MBO-Ä lautet
damit:
Ärztinnen und Ärzte
haben Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen in die sie betreffende
Dokumentation Einsicht zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche
therapeutische Gründe oder erhebliche Rechte der Ärztin, des Arztes oder Dritter
entgegenstehen.
Anmerkung: Die Gesetzesbegründung sieht ÄrztInnen
ausdrücklich nicht als Dritte – und ihre
Rechte damit an dieser Stelle auch nicht als schutzwürdig an. In der
Bundespsychotherapeutenkammer wurde im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte
der PsychotherapeutInnen (KJP/PP) einerseits und die juristischen Vorgaben
andererseits lange um eine entsprechende Änderung der Muster-Berufsordnung
gerungen. Die verabschiedete Version
24. Deutschen Psychotherapeutentag
(15.05.2014)
lautet nun:
§ 11 Einsicht in
Behandlungsdokumentationen
(1) Patientinnen und Patienten
ist auch nach Abschluss der Behandlung auf ihr Verlangen hin unverzüglich
Einsicht in die sie betreffende Patientenakte zu gewähren, die nach § 9 Absatz 1
zu erstellen ist. Auch persönliche Eindrücke und subjektive Wahrnehmungen der
Psychotherapeutin oder des Psychotherapeuten, die gemäß § 9 in der Patientenakte
dokumentiert worden sind, unterliegen grundsätzlich dem Einsichtsrecht der
Patientin oder des Patienten. Auf Verlangen der Patientin oder des Patienten
haben Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten dieser oder diesem Kopien und
elektronische Abschriften aus der Dokumentation zu überlassen. Die
Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut kann die Erstattung entstandener
Kosten fordern.
(2)
Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten können die Einsicht ganz oder
teilweise nur verweigern, wenn der Einsichtnahme erhebliche therapeutische
Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Nimmt die
Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut ausnahmsweise einzelne Aufzeichnungen
von der Einsichtnahme aus, weil diese Einblick in ihre oder seine Persönlichkeit
geben und deren Offenlegung ihr oder sein Persönlichkeitsrecht berührt, stellt
dies keinen Verstoß gegen diese Berufsordnung dar, wenn und soweit in diesem
Fall das Interesse der Psychotherapeutin oder des Psychotherapeuten am Schutz
ihres oder seines Persönlichkeitsrechts in der Abwägung das Interesse der
Patientin oder des Patienten an der Einsichtnahme überwiegt.Eine
Einsichtsverweigerung gemäß Satz 1 oder Satz 2 ist gegenüber der Patientin oder
dem Patienten zu begründen. Die Kammer kann zur Überprüfung der Voraussetzungen
nach Satz 1 oder Satz 2 die Offenlegung der Aufzeichnungen ihr gegenüber
verlangen. Die Regelung des § 12 Absatz 6 Satz 2 bleibt unberührt.[Hervorhebung vom Verfasser]
Diese Version wird den juristischen
Vorgaben aus dem BGB deutlich gerechter, als die Formulierung in der M-BO für
ÄrztInnen. Allerdings
ist die M-BO für PP/KJP im
Hinblick auf den Satz
"Die Kammer kann zur Überprüfung der Voraussetzungen nach Satz 1 oder Satz 2 die
Offenlegung der Aufzeichnungen ihr gegenüber verlangen" aus
Datenschutz- bzw. strafrechtlichen Gründen äußerst bedenklich: Eine Einsichtnahme
in die Aufzeichnungen durch Dritte (hier die Kammer) ist nur aufgrund
gesetzlicher Regelungen (die hier nicht vorliegen) oder einer Einwilligung von
Seiten der jeweiligen PatientInnen zulässig. Zudem könnten durch eine Überprüfung
der Unterlagen durch die Kammer auch Persönlichkeitsrechte der BehandlerInnen
betroffen sein bzw. verletzt werden.
In der Berufsordnung für die KJP/PP
Bayern (Fassung v. 18.12.2014) wurde in § 11 Abs. 2 (Einsichtnahme in die
Patientenakte) folgende Formulierung gewählt:
Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten können die Einsicht ganz oder
teilweise nur verweigern, wenn der Einsichtnahme erhebliche therapeutische
Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Nimmt die
Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut ausnahmsweise einzelne Aufzeichnungen
von der Einsichtnahme aus, weil diese Einblick in ihre oder seine Persönlichkeit
geben und deren Offenlegung ihr oder sein Persönlichkeitsrecht berührt, stellt
dies keinen Verstoß gegen diese Berufsordnung dar, wenn und soweit in diesem
Fall das Interesse der Psychotherapeutin oder des Psychotherapeuten am Schutz
ihres oder seines Persönlichkeitsrechts in der Abwägung das Interesse der
Patientin oder des Patienten an der Einsichtnahme überwiegt. Eine
Einsichtsverweigerung gemäß Satz 1 oder Satz 2 ist gegenüber der Patientin oder
dem Patienten zu begründen.
Pressemitteilung: 118. Deutscher Ärztetag
14.05.2015: (Muster-) Berufsordnung: Änderungen beschlossen
Berufsordnung
für für die
Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und für die Kinder-
und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten Bayerns (Stand:
18.12.2014): www.ptk-bayern.de
AKTUELL: Nummer
16/2014: 24. Deutscher Psychotherapeutentag beschließt Änderung der
Muster-Berufsordnung: Das Persönlichkeitsrecht der Psychologischen
PsychotherapeutInnen und Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen kann bei
Abwägung der widerstreitenden Grundrechtsgüter ausnahmsweise einzelne Aufzeichnungen von
der Einsichtnahme ausnehmen.
Man glaubt es kaum. Trotz des
Scheiterns aller bisherigen Bemühungen (zuletzt durch das
Grundsatzurteil des Europäischen
Gerichtshofes, das die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig
erklärt hat - siehe Teil XVI),
will jetzt die Bundesregierung einen neuen Vorstoß unternehmen. Justizminister
Maas, bislang ein erklärter Gegner des Vorhabens ist - vermutlich im
Zusammenhang der Koalitionsdisziplin - umgefallen und 'bastelt' an einem neuen
Gesetz. Ziel ist es, die vom Bundesverfassungsgericht und vom Europäischen
Gerichtshof gezogenen Grenzen der Verhältnismäßigkeit so zu berücksichtigen, daß
ein verfassungskonformes Gesetz verabschiedet werden kann. Zudem soll es so
abgefaßt werden, daß keine Zustimmungspflichtigkeit der Länder gegeben ist.
Für BerufsgeheimnisträgerInnen
(ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen, RechtsanwältInnen, Abgeordnete und
JournalistInnen) ist geplant, die Verbindungsdaten aus Gründen der technischen
Umsetzbarkeit zu speichern, deren Nutzung jedoch zu untersagen. (Kommentar:
Es ist mehr als fraglich, ob die Daten letztlich nicht doch im Einzelfall
genutzt werden - zumal eine Kontrolle, ob das geschehen ist, kaum möglich sein
wird.)
Heribert Prantl weist in seinem
Kommentar (Suddeutsche Zeitung v. 16.04.15: 4) auf die Filmkomödie "Und täglich
grüßt das Murmeltier" hin, in der ein Wetteransager in einer Zeitschleife
fest hängt (Anmerkung: Ein sehr sehenswerter Film - einschließlich
der psychologischen Momente im Hinblick darauf, wie es dem Mann schließlich
gelingt, aus der - vermeintlich äußeren - Sackgasse heraus zu kommen). Prantls
Fazit: "Ein Grundrechtsverstoß bleibt ein
Grundrechtsverstoß auch dann, wenn er künftig nur noch vier beziehungsweise zehn
Wochen dauern soll; das sind die jetzt vorgesehenen Speicherfristen. Der
E-Mail-Verkehr soll ausgenommen bleiben." Für besonders problematisch
hält er den Umstand, daß auf die Daten nicht nur bei schwersten Straftaten
zurückgegriffen werden kann, sondern auch bei leichteren Straftaten,
insbesondere dann, wenn diese zur Vorbereitung schwerer Straftaten erfolgen.
Man muß kein Prophet sei um eine
weitere längere Auseinandersetzung bis vor das Bundesverfassungsgericht und den
Europäischen Gerichtshof für den Fall zu prognostizieren, daß das Gesetz im
Bundestag verabschiedet wird.
Anmerkung 1:
In der SZ vom 17.04.15 ist unter dem Stichwort "Klagefreude" zu lesen, daß
sowohl FDP-Chef Christian Lindner als auch Wolfgang Kubicki und Gerhard Baum
(beide FDP) Verfassungsklagen angekündigt haben (SZ v. 17.05.15: 5)
Anmerkung 2
(1.08.15): Die SZ (Robert Rossmann) berichtet am 11.06.15
(Seite 4) unter
der Überschrift "Parlaments-Juristen rügen Vorratsdaten-Gesetz. Gutachten des
Bundestags: Entwurf missachtet an mehreren Stellen die verfassungs- und
europarechtlichen Vorgaben." über Bedenken der Bundestagsjuristen am
Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung. Moniert würden im Gutachten u. a. die
Information der Betroffenen und der Schutz von Anwälten und anderen
Berufsgeheimnisträgern (Seite 4).
Süddeutsche Zeitung (16.04.15):
Vorratsdatenspeicherung.
O du schöner Datenkranz (von Heribert Prantl); Druckversion: Seite 4
Ergänzungen zu
AKTUELL: Nummer
8/2015: Nietzsche & Wild Tales
- Pasternak
Teil
II
Zwar nicht direkt ein
Thema der Schweigepflicht aber doch ein Aspekt der Angelegenheit: Vor wenigen
Tagen las ich ein Zitat von Nietzsche, das angesichts des - nicht nur im
Zusammenhang dieser furchtbaren Tat zutage tretenden - 'Erklärungswahns'
bzw. 'Erklärungswahnsinns' einer sich als aufgeklärt bezeichnenden Gesellschaft
doch so zutreffend erschien, daß ich es hier veröffentliche:
116.
Die unbekannte Welt des "Subjects". —
Das, was den Menschen so schwer zu begreifen fällt, ist
ihre Unwissenheit über sich selber, von den ältesten
Zeiten bis jetzt! Nicht nur in Bezug auf gut und böse, sondern
in Bezug auf viel Wesentlicheres! Noch immer lebt der uralte
Wahn, dass man wisse, ganz genau wisse, wie das menschliche Handeln
zu Stande komme, in jedem Falle. Nicht nur "Gott,
der in’s Herz sieht", nicht nur der Thäter, der seine That
überlegt, — nein, auch jeder Andere zweifelt nicht, das
Wesentliche im Vorgange der Handlung jedes Andern zu verstehen.
"Ich weiss, was ich will, was ich gethan habe, ich bin frei und
verantwortlich dafür, ich mache den Andern verantwortlich, ich
kann alle sittlichen Möglichkeiten und alle inneren Bewegungen,
die es vor einer Handlung giebt, beim Namen nennen; ihr mögt
handeln, wie ihr wollt, — ich verstehe darin mich und euch
Alle!" — so dachte ehemals Jeder, so denkt fast noch Jeder. (…)
Die Handlungen sind niemals Das, als was sie uns erscheinen! Wir haben so viel
Mühe gehabt, zu lernen, dass die äusseren Dinge nicht so sind,
wie sie uns erscheinen, — nun wohlan! mit der inneren Welt steht
es ebenso! Die moralischen Handlungen sind in Wahrheit "etwas
Anderes", — mehr können wir nicht sagen: und alle Handlungen
sind wesentlich unbekannt. Das Gegentheil war und ist der
allgemeine Glaube: wir haben den ältesten Realismus gegen uns;
bis jetzt dachte die Menschheit: "eine Handlung ist Das, als was
sie uns erscheint." (…).
Eine Kollegin wies mich kürzlich auf
eine Episode im Film Wild Tales hin: Pasternak
In einem Flugzeug
flirtet der Fluggast Salgado mit einer Frau. Im Verlauf ihres Gespräches
stellen sie
fest, daß sie einen gemeinsamen Bekannten haben: Gabriel Pasternak. Während
ihrer Unterhaltung schaltet sich eine andere Frau ein, weil auch sie Pasternak
kennt. Im Laufe der Zeit stellt sich heraus, daß ihn alle Passagiere an Bord
kennen und ihm in irgendeiner Art und Weise etwas angetan haben. Auch weil
niemand die Reise selbst gebucht hat kommen den Passagieren erste böse
Vorahnungen, die sich bestätigen, als die Stewardess mitteilt, daß der
Flugbegleiter Gabriel Pasternak im Cockpit sitzt und die Tür verschlossen ist.
Im Garten eines Bungalows sitzt ein älteres Ehepaar - offensichtlich handelt es
sich um die Eltern von Pasternak. Dann ist im Hintergrund ist das herannahende
Flugzeug zu sehen, das direkt auf das Haus zurast.
Es handelt sich um eine von sechs
unabhängigen Kurzgeschichten, die sich mit den Themen Gewalt, Rache und
Vergeltung auseinandersetzen. Dabei wiederholt sich die Konstellation von
tiefgreifend gekränkten Menschen, die bei ihnen zu destruktiven Ausbrüchen von
Gewalt und Sexualität führen - teils in Form 'heißer Wut', teils mit
'kaltem Haß'. Dabei erinnert die 4. Episode "Bombita" sehr an Kleists Novelle
Michael Kohlhaas aus dem Jahr 1810.
Der Film
Wild Tales – Jeder dreht mal durch!
(Originaltitel: Relatos salvajes) ist eine schwarze Tragikkomödie des
Regisseurs und Drehbuchautors Damián Szifron (2014).
Der Film hatte bei seiner Premiere in
Argentinien großen Erfolg und war der
meistgesehene Film des Jahres 2014. Bei den
Festspielen in Cannes, Toronto und San Sebastian hatte er großen Erfolg
und wurde als argentinischer Beitrag für den Preis "Bester ausländischer Film"
für die 87. Oscar-Verleihung (2015) ausgewählt. In Großbritannien kam es bei dem
für den 27. März 2015 geplante Kinostart zu Kontroversen, weil drei Tage zuvor
die Maschine von Gemanwings abgestürzt war. Der Kinostart wurde allerdings nicht
verschoben.
Weder wissen wir, ob der Pilot von
Germanwings, der das Flugzeug offenbar willentlich zum Absturz gebracht hat den
Film gesehen hat (und es sich insoweit um eine Art von Nachahmungstat handelt),
noch halte ich es für statthaft über etwaige Diagnosen des Piloten zu
spekulieren (Depression, narzißtische Persönlichkeitsstörung, Psychose etc.).
Was bleibt? Schmerz, Wut, Trauer,
Ohnmacht und Nachdenklichkeit über das Wesen, die Widersprüchlichkeit und
Absurdität der menschlichen Existenz. Währenddessen sind weitere 400 Menschen im
Mittelmeer ertrunken -
afrikanische Flüchtlinge vor der Küste Libyens, die in Seenot gerieten, weil ihr
Schiff kenterte. Die italienische Küstenwache konnte lediglich 144 der
wahrscheinlich mehr als 500 Menschen retten.
Ein tragischer Flugzeugabsturz in den französischen Alpen und die (deutsche)
Schweigepflicht: Szenen einer Hysterie & Versuch, den Aktionismus bei von
Menschen verursachten Katastrophen zu verstehen (Stand 3.04.15)
Teil
I
Am 24.03.15 ist ein Airbus
A320 (Flug 4U9525) der deutschen Lufthansa-Tochter Germanwings auf dem Weg von
Barcelona nach Düsseldorf mit 150 Menschen in schwer zugänglichem Gelände der
französischen Alpen (Département Alpes-de-Haute-Provence) abgestürzt. Zwei Tage
nach dem Absturz nach einer erstens Auswertung des Voice-Recorders hat sich die
Staatsanwaltschaft in Marseille auf die wahrscheinliche Ursache des Absturzes -
eine Suizidhandlung des deutschen Copiloten - festgelegt. Demnach hat dieser die
Tür des Cockpits für den kurz abwesenden Kapitän willentlich nicht mehr geöffnet
und den Sinkflug eingeleitet. Der Code an der Tür war nach Angaben des
Staatsanwalts nicht zum Öffnen der Tür, sondern lediglich zur Identifizierung
der Zugangsberechtigten bestimmt. Danach seien die Atemgeräusche des Copiloten
und - kurz vor dem Aufprall - die Geräusche der an die Tür hämmernden Crew und
Flugkapitäns, der Alarm für die rasche Annäherung der Maschine an den Boden
sowie die Schreie der Passagiere zu hören.
Eine nur
unzulänglich mit Worten zu beschreibende Situation, die an die Vorgänge in den
Twin-Towers kurz von deren Einsturz erinnert. Ich möchte hier einen Moment
innehalten - im Gedenken an die Menschen, die so sterben mußten und ihre
Angehörigen (Verwandte, Freunde, KollegInnen), die mit diesen Gedanken und
Bildern leben müssen.
Am 26.03.16 hat die
Staatsanwaltschaft Düsseldorf die Wohnung des Copiloten durchsucht und dabei
eine zerrissene, den Tag des Absturzes einschließende, Krankschreibungen, nicht
aber einen Abschiedsbrief oder ein Bekennerschreiben gefunden. Hingegen fanden
sich Hinweise auf eine bestehende Erkrankung und die Behandlung in einer
Düsseldorfer Klinik. Die Klinik hat eine "diagnostische Abklärung" im Zeitraum
von Februar bis 10. März 2015 bestätigt und die Dokumentation der Staatsanwalt
übergeben. Dementiert wurde allerdings, daß der Copilot wegen Depressionen
behandelt worden sei. Weitere Einzelheiten unterlägen der ärztlichen
Schweigepflicht. (Stand 31.03.2015).
Schon an dieser Stelle halte
ich die Schweigepflicht (hier der Klinik) für gebrochen - jenseits der Frage,
wie es überhaupt sein kann, daß unter Verdacht stehende Menschen mit vollem
Namen, Wohnort und Details aus seinem Privatleben in die Öffentlichkeit gezerrt
werden.
Doch nun dreht sich der Zirkus
der Aufgeregtheiten. Noch bevor die Umstände annähernd geklärt sind, werden
Stimmen laut, die (ärztliche) Schweigepflicht für "sensible Berufe"
einzuschränken. So äußerte etwa der CDU-Verkehrsexperte Dirk Fischer
gegenüber der Rheinischen Post: "Piloten müssen zu Ärzten gehen, die vom
Arbeitgeber vorgegeben werden. Diese Ärzte müssen gegenüber dem Arbeitgeber und
dem Luftfahrtbundesamt von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden sein". Der
Bundestagsabgeordnete Thomas Jarzombek (CDU) soll eine
Expertenkommission zur Klärung der Frage vorgeschlagen haben, wie mit ärztlichen
Diagnosen bei Menschen in besonders verantwortungsvollen Berufen wie Piloten
umzugehen sei - insbesondere im Fall psychischer Erkrankungen und einer
möglichen Selbstmordgefahr. Und der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Karl
Lauterbach vertrat in einer Zeitung (auf deren namentliche Erwähnung ich
wegen ihres unerträglichen journalistischen Stils verzichte) die Meinung, wenn
Leib und Leben anderer Menschen gefährdet seien, sei "der Arzt verpflichtet, den
Arbeitgeber über die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters zu informieren".
Letzteres ist zwar eindeutig falsch - aber auf solche Nebensächlichkeiten
scheint es derzeit nicht anzukommen.
Der Arbeitsrechtsexperte des
Arbeitgeberverbandes BDA, Thomas Prinz, sprach sich im
"Tagesspiegel" für eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht in bestimmten
Fällen aus: "Wenn Arbeitnehmer, die in sicherheitsrelevanten Bereichen arbeiten,
psychische Probleme haben, sollte eine unabhängige staatliche Stelle davon
erfahren". Eine solche Stelle könne (wie bei Meldung von Seuchen) das
Gesundheitsamt sein.
Andere, so der Präsident der
Bundesärztekammer, Prof. Frank Ulrich Montgomery warnen vor
"vorschnellen politischen und rechtlichen Entscheidungen. (...) Die ärztliche
Schweigepflicht ist ebenso wie das verfassungsrechtlich geschützte
Patientengeheimnis ein hohes Gut und für alle Bürgerinnen und Bürger in
Deutschland ein Menschenrecht".
Auch die Piloten-Gewerkschaft
sprach sich gegen eine Lockerung der Schweigepflicht bei Piloten aus. In der
Rheinischen Post soll ihr Präsident, Ilja Schulz, erklärt haben:
"Das kann nur jemand sagen, der von der Materie gar keine Ahnung hat. (...) Wenn
mein Arzt von der Schweigepflicht entbunden ist, werde ich ihm gegenüber kein
Problem ansprechen, weil immer die Angst vorm Fluglizenzentzug mitschwingt". Nur
wenn die Schweigepflicht bestehe, könne der Arzt echte Hilfe anbieten.
Auf Anfrage der Ärzte Zeitung
sagte der der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer Prof. Rainer
Richter: "Die Schweigepflicht ist nicht das Problem. Das Problem ist das
Erkennen der Fremdgefährdung. Dafür gibt es keine absolut verlässliche Methode.
Ärzte und Psychotherapeuten sind heute schon verpflichtet zu melden, wenn ein
Patient beabsichtigt, andere zu töten" (siehe dazu auch das Interview
der Deutschen Presse-Agentur (dpa) v.
30.03.15). Auch Dieter Best,
stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung
warnte im Gespräch mit der Ärzte Zeitung davor, voreilige Schritte zu
unternehmen: "Dies ist eine Diskussion der Hilflosigkeit. Die Schweigepflicht
muss für alle Patientengruppen gelten. (...) Damit würde man bestimmte
Berufsgruppen von der Psychotherapie ausschließen. Nur auf Basis von Vertrauen
kann eine gute Therapie gelingen". Auch der Vertreter des Hartmannbundes,
Dr. Klaus Reinhardt, argumentierte ähnlich: "Eine Lockerung dieses
besonderen Rechtsschutzes kann unter anderem auch dazu führen, dass Patienten
sich überhaupt erst gar nicht in Behandlung begeben oder sich gegenüber ihrem
Arzt öffnen".
Anmerkung: Ich habe oben aus verschiedenen Presseberichten berichtet,
insbesondere aus der Ärzte Zeitung online; da die Qualität der journalistischen
Berichterstattung kein Ruhmesblatt der deutschen Pressegeschichte darstellt
(auch seriöse Zeitungen berichten unter Nennung der Namen von Beteiligten) kann
ich keine Gewähr für die Richtigkeit geben.
In der
Ärztezeitung (siehe unten) äußert sich der Medizinrechtler Dr. Ingo
Pflugmacher zu den Voraussetzungen (des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34
StGB) unter denen die Schweigepflicht gebrochen werden kann.
Weitere Stimmen dazu:
Berliner Zeitung (31.03.15) :
"Schweigepflicht. Das Arzt-Patientenverhältnis muss geschützt werden". Im
Interview mit Daniela Vates sah der Professor für Medizinrecht in Göttingen, Gunnar Duttge, die Schweigepflicht des Uniklinikums Düsseldorf sowohl
standesrechtlich wie auch strafrechtlich verletzt: "Das
gilt für die Bekanntgabe von Terminen des Patienten über die Andeutung des
Grunds der ärztlichen Behandlung bis zur Übergabe der Krankenakte an die
Staatsanwaltschaft." Auf die Frage, ob die Vorschrift zum
rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) geändert werden sollte, meinte er: "Aus
meiner Sicht nicht. Der Datenschutz ist ein hoher Wert, insbesondere im
Arzt-PatientenverhäItnis. Beim Arzt offenbaren sich Menschen in einer Weise wie
sonst nie gegenüber Fremden. Sie müssen sicher sein, dass diese Daten geschützt
werden." Und auf die Frage, ob man so viel Rücksicht auf den Datenschutz
eines Einzelnen nehmen könne, wenn 149 andere Menschen vielleicht durch ihn
gestorben seien, antworte Prof. Duttge: "Mit
der gleichen Logik könnten Sie bei anderen Ermittlungen Beschuldigte foltern.
Wir schützen Menschenrechte, gerade dann, wenn es zum Konflikt kommt, wenn es
Druck gibt. Dazu gehören auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Wir
bräuchten keine ärztliche Schweigepflicht, wenn es niemanden gäbe, der Interesse
an den Daten haben könnte."
Ärzte Zeitung - online (2.04.15):
"Diskussion über Schweigepflicht ist schädlich". Der
Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM), Professor Hans Drexler,
warnte davor, "das hohe Rechtsgut des
Vertrauensverhältnisses von Arzt und Klient durch eine wenig differenzierte
Diskussion um eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber
Arbeitgebern zu gefährden" und bezeichnete die Diskussion in der
Öffentlichkeit als "wenig qualifiziert bis schädlich".
Wenn Patienten sich nicht mehr gegenüber den behandelnden ÄrztInnen offenbarten,
weil sie befürchten müßten, daß der Arbeitgeber davon erfahre, würde das
"mit Gewissheit eine geringere Sicherheit für die Unversehrtheit von Dritten"
bedeuten.
aerzteblatt.de (30.03.15): "Eine
Aushöhlung der ärztlichen Schweigepflicht ist der falsche Weg". Prof. Frank Ulrich Montgomery
warnte im Interview vor einer "Aushöhlung
der ärztlichen Schweigepflicht". Sie sei "eine
Verpflichtung des Arztes und ein Menschenrecht der Patienten. Wir wollen doch
nicht, dass in Zukunft jede depressive Verstimmung sofort zu einem Flugverbot
führt. Hier muss die Kirche im Dorf gelassen werden." Zur Problematik der
Flugtauglichkeit unterscheidet Montgomery zwischen der (gutachterlichen)
Tätigkeit eines Fliegerarztes, der mit Einwilligung des Piloten seine
Einschätzung abgibt und einem "therapeutische(n)
Setting, bei dem ein Patient zu einem Arzt seines Vertrauens geht, um eine
medizinische Problematik zu besprechen. In diesem Fall muss der Arzt dem
Patienten raten, dass er nicht fliegen sollte. Deswegen schreibt er ihn krank.
So viel Vertrauen in menschliches Verhalten und so viel Einsicht, dass der
Patient die Krankschreibung auch an seinen Arbeitgeber weitergibt, müssen wir
dabei schon erwarten." Und weiter: "Man
sollte vor allem nicht glauben, dass man suizidales Verhalten mit
hundertprozentiger Sicherheit vorhersagen kann. Bilanzselbstmorde geschehen aus
einem Affekt heraus und selbst Menschen, die sich in intensivster Psychotherapie
befinden, begehen Suizid. Hier wird durch politische Schnellschüsse wie die
Einrichtung von Expertenkommissionen oder die Aushöhlung der Schweigepflicht,
versucht, ein Gefühl der Pseudosicherheit zu schaffen."
Psychotherapeutenkammer
Hessen (Pressemitteilung v.
2.04.15): Zwangsmeldungen bei psychischen Erkrankungen – helfen sie
Katastrophen zu verhindern?
www.sueddeutsche.de (31.03.15
- 09:17): "Konsequenzen aus dem Flugzeugunglück. Ärztliche Schweigepflicht
muss streng bleiben. Nach der Germanwings-Tragödie wäre eine gelockerte
Schweigepflicht für Ärzte und Psychologen der falsche Weg. Das würde die
Grundlage des Arzt-Patienten-Verhältnisses erschüttern (von Werner Bartens)."
Abgesehen davon, daß der Autor offenbar den Unterschied zwischen PsychologInnen,
Psychologischen PsychotherapeutInnen und Kinder- und
JugendlichenpsychotherapeutInnen nicht kennt, ein lesenswerter Kommentar.
Ergänzung 13.06.15
Die Süddeutsche berichtet in einem
ausführlichen Beitrag unter der Überschrift "Blind vor Angst" (SZ 12.06.13 Nr.
132:3) über die Vielzahl an Fehlinformationen und Falschaussagen, die über den
Piloten berichtet wurden - ob nun wiederum diese Informationen verläßlich sind
...
Sichtbar wird an diser Stelle ein
Phänomen der modernen Informationsgesellschaft, die erregt danach giert,
Informationen zu generieren, zu verbreiten und aufzunehmen - sofort und mit dem
Anspruch auf 'Wahrheit'. Manche Beiträge von JournalistInnen, aber auch von
PsychologInnen/PsychotherapeutInnen/ÄrztInnen und Anderen, die glauben berufen
zu sein, sich über die Psyche anderer Menschen auszulassen, wirken wie eine Art
masturbatorischer Betätigung (bei VerfasserInnen und Publikum), welche dem
Nicht-spüren-müssen von Leere und Angst angesichts von Nicht-Wissen und Ohnmacht
dienen. Letztlich werden wir durch solche Taten an die eigenen (aggressiven bzw.
destruktiven) inneren Abgründe erinnert, die in der modernen Welt ihren Ausdruck
einerseits in roher Gewalt finden und andererseits in mehr oder weniger subtilen
destruktiven Handlungen (Risikoverhalten im Straßenverkehr, Shitstorms, Mobbing,
Stalking, gefährliche Sportarten, Steuerhinterziehung etc.).
Doch
worum geht es eigentlich:
Katastrophen
stellen einen Angriff auf unser Kohärenzgefühl dar. In der von Antonovsky
entwickelten Theorie der Gesundheit ("Health, stress, and coping") spielt der
Kohärenzsinn ("sense of coherence") eine zentrale Bedeutung. Er bezeichnet eine
"globale Orientierung, die zum Ausdruck bringt, in welchem Ausmaß eine Person
über ein durchdringendes, überdauerndes aber doch dynamisches Gefühl des
Vertrauens verfügt, dass die eigene innere und äußere Umwelt vorhersagbar sind
und dass sich die Dinge mit hoher Wahrscheinlichkeit so entwickeln werden, wie
man es vernünftigerweise erwarten kann" (Antonovsky 1979, 123; Übers. d. Verf.).
Existenz und Ausprägung des Kohärenzsinns sind von entscheidender Bedeutung
dafür, an welchem Ort sich eine Person im Kontinuum von "Health Ease/Dis-ease"
befindet.
Im Unterschied zu
'alltäglichen' Katastrophen (Unfälle, Krankheit, Trennungen, Tod, Kränkungen
etc.), die bei den unmittelbaren Betroffenen (einschließlich des psychosozialen
Umfelds) zu einer Beeinträchtigung des Kohärenzgefühls und weitergehend zu einer
physischen und/oder psychischen Beeinträchtigung bzw. Erkrankung führen können,
werden die durch Medien an jeden Ort der Welt verbreiteten
'Großschadensereignisse' (ein grauenhafter Begriff!) von Großgruppen
wahrgenommen, die als Zuschauer 'teilnehmen'. Die Erleben der einzelnen
Individuen wird dabei durch die (je nach Medium und Redaktion/Eigentümer)
unterschiedliche Art der Darstellung beeinflußt und auf bestimmte Details
gelenkt oder auch von solchen abgelenkt.
Zunächst
konfrontiert uns das Geschehen mit der dem Individuum jederzeit drohenden, nun
aber unmittelbar wahrgenommenen Gefährdung unserer Existenz - und weitergehend -
auch der Endlichkeit unserer Existenz. Bewußt erlebt wird die Ohnmacht
angesichts dessen, was geschieht und was wir nicht oder nur sehr partiell zu
beeinflussen vermögen. Um diese Ohnmacht nicht aushalten zu müßen, liegt es
nahe, einen Zustand anzustreben, der von der Vorstellung, von der Illusion
getragen ist, (wieder) Einfluß nehmen zu können.
Die insbesondere
bei Journalisten zu beobachtende Tendenz, sofort nach Ursachen und Schuld zu
suchen (und über verschiedenste Möglichkeiten, möglichst mit 'ExpertInnen'
verschiedenster Herkunft zu spekulieren) kommt dem Bedürfnis der
'KonsumentInnen' entgegen, möglichst wenig mit der Ohnmacht des Augenblicks und
den damit einhergehenden Affekte und Gefühle (Trauer, Wut, Angst und Panik)
konfrontiert zu werden.
Nicht anders ist
der Versuch zu verstehen, daß PolitikerInnen, betroffenen Verbände,
Gewerkschaften und andere Beteiligte Personen und Institutionen sofortige
Maßnahmen fordern, die häufig wenig mit den kausalen (zumeist vorerst oder
dauerhaft unklaren) Ursachen für das Eintreten des Ereignis zu tun haben. Hinzu
kommt, daß einfache Erklärungen kaum zu erwarten sind - meist handelt es sich ja
um überaus komplexe und schwer zu durchschauende (psychologische) Vorgänge, die
oft schon von den Protagonisten (PolitikerInnen, Journalisten etc.) nur
ansatzweise verstanden werden und weder dem Format journalistischer Beiträge
(Rundfunk, Fernsehen, Zeitung und Internet) noch dem Interesse und Verständnis
der breiten Leser-, Hörer bzw. Seherschaft entsprechen. Daß dabei auch andere
Faktoren eine Rolle spielen (narzißtische Bedürfnisse, Machtstreben, Erwartung
durch Medienpräsenz den Status und/oder Wahlchancen zu erhöhen) spielt zuweilen
wohl auch eine nicht zu unterschätzende Rolle. Nicht zuletzt scheinen gerade
PolitikerInnen, aber auch andere Beteiligte auf vermeintliche oder reale
Vorwürfe (häufig in Boulevardzeitungen lanciert) zu reagieren, sie würden
'wieder einmal nichts zu tun'.
Bei mehr oder
weniger namhaften FachkollegInnen muß man sich schon sehr wundern, mit welcher
(vermeintlichen) Selbstsicherheit sie sich mit Erklärungen zu den
psychologischen Hintergründen von Handlungen in die Öffentlichkeit wagen, ohne
die genauen Tatvorgänge oder die daran beteiligten Personen zu kennen.
Im Hinblick auf die
Schweigepflicht muß noch etwas anderes bedacht werden. Dieter Best von der
Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV), ein berufspolitisch sehr aktiver
Verhaltenstherapeut meint im Zusammenhang des Flugzeugabsturzes und die
Möglichkeiten, PatientInnen von etwaigen suizidalen Handlungen abzuhalten:
"Instrumente dafür gibt es bereits, dafür muss die Schweigepflicht nicht
gelockert werden. (...) Konkrete Gefahren können Psychotherapeuten mit einiger
Berufserfahrung sehr gut einschätzen". Hier deutet sich eine weitere
Illusion an, die wirklich gefährlich ist - als könnten (?), sollten (?) müßten
(?) PsychotherapeutInnen könnten eine 'Gefährlichkeitsprognose' abgeben.
Abgesehen davon, daß suizidale Handlungen überwiegend ausschließlich gegen die
eigene Person gerichtet sind wären statistisch zu erwartende Effekte (fasch
positiv und richtig negativ) unumgänglich. Denn: Eine Prognose ist eine Prognose
ist eine Prognose - auch wenn man mit noch so viel Sorgfalt vorgeht.
Zunächst: Das Auftreten von Suizidgedanken im Verlauf eines Lebens ist,
gerade in Zeiten von Krisen (auch der Pubertät) nichts genuin Ungewöhnliches
oder gar Pathologisches. Deutlich
seltener als Suizidhandlungen, die sich gegen die eigene Person richten - und
oft auch Appellcharakter haben (oftmals Suizidversuche/Suizidanten), sind
erweiterte Suizide bei denen Dritte mit in den Tod gerißen werden (Angehörige,
insbesondere eigene Kinder) und solche, bei denen auch Unbeteiligte vom
Suizidenten getötet werden (Amokläufe, Selbstmordattentate, geplanter
Flugzeugabsturz).
Zwar sind erfahrene
PsychotherapeutInnen sicherlich geschulter (als die Allgemeinbevölkerung)
Anzeichen für krisenhafte Zuspitzungen, fremd- oder autoaggressive Handlungen
bzw. Suizidgedanken zu erkennen (präsuizidales
Syndrom).
Und bei der Behandlung von PsychotherapiepatientInnen gilt es, auf Zeichen
und Hinweise (oder intuitives Erleben im eigenen Inneren) zu achten - und
entsprechende Gedanken des Patienten oder eigene Überlegungen anzusprechen und
zu bearbeiten - gerade auch im Hinblick auf die Frage, wie drängend
Suizidgedanken im Hinblick auf ihre Umsetzung sind oder werden könnten. Doch
kommt es nach meiner Erfahrung (15 Jahre Sozialpsychiatrie, 14 Jahre Psychotherapiepraxis)
sehr selten zu
konkreten Suizidhandlungen oder konkreten Plänen - und nicht selten erfährt man von diesen erst im Nachhinein.
Es wäre aber auch eine Größenphantasie zu glauben, durch entsprechende
Vorsichtsmaßnahmen entsprechende Absichten immer verhindern zu können - auch
PsychotherapeutInnen (selbst PsychoanalytikerInnen!) können nicht in ihre
PatientInnen hineinschauen.
In einer Zeit, die dem Popanz
der Machbarkeit verfallen ist - wird Nicht-wissen, Nicht-erklären-können,
Nicht-verstehen-können als eine Demonstration der Ohn(e)-Macht erlebt, die
bekämpft und ausgemerzt
werden muß. Aushalten-können und containen (wie wir als PsychoanalytikerInnen
sagen) sind nicht mit Nichts-tun zu verwechseln und sind vielleicht gerade jene
Eigenschaften (der TherapeutInnen), die Ausgangspunkt wirklicher Veränderung
sein können.
Wer ernsthaft glaubt, durch
Einschränkungen der (ärztlichen) Schweigepflicht könnten solche Taten verhindert
werden, hat von ihrer behandlungstechnischen Bedeutung wenig verstanden: Erst der (auch) durch die Vertraulichkeit geschützte Therapieraum eröffnet die
Möglichkeit sich offen mit bewußten und oftmals auch unbewußten (auto-)
aggressiven Impulsen auseinandersetzen zu können.
Ärzte Zeitung
- online (30.03.15):
Andreas L. einst selbstmordgefährdet. Politiker fordern Lockerung der ärztlichen
Schweigepflicht. Der Co-Pilot der abgestürzten
Germanwings-Maschine galt vor Jahren als selbstmordgefährdet und war in
psychotherapeutischer Behandlung, berichtet die Staatsanwaltschaft Düsseldorf.
Die neuen Erkenntnisse zum Gesundheitszustand haben eine Debatte um die Grenzen
der ärztlichen Schweigepflicht entfacht.
Ärzte Zeitung - online (31.03.15):
Gefahrenquelle Patient.
Wann Ärzte ihre Schweigepflicht brechen müssen.
Hätten die behandelnden Ärzte von Andreas L. das Gefahrenpotenzial erkennen
können und die Behörden darüber informieren müssen? Die ärztliche
Schweigepflicht verbietet es, sich Dritten zu
offenbaren - in der Regel, denn es gibt Ausnahmen. Welche, schildert ein
Medizinrechtler. (Von Dr. Ingo Pflugmacher)
Ärzte Zeitung - online (31.03.15):
Diskussion um
Schweigepflicht geht weiter. Hätte eine Lockerung der
ärztlichen Schweigepflicht die
Germanwings-Katastrophe verhindern können? Darüber ist unter Politikern und
Ärzten eine Diskussion entbrannt. Jetzt melden sich auch Piloten zu Wort.
Interview
Prof. Dr. Rainer Richter (Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer mit der
Deutschen Presse-Agentur (30.03.2015)
zur Schweigepflicht auf dem Hintergrund des Interviews ist der Flugzeugabsturz
in den französischen Alpen.
Psychotherapeutenkammer Hessen
Wiesbaden (Pressemitteilung v.
2.04.15): Zwangsmeldungen bei psychischen Erkrankungen – helfen sie
Katastrophen zu verhindern?
Psychotherapeut verschickt Postkarte, die den Adressaten als Patienten
identifiziert
Aus Anlaß eines
Berichts in den Mitteilungen der Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein im
Psychotherapeutenjournal (PTJ 1/2015: 105) habe ich einen Leserbrief
geschrieben:
Im Bericht über
"Beschwerden in 2014" berichten Mitglieder der Kammervorstands über eine vom
Therapeuten verschickte Postkarte deren Inhalt den Adressaten als
Psychotherapiepatient identifizierte und schreiben dazu: "Landläufig würde man
wohl davon ausgehen, dass hier ein Verstoß gegen die Schweigepflicht vorliegt.
Dem ist aber nicht so. Um einen Verstoß gegen die Schweigepflicht hätte es sich
nur dann gehandelt, wenn nachgewiesen werden könnte, dass eine unbefugte Person
tatsächlich Kenntnis von dem Inhalt der Postkarte erlangt hätte, diese also
tatsächlich gelesen hätte. Hierfür gab es aber keine Hinweise, sodass hier
lediglich ein nicht hinreichend sorgsamer Umgang mit schützenswerten Daten
festgestellt werden konnte."
Diese Auffassung
ist aus meiner Sicht zumindest fragwürdig: Der Strafrechtskommentar
Schönke/Schröder (28. Aufl. 2010: 1837, RN 20, Bearbeiter Lenkner/Eisele) führt
dazu aus: "Da die Sonderpflicht des § 203 nicht lediglich auf Verschwiegenheit,
sondern (…) auf die Wahrung des Geheimnisses gerichtet ist, ist ein Offenbaren
auch durch Unterlassen möglich, so zB wenn der Arzt die Einsichtnahme in
seine Krankenblätter oder gar deren Mitnahme nicht verhindert (…). Das bloße
Herumliegenlassen mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Dritte genügt
dafür aber für sich genommen noch nicht (…), vielmehr sind hier entsprechend dem
positiven Tun die Voraussetzungen des § 13 nur erfüllt, wenn der Dritte von dem
Inhalt des Geheimnisses entweder tatsächlich Kenntnis genommen oder das
fragliche Dokument usw. in seinen Gewahrsam gebracht hat und dies von dem
Schweigepflichtigen zumindest bedingt vorsätzlich in Kauf genommen wurde (…).
Andere
Kommentatoren sehen den Tatbestand der Verletzung der Schweigepflicht schon
durch das Herumliegen von Krankenblättern mit der Möglichkeit zur Kenntnisnahme
als erfüllt an. In dem geschilderten Fall scheint mir kaum ein Zweifel daran zu
bestehen, daß sich die fragliche Postkarte (vorübergehend) im Gewahrsam
unbefugter Personen befand und dies von dem Schweigepflichtigen zumindest
bedingt vorsätzlich in Kauf genommen wurde.
Daneben kann man
sich fragen, ob nicht noch weitere Berufspflichten verletzt wurden, so etwa die
in der Berufsordnung der PTK Schleswig-Holstein dargelegten Grundsätze zu
Behandlungsmaßstäben und Sorgfaltspflichten (§ 10).
Dr. Jürgen Thorwart
Johann-Sebastian-Bach-Weg 9
82223 Eichenau
www.schweigepflicht-online.de
Psychotherapeutenjournal
1/2015: 105: Beschwerden in 2014:
Psychotherapeutenkammer Berlin: MERKBLATT Zeugnisverweigerungsrecht.
Aussagepflicht vor Gericht? Schweigepflicht versus Zeugenpflicht (30.06.09)
Bei Recherchen habe
ich den folgenden Beitrag der Psychotherapeutenkammer Berlin gefunden, der sich
mit dem Zeugnisverweigerungsrecht vor Zivilgerichten und Strafgerichten bezieht;
zum Teil verweist er auch auf Bestimmungen aus der Berufsordnung der PTK Berlin.
Psychotherapeutenkammer Berlin:
MERKBLATT Zeugnisverweigerungsrecht. Aussagepflicht vor Gericht?
Schweigepflicht versus Zeugenpflicht (30.06.09)
Psychotherapeut (Diplom-Psychologe) verletzt durch Bescheinigung beim
Familiengericht seine Schweigepflicht
Die Recklinghäuser Zeitung berichtet
in einem Beitrag vom
14. März
2015, 14:07 Uhr (Zitat):
RECKLINGHAUSEN Wegen eines "Geheimnis-Verrates" landete jetzt ein Recklinghäuser
Psychotherapeut vor Gericht. Ein Vater hatte Strafanzeige gestellt, weil er in
einem Sorgerechts-Streit eine Verletzung der Schweigepflicht des Therapeuten
ausgemacht hatte.
Der
Psychotherapeut (53) aus Recklinghausen ist nur knapp an einer Verurteilung
wegen Verstoßes gegen die Schweigepflicht vorbeigeschrammt.
Vize-Amtsgerichtsdirektor Manfred Borgstädt bestätigte: Gegen Zahlung von 3 600
Euro Geldauflage wurde das Verfahren eingestellt.
„Bescheinigung zur Vorlage beim Familiengericht.“ Es war diese Widmung zur
Informationsweitergabe auf einem Schreiben an eine Patientin, die die Bochumer
Staatsanwaltschaft veranlasst hatte, gegen den Diplom-Psychologen wegen
„Verletzung von Privatgeheimnissen“ zu ermitteln. Da das Schreiben keineswegs
nur Infos aus Therapiegesprächen mit der eigentlichen Patientin, sondern
wunschgemäß auch Mitteilungen über Persönlichkeitsdefizite ihres Mannes
enthielt, sorgte es Ende 2014 vor dem Oberlandesgericht in Hamm für Riesenärger.
Dort stritten die Patientin und ihr Mann um das Sorgerecht für ein Kind. Der
Mann, der bei dem Psychotherapeuten einmal auch ein gemeinsames
Paartherapiegespräch mitgemacht hatte, fühlte sich durch dessen Bescheinigung,
er habe „Alkoholprobleme“ und sei „manipulativ“, verraten – und erstattete
Strafanzeige.
Vor Gericht zeigte sich der Therapeut einsichtig, mit der Info-Preisgabe damals
wohl über das Ziel hinaus geschossen zu sein. Mit Zustimmung der
Staatsanwaltschaft wurde das Verfahren gegen Zahlung von 3600 Euro eingestellt.
Damit behält der Therapeut seine strafrechtlich weiße Weste.
Anmerkung:
Die Verletzung der Schweigepflicht berührt hier zwei Ebenen: Die unbefugte
Weitergabe von Geheimnissen, die der Sphäre des Ehemannes angehören (z.B.
möglicher Alkoholkonsum, Verhalten gegenüber Kindern) von welchen der
Psychotherapeut im Rahmen eines Paargespräches Kenntnis erlangt hat; die
Weitergabe ist selbstverständlich nur mit Einwilligung des Ehemanns zulässig.
Hätte dieses Gespräch nicht stattgefunden und wäre die Offenbarung von
Geheimnissen des Ehemanns ausschließlich über die Patientin erfolgt, würde das
am Ergebnis nichts ändern. Denn die den Ehemann betreffenden Geheimnisse
unterliegen alleine seiner Verfügungsgewalt - eine Weitergabe wäre demnach nur
mit seiner Einwilligung möglich. Insbesondere auch im Bereich der Behandlung von
Kindern und Jugendlichen durch Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen ist
bei Stellungnahmen an das Familiengericht Vorsicht geboten.
Die Schweigepflicht gegenüber dem Finanzamt -
Entscheidung des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 4.
Dezember 2014 (V R 16/12)
Wiederholt ist mir von KollegInnen im
Rahmen von Betriebsprüfungen mitgeteilt worden, daß die PrüferInnen
Original-Rechnungen mit Patientendaten (Name, Anschrift, teilweise auch mit
Diagnosen) einsehen wollten. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn die
Rechnungen nicht mit Rechnungsnummern versehen wurden, weil dann die
Buchungsbeträge nicht eindeutig zuzuordnen sind. Zur Vermeidung solcher
'Zwischenfälle' sollte dies also unbedingt geschehen. Die Rechtmäßigkeirt dieser
Einsichtnahme ist umstritten (siehe den Beitrag von RA Dr. Rüping, juristische
Beraterin der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen 2004: Müssen PP/KJP
dem Finanzamt Patientennamen offen legen?).
Auf dem Hintergrund einer aktuellen
Entscheidung des
Bundesfinanzhofes (BFH) vom 4. Dezember 2014 (V R 16/12)
mehren sich nun die Anzeichen dafür,
daß die Schweigepflicht Vorrang vor dem Auskunftsinteresse der Finanzbehörden
hat: Dabei hat der BFH
entschieden, daß Kliniken und ÄrztInnen Namen von PatientInnen nicht nennen
müssen, um Steuerfreiheit zu erreichen. Es ging dabei um (üblicherweise
umsatzsteuerpflichtige) Schönheits-Operationen, für die Steuerfreiheit erreicht
werden sollte.
In der Pressemeldung des BFH
heißt es dazu:
Darüber
ist auf der Grundlage anonymisierter Patientenunterlagen zu entscheiden. Das
Regelbeweismaß ist auf eine "größtmögliche Wahrscheinlichkeit" zu verringern.
(...) Eine Beweiserhebung über ästhetische Operationen als Heilbehandlung darf
nicht davon abhängig gemacht werden, dass Name und Anschrift des behandelten
Patienten genannt werden. Stattdessen ist auf der Grundlage der anonymisierten
Patientenunterlagen ein Sachverständigengutachten über die mit der Operation
verfolgte Zielsetzung einzuholen. Der BFH betont auch die den Steuerpflichtigen
(Klinik oder Arzt) treffenden Mitwirkungspflichten. Dieser muss --auf
anonymisierter Grundlage-- detaillierte Angaben zu der mit dem jeweiligen
Behandlungsfall verfolgten therapeutischen oder prophylaktischen Zielsetzung
machen.
Der BFH hob dementsprechend das
Urteil der Vorinstanz auf, "das eine Beweiserhebung von einer Benennung der
behandelten Patienten abhängig gemacht hatte. Die Sache wurde an das
Finanzgericht zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Mit einem weiteren
Urteil vom gleichen Tag hat der V. Senat ebenfalls zur Steuerfreiheit von
Schönheitsoperationen entschieden (V R 33/12)." (Pressemeldung des BFH v.
18.02.2015).
Bundesarbeitsgericht (Erfurt): Grenzen der Observation durch einen Detektiv mit heimlichen
Videoaufnahmen
In der Pressemeldung (7/15) hat das
Bundesarbeitsgericht (BAG) seine Haltung so formuliert:
Ein
Arbeitgeber, der wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit
einem Detektiv die Überwachung eines Arbeitnehmers überträgt, handelt
rechtswidrig, wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht. Für dabei
heimlich hergestellte Abbildungen gilt dasselbe. Eine solche rechtswidrige
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann einen
Geldentschädigungsanspruch ("Schmerzensgeld") begründen.
Die Entscheidung erging mit
Datum vom 19. Februar 2015 - 8
AZR 1007/13 - (Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil vom 11. Juli 2013 - 11 Sa 312/13 -)
Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) vor
dem Start in den online-Betrieb
(Teil
XIX)
Seit Jahresbeginn ist die Vorlage
einer egK verpflichtende Voraussetzung der Inanspruchnahme ärztlicher und
psychotherapeutischer Listungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (Nur in
Ausnahmefällen kann eine schriftliche Bestätigung der jeweiligen Krankenkasse
vorgelegt werden).
Während das
Bundesgesundheitsministerium
demnächst ein "E-Health-Gesetz" vorlegen möchte (geregelt werden sollen u. a.
Fristen für die online-Anwendungen wie Notfalldaten, Entlaßbriefe,
Arzneimanagement, aber auch entsprechende Finanzierungsregelungen), hat der
GKV-Spitzenverband beschlossen die für die eGK vorgesehenen Gelder (57 Millionen
Euro für den Haushalt der Betreibergesellschaft der Gesundheitskarte - gematik)
zu sprerren. (Anmerkung: Die Sperre wurde
nach wenigen Tagen wieder aufgehoben; Arzte Zeitung v. 19.01.15.)
Für den Herbt diesen Jahres ist eine
große Online-Testphase (Rollout Stufe 1)
geplant (getestet wird der Abgleich
der Versichertenstammdaten und die qualifizierte elektronische Signatur),
ab Mitte 2016 soll der online-Abgleich der Versichertenstammdaten dann
flächendeckend erfolgen.
Ärztezeitung v.
8.01.2015: Ist die Kassen-Drohung nur ein Hilferuf? Neuer Zoff um die
E-Card: Der GKV-Spitzenverband will der Betreibergesellschaft der elektronischen
Gesundheitskarte den Geldhahn zudrehen. Doch geht es dabei wirklich nur darum,
Druck auf die Ärzteschaft auszuüben?
Die Fraktion Die Linke (Harald
Weinberger u. a.) hat eine Kleine Anfrage beim Bundeskanzleramt eingereicht.
Hintergrund ist die Absicht eines privaten Versicherungskonzerns
(Generali-Gruppe) Verfgünstigungen für Versicherte einzuführen (Rabatte,
Prämiennachlässe für Krankenversicherungspolicen), die der elektronischen
Datenübermittlung (Fitness, Ernährung, Lebnensstil) an den Versicherer zustimmen
und z. B. Sport treiben, Nicht rauchen oder Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch
nehmen. Die Übermittlung der Daten würde in digitaler Form (etwa mittels von
Apps) erfolgen. Auch der Axakonzern hat Pläne, di in dieselbe Richtung gehen: Er
schloß kürzliche eine Koopertionsvereinbarung
mit Samsung, die vorsieht, daß
die vom Elektronikhersteller
angebotene
Armbanduhr "Gear 3" mit Hilfe eines
Samsung-Smartphone Fitnessdaten aufzeichnet und an den Versicherer überemittelt.
Die Abgeordneten möchten von der
Bundesregierung wissen, wie sie zu solchen Plänen bzw. Vorhaben steht, welche
Regulierungsmaßnahmen in diesem Bereich vorgesehen sind und ob diese Konzepte
der Prämienkalkulation nach Einschätzung der Bundesregierung zu einer
Diskriminierung von
Menschen mit Behinderungen führen könnte.
Ärztezeitung v.
14.01.2015: Was macht die PKV mit Gesundheitsdaten? Die Fraktion Die Linke
will von der Bundesregierung wissen, was sie gegen einen möglichen Missbrauch
von Gesundheitsdaten zu tun gedenkt, die von privaten Krankenversicherungen
gesammelt werden.
Der Bundesnachrichtendienst hat Daten von BundesbürgerInnen jahrelang an die
NSA weitergeleitet
Nach Informationen des NDR, WDR
und der Süddeutschen Zeitung (4./5.10.2014) wurden von 2004-2009 Daten
weitergeleitet, die am Internetknoten Frankfurt abgefangen wurden, nachdem die
NSA darauf gedrungen hatte. Nach der zwischen den Diensten getroffenen
Vereinbarung sollten dabei die grundgesetzlich geschützte Kommunikation
herausgefiltert werden, was aber technisch nur teilweise gelang. Der Umfang der
auf diese Weise rechtswidrig in die USA gelangten Informationen ist nicht
bekannt und soll nun vom zuständigen NSA-Untersuchungsausschuß des Deutschen
Bundestages ermittelt werden. Die für Zugriffe auf Kommunikationsdaten
zuständige G-10-Kommision des Bundestages hat zwar das Abhören des Knotenpunkts
Frankfurt durch den BND genehmigt, wurde aber nicht darüber informiert, daß die
Daten an die NSA weitergeleitet wurden. Auch das Parlamentarische
Kontrollgremium des Bundestages war offenbar nicht über die Operation 'Eikonal'
informiert. Genehmigt wurde sie vom damaligen Kanzleramtsminister (Steinmeier)
und bereits damals soll es sogar im BND Bedenken gegeben haben (SZ v.
4./5.10.2014: 1).
Heribert Prantl spricht in
einem Kommentar zur Operation 'Eikonal' vom "Totalverlust eines Grundrechts
(...). Der Wesensgehalt des Artikels 10, Fernmeldegeheimnis, ist offensichtlich
nicht nur angetastet, er ist schon ziemlich zerstört" (SZ v. 4./5.10.2014: 4).
Als Eikonal (altgriechisch: εἰκώνeikon = Bild, Abbild) wird in der geometrischen Optik die Strecke
eines Lichtstrahls zwischen Ausgangs- und Endpunkt bezeichnet (wikipedia.org).
Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: Die
Anwesenheit von Medizinstudenten während einer Geburt verletzt ohne die
ausdrückliche Zustimmung der Mutter deren Recht auf Achtung des Privat- und
Familienlebens(Art. 8
EMRK - Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens); Urteil v. 9.10.2014 (Az.: 37873/04)
Der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat einer zum
Zeitpunkt der Geburt 18-jährigen Russin, die in einer Klinik in ihrem Heimatland
entbunden hat, eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro zugesprochen, weil
bei der gut halbstündigen Geburt entgegen ihrem Willen mehrere Medizinstudenten
im Kreißsaal anwesend waren, die offensichlich auch über ihren gesundheitlichen
Zustand und die bisherige Behandlung informiert worden waren. Die
Klinikbroschüre
enthielt eine Information über das Ausbildungsprogramm der Klinik, an dem alle
Patienten beteiligt würden.
Zuvor hatte die Frau schon in
Russland wegen der Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte gegen die Klinik
geklagt, war jedoch abgewiesen worden. Der EGMR sah hingegen ihr Recht auf
Privatleben verletzt (§
8 der Europäischen Menschenrechtskonvention - EGMR). Die Teilnahme von
Studenten bei einer Geburt sei zwar grundsätzlich durchaus zulässig und nach
russischem Recht auch vorgesehen gewesen. Damals (1999) sei die entsprechende
Regelung aber einseitig auf die mediziniche Ausbildung fokussiert und die Rechte
der PatientInnen nicht ausreichend geschützt gewesen. Zudem sei der Eindruck
erweckt worden, die Teilnahme der Studenten sei zwingend und alternativlos.
Anmerkung:
Das Urteil ist insofern bemerkenswert, als die Frau den Mut hatte eine Klage in
Rußland und dann in Straßburg anzustrengen. Ich bin überzeugt - und weil es auch
aus eigener Erfahrung - daß PatientInnen in der Regel weder informiert werden,
ob an der Behandlung nicht unmittelbar Beteiligte (die PatientInnen ebenfalls
bekannt sein müssen) anwesend sind, geschweige denn in diesem Fall ihre
Zustimmung eingeholt wird.
Urteil des Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) v. 9.10.2014 (Az.:
37873/04)
Datenschutz in der Psychiatrie: Patientenschutz gefährdet
Frau
Prof. Dr. med. Renate Schepker vom Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg hat im
Deutschen Ärzteblatt einen Artikel veröffentlicht, der auf die Risiken durch
eine immer detailliertere Kodierung der Leistungen in der Psychiatrie hinweist.
Betroffen ist die besonders vulnerable Gruppe psychisch erkrankter Menschen.
Mit dem - freundlicherweise erteilten
- Einverstänbdnis der Autorin gebe ich hier den aus meiner Sicht außerordentlich
wichtigen Beitrag in der Fassung des Deutschen Ärzteblatt (siehe unten) wider:
Datenschutz in
der Psychiatrie: Patientenschutz gefährdet
Eine immer
detailliertere Kodierung der Leistungen in der Psychiatrie birgt Risiken für die
besonders vulnerable Patientengruppe.
Der mündige Bürger
vertraut darauf, dass er ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat.
Dazu gehört eine volle Aufklärung über die Weitergabe von Sozialdaten nach § 4 a
des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Diese erfordert die Schriftform und ist
„nur wirksam, wenn sie auf der freien Entscheidung des Betroffenen beruht“. Nach
§ 3 BDSG bedarf es darüber hinaus einer ausdrücklichen Einwilligung, soweit
besondere Arten personenbezogener Daten (§ 3 Abs. 9) erhoben, verarbeitet oder
genutzt werden, zu denen „Angaben über die rassische und ethnische Herkunft,
politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen,
Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit oder Sexualleben“ zählen. In keinem Fall,
könnte man daraus schlussfolgern, würden also besonders sensible oder
schambesetzte Daten ohne eine Zustimmung des Patienten an seine Krankenkasse
geraten, etwa Daten, die mit dem Sexualleben zu tun haben, mit einem
Selbstmordgedanken oder mit der Tatsache, dass ein Patient nach Alkoholgenuss
gewalttätig wird.
Weit gefehlt. Im
Gegenteil, sie müssen es sogar. Die Datenübermittlung gestattet derzeit
theoretisch jedem bei den Krankenversicherungen beschäftigten Sachbearbeiter –
im Jahr 2009 waren das 137 513 Personen (1) –,
Kombinationen von Diagnosen und Leistungen und damit Fallverläufe
nachzuvollziehen. Dies lässt sich an drei Beispielen illustrieren (Kasten).
Weitgehend
unbemerkt von der Öffentlichkeit und bereits beginnend mit dem Jahr 1998 wurde
in Spezialgesetzen eine eigene Befugnisnorm etabliert. 2008 stellte das
Bundessozialgericht klar (2), dass „nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) (. . .) das Grundrecht auf
informationelle Selbstbestimmung nicht schrankenlos gewährleistet (ist).
Vielmehr muss der Einzelne solche Beschränkungen seines Rechts hinnehmen, die
durch überwiegende Allgemeininteressen gerechtfertigt sind; diese Beschränkungen
bedürfen jedoch einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage“. Hinsichtlich
der Sozialgesetzgebung verweist das Bundessozialgericht darauf, dass durch die
bereichsspezifischen Regelungen innerhalb der Sozialgesetzbücher die
allgemeineren Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes ihre Gültigkeit verlören.
So führt das BSG im
oben genannten Urteil aus, dass der Gesetzgeber sich verpflichtet gesehen habe,
„Grundlagen für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit
Leistungsabrechnungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung zu
schaffen“. In § 284 ff. SGB V sollte dem Recht der Versicherten auf
informationelle Selbstbestimmung im Rahmen der krankenversicherungsrechtlichen
Datenverwendung und -verarbeitung Rechnung getragen werden, da es sich – hier
wird im Urteil auf die damaligen Debatten im Bundestag verwiesen (3)
– bei der Verarbeitung personengezogener und großteils
schweigepflichtsgeschützter Gesundheitsdaten um besonders sensible Daten
handele. Weiter interpretiert das BSG-Urteil den Willen des Gesetzgebers
folgendermaßen: „Die Erfassung, Verwendung und Übermittlung von Leistungs- und
Gesundheitsdaten werde ausschließlich für die im Gesetz bezeichneten Zwecke
zugelassen und im Umfang auf das für den jeweiligen Zweck unerlässliche Minimum
beschränkt“ (Hervorhebung durch die Verfasserin) (4).
In § 301 (1)
SGB V ist eine Verpflichtung der Krankenhäuser geregelt – diese ist somit nicht
zustimmungspflichtig durch die Patienten –, unter anderem an die Krankenkassen
in Verbindung mit den nicht anonymisierten Patientendaten folgende Angaben zu
übermitteln: „den Tag, die Uhrzeit und den Grund der Aufnahme sowie die
Einweisungsdiagnose, die Aufnahmediagnose, bei einer Änderung der
Aufnahmediagnose die nachfolgenden Diagnosen (. . .), Datum und Art der im
jeweiligen Krankenhaus durchgeführten Operationen und sonstigen Prozeduren (.
. .)“. Beispiele für Verzeichnisse der „Operationen und Prozeduren“ bei
psychischen Erkrankungen siehe (5).
Diese harmlos
klingenden Formulierungen sollen nachvollziehbar das Leistungsgeschehen und die
Abrechnungswege zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen regulieren. Auch für
psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser und Abteilungen gilt die
Pflicht zur Übermittlung dieser Daten bereits, denn § 301 (2)
SGB V legt die Gültigkeit auch für die Krankenhäuser nach § 17 d
Krankenhausfinanzierungsgesetz fest. Obwohl die Prozeduren für die
Leistungsabrechnung derzeit nur für die sogenannten Optionshäuser relevant sein
könnten, werden sie bereits übermittelt, wie aus den regelmäßig zwischen der
Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband der gesetzlichen
Krankenversicherung vereinbarten Schlüsselfortschreibungen zur Vereinbarung nach
§ 301 Abs. 3 SGB V hervorgeht (letzter Entwurf vom 1. April 2014). Die derzeit
von allen Kliniken erhobenen und übermittelten OPS-Daten sind nicht
abrechnungsrelevant und dienen ausschließlich der Entwicklung des
PEPP-(Pauschalierende Entgelte Psychiatrie und Psychosomatik-)Systems.
Die Formulierungen
im § 301 SGB V wurden verabschiedet und fortgeschrieben, bevor die
außergewöhnlich hohe Differenzierung des Psych-OPS-Leistungskatalogs (siehe
Stichwort „Operationen und Prozeduren“) entwickelt und vom DIMDI – Deutsches
Institut für Medizinische Dokumentation und Kommunikation veröffentlicht wurde,
so dass sich bisher kein Datenschützer dafür interessiert zu haben scheint.
Spezielle Datenschutzvorkehrungen für Patienten mit psychischen Erkrankungen
sind nicht getroffen worden.
Ob unter den
Informationen aus den Beispiel-Datenfiles nun eine Informationsübermittlung zu
verstehen ist, die sich „im Umfang auf das für den jeweiligen Zweck
unerlässliche Minimum beschränkt“, erscheint mehr als fraglich. Ärzteschaft,
Fachvertreter und Ärztekammern wären sehr wohl beraten, in der weiteren
Entwicklung der OPS für die Psychiatrie und Psychosomatik weniger „kleinteilig“
vorzugehen und mehr Komplexleistungen zu entwickeln.
Das Mitteilen
psychiatrischer Diagnosen und Nebendiagnosen an sich ist bedenklich genug. Es
erscheint im Sinne des Patientenschutzes derzeit vor allem bedenklich, dass weit
vor der Relevanz dieser Kodes für die Vergütung von Krankenhausleistungen all
solche Informationen in aller Breite übermittelt werden. Schon bei der
Erprobung, also im Hinblick darauf, ob Kodes überhaupt eine Relevanz für das
neue Abrechnungssystem haben, müssen sämtliche psychiatrischen und
psychosomatischen Kliniken in Deutschland jahrelang diese Daten jeder Abrechnung
der Behandlung eines Patienten beifügen.
Den Patienten und
ebenso den Patientenverbänden dürfte nicht bekannt sein, dass gerade aus den
besonders sensiblen Leistungskodes für psychische Erkrankungen deutlich mehr
ablesbar ist als aus denen des DRG-Systems.
Prof. Dr. med.
Renate Schepker
Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg
Literatur:
(1)
BSG, Urteil vom 10. 12. 2008 - B 6 KA 37/07 R
(2)
BT-Drucks 11/3480, S. 29 zu „Transparenz“
(3)
BT-Drucks 11/3480, S. 67 zu §§
292 bis
312 SGB V
(4)
Bundesministerium für Gesundheit (2009): Gesetzliche Krankenversicherung.
Personal- und Verwaltungskosten 2007 (Ergebnisse der GKV-Statistiken KG1/ 2007
und KJ1/ 2007). Bericht vom 28. Januar 2009. Eigendruck, Berlin
(5)
In 2014 gültige OPS psychiatrischer Behandlungen für Erwachsene und für Kinder
und Jugendliche:
Nach §
100 SGB X (siehe unten) besteht ein Anspruch der Bundesagentur für Arbeit (und
aller Leistunggsträger) gegenüber
ÄrztInnen und VertragspsychotherapeutInnen auf Auskunft über die für ihre
Aufgabenerfüllung notwendigen Angaben. Die
Bundespsychothrapeutenkammer hat - wie schon früher die Bundesärztekammer - eine
Rahmenvereinbarung zur Übermittlung von Daten an dern Ärztlichen Dienst der
Bundesagentur für Arbeit abgeschlossen (rückwirkend
zum 1.1.2014).
Für die
Ausstellung des vollständigen Befundberichts
(Formular) und die Übermitung an den Ärztlichen Dienst (innerhalb von 10
Werktagen) wurde ein Honorar i. H. von EUR 32,50 (zzügl. Kopierkosten)
vereinbart.
§ 100 SGB
X:
Auskunftspflicht des Arztes oder Angehörigen eines anderen Heilberufs
(1) Der Arzt oder Angehörige eines
anderen Heilberufs ist verpflichtet, dem Leistungsträger im
Einzelfall auf Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit es für die
Durchführung von dessen Aufgaben nach diesem Gesetzbuch
erforderlich und
1. es gesetzlich zugelassen ist
oder
2. der Betroffene im Einzelfall
eingewilligt hat.
Die Einwilligung bedarf der
Schriftform, soweit nicht wegen besonderer Umstände eine andere
Form angemessen ist. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für
Krankenhäuser sowie für Vorsorge- oder
Rehabilitationseinrichtungen.
(2) Auskünfte auf Fragen, deren
Beantwortung dem Arzt, dem Angehörigen eines anderen Heilberufs
oder ihnen nahe stehenden Personen (§ 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der
Zivilprozessordnung) die Gefahr zuziehen würde, wegen einer
Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden,
können verweigert werden.
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen zur berufsrechtlichen Würdigung
einer möglichen Verletzung der Dokumentation und Abstinenz (Beschluß vom
10.02.2014; AZ: 13 E 494/12 T)
Das Oberverwaltungsgericht
Nordrhein-Westfalen (OVG-NRW) hat eine Beschwerde einer jungendlichen Patientin
mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Rüge der Vorinstanz (Berufsgericht
für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Köln - Berufsgericht -
Beschluß v. 7.11.11) gegen die frühere Behandlerin (Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeutin) wegen Verletzung der Dokumentationspflicht sowie
des Abstinenzgebots und das Ordnungsgeld (500 Euro) aufrechterhalten bleibt.
Zur Fallkonstellation: Die
Psychotherapeutin behandelte von 2005-2010 eine 1994 geborene Jugendliche
(einschließlich Elterngespräche); von
Januar 2008 bis November 2019 war die Mutter in
einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis (Sekretärin) für die
Psychotherapeutin tätig war. Wegen arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen
kam zur Kündigung von Seiten Psychotherapeutin. Im Januar 2010 erhob die Mutter
Klage (Lohnansprüche und Arbeitszeugnis), mit Schreiben vom 28. Januar 2010
teilte die Psychotherapeutin der Mutter der jugendlichen Patientin mit, daß sie
die Therapie mit ihrer Tochter beenden müsse.
Aufgrund des
derzeitigen Konflikts zwischen den Eltern der Patientin und ihr sei keine Basis
für ein tragfähiges Arbeitsbündnis gegeben. Es bestehe keine Möglichkeit, die
notwendigen und für die Eltern auch bei der Krankenkasse beantragten
Bezugspersonenstunden innerhalb der Therapie im für alle Beteiligten wertfreien
und neutralen Rahmen durchzuführen. Die Grundlage für eine effektive Therapie,
eine gute Beziehung zum Familiensystem, sei gestört. Eine Weiterbehandlung sei
zum Beispiel in der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Ambulanz in H. oder in N.
möglich. (Zitat aus dem Beschluß: Absatz 5)
Hierauf erhob der
Vater eine förmliche Aufsichtsbeschwerde bei der Psychotherapeutin und rügte
insbesondere den rechtswidrigen Abbruch der Behandlung seiner Tochter und
forderte Einsicht in die Behandlungsdokumentation. Da nichts geschah beschwerte
er sich im Dezember 2010 beim zuständigen Ministerium über die Untätigkeit der
Psychotherapeutin. Diese verwies mit Schreiben vom 11. Januar 2011 darauf, daß
eine Beschwerde nur durch die Tochter selbst erhoben werden könne. Daraufhin
wandte sich die Jugendliche (15.01.11) mit einer entsprechenden Beschwerde an
ihre frühere Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin.
In ihrer
Stellungnahme vom 14. März 2011 führte die Antragstellerin aus, sie habe
zunächst versucht, den arbeitsrechtlichen Konflikt mit der Mutter und dem als
Sprachrohr auftretenden Vater von der Therapie zu trennen. Nach Erhalt der
Klageschrift sei dies allerdings nicht mehr möglich gewesen, so dass sie sich
entschlossen habe, die Therapie zu beenden. Dies habe sie auch der
Beschwerdeführerin ausführlich erklärt. Insbesondere habe sie mit ihr erörtert,
dass für eine optimale Therapie im Laufe der Zeit auch Elterngespräche notwendig
seien, für die nun keine neutrale Grundlage mehr bestehe. Die Patientin habe
etwas bedrückt gewirkt, ihres Erachtens die Entscheidung jedoch akzeptiert. Über
den Therapiestand von M. habe aufgrund der Beschäftigung der Mutter in ihrer
Praxis stets die Möglichkeit des Austausches bestanden, was auch bis zur ersten
Krankschreibung von Frau I. am 3. September 2009 zeitweise formlos genutzt
worden sei. Auch habe Frau I. bis zu diesem Zeitpunkt stets in die vollständige
Akte Einsicht nehmen können. (Absatz
)
Im weiteren Verlauf rügte die
Psychotherapeutenkammer NRW die Psychotherapeutin (9. Mai 2011) und verhängte
ein Ordnungsgeld in Höhe von 2.500 Euro (1. Abstinenzverletzung im Zusammenhang
eines Anstellungsverhältnisses-außertherapeutischer Kontakt und 2.
Vorteilsnahme; 3. Verletzung der Schweigepflicht, da die Psychotherapeutin der
Mutter Einblick in die Unterlagen der Tochter gewährt habe und 4. Verletzung der
Dokumentationspflict).
Der Antrag der
Psychotherapeutin, die ihr erteilte Rüge aufzuheben, hob das Berufsgericht für
Heilberufe (beim Verwaltungsgericht Köln - Berufsgericht - Beschluss vom 7.
November 2011) das mit der Rüge verhängte Ordnungsgeld auf (Reduzierung auf 500
Euro)und wies den Antrag auf gerichtliche Nachprüfung ab. Aus der Sicht sea
Berufsgerichts lag weder eine Vorteilsbahme noch eine Abstinenzverletzung, nocj
eine Verletzung der Schweigepflicht vor - "weil die einwilligungsfähige M. I.
[jugendliche Patientin] sie konkludent davon entbunden habe." (Absatz 9).
Lediglich ein Verstoß gegen die Dokumentationspflicht liege vor, da keine keine
Fallkonzeptualisierung für die Patientin vorliege. Die Psychotherapeutin sei
insowit "mit einem maßvollen Ordnungsgeld in Höhe von 500 Euro zur Erfüllung
ihrer Pflichten anzuhalten" (Absatz 9)
Im Mai 2012 erhob die Patientin
Beschwerde gegen den Beschluß des Berufsgerichts für Heilberufe v. 7.11.11,
beschränkte diesen auf die Feststellungen zu den Verstößen gegen das
Abstinenzgebot und die Schweigepflicht und begründete dies mit einem zu engen
Verständnis des Abstinenzgebots und das Vorliegen eines Verstoß gegen § 8 Abs. 1
Satz 1 BO-NRW (Schweigepflicht), da sie die ihre Psychotherapeutin nicht
konkludent von ihrer Schweigepflicht entbunden habe.
Fortsetzung folgt!
Beschluß des OVG Nordrhein-Westfalen
v. 10.02.2014; AZ: 13
E 494/12 T (über: www.openjur.de)
Die Krankenkassen fordern mit
zunehmender Tendenz Auskünfte und Informationen von ÄrztInnen und
PsychotherapeutInnen über ihre Versicherten. Grundsätzlich besteht im Bereich
der GKV eine Verpflichtung (und auch Berechtigung) für VertragsärztInnen
Anfragen zu beantworten
sowie Bescheinigungen, Zeugnisse, Berichte und Gutachten zu erstellen
soweit dies
zur Erfüllung der gesetzlichen
Aufgaben der Krankenkassen erforderlich ist (§ 36 Abs. 1 BMV-Ä, § 6 Abs. 3 EKV).
Die Kassenärztliche Vereinigung
Bayerns hat eine Broschüre auifgelgt, in der über des Verfahren (Formulare,
formlose Anfragen, Vergütung etc.) informiert zugleich aber auch darlegt, in
welchen Fällen Auskünfte verweigert werden können bzw. müssen. Dazu liegen zwei
Musterbriefe an die anfragenden Krankenkassen vor.
Kassenärztliche Vereinigung Bayerns:
Anfragen von Krankenkassen.
Wann Praxen berechtigt sind, die Auskunft zu
verweigern
(Stand 2/2014)
Die Zeitschrift info praxisteam (Der
Treffpunkt für die Arzthelferin) präsentiert in seiner aktuellen Ausgabe
(3/2014: 12) Informationen
über Datenverwaltung
und Datenschutz in der Arztpraxis und verweist dabei auch auf die einschlägigen
Veröffentlichungen der KBV und der BÄK. Keine neuen Informationen aber für
Einsteiger in das Thema geeignet.
Urteil des Kammergerichts Berlin zur Schweigepflicht von
ÄrztInnen bei Verdacht von Kindesmißhandlungen (27.06.13; 20 U 19/12).
Das Berliner Kammergericht hat mit
Urteil vom 27. Juni 2013
die Berufung eines Elternpaars gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom
6.12.11 – 13 O 423/09 wegen der Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht
zurückgewiesen und keine Revision zugelassen.
Im vorliegenden Fall war ein
vier Monate altes Baby von den Eltern wegen eines Krampfanfalls in die
Notaufnahme einer Klinik gebracht worden. Die behandelnden Ärzte kamen zum
Ergebnis, daß beidseitige subdurale Blutungen und Netzhautablösungen vorliegen.
Weiter wurde festgestellt, daß die Fontanelle vorgewölbt war. Ob auch der von
den ÄrztInnen angenommene Schädelbruch vorlag, konnte im Rechtsstreit nicht
geklärt werden, da die Eltern anzweifelten, daß die vorgelegten Rötgenaufnahmen
die ihres Kindes seien.
Als Ursache der festgestellten
Verletzungen gaben die Eltern an, das Kind habe sich
nach der Herausnahme des Sitzverkleinerers zu
großen Babyschale ("Maxi Cosi")
beim Autofahren (Linkskurve)
den Kopf gestoßen.
Hingegen waren die ÄrztInnen davon überzeugt, daß im vorliegenden Fall das
klassische
Erscheinungsbild einer Kindesmisshandlung im Säuglingsalter vorliege. Obwohl
sich die Eltern zunächst kooperativ zeigten, lehnten sie in der Folge weitere
Gespräche mit dem Sozialdienst der Klinik ab. Daraufhin wurde das
Landeskriminalamt und das Jugendamt informiert, daß für ein Schütteltrauma
typische Verletzungen vorlägen, deren Herkunft ungeklärt sei. Im Anschluß wurden
die Eltern vorläufig festgenommen und ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts
der Kindesmisshandlung eingeleitet - das Kind wurde zeitweilig bei Pflegeeltern
untergebracht .
Das Verfahren wurde jedoch
eingestellt, weil sich nicht sicher feststellen ließ, ob die Eltern das
Schütteltrauma bei ihrem Kind verursacht hatten - im Gegenzug verklagten die
Eltern die behandelnden ÄrztInnen auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.
Dabei spielte die Frage eine zentrale
Rolle, ob die ÄrztInnen durch die Verdachtsmitteilung an das LKA und das
Jugendamt ihre Schweigepflicht gebrochen haben. Nach Ansicht des KG Berlins
waren die
Ärzte "nach
§ 34 StGB berechtigt, Polizei und Jugendamt einzuschalten, weil aus ex ante
Sicht ein ernstzunehmender Verdacht einer dem Kläger zu 1.
[Kind]
zugefügten Kindesmisshandlung bzw. zumindest vorsätzlichen Körperverletzung
bestand und insoweit - was regelmäßig anzunehmen ist - Wiederholungsgefahr
bestand."
Das Urteil kann online
nachgelesen werden. Nachfolgend die Leitsätze:
Haftung von
Ärzten wegen Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht: Information von
Jugendamt und Landeskriminalamt bei Verdacht einer Kindesmisshandlung
Leitsatz:
1. Kommen Ärzte
bei einer Behandlung von Kindern nach ärztlichem Standard zu dem
ernstzunehmenden Verdacht einer Kindesmisshandlung, so ist die Verletzung der
ärztlichen Schweigepflicht durch Information des Landeskriminalamtes und des
Jugendamtes entsprechend § 34 StGB gerechtfertigt.
2. Zur
Rechtfertigung muss eine Misshandlung nicht erwiesen sein, auch ein
hinreichender Tatverdacht gemäß § 170 Abs. 1 StPO ist nicht erforderlich.
3. Es ist nicht
Aufgabe der Ärzte, einen Verdacht auszuermitteln. Ausreichend ist, ob die
festgestellten Verletzungen typischerweise durch eine Kindesmisshandlung
hervorgerufen werden können, ein begründetet Verdacht vorliegt.
Anmerkung: Ich
bin nicht weiter von dem Urteil überrascht (anders: Ärzte Zeitung v.
4.06.14: Wann man die Schweigepflicht brechen darf. Bei Verdacht auf
Kindesmisshandlung oder Gewaltdelikte geraten Ärzte schnell in Konflikt mit der
Schweigepflicht. Doch jetzt hat ein Kammergericht eine entscheidende Grenze
gezogen - und war dabei überraschend großzügig). Zwar darf die Schweigepflicht
im Regelfall nicht gebrochen werden, wenn es um eine Tat in der Vergangenheit
geht (ÄztInnen/PsychotherapeutInnen sind grundsätzlich keine Erfüllungsgehilfen
der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft). Liegen jedoch ernsthafte Anhaltspunkte
dafür vor, daß es zu weiteren Taten kommt, kann die Schweigepflicht unter den
strengen Voraussetzungen des
§ 34
StGB gebrochen werden. Im Sinne der besonderen Garantenstellung der
BehandlerInnen ist sogar davon auszugehen, daß gehandelt werden muß, um eine
weitere Schädigung zu verhindern. Das muß allerdings nicht durch einen Bruch der
Schweigepflicht geschehen, andere - mildere - Maßnahme sind immer zu prüfen. Die
Problematik betrifft insbesondere auch Kinder- und
JugendlichenpsychotherapeutInnen, die vom sexuellen Mißbrauch und/oder der
körperlichen Mißhandlung ihrer PatientInnen Kenntnis erlangen.
www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de:
Urteil KG Berlin 27.06.13;
20 U 19/12
Ausspähen von Daten und Mißbrauch von E-Mail-Adressen im
Internet
Wiederholt wurden im Internet Daten (Paßwörter,
E-Mil-Adressen etc.) von Privatpersonen auf Servern von privaten und
öffentlichen Institutionen in großem Stil gehackt (zuletzt: ebay). Oft werden
die gestohlenen Daten anschließend im Internet veröffentlicht - um dann als
Grundlage illegaler Handlungen bzw. Straftaten zu dienen.
Das Hasso-Plattner Institut
in Potsdam (Public-Private-Partnership mit der Landesregierung Brandenburg) hat
eine Seite geschaltet, in der eine E-Mail-Adresse daraufhin überprüft werden
kann, "ob Ihre E-Mailadresse in Verbindung mit anderen
persönlichen Daten (z.B. Telefonnummer, Geburtsdatum oder Adresse) im Internet
offengelegt wurde und missbraucht werden könnte" (Zitat aus der
Webseite).
Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztliche
Bundesvereinigung (KBV): 30 Jahre Aufbewahrung von Patientenunterlagen?
Nach geltendem Recht beträgt der Aufbewahrungszeitraum i.
d. R. zehn Jahre (§ 10 Abs. 3 Musterberufsordnung-Ärzte (MBO-Ä), § 9
Abs. 2 Musterberufsordnung für die Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten (MBO-PP/KJP),
§ 57 Abs. 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä), § 13 Abs. 10
Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen (EKV), soweit nicht spezielle
Vorschriften bestehen, die eine längere Aufbewahrungspflicht vorsehen
(z. B. bei Röntgenaufnahmen). Nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist sind
die Daten zu löschen – vorher besteht (für PatientInnen) kein Anspruch
auf Löschung oder Sperrung der patientenbezogenen Daten.
Nun empfiehlt die
Bundesärztekammer (BÄK) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
bereits seit 2008 in ihren Empfehlungen zur ärztlichen
Schweigepflicht, Datenschutz und Datenverarbeitung in der Arztpraxis:
"
Zu beachten ist aber auch die zivilrechtliche
Verjährungsfrist, die für Ansprüche eines Patienten gegen seinen Arzt nach dem
Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) gilt. Zwar beläuft sich die Verjährungsfrist
grundsätzlich auf drei Jahre gem. § 195 BGB, diese Frist beginnt jedoch erst mit
dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Patient von den
den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schädigers Kenntnis
erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Dies kann im
Einzelfall bis zu 30 Jahre nach Abschluss der Behandlung der Fall sein. Daher
sollte der Arzt seine Aufzeichnungen über die jeweils vorgeschriebene
Aufbewahrungsfrist hinaus solange aufbewahren, bis aus medizinischer Sicht keine
Schadenersatzansprüche mehr zu erwarten sind." (BÄK
& KBV (2008): Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht, Datenschutz und
Datenverarbeitung in der Arztpraxis: A 1027)
Nach meines Ansicht stellt diese Rechtsauffassung ein Verstoß gegen das
Bundesdatenschutzgesetz dar. Demnach sind die Unterlagen/Daten nach der
gesetzlich normierten Aufbewahrungsfrist zu löschen bzw. vernichten, weil der
Zweck der Speicherung bzw. Verarbeitung entfallen ist. Auf einem anderen Blatt
steht, daß damit im Einzelfall die Beweislage für ÄrztInnen, ärztliche
PsychotherapeutInnen, PP und KJP beeinträchtigt sein kann (siehe auch den
Beitrag
AKTUELL: Nummer
9/2012)
In
den aktualisierten Empfehlungen von BÄK & KBV (2014) wird eine weitgehend
analoge Empfehlung gegeben:
Zu beachten sind zudem die
zivilrechtlichen Verjährungsfristen, die etwa für einen
Schadensersatzanspruch eines Patienten wegen eines Behandlungsfehlers des
Arztes gelten. Die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 BGB beträgt drei
Jahre. Sie beginnt jedoch erst mit dem Ende des Jahres, in dem der Patient
von den anspruchsbegründenden Umständen der fehlerhaften Behandlung Kenntnis
erlangt oder die Kenntnisnahme grob fahrlässig versäumt hat. Erlangt der
Patient beispielsweise erst 20 Jahre nach der Behandlung Kenntnis von einem
ärztlichen Behandlungsfehler, kann er einen etwaigen Schadensersatzanspruch
gegenüber dem Arzt auch noch nach diesem Zeitraum geltend machen, es sein
denn, er hat die späte Kenntniserlangung grob fahrlässig verschuldet. Erst
wenn seit der fehlerhaften Behandlung 30 Jahre vergangen sind, verjähren
mögliche Schadensersatzansprüche endgültig (§ 199 Abs. 2 BGB). Es sind daher
Konstellationen denkbar, in denen es aus Sicht des Arztes erforderlich sein
kann, einzelne Aufzeichnungen über die jeweils vorgeschriebene
Aufbewahrungsfrist hinaus aufzubewahren. (BÄK
& KBV (2014): Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht, Datenschutz und
Datenverarbeitung in der Arztpraxis: A 965f)
Anmerkung 1: Zur Klärung der
Angelegenheit habe ich mich an den Bundesdatenschutzbeauftragen gewandt
(Juli 2012). Dort würde mir bestätigt, daß eine Aufbewahrung der
Unterlagen über die geregelte Aufbewahrungszeit hinaus alleine aus
Gründen der Beweissicherung nicht mit den datenschutzrechtlichen
Vorschriften zu vereinbaren ist. (Schreiben v. 1.08.2012). Auch führt
eine ordnungsgemäße Vernichtung der Unterlagen nach 10 Jahren nicht zu
einer Beweislastumkehr, wenn später von PatientInnen ein
Behandlungsfehler geltend gemacht wird (Hinweis auf das Urteil des OLG
Karlsruhe v. 11.02.2004 - 7 U 174/02 -).
Anmerkung 2 (3.01.2014): Nun
hat sich auch die KBV zu diesem Punkt geäußert (Mail 3.01.2014). Der
stellvertretenden Leiter für Rechtsangelegenheiten (Rechtsanwalt)
verweist dabei auf das Patientenrechtegesetz (Aufbewahrung für die
Dauer von 10 Jahren nach Abschluss der Behandlung, soweit nicht nach
anderen Vorschriften andere Aufbewahrungsfristen bestehen) und auf die
nun auch gesetzlich geregelte Beweislastumkehr bei fehlender
Dokumentation, die "in zeitliches Hinsicht nur
solange eingreift, wie den Arzt auch eine Befunderhebungs- und
Befundsicherungspflicht trifft. Nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist
erwachsen dem Arzt aus der Vernichtung oder aus dem Verlust der
Dokumentation in der Regel keine Nachteile. Allerdings hat der
Gesetzgeber in der Begründung zum Gesetzentwurf des § 630 f Abs. 3 BGB
Folgendes ausgeführt:
"Soweit es der Zweck der Dokumentation, etwa der
gesundheitliche Zustand des Patienten oder die Gegebenheiten im Einzelfall
jedoch erfordern, kann die Aufbewahrungsfrist des Absatzes 3 allerdings auch
weit über 10 Jahre hinausgehen. Dies kann insbesondere unter Berücksichtigung
der Verjährung von zivilrechtlichen Ansprüchen des Patienten gelten, die nach
der Höchstverjährungsfrist des § 199 Abs. 2 erst nach 30 Jahren verjähren
können."
Es ist bekannt, dass die entscheidenden
Gerichte auch die Gesetzesbegründungen zur Auslegung der Vorschriften
heranziehen. Da derzeit nicht absehbar ist, wie die Gerichte die
"Gegebenheiten im Einzelfall" auslegen werden, sehen wir von einer Änderung
der Empfehlungen ab. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die
Empfehlungen der Bundesärztekammer und der KBV keinen verbindlichen
Charakter haben, sondern lediglich eine Hilfestellung für den Arzt bieten
sollen. Wir hoffen, Ihnen weitergeholfen zu haben."
Anmerkung 3 (29.05.2014): Auch wenn
die Argumentation der KBV juristisch nicht völlig abwegig ist - die
Empfehlung ist es allemal. Sie führt nur zu Verwirrung: Welche Unterlagen
sollen aufgehoben werden, welche nicht - was sind das für Konstellationen,
unter denen Unterlagen weiter aufbewahrt werden sollen?
Schadensersatzansprüche können in jedem Behandlungsfall geltend gemacht
werden - sollen also alle Unterlagen über die geregelte Ffrist hinaus
aufbewahrt werden? - datenschutzrechtlich nicht akzeptabel! Und: Wenn selbst
die BÄK & KBV die entsprechende Aufbewahrung im Einzelfall für angemessen
halten, dann werden Gerichte ggf. genau in solchen (Einzel-) Fällen nicht
nur auf die Gesetzesbegründung sondern auf diese Empfehlung zurückgreifen.
Eine fatale Haltung!
Anmerkung 4 (28.06.2014): Aus diesem
Grund habe ich mich nun erneut an den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und
die Informationsfreiheit (seit 12/2013 Andrea Voßhoff) gewandt.
BÄK & KBV (2008):
Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht, Datenschutz und
Datenverarbeitung in der Arztpraxis (online: www.kbv.de und Deutsches
Ärzteblatt (Heft 19, Mai 2008)
105: A-1026-1030 und Technische Anlage: 1-12 (Achtung:
Der Link ist nicht mehr gültig!)
BÄK & KBV (2014):
Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht, Datenschutz und
Datenverarbeitung in der Arztpraxis (online:
www.kbv.de und Deutsches Ärzteblatt (Heft
21, Mai 2014) 111:
A-963-969 und Addendum zur Technischen Anlage: 969-972 (s.a.
Dtsch Arztebl 2014; 111 (21):B-819 / C-775); identisches pdf-Dokument über
www.aerzteblatt.de
Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztliche
Bundesvereinigung (KBV): Aktualisierte Empfehlungen zur ärztlichen
Schweigepflicht, Datenschutz und Datenverarbeitung in der Arztpraxis 2014
Die
Bundesärztekammer (BÄK) und die Kassenärztliche
Bundesvereinigung (KBV) haben (nach der letzten Fassung von 2008, siehe
Beitrag
AKTUELL: Nummer
9/2012)
eine aktualisierte Fassung der Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht,
Datenschutz und Datenverarbeitung in der Arztpraxis vorgelegt.
BÄK & KBV (2008):
Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht, Datenschutz und
Datenverarbeitung in der Arztpraxis (online:
www.kbv.de und Deutsches Ärzteblatt (Heft
21, Mai 2014) 111:
A-963-969 und Addendum zur Technischen Anlage: 969-972 (s.a.
Dtsch Arztebl 2014; 111 (21):B-819 / C-775); identisches pdf-Dokument über
www.aerzteblatt.de
24. Deutscher Psychotherapeutentag beschließt Änderung der
Muster-Berufsordnung: Das Persönlichkeitsrecht der Psychologischen
PsychotherapeutInnen und Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen kann bei
Abwägung der widerstreitenden Grundrechtsgüter ausnahmsweise einzelne Aufzeichnungen von
der Einsichtnahme ausnehmen
Teil I
(Archivtitel: Einsichtnahme Behandlungsunterlagen & Persönlichkeitsrecht der
BehandlerInnen)
Auf dem
Hintergrund des im Patientenrechtegesetz bei der Einsicht in die
Behandlungsunterlagen (§ 630g BGB) nicht berücksichtigten
Persönlichkeitsrechts der BehandlerInnen wurden dem 23. Deutschen Psychotherapeutentag (16.11.2013 in Kiel)
zwei Anträge zu diesem Thema vorgelegt. Der Antrag des Vorstands der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK)
beinhaltete die Einfügung der Formulierung des § 630g Absatz 1 Satz
1 BGB in die Musterberufsordnung, der Antrag einer Gruppe um B. Waldvogel (TOP 5, Antrag 15)
lautete:
§ 11 Absatz 2 der Musterberufsordnung der
Bundespsychotherapeutenkammer wird wie folgt neu gefasst:
(2) Psychotherapeuten können die Einsicht
ganz oder teilweise nur verweigern, wenn der Einsichtnahme erhebliche
therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter
entgegenstehen. Nimmt der Psychotherapeut im Einzelfall einzelne
Aufzeichnungen von der Einsichtnahme aus, weil diese Einblick in seine
Persönlichkeit geben und deren Offenlegung sein Persönlichkeitsrecht
berührt, stellt dies keinen Verstoß gegen diese Berufsordnung dar, wenn und
soweit in diesem Fall das Interesse des Psychotherapeuten am Schutz seines
Persönlichkeitsrechts in der Abwägung das Interesse des Patienten an der
Einsichtnahme überwiegt. Eine Einsichtsverweigerung gemäß Satz 1 oder Satz 2
ist gegenüber dem Patienten zu begründen. Die Regelung des § 12 Abs. 6 Satz
2 bleibt unberührt. [Hervorhebung vom Verfasser]
Die Anträge wurden nicht abgestimmt,
da die Diskussion zu diesem wichtigen Punkt sehr kontrovers verlief und eine
klare Mehrheit für einen Antrag nicht absehbar war. Zugleich wurde der Vorstand
beauftragt, einen Lösungsvorschlag für den nächsten DPT vorzulegen, der
den unterschiedlichen Auffassungen Rechnung trägt.Im Bericht zum 23. DPT heißt es dazu:
Da dies ein folgenschweres Thema für Patienten und
Psychotherapeuten sei, schlug der BPtK-Vorstand vor, die Anträge nicht mit
knappen Mehrheiten zu entscheiden, sondern beide Anträge an den Vorstand zu
überweisen. Dieser werde sich zusammen mit den Antragstellern bemühen, für
den nächsten DPT eine Lösung zu erarbeiten, die sicherstellen könne, dass
die Persönlichkeitsrechte der Psychotherapeuten gewahrt blieben, dass
Rechtssicherheit für Psychotherapeuten geschaffen werde und dass Autonomie
und Selbstbestimmung der Patienten anerkannt werde. (Bericht der BPTK
Aktuell v. 27.11.13)
Auf dem 24. Deutschen
Psychotherapeutentag (15.05.2014) hat der Vorstand und eine Gruppe von
Delegierten einen (Kompromiß-) Antrag zur Neufassung von
§ 11 der
Musterberufsordnung der Bundespsychotherapeutenkammer
vorgelegt, der bei der Abstimmung
eine Mehrheit gefunden hat:
§ 11 Einsicht in
Behandlungsdokumentationen
(1) Patientinnen
und Patienten ist auch nach Abschluss der Behandlung auf ihr Verlangen hin
unverzüglich Einsicht in die sie betreffende Patientenakte zu gewähren, die nach
§ 9 Absatz 1 zu erstellen ist. Auch persönliche Eindrücke und subjektive
Wahrnehmungen der Psychotherapeutin oder des Psychotherapeuten, die gemäß § 9 in
der Patientenakte dokumentiert worden sind, unterliegen grundsätzlich dem
Einsichtsrecht der Patientin oder des Patienten. Auf Verlangen der Patientin
oder des Patienten haben Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten dieser oder
diesem Kopien und elektronische Abschriften aus der Dokumentation zu überlassen.
Die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut kann die Erstattung entstandener
Kosten fordern.
(2)
Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten können die Einsicht ganz oder
teilweise nur verweigern, wenn der Einsichtnahme erhebliche therapeutische
Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Nimmt die
Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut ausnahmsweise einzelne Aufzeichnungen
von der Einsichtnahme aus, weil diese Einblick in ihre oder seine Persönlichkeit
geben und deren Offenlegung ihr oder sein Persönlichkeitsrecht berührt, stellt
dies keinen Verstoß gegen diese Berufsordnung dar, wenn und soweit in diesem
Fall das Interesse der Psychotherapeutin oder des Psychotherapeuten am Schutz
ihres oder seines Persönlichkeitsrechts in der Abwägung das Interesse der
Patientin oder des Patienten an der Einsichtnahme überwiegt.Eine
Einsichtsverweigerung gemäß Satz 1 oder Satz 2 ist gegenüber der Patientin oder
dem Patienten zu begründen. Die Kammer kann zur Überprüfung der Voraussetzungen
nach Satz 1 oder Satz 2 die Offenlegung der Aufzeichnungen ihr gegenüber
verlangen. Die Regelung des § 12 Absatz 6 Satz 2 bleibt unberührt.[Hervorhebung vom Verfasser]
Die Regelung zur Überprüfung des Vorliegens der
Voraussetzungen der Verweigerung der Einsichtnahme durch die Kammer war der
Befürchtung vieler Delegierter geschuldet, PsychotherapeutInnen könnten sich zu
extensiv auf die Ausnahmeregelung berufen und war Voraussetzung des vorliegenden
und nun verabschiedeten Änderungsantrags.
Ob die 12 Landespsychotherapeutenkammern (www.bptk.de)
die Formulierung der Musterberufsordnung in ihre (für PP und KJP verbindlich
geltende) Berufsordnung übernehmen werden, ist derzeit (noch) nicht bekannt.
Anmerkung:
Der im Antrag
vorgeschlagene Satz
"Die Kammer kann zur Überprüfung der Voraussetzungen nach Satz 1 oder Satz 2 die
Offenlegung der Aufzeichnungen ihr gegenüber verlangen." ist aus
datenschutz- bzw. strafrechtlicher Sicht äußerst bedenklich. Eine Einsichtnahme
in die Aufzeichnungen durch Dritte (hier die Kammer) ist nur aufgrund
gesetzlicher Regelungen (die hier nicht vorliegen) oder einer Einwilligung von
Seiten der jeweiligen PatientInnen zulässig. Zudem könnte durch eine Überprüfung
der Unterlagen durch die Kammer auch Persönlichkeitsrechte der BehandlerInnen
betroffen sein bzw. verletzt werden.
Gesetzestext - Bürgerliches
Gesetzbuch:
§§ 630a-h BGB (Behandlungsvertrag - Zusammenstellung von J. Thorwart)
Bundesärztekammer: Handreichung für den Umgang mit den
(neuen) sozialen Medien
Die Bundesärztekammer (BÄK) hat im
Februar eine
Handreichung zum Thema: "Ärzte in sozialen Medien. Worauf Ärzte und
Medizinstudenten bei der Nutzung sozialer Medien achten sollten" vorgelegt.
Sie informiert über die Tücken der Nutzung der
neuen sozialen Medien für ÄrztInnen (und damit auch für PsychotherapeutInnen),
so über die ärztliche Schweigepflicht, die Problematik der Diffamierung,
Online-Freundschaften und deren Grenzen (Arzt-Patient-Verhältnis,
interkollegialer Austausch über soziale Netzwerke,), weitere berufsrechtliche
Aspekte, Datenschutz und Datensicherheit sowie über weitere rechtliche Aspekte.
Handreichung der Bundesärztekammer (BÄK):
Ärzte in sozialen Medien. Worauf Ärzte und Medizinstudenten bei der Nutzung
sozialer Medien achten sollten (Stand
Februar 2014)
Sozialbehördliches Auskunftsersuchen und Schweigepflicht
im Bereich des Sozialgesetzbuches (SGB)
Der Rechtsanwalt Jan Frederichs
berichtet in der Zeitschrift Report Psychologie (BDP) über die Problematik von
behördlichen Auskunftsersuchen im Bereich des Sozialgesetzbuches.
Im Bereich der ambulanten Richtlinien
Psychotherapie (ärztliche PsychotherapeutInnen, PP, KJP) sind Anfragen der
Krankenkassen und des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen klar geregelt und
werden mittels von Formularen abgefragt. Allerdings können im Einzelfall
durchaus Unklarheiten bzw. Zweifel bestehen, ob die angeforderten Informationen
tatsächlich zur Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Hier rät Frederichs davon
ab, die Einwilligung der PatientInnen einzuholen. Dies wäre ethisch und
sozialdatenschutzrechtlich problematisch. Denn das Einholen einer
Schweigepflichtentbindung könnte im Extremfall eine "rechtswidrige Umgehung
abschließender Regelungen über Informationsflüsse" darstellen (er nimmt dabei
Bezug auf ein entsprechendes Urteil des Bundessozialgerichts).
Insgesamt stellt sich die Frage, ob
PsychotherapeutInnen (und andere schweigpflichtige Berufsgruppen) überhaupt
dafür zuständig sind, bei Auskunftsersuchen eine Schweigepflichtentbindung ihrer
PatientInnen/KlientInnen einzuholen - zwar gebe es hier keine klare Regelung
(vgl. § 100 SGB X), doch sei die Auskunftspflicht schweigepflichtiger Personen
das Gegenstück des Auskunftsersuchens des Leistungsträgers, der wiederum einen
(zu begründenden) Verwaltungsakt darstellt. Damit ist es aber Aufgabe der
Behörde zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für den Eingriff in das
Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen vorliegen. Schweigepflichtige Personen
können dies in der Regel nicht überblicken und laufen überdies Gefahr, ihre
PatientInnen bzw. KlientInnen des Rechtsschutzes zu berauben.
Frederichs rät daher bei Zweifeln an
der Auskunftspflicht, diese der auskunftsersuchenden Behörde mitzuteilen und
PatientInnen/KlientInnen darüber zu informieren, damit diese gegebenenfalls
gegen das Auskunftsersuchen vorgehen können.
Anmerkung:
Ich warne immer wieder davor, PatientInnen in bestimmten Fällen zu
Schweigepflichtentbindungen zu 'motivieren'. Nicht nur in dem von Frederichs
beschriebenen Fällen kann das außerordentlich problematisch sein, sondern vor
allem auch dann, wenn Interessen der PsychotherapeutInnen betroffen sind. So ist
es heute üblich im Wege des 'informed consent' die Einwilligung zu
Videoaufnahmen (Ausbildungsfälle), Veröffentlichungen in Büchern oder
Fachzeitschriften, Audioaufnahmen bei Forschungsprojekten einzuholen. M. E. wird
dabei viel zu wenig das Abhängigkeitsverhältnis der PatientInnen (KlientInnen)
bedacht. Eine wirklich freie Entscheidung ist bei laufender Therapie (Beratung),
aber auch nach Abschluß der Behandlung (Beratung), kaum vorstellbar. In jedem
Fall ist die Entscheidung und ihre jeweiligen Konsequenzen ausführlich zu
bearbeiten.
Frederichs, Jan:
Sozialbehördliches Auskunftsersuchen
und Schweigepflicht. Psychologen sollen bei Zweifeln nicht selbst die
Einwilligung der Betroffenen einholen (Report Psychologie,
Heft 2-2014: 74f)
Schweigepflicht bei konfligierenden
Vertrauensverhältnissen
Der Rechtsanwalt Jan Frederichs
berichtet in einem Beitrag in der Zeitschrift Report Psychologie (BDP) über eine
Fallkonstellation, wie sie nicht ganz selten auftritt: Freunde oder Angehörige
von KlientInnen/PatientInnen wenden sich ohne deren Wissen an die/den
Schweigepflichtige/n (hier: Psychologin/e) und fragen ihrerseits um Rat (etwa im
Umgang mit der Klientin/Patientin).
Abgesehen davon daß eine Beratung
dritter Personen, die in Kontakt mit der/m Klientin/en bzw. Patientin/en stehen,
nicht möglich ist (vgl. auch Musterberufsordnung PP/KJP, § 6 Abs. 6 i.d. F
2006/2007), verstößt die Mitteilung an KlientInnen/PatientInnen, daß sich
Dritte an die/den Schweigepflichtigen gewandt haben nicht gegen die
Schweigepflicht gegenüber der kontaktaufnehmenden Dritten, da diese "ein berechtigtes
Vertrauensverhältnis voraussetzt". Auch wenn die dritte Person die
Verschwiegenheitspflicht der/des Therapeutin/en in Anspruch nehmen möchte muß
sie gleichwohl davon ausgehen, daß dies aufgrund der bereits bestehenden
Vertrauensbeziehung zwischen KlientIn/PatientIn und Schweigepflichtiger/m nicht
möglich ist und auch eine Mitteilung über den Kontakt erfolgen muß.
Anders wäre die
Situation einzuschätzen, wenn es um gleichberechtigte Vertrauensverhältnisse
geht, etwa, wenn erst im Laufe der Zeit klar wird, daß zwei KlientInnen/PatientInnen
miteinander verwandt oder sich anderweitig nahe stehen. Hier besteht die
Schweigepflicht, allerdings wäre zu prüfen, inwieweit unter diesen Umstanden,
die Beratung/Therapie mit beiden KlientInnen/PatientInnen fortgesetzt werden
kann.
Frederichs, Jan:
Diverses aus der Rechtsabteilung -
Schweigepflicht bei konfligierenden Vertrauensverhältnissen (Report Psychologie,
Heft 11/12-2013: 455)
Muster-Berufsordnung (M-BO) für die
Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
in der Fassung der Beschlüsse des 7. Deutschen Psychotherapeutentages in
Dortmund am 13. Januar 2006 aktualisiert mit Beschluss des 11. DPT am
10.
November 2007
M-BO PP/KJP i.d.F. vom 13. Januar
2006 aktualisiert mit Beschluss des 11. DPT am 10. November 2007: Auszug aus § 6
(Abstinenz), Abs 6:
Die
abstinente Haltung erstreckt sich auch auf die Personen, die einem Patienten
nahe stehen, bei Kindern und Jugendlichen insbesondere auf dessen
Eltern und Sorgeberechtigten.
Historisches Grundsatzurteil des Europäischen
Gerichtshofes zum Datenschutz: EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für
ungültig erklärt (AZ: C-293/12 ua)
(Teil
XVI)
Der Europäische Gerichtshof
(EuGH) in Luxemburg
hat in einem Urteil v. 8.04.2014 die in den europäischen Mitgliedsstaaten geltende
Pflicht zur Speicherung der Telefon- und Internetverbindungsdaten für
ungültig erklärt, da sie gegen die Grundrechte
verstoße. Das Verfahren wurde vom irischen High Court und dem österreichische
Verfassungsgerichtshof in Gang gesetzt, die den EuGH auf dem Hintergrund der
durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleisteten
Grundrechten (und hier des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens sowie des
Grundrechts auf Schutz personenbezogener Daten) um die Prüfung der Zulässigkeit
der Richtlinie ersucht hatten.
Die (in Deutschland aufgrund
des Widerstands von FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger)
nicht umgesetzte Richtlinie 2006/24/EG sah vor, in allen EU-Staaten sämtliche
Verbindungsdaten elektronischer Kommunikation ohne konkreten Anlaß über einen
Zeitraum von 6 bis 24 Monate lang zu speichern.
Dies ist nach Ansicht des EuGH
nicht hinzunehmen. "Aus
der Gesamtheit
dieser Daten können sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen, deren
Daten auf Vorrat gespeichert werden, gezogen werden, etwa auf Gewohnheiten des
täglichen Lebens, ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte, tägliche oder in
anderem Rhythmus erfolgende Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale
Beziehungen und das soziale Umfeld. " (alle Zitate in blau aus der
Presseerklärung des EuGH - siehe unten)
Bei der bisher bestehende
Verpflichtung zur Vorratsspeicherung
und der Gestattung des Zugangs der zuständigen nationalen Behörden zu diesen
Daten sei ein besonders schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte auf
Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten:
Außerdem ist der
Umstand, dass die Vorratsspeicherung der Daten und ihre spätere Nutzung
vorgenommen werden, ohne dass der Teilnehmer oder der registrierte Benutzer
darüber informiert wird, geeignet, bei den Betroffenen das Gefühl zu erzeugen,
dass ihr Privatleben Gegenstand einer ständigen Überwachung ist.
Zwar sei "die
nach der Richtlinie vorgeschriebene Vorratsspeicherung von Daten nicht geeignet
(...), den Wesensgehalt der Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf
Schutz personenbezogener Daten anzutasten" und diene in ihrer Zielsetzung
"dem Gemeinwohl (...), und zwar der Bekämpfung schwerer
Kriminalität und somit letztlich der öffentlichen Sicherheit" jedoch habe
"der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie (...)
die Grenzen überschritten (...), die er zur Wahrung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit einhalten musste".
Angesichts "der
besonderen Bedeutung
des Schutzes personenbezogener Daten für das Grundrecht auf Achtung des
Privatlebens und des Ausmaßes und der Schwere des mit der Richtlinie verbundenen
Eingriffs in dieses Recht" sei "der
Gestaltungsspielraum des Unionsgesetzgebers eingeschränkt (...), so dass die
Richtlinie einer
strikten Kontrolle unterliegt." Ein
Eingriff von solchem Ausmaß muß nach Ansicht des EuGH "auf
das absolut Notwendige" beschränkt bleiben.
Der EuGH kritisiert in diesem
Zusammenhang die Datenerfassung bzw. -speicherung ohne jede Differenzierung,
Einschränkung oder Ausnahme mit dem Ziel der Bekämpfung schwerer Straftaten.
Weiter gebe es keine
objektiven Kriterien zur
Beschränkungen des
Zugangs der zuständigen
nationalen Behörden zu den Daten, welche den Eingriff in die betroffenen
Grundrechte jeweils rechtfertigen könnten.
Auch die Speicherungsfristen
(mindestens 6 bis maximal 24 Monate) werde nicht - im Sinn einer "
Unterscheidung zwischen den Datenkategorien anhand der
betroffenen Personen oder nach Maßgabe des etwaigen Nutzens der Daten für das
verfolgte Ziel" differenziert.
Da keine Speicherung der Daten im
Unionsgebiet vorgeschrieben sei, gewährleiste die Richtlinie "nicht
in vollem Umfang, dass die Einhaltung der Erfordernisse des Datenschutzes und
der Datensicherheit durch eine unabhängige Stelle überwacht wird, obwohl die
Charta dies ausdrücklich fordert."
Und schließlich stellt der EuGH fest,
dass die Richtlinie
keine hinreichenden Garantien dafür bietet, dass die Daten wirksam vor
Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang und jeder
unberechtigten Nutzung geschützt sind. Unter anderem gestattet sie es den
Diensteanbietern, bei der Bestimmung des von ihnen angewandten
Sicherheitsniveaus wirtschaftliche Erwägungen (insbesondere hinsichtlich der
Kosten für die Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen) zu berücksichtigen,
und gewährleistet nicht, dass die Daten nach Ablauf ihrer Speicherungsfrist
unwiderruflich vernichtet werden.
Im Urteilstext des EuGH
vom
8. April 2014findet sich zudem ein wichtiger Hinweis auf die
berufliche Schweigepflicht:
Die Richtlinie 2006/24 betrifft nämlich zum einen in
umfassender Weise alle Personen, die elektronische Kommunikationsdienste nutzen,
ohne dass sich jedoch die Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert werden,
auch nur mittelbar in einer Lage befinden, die Anlass zur Strafverfolgung geben
könnte. Sie gilt also auch für Personen, bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür
besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten
Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte. Zudem sieht sie keinerlei
Ausnahme vor, so dass sie auch für Personen gilt, deren Kommunikationsvorgänge
nach den nationalen Rechtsvorschriften dem Berufsgeheimnis unterliegen.
(Abschnitt 58)
Anmerkung:
Kann man sich eine heftigere 'Watschn' für die BefürworterInnen der
Richtlinie 2006/24/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates
vorstellen?
In seinem Tenor erinnert das Urteil
an den wegweisenden Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zum
Volkszählungsurteil 1983 (15.12.1983; 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83),
insbesondere aber an die Entscheidung aus dem Jahr 2010 (Erster Senat v. 2. März
2010 - 1
BvR 256/08/1 BvR 263/08/1 BvR 586/08 -) zur Verfassungswidrigkeit
des (deutschen) Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung - siehe
AKTUELL: Nummer
11/2010.
Heribert Prantl meint in seinem
Kommentar (Süddeutsche Zeitung v. 9.04.14: 4 HBG): "Die
anlasslose staatliche Ausspähung und Speicherung der Kommunikation kann und darf
(...) nicht Normalität werden. Das ist die Lehre des Luxemburger Urteils. Das
ist nicht revolutionär, das ist eigentlich selbstverständlich." und "Es
wird schwer sein, ein Gesetz zu formulieren, dass diese Anforderungen [des
Urteils] erfüllt. Das ist gut so, weil es in einem Rechtsstaat schwer sein muss,
in Grundrechte einzugreifen. Es gibt den Schutz der Privatsphäre, auch in
Europa."
In einem Gastbeitrag - Aussenansicht:
"Speichern verboten. Das jüngste Urteil des Europäischen
Gerichtshofs zeigt: Beim Datenschutz geht die EU voran" (SZ Süddeutsche
Zeitung v. 12./13.04.14: 2) spricht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von einem
"Paradigmenwechsel:
Gerichtshof der Europäischen
Union: Pressemitteilung
Nr.
54/14, Luxemburg, 8. 04.2014
Urteil des
Europäischen Gerichtshofs (Große Kammer) vom
8. April 2014 (Rechtssachen C‑293/12 und C‑594/12)
Richtlinie 2006/24/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die
Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher
elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze
erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG (ABl.
L 105, S. 54)
Charta der Grundrechte der
Europäischen Union (2010/C
83/02). Amtsblatt
der Europäischen Union (DE),
C 83/389, 30.3.2010.
Einsichtnahme in Aufzeichnungen der Lehranalyse bzw.
-therapie
(Teil
III)
Aufgrund der Bedeutung der
aktuellen BGH-Entscheidung zum Einsichtsrecht von AusbildungskandidatInnen in
die von ihrer/m LehranalytikerIn bzw. LehrtherapeutIn angefertigten
Aufzeichnungen (siehe die entsprechenden Beiträge im Archiv) habe ich einen
Beitrag im Psychotherapeutenjournal (1/2014: 10-12) geschrieben:
Keine Pflicht
zur Dokumentation, aber Recht auf Einsicht in vorhandene Aufzeichnungen. BGH
stärkt die Rechte von Absolventen einer Lehrtherapie (Urteil v. 7.11.2013, II ZR
54/13
Seit Anfang 2014 besteht die
Webseite www.mit-sicherheit-gut-behandelt.de,
die vielfältige Informationen zum Thema Datenschutz und IT-Sicherheit in Praxen
anbietet. Es handelt sich um eine gemeinsame Initiative des Landesbeauftragten
für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz und der
Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz.
Auf der Startseite heißt es dazu:
Der Landesbeauftragte
für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz und die
Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz lassen die Ärzte und
Psychotherapeuten bei ihrer Verpflichtung, die Vorgaben der ärztlichen
Schweigepflicht auch im 21. Jahrhundert zu gewährleisten, nicht alleine. Aus
diesem Grund haben sie die Initiative "Mit Sicherheit gut behandelt" ins Leben
gerufen.
Kernstück
der Initiative ist die Website, auf der Sie sich gerade befinden. Darin stellen
die Kooperationspartner zahlreiche Informationen, Handlungshilfen, Checklisten
und Links bereit, die aus ihrer Sicht bei der Gewährleistung von IT-Sicherheit
und Datenschutz im Zusammenhang mit einem Praxisbetrieb von Bedeutung sind.
Darüber hinaus bieten beide Institutionen mehrere
regionale Veranstaltungen
zum Thema IT-Sicherheit und Datenschutz in der Arzt-/Psychotherapeutenpraxis an.
Einzelthemen werden in redaktionellen Beiträgen in Fachzeitschriften
aufgegriffen. Heilberufskammern und IT-Hersteller wurden frühzeitig eingebunden,
um auch deren Potential bei der Verbesserung von IT-Sicherheit und Datenschutz
in den Praxen zu nutzen.
Über die Initiative
wird in einem Flyer umfassend informiert, der zum Download bereit steht.
Patientendaten in der Cloud: Überaus problematisch und
nicht empfehlenswert
In einem Beitrag der Ärzte
Zeitung (online) wird die Problematik der sich zunehmend etablierenden Dienste
im Bereich des Cloud Computing im Zusammenhang der Auslagerung von Daten in
Arztpraxen erläutert.
Weil in diesem Fall
Daten von PatientInnen erhoben,
verarbeitet und genutzt werden, findet das Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG)
Anwendung und ist nur mit dem Einverständnis derjenigen PatientInnen zulässig,
deren Daten in der Cloud verarbeitet werden.
Auch wenn die Daten nicht auf dem
Server eines entsprechenden Diensteanbieters verarbeitet bzw. gespeichert
werden, sondern lediglich Soft- und Hardwareleistungen genutzt werden (Software
as a Service - SAS) gilt das Datenschutzgesetz.
Ärzte Zeitung online (17.03.14).
Rebekka Höhl :
Rechtssicher in die Cloud. Sobald ein Betrieb Rechnerleistung auslagert, kommt
er in Berührung mit dem Datenschutzgesetz - und den entsprechenden
Haftungsfragen. Für Arztpraxen kann das besonders kritisch werden.
Ergänzung 1
(10.09.14): In einem ausfühlichen Beitrag beschäftigt sich die Ärzte
Zeitung online (10.09.14)
ein weiteres Mal mit den Voraussetzungen unter welchen eine
Cloud Computing in der
Arztpraxis (und damit auch in der Praxis von PsychotherapeutInnen) möglich
erscheint. M.E. ist die weit überwiegnde Mehrheit der ÄrztInnen und
PsychotherapeutInnen überhaupt nicht in der Lage die technischen Vorgänge zu
verstehen oder sie gar zu kontrollieren - unter diesen Voraussetzungen rate ich
daher dringend von der Nutzung dieser Technik ab.
Ergänzung 2
(30.09.14): In einem weiteren Beitrag beschäftigt sich die Ärzte Zeitung
online (30.09.14)
mit
Haftungsrisiken und der daraus resultierenden Notwendigkeit, sich vor der
Nutzung der Cloud vertraglich besonders abzusichern.
Österreich: Der österreichische Hausärzteverband (ÖHV)
tritt aus dem Vernetzungsprojekt der flächendeckenden elektronischen
Gesundheitsakte (ELGA) aus
Bericht der Ärzte Zeitung
online v. 13.01.2014:
Ärzteverband
tritt aus Gesundheitsakte aus
WIEN. Schlappe für die flächendeckende elektronische
Gesundheitsakte (ELGA) in Österreich: Nur wenige Tage nach dem offiziellen Start
von ELGA hat die gesamte Spitze des Österreichischen Hausärzteverbandes (ÖHV)
ihren Austritt aus dem Vernetzungsprojekt eingereicht.
Die ärztliche
Schweigepflicht sei mit ELGA Geschichte, begründet der Berufsverband in einer
Mitteilung den "Opt-Out". Zu fürchten sei nicht nur Cyber-Kriminalität, sondern
der ganz legale Gebrauch der Daten durch Ämter und Behörden, der vom Gesetzgeber
jederzeit bedarfsgerecht adaptiert werden könne.
Auf der
Portalseite der am 2. Januar gestarteten ELGA sowie auf der Website des
österreichischen Gesundheitsministeriums sind dazu allerdings keine Infos zu
finden. Hier heißt es: Die Patienten könnten die Zugriffsrechte selbst
bestimmen.
Zudem sei der
Kreis der allgemein zum Zugriff Berechtigten gesetzlich festgelegt. Neben den
Patienten sollen dies nur Gesundheitsdienstanbieter und hier speziell
Krankenanstalten und Pflegeheime, Ambulatorien, niedergelassene Ärzte, Zahnärzte
sowie Apotheker sein. Die Daten werden im österreichischen System zudem
dezentral gespeichert.
Doch der ÖHV
bemängelt noch mehr: In einem Pamphlet mit zehn Gründen für den Austritt aus
ELGA moniert der Verband, dass die immer wieder proklamierte Rolle des
Hausarztes als Drehscheibe" durch ELGA völlig verloren gehe. "Der
Allgemeinmediziner verkommt zum Verwalter elektronischer Daten", heißt es.
(reh)
Bundespsychotherapeutenkammer: Patientenrechtegesetz. Eine
Information für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten
Die im September 2013 erstellte
Broschüre "Patientenrechtegesetz. Eine Information für Psychotherapeutinnen und
Psychotherapeuten" stellt nach meiner Ansicht die bisher differenzierteste und
klarste Information über das im Februar letzten Jahres in Kraft getretene
Patientenrechtegesetz für Ärztliche und Psychologische PsychotherapeutInnen und
Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen dar. Ich empfehle allen KollegInnen
dringend Sie intensiv zu studieren.
Ich habe aus diesem Anlaß nochmals
auch den Gesetzestext (Behandlungsvertrag: §§ 630a ff BGB) als Word
97-2003-Dokument eingestellt (siehe unten) sowie ein von mir konzipiertes
Formular, das zur Unterstützung der Dokumentation von Information, Aufklärung
und Einwilligung als 'Laufzettel' verwendet werden kann; beide Dokumente (Word
97-2003) können heruntergeladen und nach eigenen Wünschen verändert werden!
Bundespsychotherapeutenkammer (09/2013):
Patientenrechtegesetz. Eine Information für Psychotherapeutinnen und
Psychotherapeuten
Gesetzestext - Bürgerliches
Gesetzbuch:
§§ 630a-h BGB (Behandlungsvertrag - Zusammenstellung von J. Thorwart)
Großbritannien: Gesundheitsdaten müssen an den staatlichen
Gesundheitsdienst 'National Health Service' (NHS) übermittelt werden
Die britische Regierung hat eine
landesweite Aktion zum
Datenaustausch beschlossen. Unter Berufung auf das Gesetz "Health and Social
Care Act" sollen die etwa 75.000 staatlichen HausärztInnen des NHS ab März 2013
vertraglich verpflichtet werden, vertrauliche Patientendaten an einen zentralen
NHS-Rechner weiterzugeben. Dieses Ansinnen hat bereits zu erheblichen Protesten
der betroffenen MedizinerInnen geführt. Auch der britische Ärztebund 'British
Medical Association' (BMA) hat darauf hingewiesen, daß sich bereits zahlreiche
HausärztInbnen kritisch zu Wort gemeldet hätten.
Nach Angaben des
Londoner
Gesundheitsministeriums sei der Datenschutz gewährleistet. Die Sammlung der
Daten diene der Optimierung der diagnostischen und therapeutischen
Versorgungsangebote.
Die betroffenen PatientInnen können
allerdings der Weitergabe widersprechen und so die Übermittlung ihrer
persönlichen Daten an die NHS verhindern.
Anmerkung:
Es dürfte wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis es auch in anderen europäischen
Staaten und auch in Deutschland zu einer solchen Diskussion kommt. Nachdem für
britische Verhältnisse eher ungewöhnlichen Protest von ÄrztInnen und
PatientInnen ist noch ungewiss, ob es tatsächlich zu der von der Regierung
Cameron geplanten Maßnahme kommt.
Ärzte Zeitung online (14.02.14):
Britische Hausärzte rebellieren gegen Big Data. Mit Überwachung hatten die
Briten bislang kein Problem - die Kameras an Straßen und Bahnhöfen sind ihnen
egal. Doch jetzt ist die Regierung zu weit gegangen: Ärzte sollen bald ihre
Patientendaten an den NHS weiterleiten - und zwar verpflichtend. Der Protest
wird größer. Jetzt rufen die Hausärzte zur Revolte.
Nicht nur aus gegebenem Anlaß (NSA -
Snowdon) ist es notwendig, sich immer wieder Gedanken hinsichtlich des Schutzes
der eigenen (privaten und beruflichen) und Dritte (Angehörige, Freunde,
KollegInnen, KundInnen, PatientInnen etc.) betreffenden Daten zu machen.
Die von Markus Mandalka aufgebaute
Seite www.selbstdatenschutz.info
informiert in übersichtlicher und verständlicher Weise über wichtige
Aspekte des Selbstdatenschutzes:
Weshalb Selbstdatenschutz?
Wichtiges in Kürze
Datenspuren
Wirtschaft &
Datenkraken
Staatliche
Überwachung
Datenmissbrauch
Kommunikation
verschlüsseln
E-Mail-Konto
schützen
E-Mail und
Dateianhänge verschlüsseln
Chats
verschlüsseln mit Linux
Verschlüsselt chatten
mit Windows
Internettelefonie
verschlüsseln
Datenspuren &
Datenschmutz
Auf meiner
Festplatte
Bei der
Kommunikation
Einkaufen oder
Bezahlen
Im Internet
Soziale
Netzwerke
Datenträger verschlüsselln
Festplatte
verschlüsseln mit Linux
Externe Festplatte
verschlüsseln mit Linux
USB-Stick oder
Speicherkarte verschlüsseln mit Linux
Festplatte
verschlüsseln mit Windows
Externe Festplatte
verschlüsseln mit Windows
USB-Stick oder
Speicherkarte verschlüsseln mit Windows
Datenspeicherung vermeiden
Tracking erschweren
Suchmaschine
Anonym surfen
Spyware meiden
Cloud verschlüsseln
Cloud- &
Onlinespeicher verschlüsseln
Daten schützen & verschlüsseln
Wichtiges in Kürze
Sichere Passwörter
Fallen und Tücken
Über sich selbst schreibt Herr
Mandalka:
Ich arbeite in
Berlin und anderswo als freier Journalist zu Politik, Neonazis, selbstbestimmter
Informationstechnik und Datenschutz sowie als Medieninformatiker im mit
und an selbstbestimmten und datenschutzfreundlichen Wissenswerkzeugen rund um
kollaborative Wissensarbeit, Vernetzung und Wissensnetzwerk SmallData42 digitale
Kommunikation zumeist für WissensarbeiterInnen in Journalismus,
Bildungseinrichtungen, Wissenschaft, Sozialer Arbeit oder gemeinnützigen
Vereinen, Stiftungen und Non-Profit-Organisationen bzw.
Non-Government-Organisationen (NGO).
Hinweise zum Selbstdatenschutz für
BürgerInnen finden sich auch auf der Seite des Bundesamts für Sicherheit in der
Informationstechnik
www.bsi-fuer-buerger.de.
Die Bundespsychotherapeutenkammer
berihtet in ihren EuropaNews (15.01.2014) über die ltzten Entwicklungen der
geplanten Europäische Datenschutz-Grundverordnung. Der
Bericht wird nachfolgend wiedergegeben:
EP-Bericht zur Europäischen Datenschutz-Grundverordnung
berücksichtigt Anliegen der Freien Berufe
Der federführende Ausschuss für Bürgerfreiheiten, Justiz
und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments hat sich am 21. Oktober 2013 auf
eine Kompromissfassung zum Entwurf des im Januar 2012 von der EU-Kommission
vorgelegten Entwurfs einer Europäischen Datenschutz-Grundverordnung geeinigt.
Nach gut anderthalb Jahre dauernden Verhandlungen haben die Abgeordneten damit
überraschend schnell eine gemeinsame Linie gefunden. Freiberuflich relevante
Kernpunkte sind in den Beratungsprozess eingeflossen. So wird die spezielle
Situation der Berufsgeheimnisträger und deren Verschwiegenheitspflichten
aufgegriffen und diesem besonderen Verhältnis Rechnung getragen. Die
Verhandlungen des Europäischen Parlaments mit dem Europäischen Rat und der
EU-Kommission zur Datenschutzreform gestalten sich allerdings schwierig. Ein
Treffen der Justizminister in Brüssel am 6. Dezember 2013 hat gezeigt, dass es
in zentralen strittigen Punkten – z. B. die, ob der öffentliche Sektor
weitgehend ausgeklammert werden soll – keine Annäherung gibt. Von daher ist
fraglich, ob der neue Rahmen zu einem einheitlichen europäischen Datenschutz
noch vor den Neuwahlen zum Europäischen Parlament im Mai dieses Jahres
verabschiedet werden kann.
Patientenakte: Eine unzureichende Dokumentation führt zur Beweislastumkehr
(Zivilrecht) und gegebenenfalls auch weiteren disziplinarischen Folgen
Der Medizinrechtler (und Justiziar der
Bundespsychotherapeutenkammer) Prof. Dr. Martin Stellpflug berichtet in der
Ärzte Zeitung v. 6.01.2014 über die nun auch im
Patientenrechtegesetz (§ 630f BGB) aufgenommene Pflicht zur Dokumentation
der Behandlung.
Danach ist der Arzt verpflichtet, in zeitlich
unmittelbarem Zusammenhang zur Behandlung eine Patientenakte auf Papier oder
elektronisch zu führen. Berichtigungen und Änderungen von Akten-Eintragungen
sind nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt,
wann sie vorgenommen wurden. Das gilt auch für elektronische Patientenakten.
Die Dokumentation selbst muss sämtliche für die
aktuelle und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse
beinhalten, insbesondere Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen,
Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe
und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen.
Auch Arztbriefe sind in die Patientenakte aufzunehmen.
Unterbleibt die Dokumentation einer medizinisch gebotenen wesentlichen
Maßnahme und ihr Ergebnis oder kann die Patientenakte innerhalb der
zehnjährigen Aufbewahrungsfrist nach Abschluss der Behandlung nicht
vorgelegt werden, so wird vermutet, dass der Arzt diese Maßnahme nicht
getroffen hat (Beweislastumkehr). (Abs. 5-7 des Berichts v. 6.01.14
in der Ärzte Zeitung)
Stellpflug weist darauf hin, daß eine unzureichende oder fehlende
Dokumentation weitreichende Konsequenzen haben kann. Neben der schon
erwähnten Beweislastumkehr kann es zu disziplinarischen Folgen kommen.
Diese können von Honorarrückforderung bis hin zu
einem Widerruf der Abrechnungsgenehmigung bzw. dem Entzug der
Kassenzulassung reichen.
Bei einer EDV-gestützten Dokumentation erwarten die Gerichte besondere
Sorgfalt:
So beurteilte etwa das Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg einen Zulassungsentzug als rechtmäßig, weil die
Dokumentationspflichten gröblich verletzt wurden.
Der Kläger hatte auf jegliche schriftliche
Behandlungs-Dokumentation verzichtet und sich vollständig auf eine
elektronische Dokumentation mittels Festplatte verlassen - ohne
Sicherungskopien anzulegen.
Das Gericht sah darin bereits eine schwerwiegende
Pflichtverletzung, weil eine derart ungesicherte elektronische
Dokumentation, auch wenn sie für sich genommen fehlerfrei erfolgt ist, in
hohem Maße fehleranfällig sei und bei etwaigem technischen Versagen eine
nachträgliche Überprüfung der Behandlungshistorie erheblich erschwert oder
sogar unmöglich sein könnte.
Da der Vertragsarzt für eine peinlich genaue und im
Nachhinein auch vollständig nachprüfbare Dokumentation sorgen müsse, hielt
es das Gericht für zweifelhaft, ob eine ausschließlich elektronisch geführte
Patientenakte diese Anforderungen überhaupt erfüllt. (Abs. 11-14 des
Berichts v. 6.01.14 in der Ärzte Zeitung)
Stellpflug empfiehlt daher u. a. eine Dokumentations-Software anzuwenden,
bei der "jederzeit erkennbar ist, wann und mit welchem Inhalt ursprüngliche
Eintragungen verändert oder ergänzt wurden" und regelmäßig Sicherungskopien
zu erstellen.
Anmerkung:
Obwohl sich der Betrag an (Haus-) ÄrztInnen richtet, trifft er Ärztliche,
Psychologische und Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen in gleicher
Weise.
Der Beitrag stammt aus der Serie "Compliance
in der Arztpraxis" in der Medizinrechtler der Berliner Kanzlei DIERKS +
BOHLE (u. a.
Prof. Dr. iur. Martin Stellpflug, M.A.) juristische Fragen der
Praxisführung anhand von Beispielen aus der Praxis ausloten.
Ärzte Zeitung v.
6.01.2014 :
Neue Patientenakte. Der Teufel steckt im Detail
Formlose Anfragen der Krankenkassen künftig nur mittels
Rahmenformular
Im Zusammenhang der Änderung des einheitlichen
Bundesmantelvertrags-Ärzte (BMV-Ä) zum 1.10.20123 müssen die Krankenkassen
künftig bei formlosen Anfragen, die auf die Erteilung von Auskünften,
Bescheinigungen, Gutachten oder Bescheinigungen mit gutachterlicher
Fragestellung gerichtet sind, für deren Zweck jedoch kein gesonderter
Vordruck vereinbart worden ist, ein Rahmenformular verwenden
(§ 36 Abs. 5).
Aus dem Formular soll sich die Rechtsgrundlage der Anfrage und die
Vergütung für das Ausfüllen ergeben. Weder die zwischen KBV und Kassen zu
verhandelnde Vergütung noch das Formular selbst sind bislang vereinbart.
Anmerkung: Der BMV-Ä
führt die bisher gültigen Bundesmantelverträge mit den Primär- und
Ersatzkassen (BMV-Ä und BMV-Ä/EKV) zusammen. Damit gibt es nunmehr einen Vertrag, der die Rahmenbedingungen der vertragsärztlichen Versorgung
regelt.
KBV (www.kbv.de): Bundesmantelvertrag BM-Ä unter
Rechtsquellen/Bundesmantelvertrag.
Ärzte Zeitung v.
1.10.2013:
Neues Rahmenwerk tritt in Kraft. Ab dem 1. Oktober
gilt der neue Bundesmantelvertrag. Er bringt viele relevante Änderungen für
Arztpraxen mit sich.
Datenschutz im privaten Versicherungsrecht (Berufsunfähigkeitsversicherung):
Das Bundesverfassungsgericht betont das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung im Bereich des Privatrechts (Urteil v. 17.07.2013 1
BvR 3167/08)
Die Beschwerdeführerin machte gegenüber der Beklagten
(Lebensversicherungsunternehmen) Ansprüche wegen eingetretener
Berufsunfähigkeit aufgrund von Depressionen geltend
(Berufsunfähigkeitsversicherung).
Die auf dem Antragsformular der Beklagten vorgedruckte
Schweigepflichtentbindungserklärung, die eine Ermächtigung zur Einholung
sachdienlicher Auskünfte bei einem weiten Kreis von Auskunftsstellen
enthielt, strich die Beschwerdeführerin durch und unterschrieb das
Antragsformular nur im Übrigen. Anschließend korrespondierten die Beklagte
und die Beschwerdeführerin mehrfach über eine Schweigepflichtentbindung. Die
Beschwerdeführerin erklärte sich durch ihren damaligen Rechtsanwalt zur
Erteilung von Einzelermächtigungen bereit. Daraufhin übersandte die Beklagte
ihr folgende, vorformulierte Erklärungen zur Schweigepflichtentbindung ihrer
Krankenkasse, zweier Ärztinnen sowie der Deutschen Rentenversicherung Bund
(...)
Die Beklagte forderte von der Beschwerdeführerin für
die Mehrkosten im Zusammenhang mit den Einzelermächtigungen eine
Kostenbeteiligung in Höhe von 20 Euro je Ermächtigung. Der Leistungsantrag
werde nach Eingang der Ermächtigungen und des Gesamtbetrages weiter
bearbeitet. Die Beschwerdeführerin bat um Konkretisierung der gewünschten
Auskünfte. Dem kam die Beklagte nicht nach; der Leistungsantrag könne erst
nach Erhalt der unterschriebenen Schweigepflichtentbindungen sowie des
geforderten Betrages weiter bearbeitet werden. (Urteil
Bundesverfassungsgericht v. 17.07.13 - online Version: Abs. 4, 8)
Die Beschwerdeführerin klagte daraufhin auf Zahlung der monatlichen Rente
aus der Versicherung. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht
Nürnberg wiesen die Klage ab.
Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts folge aus dem Recht auf
informationelle Selbstbestimmung eine Schutzpflicht. Diese gebiete:
es, dafür Sorge zu tragen, dass informationeller
Selbstschutz für Einzelne tatsächlich möglich ist. Zwar steht es dem
Individuum frei, Daten anderen gegenüber zu offenbaren oder sich vertraglich
dazu zu verpflichten. Hat aber in einem Vertragsverhältnis ein Partner ein
solches Gewicht, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen
kann, so ist es Aufgabe des Rechts, auf die Wahrung der
Grundrechtspositionen der beteiligten Parteien hinzuwirken, um zu
verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine
Fremdbestimmung verkehrt (Urteil Bundesverfassungsgericht v. 17.07.13
- online Version: Abs. 20).
Da der hier zu entscheidende Versicherungsfall vor dem 31. Dezember 2008
eingetreten war, fand das zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung
der VersicherungsnehmerInnen beschlossene Gesetz zur Reform des
Versicherungsvertragsrechts vom 23. November 2007 (noch) keine Anwendung (§ 213
VVG). Daher bestand zwischen Beschwerdeführerin und Beklagter
bei Abschluss des Versicherungsvertrags ein
Verhandlungsungleichgewicht, das es der Beschwerdeführerin nicht
ermöglichte, ihren informationellen Selbstschutz eigenverantwortlich und
selbständig sicherzustellen (Urteil Bundesverfassungsgericht v.
17.07.13 - online Version: Abs. 24).
Auch der verfassungsrechtlich gebotene
Ausgleich zwischen den betroffenen
Grundrechtspositionen (informationeller
Selbstschutz einerseits und Interesse an der
Offenlegung von Informationen i. S. der
Berufsfreiheit) sei in den von der
Beschwerdeführerin angegriffenen
Entscheidungen nicht ausrechend
berücksichtigt.
Das Bundesverfassungsgericht rügte
insbesondere den Umstand, daß durch die von
den vorformulierten Einzelermächtigungen
vorgesehene Schweigepflichtentbindung der
Beklagten ermöglichen würden, "auch
über das für die Abwicklung des
Versicherungsfalls erforderliche Maß hinaus
in weitem Umfang sensible Informationen über
die Beschwerdeführerin einzuholen."
Die in den Formularen benannten Auskünfte
(z. B. Gesundheitsverhältnisse,
Arbeitsunfähigkeitszeiten und
Behandlungsdaten) - seien "so
allgemein gehalten, dass sie kaum zu einer
Begrenzung des Auskunftsumfangs führen"
(Urteil Bundesverfassungsgericht v. 17.07.13
- online Version: Abs. 27).
Zur Lösung der Problematik schlägt das
Bundesverfassungsgericht (die Sache wurde an
das Landgericht Nürnberg-Fürth
zurückverwiesen) vor:
Jedoch ließe sich in
Betracht ziehen, die von den
Einzelermächtigungen umfassten Informationen
etwa zunächst auf solche weniger
weitreichenden und persönlichkeitsrelevanten
Vorinformationen zu beschränken, die
ausreichen, um festzustellen, welche
Informationen tatsächlich für die Prüfung
des Leistungsfalls relevant sind. Eine
zumindest grobe Konkretisierung der
Auskunftsgegenstände könnte so den
erheblichen Umfang der durch die
Einzelermächtigungen zugänglichen,
überschießenden Informationen begrenzen und
damit dem Recht der Beschwerdeführerin auf
informationelle Selbstbestimmung Rechnung
tragen. Die Verfahrenseffizienz würde durch
eine solche Konkretisierung der
Auskunftsgegenstände nur geringfügig
beeinträchtigt. Angesichts des Umfangs der
bei der Krankenkasse der Beschwerdeführerin
und der Deutschen Rentenversicherung Bund
vorliegenden Unterlagen ist es ohnehin
wahrscheinlich, dass die Beklagte den
Auskunftsgegenstand im Rahmen einer Anfrage
an diese präziser formulieren würde als in
den Einzelermächtigungen. (Urteil
Bundesverfassungsgericht v. 17.07.13 -
online Version: Abs. 29)
Anmerkung:
Das Urteil des Bundesverfassungsgericht
überrascht im Grundsatz nicht. Schon bislang
war völlig klar, daß nur solche
Einwilligungserklärungen zulässig sind, die
beinhalten wer über was Auskunft geben soll.
Interessant ist eher, daß der Inhalt der
angefragten Informationen sehr klar begrenzt
sein muß und allgemeine Angaben (z. B.
Gesundheitsverhältnisse,
Arbeitsunfähigkeitszeiten und
Behandlungsdaten) hier nicht ausreichen,
weil sie den Umfang der zur Beurteilung
notwendigen Informationen überschreiten bzw.
nicht ausreichend begrenzen.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts v.
17.07.2013 (1
BvR 3167/08)
Bundesgerichtshof: Die Abtretung
des Anspruchs auf Betreuervergütung durch eine zum
Betreuer bestellte Rechtsanwältin an eine anwaltliche Verrechnungsstelle ohne
Einwilligung der Betreuten verstößt nicht gegen die
Schweigepflicht (Urteil v. 19. Juni
2013 XII ZB 357/11)
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juni 2013 über
folgenden Fall entschieden: Eine Rechtsanwältin wurde durch Beschluss vom 5.
Mai 2009 zur Betreuerin einer mittellosen Betroffenen bestellt. Sie trat den
ihr zustehenden Vergütungsansprüche - ohne Einwilligung der Betroffenen - an
eine anwaltliche Verrechnungsstelle ab. Letztere beantragte die Festsetzung
und Auszahlung der für das erste Halbjahr angefallenen Betreuervergütung in
Höhe von 1.650 €.
Ein Verstoß gegen die Schweigepflicht der Betreuerin/Rechtsanwältin gemäß §
203 Strafgesetzbuch (StGB) lag nach Ansicht des BGH nicht vor:
Denn
die zum persönlichen Lebensbereich der Betroffenen gehörenden Daten sind der
Betreuerin nicht "als Rechtsanwalt" im Sinne von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB
anvertraut oder bekannt geworden (...). Die Informationen sind unabhängig
von der spezifischen Berufsausübung erlangt und begründen damit keine
weitergehenden Geheimhaltungspflichten, als wenn der Betreuer keiner der in
§ 203 Abs. 1 StGB aufgeführten Berufs- und Tätigkeitsgruppen angehört. Ob
und inwiefern diese Einschränkung auch für andere Be-rufsgruppen einschlägig
ist (vgl. OLG Dresden FamRZ 2004, 1390 - Sozialarbeiter als
Verfahrenspfleger), bedarf hier keiner Entscheidung.
Auch die
von der Vorinstanz (LG Limburg) angenommene Verpflichtung zur
Verschwiegenheit (aus § 1901 Abs. 2, 3 BGB; Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG)
liege nicht vor:
Nach § 1901 Abs. 2 Satz 1
BGB hat der Betreuer die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie
es dessen Wohl entspricht. Bei der Geltendmachung der Betreuervergütung
handelt es sich hingegen schon nicht um eine Angelegenheit des Betroffenen,
sondern um eine Angelegenheit des Betreuers, die dieser ausschließlich im
eigenen Interesse wahrnimmt.
Weiter
äußert sich der BGH zur Stellung der BetreuerInnen im Unterschied zu jener
von ÄrztInnen oder RechtsanwältInnen:
Die
mit der Abtretung verbundenen Angaben beschränken sich bereits weitgehend
auf Umstände, die der Betreuer bei einem Tätigwerden für den Betroffenen
nach außen (gegenüber einem grundsätzlich unbeschränkten Personenkreis)
ohnehin offenbaren muss, um sich als zuständiger Betreuer auszuweisen und
die Interessen des Betroffenen wahrzunehmen; das gilt auch für den
Aufenthaltsort des Betroffenen und dessen wirtschaftliche Verhältnisse.
Insoweit unterscheidet sich die Stellung des Betreuers wesentlich von der
eines Arztes oder Rechtsanwalts. Schließlich unterliegt die
Verrechnungsstelle jedenfalls grundsätzlich der Verschwiegenheitspflicht
(vgl. § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB). Selbst eine - unterstellt - pflichtwidrige
Weitergabe personenbezogener Daten seitens der Betreuerin an die
Verrechnungsstelle könnte daher nicht ohne Weiteres zur Nichtigkeit der
Abtretung (...) führen.
Das Verfahren wurde "zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens," an das Land-gericht Limburg
zurückverwiesen.
Bundesgerichtshof: Urteil
v. 19. Juni 2013
XII ZB 357/11
Bundesdatenschutzbeauftragter
für den Datenschutz und die Informationsfreiheit:
Peter Schaar wird von Andrea Voßhoff abgelöst
Nach zwei fünfjährigen Amtszeiten (eine dritte Amtszeit ist nicht möglich)
ist der frühere Bürgerrechtler Peter Schaar von der Juristin und
CDU-Rechtspolitikerin Andrea Voßhoff abgelöst worden. Voßhoff war seit 1998
Bundestagsabgeordnete verlor aber ihr Mandat mit der letzten Bundestagswahl.
Als Abgeordnete hat sie für die Vorratsdatenspeicherung, für
Internetsperren, die Online-Durchsuchung und die Erweiterung der Kompetenzen
der Geheimdienste gestimmt. Sie wurde mit den Stimmen der großen Koalition
mit 403 von 587 abgegebenen Stimmen gewählt. Aus den Reihen der Opposition
(Linke und Grüne) kam bereits heftige Kritik gegen ihre Wahl im Bundestag.
Voßhoff
äußerte sich nach ihrer Wahl Ende letzter Woche gegenüber dem Spiegel
bereits dahingehend, daß sie einer datenschutzkonformen
Vorratsdatenspeicherung positiv gegenüber stehe und diese für ein wirksames
Instrument der Kriminalitätsbekämpfung halte.
Ärzte Zeitung (23.12.2013):
Erstmals eine Frau als oberste
Datenschützerin.
BGH stärkt Rechte von LehranalysandInnen (Urteil v. 7.11.2013,
III ZR 54/13): Keine Pflicht zur Dokumentation aber Recht auf Einsicht in
vorhandene Aufzeichnungen
(Teil
II)
Der 3. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe hat die Revision der von Beklagter (Lehranalytikerin) und Klägerin (Lehranalysandin)
zum Urteil des OLG Celle (4.01.2013 - AZ 1 U
61/12 - ) abgewiesen und das Urteil der Vorinstanz bestätigt
(Urteil v. 7.11.2013, III ZR 54/13). Damit
hat die Lehranalysandin einen Anspruch in die Aufzeichnungen, welche die
Lehranalytikerin im Zusammenhang der Lehranalyse angefertigt hat. Der BGH hat
sich die Argumentation des OLG Celle zu eigen gemacht, daß im Hinblick
auf Inhalt und Methodik kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Behandlung
und Lehranalyse besteht und daher auch die Grundsätze des Einsichtsrecht in
Behandlungsunterlagen auf Lehranalysen übertragen werden können:
Es mag zwar sein,
dass eine Dokumentationspflicht für die Durchführung der Lehranalyse nicht
besteht. Da sich
aber Lehranalyse und therapeutische Analyse inhaltlich
und methodisch weitgehend entsprechen und der Sinn der Dokumentation darin
besteht, den Verlauf psychotherapeutischer Prozesse festzuhalten, liegt es
nahe, dass auch Dokumentationen über Lehranalysen, sofern sie erfolgen,
höchst sensible Informationen aus den intimsten Bereichen des
Lehranalysanden zum Gegenstand haben. Unabhängig von der Weitergabe an
Dritte wird nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon mit
Erhebung dieser Daten das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die
Intimsphäre des Betroffenen berührt, so dass ein berechtigtes Interesse auf
Einsichtnahme in diese Unterlagen nicht von der Hand zu weisen ist, und sein
Informationsinteresse auch schon darin zu sehen ist, überhaupt davon
Kenntnis zu nehmen, was an intimsten Informationen über ihn festgehalten
ist. Dementsprechend kommt es auch für die Frage eines Anspruches auf
Einsichtnahme nicht darauf an, ob die Daten zur Weitergabe an Dritte
bestimmt sind. Ebenso steht einer Auslegung des zwischen den Parteien
bestehenden Vertrages dahingehend, dass ein Einsichtsrecht in die geführte
Dokumentation besteht, nicht entgegen, dass es sich nicht um eine Behandlung
im üblichen Sinn gehandelt hat. In rechtlich nicht zu beanstandender Weise
hat das Berufungsgericht darauf abgestellt, dass zwar die Ziele einer
Lehranalyse und Psychoanalyse nicht gleich sind, da letztere auf eine
Behandlung gerichtet ist. Die Durchführung unterscheidet sich jedoch nicht
und deshalb besteht wie bei der Psychoanalyse ein gleichgerichtetes
Interesse auf Einsichtnahme in die geführte Dokumentation. (Urteil v.
7.11.13: 10 RN 21)
Zugleich bleibt offen, ob eine Dokumentationspflicht bei Lehranalysen
(Lehrtherapien) überhaupt besteht, da es sich nicht um Behandlungen im Sinne
des Behandlungsvertrags (630a ff BGB) handelt. Die DGPT empfiehlt im Hinblick auf das BGH-Urteil Aufzeichnungen "so sparsam wie
möglich, so ausführlich wie nötig" anzufertigen und in schwierigen
Situationen "umfassender auf[zu]zeichnen, um sich im unwahrscheinlichen
Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung auch hinreichend verteidigen zu
können" (Mitgliederrundschreiben 4/2013: 16 ff,
Zitat: 17f).
Wird aber eine Dokumentation geführt besteht grundsätzlich auch das Recht
von LehranalysandInnen auf Einsicht. Allerdings konnte sich hier auch die Klägerin mit ihrer
Forderung nach uneingeschränkter Einsicht in die Aufzeichnungen nicht
durchsetzen. Der BGH sieht das Einsichtsrecht (wie schon in der
Vergangenheit) durch das Persönlichkeitsrecht der Analytikerin beschränkt
und entsprechende Schwärzungen von Teilen der Aufzeichnung als zulässig an -
auch wenn dadurch "eine gewisse Mißbrauchsgefahr" nicht auszuschließen
sei:
Ohne Erfolg
bleibt der Einwand der Beklagten, dass die Dokumentation der Lehranalyse
nicht vorgeschrieben sei. Das bedeutet zugleich, dass die gleichwohl
gemachten Aufzeichnungen allein in ihrem Selbstbestimmungsrecht verhaftet
seien, und sie sich insoweit ebenfalls auf ihr allgemeines
Persönlichkeitsrecht berufen und die Einsichtnahme verweigern könne. Das
eigene Persönlichkeitsrecht des Lehranalytikers ist jedoch zum einen dadurch
gewährleistet, dass er die Aufzeichnungen, deren Preisgabe sein eigenes
Persönlichkeitsrecht verletzten würde, schwärzen kann. Im Übrigen kann er,
da eine Dokumentation nicht gefordert ist, den Umfang der Dokumentation
nicht selbst bestimmen und insoweit eine Einsichtnahme durch den
Lehranalysanden durch schlichtes Unterlassen der Dokumentation ausschließen.
Soweit aber eine Dokumentation von intimen Informationen über den
Lehranalysanden erfolgt ist und die Offenbarung nicht das
Persönlichkeitsrecht des Lehranalytikers verletzt, weil es nicht um eigene
Informationen aus seinem Intimbereich geht, kann das Einsichtsrecht des
Lehranalysanden aufgrund des allein schon durch die Dokumentation erfolgten
Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht verneint
werden.
(Urteil v. 7.11.13: 11 RN 22)
Vergeblich wendet sich die Klägerin gegen die Auffassung des
Berufungsgerichts, die Klägerin könne keine uneingeschränkte Einsicht ohne
Schwärzungen verlangen. Die Herausgabe der Kopien der Therapieaufzeichnungen
ist insoweit beschränkt, als sie den Analytiker betreffende
persönlichkeitsbezogene Aufzeichnungen enthalten. Es ist anerkannt, dass
auch grundrechtlich fundierte Interessen des Therapeuten einer Einsichtnahme
entgegenstehen können (vgl. BVerfG, NJW 1999, 1777; BGH, Urteil vom 6.
Dezember 1988 - VI ZR 76/88, BGHZ 106, 146, 151). Ohne Erfolg bleibt die
Rüge der Klägerin, durch das Recht auf Schwärzung könne der Analytiker das
Recht auf Einsicht entwerten. Die Abwägung der beiden grundrechtlich
geschützten Interessen bietet jedoch keine andere Möglichkeit, als dem
Analytiker das Schwärzungsrecht einzuräumen. Jede anderweitige Kontrolle
würde in unverhältnismäßiger Weise in die Rechte des Analytikers eingreifen,
weil er zur Prüfung seiner Rechte Dritten Kenntnis von seinen Aufzeichnungen
geben müsste und damit eine Verletzung seines allgemeinen
Persönlichkeitsrechts unvermeidbar wäre. Eine gewisse Missbrauchsgefahr ist
aus praktischen Gründen dabei nicht auszuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 23.
November 1982 - VI ZR 222/79, BGHZ 85, 327, 338).
(Urteil v. 7.11.13: 12 RN 24)
Anmerkung: Aus meiner Sicht ist
das Urteil des BGH zu begrüßen. Auch wenn Lehranalysen keine Behandlungen im
juristischen Sinne (§ 630a BGB) sind, so sind die (hoffentlich) in
Gang kommenden therapeutischen Prozesse analoger Art - wenn
LehranalysandInnen (und gleiches gilt für Absolventen einer Lehrtherapie) in
der Lage sind, sich als PatientInnen zu erleben und sich auf die Analyse
ihrer Konflikte, Übertragungsmuster, Symptome/Befindlichkeitsstörungen und ihres Unbewußten
einzulassen. Die dabei entstehenden Aufzeichnungen über AnalysandInnen sind höchstpersönlicher
Art und unterliegen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Da Lehranalysen keine Behandlungen im Sinne eines Behandlungsvertrages (§
630a BGB) sind, besteht bislang keine (ausdrückliche) Pflicht zur
Dokumentation); m. E. sind die Berufs- und Fachgesellschaften aufgefordert,
Standards für eine Dokumentation psychoanalytischer Behandlungen und
Lehranalysen (bzw. -therapien) zu entwickeln. Da es auch bei Lehranalysen zu fehlerhaftem
Verhalten von LehranalytikerInnen kommen kann (und wiederholt gekommen ist)
und in solchen Fällen auch mit entsprechenden gerichtlichen
Auseinandersetzungen zu rechnen ist, machen Aufzeichnungen - auch schon
jetzt - durchaus Sinn
(siehe Empfehlungen der DGPT).
Die Beschränkung des Einsichtsrechts durch das Persönlichkeitsrecht der
TherapeutInnen (das im Einzelfall zu einer Schwärzung von Teilen der
Aufzeichnung führen kann) ist Ausdruck eines Rechtsstaatsprinzips, das einen
Ausgleich der verschiedenen grundrechtlich geschützten Rechte vorzunehmen
versucht. Allerdings hat dieser Ausgleich keinen expliziten Eingang in das
im Patientenrechtegesetz verankerte Einsichtsrecht in die Patientenakte
(§ 630g BGB) gefunden. Ich gehe aber davon aus, daß bei entsprechenden Rechtsstreitigkeiten
die verfassungsrechtliche Problematik der im Gesetz nicht verankerten
Persönlichkeitsrechte von ÄrztInnen und (insbesondere) PsychotherapeutInnen
eine Rolle spielen wird.
Auf dem 23. Deutschen Psychotherapeutentag (16.11.2013 in Kiel) wurden die
dazu vorliegenden Anträge des Vorstands der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK)
zur Änderung der Musterberufsordnung (Einfügung der Formulierung des § 630g
Absatz 1 Satz 1 BGB) und einer Gruppe um B. Waldvogel (TOP 5, Antrag 15; B. Waldvogel
u. A.):
§ 11 Absatz 2 der Musterberufsordnung der
Bundespsychotherapeutenkammer wird wie folgt neu gefasst:
(2) Psychotherapeuten können die Einsicht
ganz oder teilweise nur verweigern, wenn der Einsichtnahme erhebliche
therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter
entgegenstehen. Nimmt der Psychotherapeut im Einzelfall einzelne
Aufzeichnungen von der Einsichtnahme aus, weil diese Einblick in seine
Persönlichkeit geben und deren Offenlegung sein Persönlichkeitsrecht
berührt, stellt dies keinen Verstoß gegen diese Berufsordnung dar, wenn und
soweit in diesem Fall das Interesse des Psychotherapeuten am Schutz seines
Persönlichkeitsrechts in der Abwägung das Interesse des Patienten an der
Einsichtnahme überwiegt. Eine Einsichtsverweigerung gemäß Satz 1 oder Satz 2
ist gegenüber dem Patienten zu begründen. Die Regelung des § 12 Abs. 6 Satz
2 bleibt unberührt. [Hervorhebung vom Verfasser]
nicht abgestimmt.
Da die Diskussion zu diesem wichtigen Punkt sehr kontrovers verlief und eine
klare Mehrheit für einen Antrag nicht absehbar war, wurde der Vorstand
beauftragt, einen Lösungsvorschlag für den nächsten DPT zu formulieren, der
den unterschiedlichen Auffassungen Rechnung trägt.Im Bericht zum 23. DPT heißt es dazu:
Da dies ein folgenschweres Thema für Patienten und
Psychotherapeuten sei, schlug der BPtK-Vorstand vor, die Anträge nicht mit
knappen Mehrheiten zu entscheiden, sondern beide Anträge an den Vorstand zu
überweisen. Dieser werde sich zusammen mit den Antragstellern bemühen, für
den nächsten DPT eine Lösung zu erarbeiten, die sicherstellen könne, dass
die Persönlichkeitsrechte der Psychotherapeuten gewahrt blieben, dass
Rechtssicherheit für Psychotherapeuten geschaffen werde und dass Autonomie
und Selbstbestimmung der Patienten anerkannt werde. (Bericht der BPTK
Aktuell v. 27.11.13)
Den Landespsychotherapeutenkammern steht es allerdings unabhängig von einer
Änderung der Musterberufsordnung frei, ihre jeweils verbindliche
Berufsordnung entsprechend zu ändern. Ich werde mich in Bayern in diesem
Sinne einsetzen.
Und schließlich ist immer wieder darauf hinzuweisen: Kommt es zu einer
gerichtlichen Auseinandersetzung über die Einsicht in die Behandlungs- oder
Lehranalyse(-therapie)-Dokumentation, dann ist die Behandlung in der
Regel längst
entgleist! Das Ansinnen von PatientInnen, Einsicht in über sie angefertigte
Aufzeichnungen Einblick zu nehmen sollte ernst genommen und nicht vorschnell
als Widerstand (oder was auch immer) gedeutet und zurückgewiesen werden. Nach meiner Erfahrung kommt es in diesen
Fällen zu Konflikten, die dann nicht mehr als Ausdruck einer gemeinsamen
Inszenierung verstanden werden können - etwa auch im Hinblick auf (Gegen-)
Übertragungen von PsychoanalytikerInnen, welche der Übertragung der
PatientInnen vorausgehen! Oder als Gegenübertragungsreaktionen, die
nicht mehr reflektiert und nutzbringend in die Therapie eingebracht werden
können, sondern agiert werden (müssen).
Urteil des
BGH v. 7.11.2013 -
III ZR 54/13 (pdf-Dokument); Link zum Urteil
(III
ZR 54/13) über die Webseite des BGH
Urteil des
OLG Celle v. 14.01.2013; -
1 U 61/12 - (Vorinstanz: LG
Hannover: 19 O 281/11) siehe bei: AKTUELL: Nummer
05/2013
Bundespsychotherapeutenkammer Aktuell (27.11.13):
Weichenstellung für die Zukunft der
Psychotherapie: 23. Deutscher
Psychotherapeutentag in Kiel (16.11.2013)
Archiv: Lehranalyse
bzw. -therapieaufzeichnungen:
Teil 1
Die Ärzte Zeitung berichtet am 13.12.2013 über ein verwahrlostes Datenarchiv
(Immelborn, Thüringen), in dem sich u. a. auch ausgelagerte medizinische
Unterlagen aus Arztpraxen befinden. Laut Handelsregister ist die 1993 noch
in der damaligen DDR gegründete Firma vor fünf Jahren in Insolvenz gegangen,
der ehemalige Geschäftsführer ist derzeit nicht auffindbar.
Der thüringische Landesdatenschutzbeauftragte Hasse sieht schwere Verstöße
gegen den Datenschutz und seine Behörde damit überfordert an, alle Akten zu
sichten und ihre Besitzer zu ermitteln. Er verwies in diesem Zusammenhang
darauf, daß die grundsätzlich zulässige Archivierung ärztlicher Unterlagen
durch Privatfirmen die ÄrztInnen nicht von ihren datenschutzrechtlichen
Pflichten ihrer und Verantwortung für die ordnungsgemäße Aufbewahrung
entbinde.
Anmerkung: Siehe die Ausführungen in der
vorausgehenden Meldung (AKTUELL: Nummer 29/2013).
Diebstahl von Patientendaten bei externem
Dienstleister (Rechenzentrum)
Die Ärzte Zeitung berichtet am 29.11.2013 über einen 21-jährigen Systemadministrator eines
privarten medizinischen Rechenzentrums (Landkreis Northeim), der große
Mengen an vertraulichen Patientendaten aus Arztpraxen und Apotheken kopiert
haben soll. Gegen ihn wird nun wegen des Verdachts des Ausspähens von Daten,
des Verrats von Geschäftsgeheimnissen und des Verstoßes gegen das
Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) von der zuständigen Staatsanwaltschaft ermittelt.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft
hat der Tatverdächtige die gegen ihn erhobenen Vorwürfe eingeräumt - er habe
dabei aber nach seinen Angaben im Einverständnis mit dem Geschäftsführer
gehandelt.
Die eigentliche Brisanz der Angelegenheit besteht allerdings darin, wie die
vertraulichen Daten aus Arztpraxen und Apotheken überhaupt in das
Rechenzentrum gelangten. Zwar ist eine Auslagerung grundsätzlich möglich
jedoch nur unter der Voraussetzung, daß der private Anbieter die Einhaltung
der geltenden Datenschutzbestimmungen garantieren kann und deren Einhaltung
auch regelmäßig kontrollier wird und eine Einwilligung der PatientInnen in
die Weitergabe der Daten an einen externen Dienstleister vorliegt.
Anmerkung: Ich rate dringend davon ab,
Patientendaten an externe Rechenzentren weiterzugeben; allenfalls die
Abrechnung von Privatrechnungen scheint mir noch vertretbar, sollte aber -
insbesondere, wenn es nur um wenige PatientInnen geht - soweit möglich
ebenfalls vermieden werden. Weder kann die Einhaltung der
Datenschutzbestimmungen von Laien überprüft oder gar kontrolliert werden
noch sollte die Gefahr unbefugter Einsichtnahme oder Mißbrauchs (siehe
obigen Fall) eingegangen werden.
World Medical Association Declaration of Helsinki (WMA):
Ethical Principles for Medical Sesearch Involving Human Subjects (Version
Fortaleza/Brasilien 2013)
Die 1964 in Helsinki
verabschiedete Deklaration beinhaltet wichtige ethische Prinzipien im
Zusammenhang der medizinischen Forschung an Menschen einschließlich der
Forschung mit identifizierbarem menschlichem Material oder entsprechenden
Daten. Sie richtet sich in erster Linie an ÄrztInnen, bestärkt jedoch auch
alle an der Forschung beteiligten Personen und Berufsgruppen, die Prinzipien
der Deklaration zu übernehmen (vgl. Präambel). Die mehrfach geänderte
Deklaration wurde auf der 64. Generalversammlung der WMA in Fortaleza
(Brasilien) im Oktober 2013 überarbeitet. Wesentliche Veränderungen zur
vorausgehenden Version (Korea 2008) wurden nicht vorgenommen. Die
Deklaration beinhaltet neben der Präambel (Ziffern 1-2) Ausführungen
zu allgemeinen
ethischen Prinzipien (3-15),
zu Risiken, Belastungen
und Nutzen (16-18),
zu vulnerablen Personen
und Personengruppen (19-22),
zu ethischen
Forschungskomissionen (23),
zum Datenschutz und zur
Schweigepflicht (24),
zur informierten Einwilligung
- informed consent (25-32),
zum Einsatz von Placebo (33),
zu Maßnahmen nach Studienende
(34),
zur Registrierung,
Publikation und Veröffentlichung von Studien (35-36) sowie
zu nicht evaluierten
Interventionen in der klinischen Praxis (37).
Bei
Ziffer 9 finden werden allgemeine ethische Prinzipien aufgelistet, darunter
auch zum Datenschutz und zur Schweigepflicht:
9.
It
is the duty of physicians who are involved in medical research to
protect the life, health, dignity, integrity, right to
self-determination, privacy, and confidentiality of personal
information of research subjects. The responsibility for the
protection of research subjects must always rest with the physician
or other health care professionals and never with the research
subjects, even though they have given consent.
Spezielle Aussagen zur
Schweigepflicht finden sich unter der Überschrift:
Privacy and Confidentiality:
24.
Every precaution must be taken to protect the privacy of research
subjects and the confidentiality of their personal information.
Nachfolgend (unter der
Überschrift: Informed Consent) widmen sich die
Ziffern 25-32 der Frage der informierten Zustimmung. Eine Einwilligung in
Forschungsnahmen ist nur insoweit ethisch vertretbar, als die Teilnahme
freiwillig erfolgt und die Betroffenen drüber informiert sind, was zu
welchem Zweck geschieht (Methoden, Finanzierung, Interessenkonflikte,
institutionelle Zugehörigkeiten der ForscherInnen, erwarteter Nutzen,
potentielle Risiken der Studie und dabei möglicherweise auftretende
Unannehmlichkeiten, auf die Studie folgende Maßnahmen and andere relevante
Aspekte der Studie). Weiter müßen die TeilnehmerInnen auf ihr Recht
hingewiesen werden, ihre Teilnahme jederzeit zu beenden bzw. ihren informed
consent zurückzunehmen ohne Repressialien fürchten zu müssen. Erst nachdem
sich die jeweiligen ÄrztInnen (oder andere qualifizierte Personen) davon
überzeugt haben, daß die Informationen verstanden wurden, kann der informed
consent (bevorzugt schriftlich) erfolgen. Schließlich sollte für die
TeilnehmerInnen die Möglichkeit der Information über die allgemeinen
Ergebnisse und Befunde der Studie bestehen (vgl. Ziffer 26).
Aus meiner Sicht ist insbesondere
Ziffer 27 zu erwähnen, bei der auf die Problematik von
Abhängigkeitsbeziehungen thematisiert wird:
27.
When
seeking informed consent for participation in a research study the
physician must be particularly cautious if the potential subject is
in a dependent relationship with the physician or may consent under
duress. In such situations the informed consent must be sought by an
appropriately qualified individual who is completely independent of
this relationship.
Die nachfolgenden
Regelungen zum informed consent beziehen
sich auf Personen, die nicht in der Lage
sind informiert einzuwilligen (28-30). Unter
Ziffer 31 wird auf die Pflicht der ÄrztInnen
verwiesen, die TeilnehmerInnen umfassend
darüber aufzuklären, welche Aspekte ihrer
Behandlung in die Studie einbezogen werden.
Die Beendigung
der Teilnahme oder der Widerruf der
informierten Einwilligung darf nicht zu
einer Beeinträchtigung der
Patient-Arzt-Beziehung führen. Die letzte
Regelung aus dem Bereich des